Helmut Weidner
Mit Beginn der Ära Kohl entwickelte sich die Bundesrepublik zu einem Vorreiter in der Umweltpolitik. Nach 1990 stand hingegen die Bewältigung der Folgen der Deutschen Einheit im Fokus und die nationale Umweltpolitik verlor an Dynamik.
Die moderne deutsche Umweltpolitik – im Sinne eines eigenständigen, institutionalisierten Politikfeldes – ist ein Kind der sozial-liberalen Regierungskoalition. Insofern hatte sie schon eine rund 13-jährige Entwicklungsgeschichte hinter sich, als die Ära Kohl im Jahr 1982 begann. Verglichen mit anderen Politikressorts war sie demnach „blutjung“. Ihr Profil hatte die Umweltpolitik durch das damals zuständige FDP-geführte Innenministerium bekommen, wo sich eine kleine Gruppe hoch engagierter und kompetenter Mitarbeiter der neuen Thematik annahm.
Eine Umweltbewegung im eigentlichen Sinn gab es damals noch nicht, der Einfluss von Naturschutzverbänden auf die Politikgestaltung war eher gering; wichtiger waren Anregungen von damaligen umweltpolitischen Pionierländern wie USA, Schweden, teilweise auch Japan. Einen gewissen Einfluss hatte auch die „Systemkonkurrenz“ mit der DDR, wo schon 1968 der Schutz der Umwelt Verfassungsrang erhalten hatte, im Jahr 1970 ein Umweltrahmengesetz erlassen und 1971 eine Art Umweltministerium gegründet worden war. Der weitgehend bloße Symbolcharakter dieser Institutionen braucht hier nicht näher erläutert zu werden.
Die Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl trat ihr Amt in einer umweltpolitisch höchst turbulenten Zeit an. Sie war insbesondere durch einen weit verbreiteten Verlust an Vertrauen in den Problemlösungswillen der staatlichen Umweltpolitik geprägt. Auch ihre Problemlösungskapazität wurde stark bezweifelt. Während in der Gesellschaft die Meinung vorherrschte, dass die staatliche Umweltpolitik von wirtschaftlichen Interessen dominiert sei, kam aus Wirtschaftskreisen massive Kritik an vermeintlich wirtschaftsschädigenden umweltpolitischen Überreaktionen des Staates und gegen sein unökonomisches Instrumentarium.
Diese schwierige Ausgangslage muss berücksichtigt werden, um die Leistungen der neuen Regierung angemessen beurteilen zu können. Die „umweltpolitische Großwetterlage“ zu Beginn der Ära Kohl war noch von weiteren Faktoren beeinflusst, von denen hier nur die wichtigsten stichwortartig genannt werden: Zum einen hatte die öffentliche Debatte zum sauren Regen und „Waldsterben“, verbunden mit Themen wie etwa der Gesundheitsschädigung durch innerstädtische Umweltbelastungen, einen solchen Höhepunkt erreicht, dass Deutschland im Ausland verschiedentlich als „Weltmeister in Umweltangst“ bezeichnet wurde. Zudem gab es noch starke Nachwirkungen der Ölpreiskrise von 1973/74, die es vor allem erschwerten, strengere Emissionsgrenzwerte im Industrie- und Kraftwerksbereich durchzusetzen.
Gleichzeitig hatte die Umwelt- und Antikernenergie-Bewegung einen großen Aufschwung erlebt, zahlreiche Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen waren entstanden, und vormals eher „bedächtige“ Naturschutzorganisationen politisierten sich; insgesamt kam es zu einer breiten Organisation gesellschaftlicher Umweltinteressen. Die etablierten Parteien bekamen parteipolitische Konkurrenz, zunächst auf der Kommunal- und Landesebene, dann auf Bundesebene. Die „Grüne Partei“ bekam in der Bundestagswahl 1980 nur 1,5 Prozent der Stimmen, doch Ende 1982 waren Abgeordnete von „Grünen Parteien“ in sechs Landtagen vertreten, und 1983 zogen sie schließlich in den Bundestag ein.
