Heinrich Oberreuter
25 Jahre lang prägte Helmut Kohl als Vorsitzender die CDU. Als Vertreter einer neuen Politikergeneration gestaltete er den Wandel von der Honoratioren- zur Mitgliederpartei. Dabei war seine Amtszeit von sehr verschiedenen politischen Konstellationen geprägt.
Helmut Kohls politische Sozialisation auf dem Weg zum Parteivorsitz unterscheidet sich erheblich von der Vorgängergeneration. Diese hatte ihre Prägung vor 1933 erfahren. Ihr schwebte das Bild einer Honoratiorenpartei vor, in der zum Beispiel Mitglieder und ihr Einfluss keine wesentliche Größe darstellten. Als Kohl, 1930 geboren, sich mit 17 Jahren durch seinen Eintritt in die CDU dieser Generation hinzugesellte, wird er zum Musterbeispiel einer gänzlich anderen Einbindung und Karriere. Später gibt es dafür den Begriff „Parteisoldat“.
Für jemanden, der in diesem Alter die Junge Union mitgründet und in lokalen und regionalen Gremien Verantwortung erstrebt, mit 29 Jahren in den Landtag einzieht, wird die Partei zum Lebenselexier. In ihrem Gefüge bilden sich Freundschaften und persönliche Partnerschaften: Netzwerke des Vertrauens und der gegenseitigen Unterstützung, Hilfe bei Karriereschritten. Bernhard Vogel, Johann Wilhelm Gaddum, Heiner Geißler und Heinrich Holkenbrink gehören frühzeitig dazu. Vom Honoratiorentum hält so jemand nichts. Sein gegensätzliches Parteiverständnis offenbart sich schon frühzeitig durch die Kampfkanditatur gegen einen Altvorderen um einen Sitz im geschäftsführenden Landesvorstand Pfalz. Dass er mit 23 Jahren gewinnt, belegt einen modernisierenden Wandel an der Basis. Die Bereitschaft zum politischen Kampf wird zum Charakteristikum. Mit einer Kampfabstimmung um den stellvertretenden Fraktionsvorsitz beginnt auch sein Aufstieg in der Landtagsfraktion 1961. Schon 1963 wird ihm einmütig der Vorsitz übertragen. Gegen Widerstände der „Alten“ gewinnt er 1966 den Landesvorsitz der Partei und 1969 das Amt des Ministerpräsidenten.
Nicht nur Erfolg, auch Widerstand und Scheitern gehören zu seinen Erfahrungen: wie zunächst bei den Versuchen, in den Bundesvorstand (1964), ins Präsidium (1966) oder in den Parteivorsitz (1971) einzuziehen. All das gelang ihm jedoch im zweiten Anlauf. Den Vorsitz übernimmt er 1973 von Rainer Barzel mit einem satten Wahlergebnis.
An die Spitze der CDU bringt er einen breiten lokalen und regionalen Erfahrungsschatz mit. Zutiefst sind ihm die Partei, ihre Funktionsweise und ihre Mitglieder vertraut. Aus den Rückschlägen, die er erfuhr, erwuchsen ihm Durchhaltevermögen und Kampfgeist. Für den Vorsitzenden Kohl war die Partei Heimat. Ihre Führung trifft auf drei erschwerende Grundbedingungen: die Existenz konservativer, liberal-modernisierender und sozial-marktwirtschaftlicher Positionen, die durchaus harmonieren, aber auch miteinander in Konflikt geraten können; die relative Eigenständigkeit der einzelnen Landesverbände (mit der Selbstständigkeit der CSU als Sonderfall); schließlich die Notwendigkeit, die Partei organisatorisch und programmatisch zeitgemäß aufzustellen.
Helmut Kohls Amtszeit als Parteivorsitzender ist mit 25 Jahren von 1973 bis 1998 nicht nur die bislang längste. Sie ist auch geprägt von der in der Geschichte der Bundesrepublik differenziertesten Konstellation amtsbezogener Funktionen: von 1973 bis 1976 mit dem Amt des Ministerpräsidenten eines Bundeslandes, 1975 ergänzt durch die Kanzlerkandidatur, die Kohl ursprünglich mit der Vorsitzendenwahl nicht zugedacht war, obwohl er sie natürlich stets angestrebt hatte; von 1976 bis 1982 mit dem Fraktionsvorsitz im Bundestag und der Rolle des Oppositionsführers; 1982 bis 1998 mit dem Bundeskanzleramt, ab 1990 zusätzlich geprägt von der historischen Ausweitung der Verantwortung beider Funktionen auf das vereinigte Deutschland in seinen unterschiedlichen politischen Kulturen in Ost und West. Ohne Zweifel ziehen derart verschiedene Konstellationen grundsätzlich je eigene Rollen- und Führungsoptionen nach sich.
Die erste Phase muss zwangsläufig geprägt sein vom Streben nach Stärkung des Parteivorsitzes (und damit der Partei) gegenüber der Fraktion, wenn sein legitimer (und legitimierender) Mitverantwortungs- und Gestaltungsanspruch Orientierungskraft ausstrahlen soll. In der zweiten Phase stehen Partei und Fraktion weniger in einem Verhältnis der Konkurrenz, als in dem einer politischen Koordination, doch durchaus charakterisiert durch einen selbstständigen Steuerungsanspruch des Parteivorsitzes. In der dritten Phase genießt die Macht des Amtes zusammen mit ihrem parlamentarischen Arm eindeutig Priorität. Sie führt aber nicht zu Unterwerfungen, sondern stützt sich idealiter auf vertrauensbildende Kommunikationsprozesse. Für diese ist erfahrungsgemäß die Führung von Partei und Amt aus einer Hand förderlich. Ohne Zweifel durchdringen die programmatischen Leitlinien der Partei im Rahmen seiner Amtsverantwortung die Richtlinienkompetenz des Kanzlers. Gleichwohl verlangt das Amt auch Orientierungen über den Parteihorizont hinaus. Unterordnung unter die Partei oder Fraktion entsprächen nicht seiner Verantwortung für das ganze Volk. Idealtypisch und formal hat Kohl Amt und Vorsitz nach diesen Prinzipien geführt.
