Helmut Kohl war der letzte Bundeskanzler, der den Terror des Nationalsozialismus und die Schrecken des Zweiten Weltkriegs bewusst miterlebte. Diese Zeit prägte ihn und beeinflusste seine politische Entwicklung.
Als Helmut Kohl am 3. April 1930 in Ludwigshafen geboren wurde, warteten bereits zwei ältere Geschwister auf ihn: seine Schwester Hildegard (1922-2003) und sein Bruder Walter (1926-1944). Der Vater, Hans Kohl (1887-1975), stammte aus einer bäuerlichen Familie mit elf Kindern in Unterfranken und sorgte als Finanzbeamter für den Lebensunterhalt. Über die aus Ludwigshafen-Friesenheim stammende Mutter, Cäcilie Schnur (1891-1979), hatte die Familie in der Pfalz ihr Zuhause gefunden.
1936 wurde Helmut Kohl in der Friesenheimer Volksschule eingeschult. Im Gymnasium gehörten Geschichte, Deutsch und Geographie zu seinen Lieblingsfächern, während ihm Mathematik und Naturwissenschaften eher ein Gräuel waren. 1940 wechselte Kohl auf die Oberrealschule in Ludwigshafen. Mit Fortschreiten des Zweiten Weltkriegs war ein normaler Unterricht nicht mehr möglich; der Schulbetrieb in Ludwigshafen wurde schließlich ganz eingestellt und mit dem Dom-Gymnasium in Speyer zusammengelegt. Arbeitsdienst und Wehrmacht blieben Kohl altersbedingt erspart, doch beim Schülerlöschtrupp lernte er in den brennenden Häusern Krieg, Tod und Zerstörung kennen.
Im Spätherbst 1944 musste Kohl Ludwigshafen verlassen und mit der Kinderlandverschickung zunächst nach Erbach im Odenwald, dann nach Berchtesgaden ausweichen. Neben dem Schulunterricht stand nun eine vormilitärische Ausbildung auf dem Programm. Das Kriegsende ersparte ihm den Dienst als Flakhelfer. Als der Fünfzehnjährige nach Hause zurückkam, begann er im August 1945 eine landwirtschaftliche Lehre in Düllstadt, gelegen zwischen Würzburg, Kitzingen und Schweinfurt. Wegen der fehlenden Berufsperspektiven brach er diesen Weg nach vier Monaten wieder ab und kehrte auf die Oberrealschule in Ludwigshafen zurück. Kohls Schulzeit endete am 8. Juni 1950 mit dem Abitur.
Im Wintersemester 1950/51 begann Helmut Kohl in Frankfurt am Main ein breit angelegtes Studium: Völkerrecht bei Walter Hallstein, Nationalökonomie bei Franz Böhm, Vorlesungen beim Sozialdemokraten Carlo Schmid, Psychologie bei Ernst Michael. Nach zwei Semestern täglichen Pendelns wechselte Kohl an die Universität Heidelberg. Er hörte den Kultursoziologen Alexander Rüstow, den Psychologen Willy Hellpach (früherer badischer Staatspräsident und Heidelberger Professor), die Historiker Fritz Ernst, Johannes Kühn, Werner Conze und Rudolf von Albertini sowie den Mediziner Viktor von Weizsäcker, den Juristen Walter Jellinek, den Nationalökonom Erich Preiser, den Soziologen Hans von Eckardt sowie die Politikwissenschaftler Waldemar Gurian, Theodor Eschenburg, Arnold Bergstraesser und Dolf Sternberger. Ab Sommer 1952 konzentrierte sich Kohl auf die Fächer Geschichte, Politische Wissenschaft, Staatsrecht und Öffentliches Recht.
Die 1958 abgeschlossene Promotion über „Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945“ erfolgte bei dem Historiker Walther Peter Fuchs. Privatarchive und schriftliche Nachlässe der führenden Politiker in der Pfalz sowie Akten und Protokolle der CDU- und SPD-Bezirksleitung dienten als Quellenbasis. Parallel arbeitete Kohl als Hilfsassistent am Alfred-Weber-Institut unter der Leitung Dolf Sternbergers. Geld verdiente er sich ferner mit dem Ausfahren von Wasser und Apfelwein in einer Mannheimer Firma, als Hilfsarbeiter und Werkstudent bei BASF. Von dem Geld kaufte er sich unter anderem einen Roller, eine Lambretta, mit dem er zahlreiche CDU-Sitzungen und Wahlversammlungen aufsuchte. Nach acht Jahren endete die Universitätszeit mit der Promotion. Die Grundlage für ein breites geschichtliches Bewusstsein war gelegt.