Insgesamt war die umweltpolitische Großwetterlage in den achtziger Jahren unübersichtlicher, konfliktiver, teils militanter geworden. Das Spannungsverhältnis zwischen Ökologie und Ökonomie wurde nunmehr von relevanten Teilen der Umweltbewegung als ein struktur- und systemimmanenter Konflikt thematisiert, der nur durch radikale Systemänderung und nicht durch eine „Versöhnung“ zugunsten des Umweltschutzes gelöst werden könne.
In dieser politisch aufgeheizten, sich radikalisierenden Situation kam nun eine konservative, wirtschaftsnahe Regierung ins Amt. Vielen schien ausgemacht, dass in der Umweltpolitik nun noch mehr gebremst würde. Diese Befürchtungen schienen sich erst einmal zu bestätigen: Für den Umweltschutz zuständig wurde der als erzkonservativ wahrgenommene CSU-Abgeordnete Friedrich Zimmermann, und in der Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 streifte Bundeskanzler Kohl nur kurz den Umweltschutz, dabei betonend, dass seine Regierung das „Eigeninteresse der Wirtschaft am Umweltschutz stärken“ wolle.
Doch schon die Rede von Innenminister Zimmermann im Bundestag am 14. Oktober ließ nicht nur Umweltbewegte aufhorchen, ganz besonders der Satz: „Umweltschutz ist neben der Vermeidung kriegerischer Konflikte die wichtigste Aufgabe der Menschheit in den nächsten Jahren.“ Und ganz anders, als man es gemeinhin von der staatlichen Umweltrhetorik erwartete, folgten dieser Rede rasch Taten, die wie Paukenschläge wirkten, im Inland wie im Ausland. Der Schwerpunkt der Aktivitäten lag zunächst auf dem Bereich der besonders strittigen Luftreinhaltepolitik. Zwei Maßnahmen ragten heraus: Schon wenige Monate nach Amtsantritt wurde die so genannte Großfeuerungsanlagen-Verordnung erlassen. Sie enthielt die europaweit strengsten Vorschriften zur Emissionsbegrenzung für Kraftwerke und große Industriefeuerungsanlagen.
Etliche Länder, und dann auch die Europäische Gemeinschaft, haben diese Regelungen später übernommen. Bei der überaus schnellen Behandlung der äußerst komplizierten Materie kamen dem Innenminister die mehr als fünfjährigen Vorarbeiten der Umweltadministration zugute, die mangels politischer Unterstützung „schubladisiert“ worden waren.
Im Juli 1983 machte der Innenminister den überraschenden Vorstoß, die in den USA geltenden PKW-Abgasgrenzwerte als EG-Richtlinie durchzusetzen. Damit löste er großen Wirbel in der deutschen Automobilindustrie und in anderen EG-Mitgliedsländern aus. Nicht zuletzt aufgrund strategischer Ungeschicklichkeiten des Innenministers verzögerte sich die Umsetzung, doch letztlich wurde mit dieser „Hauruck-Strategie“ der Weg für die Einführung des Abgaskatalysators in Europa geebnet, und zwar gegen eine große, machtvolle Interessenkoalition aus Automobilindustrie, Automobilverbänden und ihren Unterstützern in Politik und Wissenschaft in Deutschland und in anderen automobilproduzierenden europäischen Ländern.
Die einschneidenden Maßnahmen gegen zwei Mitglieder aus der Gruppe der mächtigsten und „umweltpolitikresistentesten“ Industriebranchen brachten dem Innenminister im Lande viel Anerkennung, auch von politischen Gegnern. Die Maßnahmen trugen nicht nur zur Umweltentlastung bei, sondern auch entscheidend zur Dynamisierung der EG-Umweltpolitik. Deutschlands umweltpolitische Reputation stieg im Ausland erheblich an, andere Länder, die eine fortschrittliche Umweltpolitik betreiben wollten, beriefen sich nunmehr neben den USA und Japan immer mehr auf die Bundesrepublik.