Doch bleibt der Parteivorsitz in der Parteiendemokratie stets ein ausschlaggebender Macht- und Führungsfaktor. Denn aus der plebiszitären Mobilisierungsfunktion der Partei und der durch sie bei Wahlen gewonnenen Legitimation erwächst die politische Gestaltungschance in den Institutionen. Besonders in der ersten, (nur) mit dem regionalen Amt verbundenen Konstellation war die Strategie unausweichlich, Position und Macht der Partei und des Parteivorsitzes zu stärken, um den legitimierenden volksnahen Orientierungs- und Gestaltungsanspruch der CDU zu optimieren. Kohl verfolgte organisatorisch, programmatisch und personell exakt diese Linie. Schließlich war er 1973 bewusst zum Vorsitzenden gewählt worden, um nach dem Desaster der Bundestagswahl 1972 die überkommene Honoratiorenpartei zur Mitglieder-und Volkspartei zu modernisieren. Selbst repräsentierte er den neuen, damals noch seltenen Politikertypus, der, in jungen Jahren in der Partei sozialisiert, für die Politik und von der Politik lebt: ein früher Absolvent der „Ochsentour“. Im Vorstand scheute er von Beginn an Konflikte mit Adenauer und Erhard um ein zeitgemäßes Parteiverständnis nicht. Vielmehr profilierte er sich als liberaler Reformgeist. Mit programmatischem und organisatorischem Impetus drängte er darauf, die Führungskraft der Gremien tatsächlich zu entfalten und den Mitgliedern Gehör zu verschaffen. Die Stärkung des Einflusses der Basis war ihm ursprünglich ein wichtiges Anliegen. Nun im Amt verband sich die Stärkung des Vorsitzes mit seinen persönlichen Interessen. Denn eine starke Position dort untermauerte seine Position gegenüber der Fraktion. Nicht von dieser, sondern vom Bundesvorstand der Partei ließ er sich folglich 1975 zum Kanzlerkandidaten küren: ein Ergebnis seiner erfolgversprechenden Reformdynamik, aber eben auch eine Parteientscheidung ohne Einbindung der Fraktion (und damit auch der CSU). Die Konsequenz: Entfremdung.
In der zweiten Phase greift die Macht des Parteivorsitzes über in den parlamentarisch-institutionellen Bereich im Sinn koordinierender Steuerung, die sich in institutionellen Eigenständigkeiten wie in politischen Differenzen und Konkurrenzen zu entfalten hat. Diese Zeit Helmut Kohls darf als Musterbeispiel derart schwebender komplexer Herausforderungen zwischen Erfolg und Scheitern der Vereinigung beider Führungsämter gelten, aber auch als Hinweis auf gesteigerte Konfliktpotentiale im Fall der Trennung beider.
Nach seinem glänzenden Wahlsieg 1976 (48,6 Prozent) gewann Kohl zwar den Vorsitz, aber nicht die ungebrochene Solidarität der Fraktion. Zum einen kulminierte die Krise mit der CSU. Zum anderen billigten etablierte und profilierte Persönlichkeiten (auch jenseits von Franz Josef Strauß) wie Karl Carstens, Gerhard Schröder oder Gerhard Stoltenberg dem Fraktionsneuling nicht automatisch Autorität zu. Als Generalist galt er in vielen Sachfragen als wenig sattelfest. Sein Streben nach Integration der Flügel in Partei und Fraktion wurde als Führungsschwäche ausgelegt. Internationale Erfahrung fehlte. Speziell die Medien erzeugten ein politisch wirksames provinzielles Image. Kohl schreibt selbst: „Meine sicherlich unelegante Figur und mein hörbarer Pfälzer Dialekt spielten dabei ebenso eine Rolle wie meine ‚altmodische‘ Auffassung über politische Tugenden. Wer so daher kommt, wird nicht nur von Karikaturisten leicht zur Zielscheibe für Spott und Witze erkoren“ (Kohl, Erinnerungen 1930–1982, S. 453).
Die Fraktion war für ihn eine kritische Bühne. Zweifel und Intrigen gab es auch hinter den Kulissen. Aus der Vereinigung von Partei- und Fraktionsvorsitz folgte daher nicht zweifelsfreie Stärkung, sondern auch Relativierung der Macht Kohls. Letztere gipfelte 1978 im intriganten und selbstbezüglichen Vorstoß Kurt Biedenkopfs, kurz zuvor noch Kohls brillanter Generalsekretär, beide Ämter wieder zu trennen. In dieser Schwächephase verbot sich 1980 eine erneute Kanzlerkandidatur Kohls. Seine Absicht, den Kandidaten unter Umgehung der Fraktion durch die Partei zu nominieren, durchkreuzten die CSU und die Fraktion. Diese nominierte Strauß, den er verhindern wollte. Dessen ernüchternde Niederlage festigte in der Konsequenz Kohls Position. Deutlicher als zuvor wird in dieser Konstellation die Einbettung der Führung in ein plurales und diffiziles Geflecht von Kommunikation und Konkurrenz, das institutionelle Regeln und Ordnungen durchfasert. Nicht Ämter schaffen letztlich Macht, sondern die Beherrschung dieses Geflechts.
UFA Dabei 905/1973.
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In der dritten Phase genießen schon von Verfassungs wegen Macht und Verantwortung des Kanzleramtes eindeutige Priorität, ohne die politisch-demokratische Einbettung in das Vertrauen und Legitimität stiftende Gefüge von Fraktion und Partei in Frage zu stellen. Als dritter Faktor tritt der Koalitionspartner hinzu. Ohne Zweifel besteht im Rahmen seiner Amtsverantwortung eine osmotische Durchdringung der programmatischen Leitlinien seiner Partei und der Richtlinienkompetenz des Kanzlers. Im Vergleich zu den anderen Konstellationen sind die erforderlichen Kommunikations-, Koordinations- und notfalls auch wechselseitigen Verweigerungsprozesse noch erheblich komplexer und komplizierter. Diese Konkurrenz zwischen gemeinwohlorientierter Amts- und politisch sektoraler Parteiverantwortung nicht unter einer Führung zu vereinigen, führt in der Regel zu Entscheidungs- und Stabilitätsproblemen und zugespitzter personeller Konkurrenz auf Kosten von Zielverwirklichung und Integration. Selbst unter „Führung in einer Hand“ gehören Konfliktsituationen zur Realität.
Kohls dritte Phase erscheint auch dafür beispielhaft. Sie gliedert sich in die beiden Abschnitte vom Gewinn der Kanzlerschaft 1982 bis zum Bremer Parteitag samt dem einsetzenden weltpolitischen Umbruch 1989/90 einerseits und vom Wiedervereinigungsprozess bis zur Wahlniederlage 1998 andererseits. 1982 wurde das Kanzleramt zum Machtzentrum der CDU. Doch die konkrete Entscheidungsfindung verlagerte sich auf einen sehr persönlichen Beraterkreis des Kanzlers, ergänzt durch Repräsentanten der Fraktionsspitze: Ausdruck der gesteigerten Relevanz der Fraktion gegenüber der Partei, da die Abgeordneten unmittelbar am Regierungsprozess beteiligt sind.
Trotz unvermeidlicher Kontroversen bildete sich eine „feste Achse zwischen der Fraktion und der Regierung“ (Bösch, Macht und Machtverlust, S. 124). Dagegen suchte Generalsekretär Heiner Geißler die Partei und sich selbst als eigenständige Größe zu positionieren: oft provokativ gegen den Regierungskurs des Kanzlers und ohne Abstimmung mit diesem als Parteivorsitzendem. Dabei hatte dessen Vertrauen ihn ins Amt gebracht. Der Generalsekretär verstand sich gleichsam als geschäftsführender Parteivorsitzender. Wenn es gemäß seiner persönlichen Ansicht dem Wohl der Partei diente, fand er es korrekt, gegen den formellen Vorsitzenden zu agieren. Eine solche Rolle kennt das parlamentarische Regierungssystem jedoch nicht. Es beruht im Grundsatz auf kommunikativ erarbeiteter Loyalität zwischen Kanzler, Fraktion und Partei. Dem Vorsitzenden Kohl blieben die Intrigen nicht verborgen. Geißler hatte er persönlich frühzeitig, der Partei und der Öffentlich rechtzeitig eröffnet, dem Generalsekretär Vertrauen und Amt zu entziehen. Den von einigen prominenten Protagonisten (neben Geißler erneut Biedenkopf, Rita Süßmuth, Lothar Späth) intendierten, aber nicht effektiv inszenierten Putsch schlug er auf dem Bremer Parteitag 1989, gesundheitlich angeschlagen, souverän nieder, als er den Delegierten die in seiner Eigenschaft als Kanzler vorbereitete ungarische Grenzöffnung für die in Budapest harrenden DDR-Flüchtlinge eröffnete. Ein Triumph.