Die erste demokratische Wahl erlebte Helmut Kohl am 15. September 1946, als er seine Eltern bei den Kommunalwahlen ins Wahllokal begleitete. Er blieb den ganzen Tag dort im Schulgebäude und beobachtete sehr bewusst und fasziniert die Vorgänge. Als der Gemeindepfarrer dieses rege Interesse mitbekam, ebnete er dem Sechzehnjährigen den Weg zu Dekan Johannes Finck aus Limburgerhof, eine Arbeitersiedlung vor den Toren Ludwigshafens. Finck, Mitbegründer der CDU in der Pfalz, lud regelmäßig eine Gruppe junger Leute zwischen Anfang und Mitte Zwanzig ein, um über politische, gesellschaftliche und philosophische Fragestellungen zu diskutieren. Hier gewann der junge Kohl Einblicke in die Notwendigkeit, die konfessionellen Gegensätze in einer Union zu überwinden, allen Schichten im Volk eine politische Heimat zu geben und den Willen zur föderalen Einheit Deutschlands nicht zu verlieren.
Helmut Kohl entschied sich Anfang 1947 für die CDU, weil ihre Programmatik auf dem christlichen Menschenbild aufbaut. Geprägt von Dekan Finck sowie dem politisch sehr interessierten Vater, früh eingebunden bei der Gründung der Jungen Union Rheinland-Pfalz, stürzte sich Kohl im Vorfeld der Landtagswahl im Mai 1947 in die Wahlkampfarbeit auf den Straßen.
Zuerst wurde er JU-Ortsvorsteher, dann stellvertretender JU-Kreisvorsitzender. Doch bei der Wahl zum neuen Bezirksvorsitzenden der Jungen Union Pfalz fiel Helmut Kohl am 1. Mai 1948 durch. Von nun an konzentrierte er sich auf die CDU. Am 14. August 1949 stand die erste Bundestagswahl an. Beim Wahlkampfauftakt im Heidelberger Schloss erlebte er Jakob Kaiser, Karl Arnold, Gustav Heinemann und Konrad Adenauer. In diesem Wahlkampf hielt der junge Kohl selbst seine erste Wahlkampfrede in Mutterstadt bei Ludwigshafen.
Kohl traute sich, die Stimme zu erheben, kritisierte das Honoratiorentum der CDU und profilierte sich rasch. Im November 1953 schaffte er in einer Kampfkandidatur den Sprung in den geschäftsführenden Vorstand der CDU Pfalz. Im April 1954 folgte die Wahl zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der Jungen Union Rheinland-Pfalz. Einen Dämpfer erhielt der engagierte Jungpolitiker, als er im Januar 1955 in einer Kampfkandidatur um den stellvertretenden Landesvorsitz der CDU – allerdings nur knapp – gegen den Familienminister Franz-Josef Wuermeling unterlag. Mit Mitte Zwanzig saß Kohl dennoch im CDU-Landesvorstand und somit im wichtigsten Parteigremium in Rheinland-Pfalz.
Vor neuen Wahlkampfmethoden scheute er nicht zurück. Als ihm 1957 die Leitung für den Bundestagswahlkampf der Ludwigshafener CDU angetragen wurde, organisierte er Rednerauftritte, Veranstaltungen, Plakatierungen und mobilisierte die Parteibasis. Der von Kohl als Bundestagskandidat ausgesuchte Wirtschaftsfachmann Gerhard Fritz praktizierte den neuen Wahlkampfstil; er lud zu Stammtischen ein, besuchte Organisationen und Vereine und suchte den direkten Bürgerkontakt.
Am 2. Dezember 1976 gab Helmut Kohl sein Amt als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz auf und trat als Oppositionsführer an die Spitze der stärksten Fraktion im Deutschen Bundestag. Nicht nur harte Auseinandersetzungen mit Bundeskanzler Helmut Schmidt, sondern auch Machtkämpfe zwischen den beiden Schwesterparteien CDU und CSU bestimmten die kommenden Jahre.
Helmut Kohl hat in seinen Regierungsjahren von 1982 bis 1998 die Bundesrepublik Deutschland so nachhaltig verändert wie vor ihm nur Konrad Adenauer. Standen in den 1980er Jahren die Sanierung der Staatsfinanzen und innenpolitische Reformen im Mittelpunkt, konzentrierte sich die Regierungsarbeit nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 auf die Vollendung der Deutschen Einheit und den „Aufbau Ost“.
Nach dem Ausscheiden aus dem Amt des Bundeskanzlers im Oktober 1998 hat Helmut Kohl weiterhin in vielfältiger Weise politisch gewirkt. Ein besonderes Anliegen war es ihm, die jungen Menschen für die europäische Einigung zu begeistern. Im Dezember 1998 wurde ihm der Titel „Ehrenbürger Europas“ verliehen. Überschattet wurden diese Jahre durch die Parteispendenaffäre 1999/2000 und den Freitod seiner ersten Ehefrau Hannelore 2001.