Bahnbrechende Zeichen wurden auch in der internationalen Umweltpolitik gesetzt: Im Juni 1984 richtete die Bundesregierung in München eine multilaterale Umweltkonferenz aus, die wesentlich dazu beitrug, dass es zu international koordinierten und wirkungsvollen Maßnahmen gegen den „sauren Regen“ kam, an denen sich nun auch mittel- und osteuropäische Staaten beteiligten. Dies galt als eine beachtenswerte und umweltpolitisch höchst dringliche Leistung, wenn man die bis dahin sehr heftigen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West auf den verschiedenen internationalen Umweltbühnen bedenkt.
Diesem verheißungsvollen Auftakt und der bis heute bestehenden Vorreiterrolle in wichtigen Bereichen der Luftreinhaltepolitik standen aber auch erhebliche Defizite gegenüber, die im Zeitablauf an Bedeutung in der umweltpolitischen Diskussion gewannen. Exemplarisch hierfür seien genannt: Die Ablehnung einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen entgegen dem klaren internationalen Trend; im Natur- und Bodenschutz gab es nur schwache Regelungen, die eine Situationsverschlechterung nicht aufhalten konnten, behindernd wirkte hierbei insbesondere die so genannte Landwirtschaftsklausel; und schließlich verfolgte die Regierung einen konsequent „atomfreundlichen“ Kurs, der zur gesellschaftlichen Polarisierung beitrug. Letzteres führte nach der Tschernobyl-Katastrophe Ende April 1986 zu einem rapiden Verlust des Vertrauens in die umweltpolitische Kompetenz des Innenministers, der für Strahlenvorsorge zuständig war. Hierauf reagierte die Regierung mit recht großem politischen Raffinement: Schon rund einen Monat nach der Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl, am 5. Juni 1986, wurde das Bundesministerium für Umwelt, Natur und Reaktorsicherheit (BMU) gegründet, womit symbolisch ein umweltpolitischer Neuanfang signalisiert wurde.
Sicherlich hatten die unmittelbar bevorstehende Landtagswahl in Niedersachsen und die für Januar 1987 anstehende Bundestagswahl ebenfalls Einfluss auf diese Entscheidung. Mit Walter Wallmann wurde allerdings ein nicht in Umweltfragen ausgewiesener Politiker zum ersten Bundesumweltminister ernannt. Dessen kurze und insgesamt wenig bemerkenswerte Amtsperiode ging zu Ende, als er hessischer Ministerpräsident wurde.
Im Mai 1987 wurde Klaus Töpfer zum Bundesumweltminister ernannt. Er war Umweltminister von Rheinland-Pfalz gewesen, Inhaber eines Lehrstuhls für Raumordnung und Landesplanung und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen – mithin ein ausgesprochener und bekannter Umweltexperte.
Mit seiner Amtsübernahme kam wieder frischer Wind in die Umweltpolitik. Er trat von Anbeginn sehr aktiv und medienorientiert auf. In seiner Amtszeit bis 1994 wurden wichtige Durchbrüche in der Umweltpolitik erzielt. Besonders hervorzuheben sind die Konzepte zum Schutz von Nord- und Ostsee, die Erweiterung des Umwelthaftungsrechts, die Störfallverordnung, die steuerliche Förderung schadstoffarmer Automobile, die Einstellung der Abfallverbrennung auf hoher See sowie der Einleitung von Dünnsäure in die Nordsee, die FCKW-Ausstiegsregelung (Deutschland war das erste Land weltweit, das die Produktion und Verwendung des die Ozonschicht schädigenden FCKW einstellte), das Verbot von bleihaltigem Benzin, die Verpackungsverordnung und vor allem das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, das „Blaupause“ für Regelungen in etlichen anderen Ländern wurde.