Die dramatische Entwicklung in Osteuropa war nicht nur verantwortlich für die Verteidigung des Vorsitzes. Sie bestimmte auch wesentlich für einige Zeit dessen Autorität im zweiten Amtsabschnitt, weil er als Kanzler zielbewusst, handlungsstark und auf internationaler Ebene souverän den Prozess der Wiedervereinigung in allen seinen weltpolitischen Dimensionen vorangetrieben hat. Wie unter Adenauer wandelte sich die CDU zeitweise wieder zur Kanzlerpartei; zwar über den Zeitraum der Vereinigungseuphorie hinaus, nicht aber bis zum Ende der Amtszeit Kohls. In dieser komplexen Ämterkonstellation wirkte sich seine Führungsqualität im Staatsamt entschieden auf die Reputation des Parteivorsitzenden aus – positiv wie negativ.
In allen drei Konstellationen seiner Führungsämter gab es eine spezifisch deutsche Besonderheit: die Rolle der CSU als organisatorisch und politisch selbständige Regionalpartei, mit ihrer Landesgruppe eingebunden in die Fraktionsgemeinschaft. Zu ihr und ihrem Vorsitzenden bestand zu Zeiten Kohls ein Verhältnis konkurrierender Kooperation. Die Bayern neigten durchaus zum Konflikt in dem Bewusstsein, dass die „Macht“ der CDU und ihr Aktionsradius im Bundestag von ihren (besseren) Wahlergebnissen entschieden mitbestimmt werden. Im Bundestag genoss die Zusammenarbeit alltagspraktische Bedeutung: für Kohl in allen Ämtern eine zusätzliche Integrationsaufgabe, wenn nicht sogar eine Last. Denn sein Gegenspieler war Franz Josef Strauß, dessen analytische Fähigkeiten er absolut zu schätzen wusste, seine Schlussfolgerungen jedoch nicht immer (Kohl, Erinnerungen 1930–1982, S. 746). Strauß mit seiner Erfahrung sah nicht nur den Neuling, sondern die Person Kohl überhaupt nicht auf seiner Augenhöhe. Zudem sah er sich um die Rolle des Spitzenmanns der Union gebracht (Möller, Strauß, S. 478f.). Umgekehrt ließ der Machtmensch Kohl auch Strauß gelegentlich ins Leere laufen (Möller, Strauß, S. 483). Seine Kanzlerkandidatur 1976 sicherte er sich zum Beispiel an ihm und der CSU vorbei. Gleichwohl fanden regelmäßig persönliche Abstimmungen statt, sehr oft auf Wanderungen in den Alpen. Ausgeprägter war der bayerische Konservatismus. Differenzen zum „linken“ Kohl und der CDU bestanden in der Ost-, Entspannungs- und Sicherheitspolitik, aber auch in Wirtschaft, Bildung und Sozialem. CSU und Strauß fanden aber durchaus Resonanz in der CDU und ihrer konservativeren Wählerschaft: ein permanenter Aufmerksamkeitsfaktor für jeden CDU-Vorsitzenden.
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Beherrschend war der Streit um die Strategie, wieder in die Regierung einzuziehen. Kohl wollte die FDP aus der Koalition mit der SPD herausbrechen, um sie wieder als Partner zu gewinnen. Strauß gab dem keine Aussichten und wollte die FDP notfalls mit Hilfe eines neuen Mehrheitswahlrechts marginalisieren oder zumindest das Parteiensystem umkrempeln. In seiner „Sonthofer Rede“ propagierte er eine radikale Strategie der Verweigerung (Möller, Strauß, S. 490–498). Man müsse die Krise der Regierung sich steigern lassen, bis sie einen Schock zugunsten der Opposition auslöse. Strauß warf sich damit selbst aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur. Seine vergebliche Suche nach einer Alternative zu Kohl auf der einen und dessen Zugriff hinter seinem Rücken auf der anderen Seite belegen erhebliche Differenzen vom Beginn des Kohlvorsitzes an, wenn nicht sogar ein Zerwürfnis.
Zugleich geisterte das Gespenst der „vierten Partei“, also der Herauslösung der CSU aus dem Unionsverbund und ihrer Kandidatur im ganzen Bundesgebiet, durch die Szene. Strauß versprach sich davon die Ausschöpfung des ganzen unionsgeneigten Wählerpotenzials. Andere wie Kohl sahen, gestützt auf historische Erfahrung, darin eher langfristig eine Schwächung durch Konkurrenz im gleichen Milieu. Das Gespenst wandelte sich in den „Geist von Kreuth“ durch den dortigen Beschluss vom 19. November 1976, die Fraktionsgemeinschaft aufzulösen. Dabei hatte Kohl bei der Bundestagswahl gerade respektable – nie mehr erreichte – 48,6 Prozent eingefahren, die Wahl gewonnen, nicht aber die Kanzlerschaft erreicht. Interpretatorisch wandelte sich der Sieg zur Niederlage. Der CDU-Vorsitzende war ausgebremst. Strauß sprach ihm in seiner Wienerwaldrede wenige Tage nach Kreuth „die charakterlichen, die geistigen und die politischen Fähigkeiten“ (zit. n. Schwarz, Kohl, S. 222) für das Kanzleramt ab. Die Prognose, er würde es nie erringen und ihm auch nicht gewachsen sein, erwies sich später als ziemlich großer politischer Irrtum.
Kreuth scheiterte. In der CSU zeigten sich Abspaltungstendenzen (Waigel, Ehrlichkeit, S. 54–70) zum einen. Zum andern offenbarte Kohl unverzüglich, im Gegenzug in Bayern einzumarschieren. Sichtbar wurden in München Büroräume gesucht, programmatische Erwägungen für Aktivitäten in Bayern angestellt, ein Konzept für einen Landesparteitag erarbeitet. Die Fraktionsgemeinschaft blieb erhalten. Kohl wechselte von Mainz an die Spitze der Fraktion nach Bonn. Für vier Jahre gewählt, hatte er eine formelle Basis, die ihn in Kontroversen sicherte. Politisch aber blieb die Fraktion insgesamt auf Distanz zum provinziellen Neuling. Halt fand der Fraktionsvorsitzende am ehesten, aber durchaus relativ, in der Partei. Das hieß, sie genoss für ihn Priorität.