Einige der Regelungen und Maßnahmen in der Amtszeit Töpfers hatten das Potenzial, den einengenden konventionellen Handlungsrahmen der Umweltpolitik zu sprengen und neue Wege für eine effektivere Umweltpolitik zu öffnen. Das 1990 vorgelegte Konzept zur Verminderung von CO2-Emissionen enthielt im internationalen Vergleich die mit am weitestgehenden Zielsetzungen. Die Ost-West-Umweltaktivitäten wurden ausgebaut: Nach dem Honecker-Staatsbesuch in Bonn intensivierte sich (ab 1987) die deutsch-deutsche Umweltkooperation, später auch mit anderen Ländern wie ČSSR, Ungarn, Bulgarien und UdSSR.
Der deutsche Vereinigungsprozess nach 1989 dominierte verständlicherweise die Regierungspolitik in der Anfangsphase, gleichwohl kam es zunächst nicht zu einem umweltpolitischen Rückschlag oder Stillstand. Im Rahmen der „Umweltunion“ (1. Juli 1990) wurden trotz der teilweise desaströsen Umweltzustände in der ehemaligen DDR sehr weitreichende Ziele gesetzt. Der Einigungsvertrag strebte an, die Einheitlichkeit der ökologischen Lebensverhältnisse auf hohem, mindestens jedoch auf dem in der Bundesrepublik erreichten Niveau zu fördern. Diese Programmatik wurde von großen Finanzmitteltransfers und vielfältigen Fördermaßnahmen gestützt, beispielsweise durch die Ausrichtung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) auf Umweltsanierungsaufgaben, wofür zeitweilig rund 100.000 ABM-Stellen zur Verfügung standen. Ein Teil der hohen Sanierungskosten war selbstverschuldet, gab es doch bis dahin einen regen Müllexport von West nach Ost, obwohl das niedrige entsorgungstechnische Niveau in der DDR allgemein bekannt war.
Auf breiter Ebene wurden Umweltqualitätsverbesserungen erzielt, wenn auch häufig in ineffizienter Weise. Hierzu trug bei, dass das bundesdeutsche Umweltrecht den fünf neuen Bundesländern weitgehend „übergestülpt“ worden war. Damit wurde nicht zuletzt die Chance vertan, im Zuge des Vereinigungsprozesses die umweltpolitischen Verkrustungen, die allseits bekannt waren, systematisch zu beheben – stattdessen wurden durch so genannte Beschleunigungsgesetze die ökonomischen gegenüber ökologischen Interessen gestärkt. Hierzu gehört auch der Stromvertrag von 1990, durch den der Einfluss von drei westdeutschen Energieversorgungsunternehmen auf die gesamte Stromerzeugung und -verteilung im Beitrittsgebiet gesichert und eine politisch gesteuerte energiepolitische Wende nicht mehr realisierbar schien. Auf das Ergebnis der Bundestagswahl von 1994 wirkte sich dies alles jedoch nicht weiter hinderlich aus, was großenteils auf neue Prioritäten in der politisch-gesellschaftlichen Debatte zurückgeführt werden kann. Die Nachfolge von Klaus Töpfer trat Angela Merkel an.
Wenn im Rückblick die Amtszeit von Minister Töpfer – insbesondere wegen seiner Leistungen auf der internationalen Umweltpolitikebene – manchmal in einem etwas verklärten Licht gesehen wird, darf darüber nicht vergessen werden, dass es auch erhebliche Defizite gab, so etwa beim Vollzug des Chemikaliengesetzes, beim Bodenschutz und bezüglich der Sanierung von Altlasten. Die Kernenergiepolitik blieb weiterhin stark strittig. Minister Töpfer beherrschte auch die Klaviatur der symbolischen Umweltpolitik, wie sich u.a. bei der Diskussion um die Einführung ökonomischer Instrumente schon 1989 zeigte: Im Sommer 1989, kurz vor der saarländischen Landtagswahl, startete eine hitzige Debatte um ökonomische Instrumente (speziell Öko-Steuern und Umweltabgaben), ausgelöst durch einen entsprechenden Vorschlag des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine.
In diese Debatte stieg Umweltminister Töpfer als damaliger CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl unverzüglich ein und erklärte Abgabensysteme zu einem Muss für eine rationale Umweltpolitik. In der Folgezeit hatte das aber keine politisch-praktischen Konsequenzen. Als bei der öffentlichen Präsentation des Umweltgutachtens des Sachverständigenrates für Umweltfragen im Jahr 1994 der Ratsvorsitzende ein allmähliches Ansteigen des Benzinpreises bis zum Jahr 2005 auf vier bis fünf DM befürwortete und es hierauf äußerst heftige Kritik von Wirtschaftsverbänden und Medienschelte gab, distanzierte sich Minister Töpfer rasch von diesem Vorschlag. Es wurde in diesem Zusammenhang kolportiert, dass Bundeskanzler Kohl den Wirtschaftsverbänden zugesichert hatte, eine Öko-Steuer nicht einzuführen.
Aufgrund zunehmenden Widerspruchs zwischen vollmundigen umweltpolitischen Ankündigungen und schwacher Realisierung gab es besonders in den Medien eine zunehmend skeptische Sichtweise auf Umweltminister Töpfer, der u.a. als „Ankündigungsminister“ bezeichnet wurde. Diese Kritik war in ihrer Schärfe überzogen. Sie deutet auf eine unberechtigte Geringschätzung bzw. auf Unverständnis wichtiger Funktionen symbolischer politischer Handlungen hin. Diese sind manchmal das adäquate Mittel, fehlende parlamentarische oder parteipolitische Hausmacht zu kompensieren oder den Einfluss machtvoller Interessenorganisationen zu konterkarieren, um brisante Umweltthemen auf die politische Agenda zu bekommen.
Die Amtszeit von Umweltministerin Merkel fand im Schatten neuer politischer Prioritäten statt, geprägt durch Massenarbeitslosigkeit, öffentliche Verschuldung und die so genannte Standortdiskussion. Es gewann eine breite Globalisierungsdebatte an Gewicht, die sich gegen den Umweltschutz richtete. Auch in der Gesellschaft sank der Stellenwert von Umweltschutz, blieb aber auf hohem Niveau. Im Unterschied zur erheblichen Verlangsamung des umweltpolitischen Weiterentwicklungsprozesses und zu restriktiven Teilmaßnahmen auf nationaler Ebene wurde jedoch weiterhin eine progressive internationale Umweltpolitik betrieben. Diese unterstützte, wenn große Hürden im Wege standen, der Bundeskanzler politisch und medienbezogen sehr wirksam: Es war beispielsweise Helmut Kohl, der 1988 auf der Toronto-Konferenz den Klimawandel zum politischen Problem Nummer eins erklärte und ebenfalls das sehr anspruchsvolle Ziel der Absenkung der CO2-Emissionen um 25 Prozent unterstützte.
Auf dem Weltwirtschaftsgipfel 1989 setzte er durch, dass Umweltschutz als ein vorrangiges Ziel auf die Tagungsagenda gesetzt wurde. Dem Umwelt-Weltgipfel in Rio de Janeiro 1992 gab er politisch Gewicht, mehr als jeder andere der zahlreichen anwesenden Regierungschefs. Dort betonte Bundeskanzler Kohl insbesondere die Notwendigkeit von Generationengerechtigkeit, indem er darauf verwies, dass unsere Kinder und Enkel unser Handeln in erster Linie daran messen würden, ob wir heute unseren Verpflichtungen zur Bewahrung der Schöpfung nachkommen. Selbst die stark regierungskritische Tageszeitung taz schrieb anlässlich der wichtigen Klimakonferenz in Berlin 1995 (die den Weg frei machte für das so genannte Kyoto-Protokoll zwei Jahre später), der Kanzler habe „die richtige Rede mit richtigen Zielen an die richtige Adresse“ gehalten und lobte die gute Zusammenarbeit zwischen Umweltministerin und Umweltaktivisten.
Deutschlandspiegel 488/1995.