Doch auch dort erblühten Intrigen seitens ehemaliger Weggenossen wie Biedenkopf und Geißler gegen ihren früheren Förderer. Biedenkopf hatte sich mit Strauß abgestimmt, der natürlich nach seinem Wechsel nach München voll im Spiel geblieben war. Die Idee, ihn vom Fraktionsvorsitz zu verdrängen und in ein Triumvirat einzubinden (Schwarz, Kohl, S. 239–241), ließ Kohl ins Leere laufen. Im Grunde scharte die Opposition aus München und aus dem eigenen Kreis die Partei hinter Kohl zusammen, der als Symbol und Exponent der Basis verstanden wurde. Gleichwohl konnte er, als das Gespenst der „vierten Partei“ wiedererweckt wurde, die Nominierung von Strauß zum Kanzlerkandidaten für 1980 nicht verhindern. Kohl erstrebte sie für sich zu dieser wenig aussichtsreichen Zeit ohnehin nicht. Strauß wollte er aber umgehen und verhindern. Dieser ließ dann seinerseits seine Kandidatur unter Umgehung von Kohl erklären und setzte sie, ein Votum der Partei unterlaufend, in der Fraktion durch. Von der Parteiführung der CDU erhielt er im Wahlkampf jede Unterstützung.
CDU und CSU schnitten mit Strauß bei der Wahl erneut besser ab als die SPD mit Helmut Schmidt. Doch die Oppositionsrolle blieb ihnen. Für Kohl war das ein Glücksfall, weil er politisch regenerieren und den Zerfall der sozial-liberalen Koalition begleiten konnte. Mit seinem Werben um die von der CSU abgelehnte FDP behielt er Recht. Mit ihr zog er ins Kanzleramt ein. Gleichwohl gaben die Bayern ihre Sonderrolle nicht preis. Doch mit der Übernahme der Regierung hatten sich die Perspektiven verändert, mit der neuen weltpolitischen Situation seit 1990 noch deutlicher. Mit Theo Waigel im Vorsitz der CSU nach dem Tod von Strauß normalisierte sich ein angemessenes Kooperationsverhältnis. Dennoch blieb München stets ein eigenständiger, auch dissensbereiter Partner. Kohl und Waigel bekamen es zum Beispiel in den neunziger Jahren auf dem Weg zum Euro vom Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zu spüren.
Sein Führungsverständnis hat Kohl selbst beschrieben: „Ein Parteivorsitzender muss sehr viel mehr mit Überzeugungskraft arbeiten. Er lebt davon, dass sich andere freiwillig für ihn einsetzen und mit ihm den Weg gehen. Um das zu erreichen, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Ich entdecke gerne Talente und habe die Fähigkeit, Menschen zusammenzubringen, ein Team zu bilden, Loyalitäten zu gewinnen und zu erhalten“ (Kohl, Tagebuch, S. 34).
Bei aller Neigung zur Schaffung einer funktionsgerechten Organisationsstruktur bediente Kohl sich vor diesem Hintergrund primär einer ausgeprägt informellen Führungstechnik: Nicht in den Gremien wurden Führungslinien und Entscheidungen erarbeitet, sondern in vertraulichen Beraterkreisen wie in verlässlichen persönlichen Kontakten. Die CDU wurde zur „personal party“. Berater gibt es immer und unvermeidlich. Doch Kohl etablierte ein spezielles Freundschaftssystem, basierend auf Nähe und Vertrauen, nicht zuletzt auch auf Kompetenz. Teilweise schwebte es neben institutionellen Bindungen: Eduard Ackermann, Wolfgang Bergsdorf, Juliane Weber, Horst Teltschik. Auf nächsthöherer Ebene verhielt es sich nicht anders. Sah der Vorsitzende diese Loyalität gebrochen, folgte zwar der Ausschluss aus diesem Führungskreis, jedoch keineswegs die prinzipielle Kaltstellung in der Partei. Noch nicht einmal prominente Karrieren wurden beendet, zumindest nicht konsequent. Beispiele sind Kurt Biedenkopf, Richard von Weizsäcker, Norbert Blüm, Rita Süßmuth und Heiner Geißler. Kohl musste sich der Risiken bewusst sein, die sich mit der Hinführung hoher Kompetenz und Aktivitätsbereitschaft ins Machtzentrum verbanden. Er wusste aber auch zwischen diesen Stärken und charakterlichen Schwächen zu unterscheiden.
Ausfluss der Personalisierung war zudem das Bemühen, angesehene und intellektuell bereichernde Persönlichkeiten für ein Engagement in der Partei zu gewinnen. Sie sollten sie beleben und ihr zugleich nutzen durch ihre attraktive Ausstrahlung. Präsenz in der öffentlichen Kommunikation galt es zu gewinnen. Roman Herzog ist den Genannten hinzuzufügen. Kohl förderte deren Aufstieg in Führungspositionen. Er riskierte Konkurrenz. Doch seine Macht ließ er sich nicht bestreiten.
Zusätzlich etablierte der Vorsitzende ein eigenes stets funktionierendes Kommunikationsnetz in die Tiefen der Basis. Vorsitzende und Geschäftsführer der Kreisverbände überraschte er zum Beispiel mit unangekündigten Anrufen, um nach persönlicher Befindlichkeit, der Lage vor Ort und politischen Einschätzungen zu fragen. Oder er warb um Unterstützung. Dadurch verbreiterte er nicht nur seine Loyalitätsbasis in der Fläche immens. Er gewann zudem wichtige und nützliche direkte Informationen für innerparteiliche Prozesse und Strategien.
Diese hoch personalisierte, auch auf Protektion und Förderung gestützte Parteiführung ist im Wesentlichen als das „System Kohl“ zu verstehen. Es in seinen Grundzügen, zugleich aber auch mit konkreten Persönlichkeiten aus Rheinland-Pfalz nach Bonn zu übertragen, erleichterte zunächst den Zugriff auf die Parteiführung. Nach und nach geriet es zu einem eigenen Netzwerk und Instrument der Information und Machtsicherung, das in die Parteiorganisation hinein dirigierte.
Deren Effizienz überhaupt erst zu gewinnen, war eine nachdrückliche Forderung Helmut Kohls. Er hielt sie schon zu Beginn seiner Karriere im Parteivorstand 1964 Adenauer und Erhard entgegen. Er verlangte, den Vorstand als Führungsgremium der Partei und innerparteiliche Diskussion ernst zu nehmen, programmatische Profilierung ebenso. Der Zusammenhang zwischen adäquater Parteiorganisation und Einfluss im politischen Prozess war ihm klar. Mit ihm war die in der Gründerzeit aufstrebende jüngere Generation für Organisationsfragen offener. Partei, Professionalität und Partizipation fügten sich für sie auch als Karrierechance zusammen. Sie verliehen der Partei einen Modernisierungsschub. Dafür war Kohl in den Vorstand gewählt worden. Er galt als junger, liberaler, initiativer Reformer. Der diffusen und geschwächten, durchaus aber in vorsichtigem Wandel begriffenen Honoratiorenpartei war der zeitgemäße Weg zur modernen Mitglieder- und Volkspartei zu weisen.