© BArch Bestand Film F 011817
Auch innerhalb der CDU setzte sich der Bundeskanzler dafür ein, dass das Thema Umweltpolitik einen hohen Stellenwert genoss. So wurde im 1994 verabschiedeten CDU-Grundsatzprogramm „Freiheit in Verantwortung“ die Soziale Marktwirtschaft um den Begriff Ökologie erweitert: „Wir Christliche Demokraten erweitern die Soziale Marktwirtschaft um eine ökologische Dimension. Stärker als bisher wollen wir die Kräfte und Steuerungsmechanismen der Marktwirtschaft einsetzen, um einen schonenden Umgang mit Natur und Umwelt zu erreichen. Ziel der ökologischen und sozialen Marktwirtschaft ist es, eine Synthese von Ökonomie, sozialer Gerechtigkeit und Ökologie zu schaffen.“ Allerdings blieb dieser Zusatz innerparteilich umstritten, fürchteten doch viele in der CDU, das Markenzeichen Soziale Marktwirtschaft würde damit aufgeweicht oder gar dem Zeitgeist geopfert. Auch langfristig setzte sich der Begriff der Ökologischen Sozialen Marktwirtschaft nicht durch.
Insgesamt kann man, stark zusammenfassend, zur Amtszeit von Ministerin Merkel sagen: Trotz des vom Sachverständigenrat für Umweltfragen festgestellten „scharfen Gegenwindes“, der seit der tiefen Wirtschaftsrezession der Umweltpolitik ins Gesicht blies, kam es zu keinen fundamentalen Rückzügen, die etwa dem unter US-Präsident Reagan stattgefundenen umweltpolitischen Kapazitätsabbau vergleichbar wären. Die Umweltministerin förderte hingegen mit persönlichem Engagement eine anspruchsvolle Weiterentwicklung des Konzeptes der nachhaltigen Entwicklung, doch blieben diese Bemühungen institutionell weitgehend erfolglos. Zum Ende ihrer Amtszeit war es aber doch zu einer erheblichen Verlangsamung des Prozesses umweltpolitischer Weiterentwicklung gekommen, und eine systematisch-strategische Fundierung der internationalen Umweltpolitik im nationalen Politikrahmen war trotz der bemerkenswerten und international hoch anerkannten „Umweltaußenpolitik“ nicht erreicht worden.
Es gibt viele wissenschaftlich abgesicherte und anerkannte Bewertungskriterien für umweltpolitische Leistungen, die alle ihre Berechtigung haben, doch steht an vorderster Stelle in aller Regel die Frage nach den erzielten Effekten. Hier sei nur auf einige der wichtigsten Punkte hingewiesen: Es war, anders als in vielen anderen Industrieländern, eine Entkopplung des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum erzielt worden, und in zahlreichen Bereichen der konventionellen Umweltpolitik (etwa Luftreinhaltung, Abfallbeseitigung, Gewässerschutz) gehörte die Bundesrepublik zur Gruppe der Vorreiterländer im internationalen Vergleich. Bei allen für eine erfolgreiche Umweltpolitik wichtigen Elementen war ein Entwicklungsstand erreicht worden, der im internationalen Vergleich weit vorne rangierte. Hierzu gehört beispielsweise auch die 1990 gegründete Deutsche Bundesstiftung Umwelt, die mit einem Stiftungskapital von über 1 Mrd. Euro europaweit die größte Stiftung ist.
Die gute Platzierung im internationalen Vergleich kann allerdings nur partiell der staatlichen Umweltpolitik zugeschrieben werden: Einen guten Anteil daran hatten direkt und indirekt gesellschaftliche Akteursgruppen, Wissenschaft, umweltpolitisch progressive Kommunen, Bundesländer und „grüne Unternehmen“. Schließlich ist auch der Einfluss der politischen Opposition nicht unerheblich gewesen: SPD und „Grüne“ profilierten sich als ökologische Modernisierungsparteien und trugen damit zur Belebung der umweltpolitischen Konkurrenz bei.
Im Bereich des umweltpolitischen Instrumentariums sind ambivalente Ergebnisse zu verzeichnen: Es wurden zwar moderne, vor allem kooperationsorientierte Regelungssysteme gefördert (Umweltvereinbarungen, Selbstverpflichtungen der Industrie), doch mit der notwendigen systematischen Überprüfung oder gar Sanktionierung im Rahmen dieses flexiblen Instrumentariums haperte es stark. Hinsichtlich ökonomisch flexibler und effizienter Instrumente wurde kein eigentlicher Durchbruch erzielt.
Es fand keine grundlegende Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes statt, wie überhaupt die so genannten schleichenden, komplexen Probleme, für die keine technischen Lösungen verfügbar waren (etwa Biodiversitäts- und Naturflächenschwund) politisch weitgehend unbearbeitet blieben. Aus einer ökologischen Perspektive kann man sagen, dass die Umweltpolitik vorrangig die niedrig hängenden Früchte geerntet hatte, was dennoch politisch mit erheblichen Konflikten verbunden gewesen war. Der regulative, medial und technikorientierte Ansatz wurde nicht zu einem integrativen, d. h. insbesondere die verschiedenen, funktional zusammenhängenden Politikfelder verbindenden Ansatz weiterentwickelt; dem Umweltministerium waren hierfür wichtige Kompetenzen nicht gegeben worden (etwa in der Chemie- und Energiepolitik sowie im Naturschutz).
In gewisser Weise erstaunlich ist, dass sich weltweit rasch verbreitende neue umweltpolitische Paradigmen (insbesondere „nachhaltige Entwicklung“ und „Lokale Agenda 21“) von der Regierungspolitik nicht effektvoll aufgegriffen wurden, trotz der überaus großen Unterstützung des so genannten Rio-Prozesses durch Umweltminister und Bundeskanzler. Deutschland wurde damit ganz klar zu einem Nachzügler in der Nachhaltigkeitspolitik, was übrigens für geraume Zeit unter der nachfolgenden „rot-grünen Regierung“ so blieb. Und schließlich wurden in der gesellschaftspolarisierenden Kernenergiepolitik, vor allem zur Frage der langfristigen Entsorgungssicherheit, keine Durchbrüche oder stabile soziale Befriedungen erzielt.
Die Leistungen auf dem Gebiet der internationalen Umweltpolitik in der Ära Kohl sind als ambivalent zu bezeichnen. Es gab, wie erwähnt, sehr wichtige Anstöße sowohl für die internationale Umweltpolitik (auch der Einbezug von Umweltthemen auf den so genannten Gipfeltreffen der Staatsführer der Industrieländer war weitgehend dem Drängen des deutschen Bundeskanzlers zu verdanken) als auch zur Weiterentwicklung der Umweltpolitik im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. Beides wurde aber nicht zu einer systematischen supranationalen bzw. globalen Umweltpolitikstrategie ausgebaut. Darüber hinaus gehörte die Bundesrepublik in manchen Bereichen der EG-Umweltpolitik zu den Bremsern oder Nachzüglern, dies betrifft beispielsweise die Umweltverträglichkeitsprüfung, das Umweltinformationsgesetz und das Umwelt-Audit-Gesetz (EMAS).
Entgegen allen Erwartungen ist die Umweltpolitik insgesamt ein Aktivposten der Regierung Kohl geworden. Doch vom Niedergang, der die späte Ära Kohl kennzeichnete, blieb auch die Umweltpolitik nicht unberührt. Sie war in den letzten Jahren hochgradig von wirtschaftlichen Erwägungen geprägt – ohne dass die wirtschaftlichen Mechanismen zugleich zu einer effektvollen Vitalisierung der ökonomischen Anreizstrukturen genutzt wurden, beispielsweise durch erhöhte Transparenz- oder Partizipationsregelungen. Hierzu gehört auch die allen Proklamationen zum Trotz erfolgte Ausklammerung der Umweltfrage in der Steuerreformdebatte, obgleich die OECD immer nachdrücklicher eine „Ökologisierung der Steuersysteme“ forderte. Weiterhin hat die Bundesrepublik als einziges Land auf der gesamteuropäischen Umweltministerkonferenz in Aarhus (Dänemark) im Juni 1998 die Aarhus-Konvention nicht unterzeichnet, durch die der Zugang zu Umweltinformationen verbessert und eine Ausweitung der Bürgerbeteiligung ermöglicht würde. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen äußerte dementsprechend in seinem Gutachten von 1998 harte Kritik an einem „weitgehend erstarrten Umweltkonzept“.