Lange vor der Wahl zum Vorsitzenden war Helmut Kohl an diesem Vitalisierungsprozess entscheidend beteiligt. Nun engagierte er in den Jahren des Umbruchs mit Biedenkopf und Geißler zwei brillante Köpfe als Generalsekretäre. Mochten sie sich an ihm reiben, brachten sie der CDU doch gewaltigen Nutzen. Rasch erfolgte eine leistungsfähige Umstrukturierung der Bundesgeschäftsstelle, eine Zentralisierung der Parteiführung, ein reformierender Ausbau der Orts- und Kreisverbände, ein Ausbau des Personalbestandes in der Fläche, begleitet von Schulungsprogrammen zur Qualitätsverbesserung dieser Parteiarbeiter: eine Professionalisierung der Funktionärsebene. Eine intellektuell renommierte Planungsgruppe wurde geschaffen. Die CDU sollte zur „Partei der Mitglieder“ werden. Zugleich gewannen Präsidium und Vorstand Statur.
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Faktisch blieb gemäß dem gesellschaftlichen Wandel die Organisationsreform eine Daueraufgabe. Im Umgang mit EDV genoss die Partei zum Beispiel einen ausgezeichneten Ruf. Nach einer kurzen Anlaufphase nahm der Vorsitzende 1988 die Leitung der Reformkommission „Moderne Parteiarbeit in den neunziger Jahren“ selbst in die Hand, selbst als Kanzler. In der Folge stieg die Zahl der Mitglieder von 457.393 im Jahr 1973 (Kohls Übernahme des Vorsitzes) auf 734.555 (Kohls Wechsel ins Kanzleramt). Einerseits.
Andererseits erzielten die Gremien der Partei nicht die gleiche Entscheidungskraft wie der persönliche Beraterkreis. Zudem nahm ihre Bedeutung mit dem immer weiter führenden Aufstieg Kohls ab – nach dem nachvollziehbaren Gesetz, dass Gremien beim Aufstieg auf der Karriereleiter wichtig, nach Ankunft an der Spitze jedoch nicht mehr gleich bedeutsam sind. Das zeigte sich nicht nur bei Kohl, dessen immense Belastung durch die Regierungsführung nicht zu übersehen ist. Bei jüngeren Reformern auf Länderebene zeigte sich ähnliches. Wie im vielfältigen Geflecht der Politik zwischen Spitze und Basis partizipatorische Nachhaltigkeit gewonnen werden kann, ist eine feinsinnig-illusorische Frage. Nicht nur Kohl, auch kein anderer hat bisher darauf eine überzeugende Antwort gefunden.
Denn Konsens in Partei und Öffentlichkeit lässt sich gegen Stimmungen und Stimmungswandel, auch gegen dezidierte Interessen und deren Segmentierung in der Gesellschaft nicht organisieren. Diese Segmentierung war seit Mitte der siebziger Jahre in Gang. Kohls traditionelle Tendenz, die Flügel der Volkspartei und ihre verschiedenen Interessen moderierend zusammenzuführen, war richtig. Noch richtiger wurde sie im Vereinigungsprozess der Neunziger. Sie wurde ihm verbreitet als Führungsschwäche ausgelegt. Die Organisationsreformen fingen den Rückgang der Mitgliederzahlen um gut 100.000 von 1983 bis zum Ende seiner Amtszeit 1998 auf 626.343 nicht auf. Die SPD traf der gleiche Schwund. Schuld war nicht Kohl, sondern der Zustimmungsverlust der Volksparteien im gesellschaftlichen Wandel.
Helmut Kohl ist schon zuvor einer der entschiedenen programmatischen Impulsgeber gewesen, welche die grundlegend pragmatische Orientierung behutsam ausweiteten. Mit der Reform des Berliner Programms betraut, legte er einen fast radikal wandlungsoffenen Entwurf vor (Schönbohm, Moderne Volkspartei, S. 127). Einmal im Amt, eröffnete er einen Diskussionsprozess, der von den bisherigen Aktionsprogrammen zu einem ersten, breit angelegten Grundsatzprogramm führen sollte, nach Inhalt und Verfahren auf der Höhe der Zeit. Von Weizsäcker fiel 1974 die Leitung der Kommission für die Erarbeitung des 1978 verabschiedeten Ludwigshafener Programms zu. Einerseits galt es, auf die Höhe der gesellschaftlichen Debatten, der sozialen Differenzierungen und des Mediendiskurses zu gelangen. Andererseits sollte das orientierende Wertekostüm der CDU keineswegs abgelegt werden. In den unvermeidlichen Differenzen zwischen christlich-konservativen, sozialen und liberalen, gesellschaftspolitisch offeneren Flügeln war dies eine Herausforderung. Unterwegs im Prozess stellte sie sich nicht zuletzt im Dialog über die von Geißler formulierte „neue soziale Frage“ zwischen organisierten und nicht organisierten Interessen: Alte, Alleinerziehende, Arbeitslose, Kinderreiche, Gastarbeiter, Behinderte. Der überkommene Klassengegensatz wurde zum antiquierten Erbhof der SPD. Ihr machte die CDU die soziale Kompetenz streitig: „ein Geniestreich“ (Bösch, Macht und Machtverlust, S. 35).
In der Programmdiskussion zeigten sich die innerparteilichen Unterschiede deutlich. Der verstärkte soziale Akzent blieb sichtbar, wurde zugleich aber eingehegt: Die CDU sollte nicht allzu weit nach links rücken. Gleichwohl schärfte diese Diskussion ihr sozialpolitisches Profil.
Kohl schickte seine Partei auf die Suche nach einer „Vision“. Er befreite die Kommission daher von Zeitdruck. So vermochte sie durch ihre Arbeit sich zur Basis, zur Gesellschaft, zu den Verbänden, den Kirchen, der Wissenschaft und externen Experten zu öffnen. Publikationen entstanden. Insgesamt wurde eine Wiedergewinnung des Kontakts zur gesellschaftlichen Realität erreicht.
Im Programm verlor das Christliche seinen religiösen Bekenntnischarakter. Es wandelte sich zur ethischen Grundlage gemeinsamen Handelns von Christen und Nichtchristen. Ausschlaggebend wurde die persönliche Orientierung, nicht ihre Begründung. Soziales und soziale Gerechtigkeit blieben bedeutend, wurden aber nach dem (katholischen) Subsidiaritätsprinzip nicht von Selbstverantwortung und Eigenleistung freigestellt. Das Prinzip Freiheit verlor weder seine metaphysischen Bezüge noch seine Pflicht zu verantwortlicher sozialverträglicher Wahrnehmung. Ganz in diesem Sinn stand über diesem ersten Grundsatzprogramm der Titel: „Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit“. Zwei Einzelaspekte verdienen Beachtung: zum einen eine „soziale Ordnungspolitik“ mit dem Ziel von „Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit“ anzustreben, zum anderen die „Sicherung der ökologischen Zukunft“ zu gewährleisten. Kohl hat diesen Aufbruch initiiert. Er hat ihn unter Leitung von Weizsäckers wie unter seiner ständigen eigenen Begleitung gestalten lassen. Es war ein schwieriger Prozess mit vielen kontroversen Debatten und 3.000 Änderungsanträgen. Am Ende dieser jahrelangen Findungsprozedur sah der Parteivorsitzende sich veranlasst, von den Vertretern des hochkonservativen Widerspruchs nun Loyalität und Solidarität einzufordern. Der Erfolg von Ludwigshafen ist sein lang ausstrahlender Erfolg gewesen (Borchard, Ludwigshafen, S. 132–135).
Dass die wiedergewonnene Deutsche Einheit eine neue Programmdiskussion erforderte, erkannte der Vorsitzende 1990 sogleich und keineswegs allein. Zeit- und Problemdruck unterschieden sich wesentlich von 1974. Vereinigungsprozess und bevorstehende Wahlen verlangten keine Visionen, sondern Problemlösungen. Vor allem ging es um eine Zusammenführung der unterschiedlichen Lebenserfahrungen und politischen Kulturen in Ost und West. Diese erschwerten Verständnis und Verständigung durchaus. Offene, breite Diskurse blieben selten, obwohl in der Partei durchaus Partizipationsbedürfnis vorhanden war. Doch stellte der hochkomplexe, fast revolutionäre politisch-ökonomische Vereinigungsprozess tief greifendere Fragen als die nach zeitgemäßer Revision eines Parteiprogramms. Die politischen Eliten waren mit einer herausfordernden Tagesordnung konfrontiert. Diesmal lag für Kohl das Gewicht eindeutig nicht auf dem Partei-, sondern auf dem Staatsamt. So gingen von ihm keine wesentlichen Initiativen aus.
Kommissionsvorsitzender war zunächst als Repräsentant des Ostens Lothar de Maizière. Nach seinem Rückzug wegen Stasi-Vorwürfen erhielt das Begehr nach Effizienz endgültig Vorrang. Spezifische Ost-Akzente wie die Lockerung des § 218 (die im parlamentarischen Prozess eine immense Rolle gespielt hatte), plebiszitäre Elemente und soziale Zuspitzungen verloren sich. „Freiheit in Verantwortung“, das neue, 1994 in Hamburg verabschiedete Grundsatzprogramm, betonte entschieden liberal die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Es antwortete deutlich auf den diktatorischen Kollektivismus im Ostalltag zuvor. Die logische Anrufung der Eigenverantwortung ging nun manchem westdeutschen Sozialpolitiker zu weit. Ein zweiter Akzent lag auf dem keineswegs gänzlich neuen Verständnis der CDU als Umweltpartei: der Schritt von der sozialen zur ökologischen und sozialen Marktwirtschaft mit der Einforderung ökologischer Ordnungselemente auf zahlreichen Rechtsfeldern. Durch die Begründung in der „Bewahrung der Schöpfung“ ließ sich dieser Anspruch an die christliche Verankerung rückbinden. Die Berufung auf das christliche Menschenbild und den Gottesbezug blieb unstrittig. Schon seit Adenauer und jetzt unter Kohl ließ sie sich jenseits eines konkreten Bekenntnisses als die entscheidende Wertorientierung verstehen, zutreffend auch für Nichtchristen. Kohl sah im „C“ einen „Anspruch in erster Linie an uns selbst“ (Kohl, Erinnerungen 1998–2000, S. 494f.). Der neue Kommissionspräsident Reinhard Göhner hieß während des Erarbeitungsverfahrens 1992 auch Mohammedaner in der Partei willkommen (Bösch, Macht und Machtverlust, S. 60) und das Programm jeden, „der die Würde und Freiheit aller Menschen und die daraus abgeleiteten Grundüberzeugungen unserer Politik bewahrt“. Die Quelle der normativen Orientierung blieb erhalten, keineswegs allein aus Respekt vor dem Beitrag evangelischer Christen in der DDR zur Mobilisierung des Umsturzes. Ihre interpretatorische Öffnung antwortete auf soziale Realitäten überall in Europa, nicht zuletzt natürlich auf die europaweit extrem hohe Säkularisierung der Gesellschaft Ostdeutschlands.
Die Säkularisierung war allerdings während des Vereinigungsprozesses im Verhältnis zur Ost-CDU kein Hindernis. Es war vielmehr der Vorwurf gegen die Parteispitze der Blockpartei, einerseits das Christentum für die Zwecke der kommunistischen Machthaber zu missbrauchen und keinen Widerspruch gegen das SED-System zu erheben (Küsters, Vereinigung, S. 168), andererseits ganz im Sinne dieses Systems kritisch gegen die Außen- und Sicherheitspolitik der West-CDU zu agitieren. Zudem sah selbst der neue Ost-CDU-Vorstand de Maizière die Mehrheit der Mitglieder der Idee eines „erneuerten Sozialismus verhaftet“ (Küsters, Vereinigung, S. 175). Kontakt auf unterer Ebene war nie gänzlich erloschen. Auch aus jenem Teil der Ostmitgliedschaft, der nicht nur eingetreten war, um sich den Zumutungen einer SED-Mitgliedschaft zu entziehen, sondern in der Tat christlichen Grundwerten verpflichtet war, erhoben sich früh in der Wendephase öffentlichkeitswirksame Infragestellungen der Parteiführung Ost. In der Folge trat der Vorsitzende Gerald Götting 1989 zurück. Danach forderte Generalsekretär Volker Rühe die Westmitglieder auf, ihre Kontakte zu Kirchen und Reformbewegungen sowie speziell zu Reformern in der Ost-CDU zu verstärken. Man müsse der Basis helfen, sich aus der Umklammerung der SED zu befreien (Küsters, Vereinigung, S. 172). Doch gegenüber der Führung der Blockpartei bestand nach wie vor Skepsis hinsichtlich ihrer Trennung vom Sozialismus und der Rolle de Maizières in der Regierung Hans Modrow. Kohl und die Partei steckten in einem Dilemma: Einerseits durften sie der Blockpartei keine Reputation zubilligen, die sie im Osten selbst nicht besaß. Negative Folgen an der Wahlurne wären zu befürchten gewesen. Anderseits konnten sie die Ost-CDU angesichts des tatsächlich christlich orientierten Anteils ihrer Mitgliedschaft nicht einfach negieren. Und letztlich verfügte die Partei über eine grundsätzlich funktionsfähige Infrastruktur, die in nächster Zukunft nützlich sein konnte.
Faktisch wurden vielfältige Kontakte geschlossen. Westdeutsche Landesverbände organisierten eine konzertierte Unterstützung von Parteiregionen im Osten. Doch erst der Rückzug aus der Regierung Modrow symbolisierte Befreiung und Neuausrichtung. Wegen der Lasten ihrer Vergangenheit erstrebte Kohl die Einbindung der Ost-CDU in ein breiteres demokratisch-bürgerliches Gefüge. Er wollte eine politische Basis für die Wiedervereinigung gewinnen. Die Basis für die „Allianz für Deutschland“ gab die schon im Dezember 1989 erklärte Bereitschaft, mit Parteien zu kooperieren, die für den freiheitlichen Rechtsstaat, die Soziale Marktwirtschaft und die Deutsche Einheit einträten. Im März 1990 erzielte diese Allianz bei den Volkskammerwahlen einen überragenden Erfolg. Sie zusammenzuführen, bedurfte angesichts der erheblichen Rivalitäten zwischen Ost-CDU, DSU und DA (Demokratischer Aufbruch) erhebliches diplomatisches Vermittlungsgeschick Helmut Kohls (Kohl, Erinnerungen 1998–2000, S. 40-42).