In den letzten Jahren der Regierungszeit von Bundeskanzler Kohl wurde mithin zunehmend eine Politik der Verminderung staatlicher Problemlösungsfähigkeit betrieben, indem vorhandene Kapazitäten, die von der Regierung selbst und häufig gegen die Erwartungen ihrer Kritiker geschaffen worden waren, nicht ausgeschöpft oder sogar begrenzt wurden. Man kann deshalb, bezogen auf die Umweltpolitik der letzten Jahre der Ära Kohl, eher von einem „Pragmatismus des Durchwurstelns“ als von einer von vielen Akteursgruppen gewünschten und aus globaler Sicht für rational und notwendig gehaltenen „Strategie des visionären Pragmatismus“ sprechen.
Es handelt sich um eine gekürzte und leicht aktualisierte Fassung des Beitrags aus den HPM 13 (2006), S. 155-167.
25 Jahre lang prägte Helmut Kohl als Vorsitzender die CDU. Als Vertreter einer neuen Politikergeneration gestaltete er den Wandel von der Honoratioren- zur Mitgliederpartei. Dabei war seine Amtszeit von sehr verschiedenen politischen Konstellationen geprägt.
Die deutsch-französischen Beziehungen gestalteten sich während der Ära Kohl nicht immer einfach. Vor allem während der deutschen Wiedervereinigung liefen Bonn und Paris nicht im gleichen Takt. Das Vertrauensverhältnis, das Kohl zu den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand und Jacques Chirac aufbaute, war hingegen Grundlage dafür, dass das deutsch-französische Tandem den europäischen Integrationsprozess wiederbeleben und vorantreiben konnte.
Helmut Kohl war sich der Bedeutung der Vereinigten Staaten für die Sicherheit der Bundesrepublik stets bewusst. Umso mehr war er bemüht, ein belastbares Vertrauensverhältnis zu den Präsidenten Ronald Reagan, George H. W. Bush und Bill Clinton aufzubauen, was ihm auch gelang. Damit schuf Kohl die Grundlage für die Unterstützung der Amerikaner im deutschen Wiedervereinigungsprozess.
Am 9. November 1989 fiel die Mauer, die Deutschland 28 Jahre lang geteilt hatte. Es war ein Sieg der Menschen, die sich gegen das Unrechtsregime der SED aufgelehnt hatten. In den darauffolgenden Wochen handelte Helmut Kohl zielstrebig, um die Einheit in Freiheit zu vollenden.
Für Helmut Kohl war Europa stets mehr als ein Wirtschaftsprojekt. Schon in seiner Regierungserklärung hatte er die Politische Union Europas zum Primärziel deutscher Europapolitik erklärt. Mit dem Vertrag von Maastricht erreichte Kohl den Höhepunkt seiner Europapolitik. 1998 wurde er für sein Engagement geehrt und zum „Ehrenbürger Europas“ ernannt.
Die Wirtschaftspolitik der Ära Kohl zerfällt in zwei Phasen: Die Zeit zwischen 1982 und 1989/90 war nach der erfolgreichen Haushaltskonsolidierung durch moderate Reformen gekennzeichnet. Nach der Wiedervereinigung begegnete die Bundesregierung den teilweise gravierenden wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Problemen mit weitreichenden Maßnahmen.
Zwei grundverschiedene Phasen kennzeichnen die Sozialpolitik der Ära Kohl. 1982 bis 1990 stehen die Konsolidierung der Sozialfinanzen und Ansätze institutioneller Reformen im Zentrum. 1990 bis 1998 dominieren die Wiedervereinigung, Fragen des Wirtschafts- und Euro-Standorts Deutschland und die Einführung der Pflegeversicherung die Sozialpolitik. Die Lehre der reformpolitischen Gelegenheiten und die Theorie des „Mittleren Weges“ erklären einen Gutteil der Sozialpolitik in der Ära Kohl.