Schritt für Schritt entwickelte sich der Zusammenschluss auf dem Hamburger Parteitag am 1. Oktober 1990. Kohl bemühte sich symbolisch wie praktisch, Gleichberechtigung zu zelebrieren: in den Proportionen der Vertretung des Ostens in den Führungsgremien, in der Wahl de Maizières zum einzigen (statt der bisher sieben) stellvertretenden Vorsitzenden und in der Befolgung dessen Begehrs, eine Kommission für ein neues Grundsatzprogramm einzurichten. Nicht zuletzt erstrebte er, Spannungen zu entkrampfen, indem er Verständnis für die vom SED-System ausgegangenen Zwänge äußerte. Er warb dafür, politisches Verhalten dort nicht aus der (westlichen) Perspektive vierzigjähriger Freiheitserfahrung pauschal zu beurteilen: „Jeder möge sich prüfen, wie er sich selbst in einer solchen Zwangslage verhalten hätte“ (Kohl, Erinnerungen 1998–2000, S. 233f.).
Die Dresdner Erklärung von 1991 erhob diese Sicht zum offiziellen Standpunkt der CDU: „Das Verhalten und die Konflikte unter den Bedingungen einer Diktatur können am ehesten diejenigen beurteilen, die unter solchen Bedingungen zu leben hatten. Pauschale Urteile versperren den Zugang zur Wahrheit ebenso wie Versuche, notwendigen Diskussionen auszuweichen und Klärungen zu verschleppen. Erforderlich sind daher ein fairer Umgang mit Personen und eine differenzierte Bewertung von Fakten“ (Kohl, Erinnerungen 1998–2000, S. 395). Vergangenheitsbewältigung wurde damit im Wesentlichen in die Hände der Betroffenen gelegt. Tatsächlich schwelten Probleme mit alten Seilschaften weiter. Nicht zuletzt waren diese den Vertretern der jüngeren Transformationseliten ein Dorn im Auge (Schmidt, Ost-CDU, S. 346f.). Sie wollten einen unbelasteten Neubeginn. Zudem offenbarten sich nach und nach zahlreiche Stasiverstrickungen, wie die des Ostgeneralsekretärs Martin Kirchner. Den Integrationsprozess hatte er vorangetrieben. Nun war er eine der zahlreichen Lasten. Derlei Wirren stifteten desaströse Instabilität in den östlichen Landesverbänden. Sie zu korrigieren fehlte Kohl die Handhabe. Hilfreich war immerhin der weitgehend mit ihm abgestimmte Export von Führungskräften in die neuen Länder. Kurt Biedenkopf und Bernhard Vogel zum Beispiel demonstrierten in Sachsen und Thüringen segensreich hohe politische Kompetenz und stabilisierten Partei und Land.
Die Einsichten der Dresdner Erklärung mussten erst wachsen. Zunächst war das Verständnis im Westen relativ gering. Im Kern bestand ein vielfach übersehenes, keineswegs jedoch überraschendes Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlichen Lebenserfahrungen und politischen Kompetenzen jenseits des „Blockflöten“-Problems. Der Parteivorsitzende musste in seiner Funktion beides respektieren und ausbalancieren. De Maizière zog sich im Groll zurück. Als seine Erbin erwählte Kohl Angela Merkel, frühere stellvertretende Pressesprecherin de Maizières. Sie entstammte dem Demokratischen Aufbruch, gehörte also zweifelsfrei zu den jungen Transformatoren: Startpunkt der Karriere einer Repräsentantin der Ost-CDU, die bis in höchste Ämter führte – in die Ämter Helmut Kohls.
Parallel zu den innerparteilichen Problemen schwand in der Öffentlichkeit zunehmend die Vereinigungseuphorie. „Blühende Landschaften“ erwuchsen nicht über Nacht, schon nicht aufgrund der unerwartet desaströsen Erblast des Systems. Der Osten litt unter dem Zusammenbruch, der Westen unter der Furcht vor der Finanzlast des Aufbaus. Im Parteivorstand tötete der Vorsitzende Problemlösung durch Steuererhöhungen ab. Dem Aufbau Ost ließ er Priorität vor allen anderen Sozialleistungen zuweisen. Trotz des Stimmungswandels konnte Kohl die Koalition 1994 bei der Bundestagswahl zu einem knappen Sieg führen. Die Union war in Ost und West stärkste Partei geblieben.
Doch die „psychologische Misere“ (Schwarz, Kohl, S. 658) im Osten bestand fort: das verbreitete Gefühl, von westlichen Führungskräften dominiert und in den eigenen Lebensumständen nicht hinreichend verstanden zu sein. „Erklärungen“ vermochten es natürlich nicht zu heilen. De Maizière stand keineswegs allein. Seine Position teilte zum Beispiel in dieser Hinsicht sein junger Gegenspieler Arnold Vaatz, der sich dieses Diskriminierungsgefühls wegen aus der Programmkommission zurückzog. Kohl wollte einen strahlkräftigen symbolischen Gegenakzent setzen. Er bereitete für die Wahl des Bundespräsidenten die Kandidatur des sächsischen Justizministers Steffen Heitmann vor: ein konservativer evangelischer Theologe mit rein ostdeutscher Biografie, für den Zeitgeist allzu konservativ. Er scheiterte. Der FDP und Meinungsführern der eigenen Partei war er nicht vermittelbar, auch wenn Kohl als Vorsitzender und Kanzler seine Motivation für eine ostdeutsche Kandidatur unterstrich. Bemerkenswert: Angela Merkel erklärte im Präsidium, die Ostdeutschen akzeptierten, noch nicht reif zu sein, den höchsten Repräsentanten des Staates zu stellen (Schwarz, Kohl, S. 663). Der Parteivorsitzende hätte es ihnen zugetraut. Sein positives Signal des Respekts vor den „neuen Ländern“ verrann. Erst 2012 gewann Joachim Gauck das Amt – gegen die Opposition Angela Merkels und der Union. Mit einem Mal repräsentierten zwei Ostdeutsche in den höchsten Ämtern gemeinsam das Land.
Kohls Integrationsbemühungen hatten letztlich Erfolg: innerparteilich wie überparteilich; auch wenn zahlreiche Prozesse nicht geradlinig verliefen, der Vorsitzende angesichts der globalen und nationalen Aufgaben im Kanzleramt sich nicht um die Details der Parteientwicklung zu kümmern vermochte oder auch Rückschläge hinzunehmen waren. Historisch ist ein derartiger Prozess ohne jedes Beispiel.
Das Ende des Parteivorsitzes, begleitet von einer deutlichen Niederlage bei der Bundestagswahl 1998, war nicht zuletzt auf einen fundamentalen Widerspruch zwischen dem jungen und dem gereiften Kohl zurückzuführen. Der eine erstrebte die Verwirklichung innerparteilicher Demokratie und besorgte sukzessive ihre Verbesserung. Der andere stützte sich auf eine ähnliche Machtakkumulation wie Adenauer. Auch wenn die öffentliche Warnung vor einer „führerkultischen Partei“ (Bösch, Macht und Machtverlust, S. 145) von Heiner Geißler kam, schien sie nachvollziehbar. Zurückhaltender im Blick auf ihre Karrierechancen äußerten sich die „jungen Wilden“ Ole von Beust, Christian Wulff, Roland Koch, Christoph Böhr und Günther Oettinger: im Grunde in ihrer Einstellung sämtlich Nachfolger des frühen „wilden“ Kohl und alsbald selbst in vorderster Front der Merkel-CDU. Biedenkopf beschrieb 1996 (Schwarz, Kohl, S. 762f.) den Zustand der Partei exakt so, wie Kohl ihn unter Adenauer und Erhard empfand und dagegen auffuhr. Typisch dafür ist, dass Kohl seine – durchaus nicht unbedingt erwartete – erneute Kanzlerkandidatur für 1998 weder in der Partei noch in der Fraktion, sondern im Fernsehen ankündigte und sie auf dem Parteitag nicht durch Abstimmung, sondern durch Akklamation bestätigen ließ. Nach Wahlniederlage und Rücktritt rief sein alter Rivale ihm nach: „Die Partei ist nicht mehr lebendig….Unter der Last der Regierung und der Dominanz ihres Vorsitzenden und seines Verständnisses innerparteilichen Lebens hat sie die Fähigkeit eingebüßt, wirklich Neues hervorzubringen, Ideenwettbewerbe zu ermutigen, Vielfalt aufzunehmen“ (Biedenkopf zit. n. Schwarz, Kohl, S. 763). Der knappe Wahlsieg 1994 trug nach einem Zwischenhoch nicht mehr. Die Ära ging zu Ende. Kohl trat konsequent zurück. Er bekam den Ehrenvorsitz angetragen und blieb unter Wolfgang Schäubles und Angela Merkels neuer Führung integriert wie es seinen historischen Verdiensten entsprach. Bis ihn sein Umgang mit „Bimbes“ einholte.
Sicher hatte er – wie auch andere und auch in anderen Parteien – Finanzzuweisungen in die Parteistrukturen hinein als Führungsressource genutzt, um Problemlösungen, Projekte und Persönlichkeiten zu fördern und gewiss auch Loyalität zu gewinnen. Dafür bestand seit je ein verdecktes System von Spenden und schwarzen Kassen. Eigentlich widersprach es Kohls normativen Vorstellungen in seiner Anfangszeit und ebenso dem Recht. Doch wie die Flick-Affäre 1984 offenbarte, umgingen alle Parteien die Transparenz- und Rechenschaftsregeln des 1967 mühsam erlassenen Parteiengesetzes. Helmut Kohl hatte von Spendern, deren Namen er nicht preisgab, 2,1 Millionen DM erhalten und über schwarze Kassen verteilt. Der Skandal ereilte ihn nach Abschied von seinen Ämtern. Doch vermochte er seine historische Leistung zu überschatten. Dagegen, ihn zu „kriminalisieren“ sowie „zu verleumden und herabzusetzen“ und mit haltlosen Korruptionsvorwürfen zusätzlich zu belasten, wehrte er sich energisch (Kohl, Tagebuch). Tatsächlich ging es auch nicht um „die“ Affäre, sondern um mehrere sich zeitlich überlagernd bekannt gewordene Aktionen unterschiedlicher Akteure unterschiedlichen Ausmaßes. Sie betrafen die hessische CDU mit einer exorbitanten Summe, Schatzmeister Walther Leisler-Kiep mit einem Spendenkoffer, Wolfgang Schäuble mit den ungeklärten 100.000 Euro des Lobbyisten Karlheinz Schreiber und Kohl. Spekulative Korruptionsvorwürfe traten hinzu. Auf Kohl richtete sich ein diffamierendes politisches und publizistisches Trommelfeuer (Maier, CDU-Spendenskandal). Dass damals die SPD mit einem vergleichbaren Fehltritt ihres Schatzmeisters Friedrich Halstenberg belastet war, ging unter.
Nachdem Kohl den finanziellen Schaden seiner Partei kompensiert hatte, entlastete ihn ein Gerichtsverfahren nach dem anderen. Doch sein Image war dahin. Die Affäre zerbrach jahrzehntelange Wertschätzungen (Kohl, Tagebuch; Schäuble, Leben). Darüber hinaus belastete sie das innere Gefüge von Partei und Fraktion. Sie betraf prominente Inhaber von Führungsämtern wie Schäuble, der verlor, und Merkel, die aufstieg. Und sie warf die Partei in eine tiefe Selbst- und Akzeptanzkrise, in der ausgerechnet die CSU zum Rettungsanker und Stoiber zum Kanzlerkandidaten wurden.
Für den politischen Gegner war der Fall eine Steilvorlage. Aber die von Amts wegen gezeigte Bereitschaft zur Zerstörung der persönlichen Reputation einer historisch verdienstvollen Figur war beachtlich: ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der seinen (Mehrheits-)Bericht vor Abschluss der Erhebungen vorlegte, ein Bundestagspräsident, der ohne Besitz jeglichen Beweises „finstere Drohungen“ (Schwarz, Kohl, S. 878) aussprach, ein Kanzleramt, das haltlose Vorwürfe der Aktenvernichtung einem parteiischen Untersuchungsbeauftragten anvertraute.
Am Ende befreite Kohl die Partei und ihre aktuelle Führung von sich, indem er den Ehrenvorsitz niederlegte. Angela Merkel hatte ihm diesen Schritt in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeine Zeittung vom 22. Dezember 1999 nahegelegt. Kohls Biograph Hans Peter Schwarz sah darin seinen „zweiten Sturz“ (Schwarz, Kohl, S. 870-896). Gleichwohl hatten sich für Helmut Kohl seine Gefühle für die CDU „nicht verändert“ (Kohl, Tagebuch, S. 204).
Kohls Parteivorsitz begann mit einer Krise, die ihn an die Spitze führte, und endete in einer Krise, die seine Reputation angriff. Große Leistungen innerhalb dieses Spannungsbogens waren die organisatorische und programmatische Reform der Partei, die sie auf die Höhe der Moderne führten. Zu realisieren vermochte er seine Strategie, die Union wieder in eine dauerhafte Koalitionsregierung zu führen und nebenher die Stabilität des damaligen Parteiensystems zu gewährleisten. Weitblick bewies er mit der Rekrutierung intellektueller Führungskräfte unter hohem Risiko potentieller Konkurrenz gegen sich selbst. Historisch unübertrefflich ist seine Leistung für die Deutsche Einheit wie für die europäische Integration, wobei Parteivorsitz und Kanzleramt sich unterstützend ergänzten. Die unterschiedlichen Konstellationen, in denen der Parteivorsitz zu führen war, verlangten zwar unterschiedliche Akzentsetzungen, nahmen ihm grundsätzlich aber nie seine eigenständige Bedeutung. Typisch für eine derartige an die Spitze führende Karriere dürfte sein, dass sich die Einstellung gegenüber der Macht der Führung ändert. „Unten“ aktualisiert sich die Herausforderung der Macht, „oben“ angekommen ihre Verteidigung. Die Erfahrung, dass Macht sich relativiert, blieb auch Kohl nicht erspart.