5. März 1942: Geburt in Dos Hermanas, Sevilla |
1965: Examen in Rechtswissenschaften an der Universität Sevilla |
1971: Zwischenzeitliche Inhaftierung durch das Franco-Regime |
1974-1997: Generalsekretär (Vorsitzender) der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) |
1977-2000: Abgeordneter des Spanischen Parlaments |
1978: Wahl zum Vize-Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale |
2. Dezember 1982: Wahl zum Ministerpräsidenten Spaniens |
1. Januar 1986: Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft (EG); ebenfalls 1986 Abstimmung über den Verbleib Spaniens in der NATO |
1993: Auszeichnung mit dem Aachener Karlspreis |
1996: Nach der Niederlage bei den Parlamentswahlen und dem Machtwechsel hin zur Spanischen Volkspartei (PP) endet die "Ära González" |
1997: Rücktritt vom Parteivorsitz der PSOE |
2011: Auszeichnung mit dem Point Alpha-Preis |
1. Juli 2017: González ist einer der Hauptredner beim Trauerakt für Helmut Kohl im Europäischen Parlament in Straßburg |
Die politischen Biografien von Helmut Kohl und Felipe González weisen trotz der sie voneinander unterscheidenden beträchtlichen Gegensätze bemerkenswerte Parallelen und damit Gemeinsamkeiten auf, aus denen heraus eine überraschende Nähe und Symbiose zwischen diesen großen Führungspersönlichkeiten Europas am Ende des 20 Jahrhunderts entstand.
Ihr erster Berührungspunkt war ihr Amtsantritt, der kaum zwei Monate auseinanderlag. Helmut Kohl wurde am 1. Oktober 1982 zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt, wenige Tage vor den Parlamentswahlen in Spanien, die den größten durch Wahlen hervorgerufenen Umschwung der jungen spanischen Demokratie darstellten und Felipe González am 2. Dezember 1982 in das Amt des Ministerpräsidenten brachten. Als beide an die Regierung kamen war ihr jeweiliger persönlicher Werdegang stark von ihrer Ausbildung und vor allem von der Geschichte ihrer Länder geprägt. Die Erinnerung des am 3. April 1930 in Ludwigshafen geborenen Helmut Kohl war mit der dramatischen Realität der Nachkriegswelt und der nationalen Teilung, aber auch mit den Vorstellungen des Wiederaufbaus verbunden und zeigte, dass man durch Opferbereitschaft und nachhaltige Arbeit jedes Unglück überwinden und die gestellten Ziele erreichen kann.
Obwohl er eine ganz andere Lebenserfahrung hatte, muss Felipe González, der in seiner Jugend den Beschränkungen der Franco-Diktatur unterworfen war, ähnliche Empfindungen gehabt haben. Was ihre Ausbildung anbelangt, so hatte Kohl Geschichte, Rechts- und Politikwissenschaften an der Universität Heidelberg studiert, während González einen Abschluss in Rechtswissenschaften an der Universität Sevilla erworben hatte. Die juristische Ausbildung sollte später für beide in ihrer jeweiligen politischen Laufbahn von großem Nutzen sein, da sie ihnen einen soliden Blick für die Instrumente des Wandels und – was in beiden Fällen sehr ähnlich ist – eine außerordentliche Dosis Pragmatismus bei ihren Entscheidungen vermittelte.
Beide Lebenserfahrungen prägten auch ihren sehr unterschiedlichen Einstieg in die Politik und ihre ebenfalls sehr unterschiedliche ideologische Ausrichtung. Kohl trat in die CDU ein und blieb sein Leben lang einer Partei verbunden, in der er auf allen Ebenen Verantwortung trug. González kam ebenfalls über eine Fraktion der Christdemokratie in die Politik, und zwar über seinen Juraprofessor Manuel Giménez Fernández, den Gründer der Christdemokratischen Linken (Izquierda Demócrata Cristiana). Seine Zeit in der Christdemokratie war jedoch nur kurz, da ihn seine Opposition gegen die Franco-Diktatur dazu veranlasste, sich kommunistischen Universitätsorganisationen anzuschließen, die er dann 1962 wieder verließ, um sich der Sozialistischen Jugend (Juventudes Socialistas) anzuschließen und zwei Jahre später der PSOE beizutreten.
Nicht nur der Eintritt in die höchsten Regierungsämter ihrer jeweiligen Länder lag zeitlich sehr nahe beieinander. Kohl und González blieben auch über einen sehr langen Zeitraum im Amt, da sie bei den darauffolgenden Wahlen von ihren jeweiligen Wählern unterstützt wurden. Felipe González blieb bis 1996 im Moncloa-Palast und Helmut Kohl noch zwei Jahre länger im Bonner Kanzleramt. Da aber beide Mandate etwas außergewöhnlich sind (in Spanien mehr als in Deutschland), kommt die größte Bedeutung der Rolle zu, die beide bei der Umgestaltung der nationalen und internationalen Realitäten gespielt haben. Als die beiden aus dem Amt schieden, hatten sowohl ihre jeweiligen Länder als auch Europa und der globale internationale Kontext nur noch wenig Ähnlichkeit mit der zum Zeitpunkt ihrer Amtsübernahme bestehenden Situation – und das wichtigste dabei ist, dass sie Protagonisten dieser Veränderungen gewesen waren.
Die nationalen und ideologischen Unterschiede zwischen den beiden politischen Anführern waren nicht so groß, um die Komplementarität ihres Handelns angesichts der beiden großen Herausforderungen ihrer Zeit zu beeinträchtigen – die Neuordnung Europas nach dem Kalten Krieg und die Neubegründung des europäischen Aufbauprojekts als Antwort auf den vorangegangenen Zustand und Raum für das sich im Emanzipationsprozess befindende Osteuropa in den Europäischen Gemeinschaften. Sowohl Kohl als auch González ließen sich von den Herausforderungen nicht entmutigen, sondern sahen darin eine historische Chance für den Kontinent und für ihre jeweiligen Länder.
Der Ausgangspunkt für das herrschende Einverständnis zwischen den beiden Staatsmännern, die in ideologischer Hinsicht so weit auseinanderlagen, hing mit dem letzten Aufschwung des Kalten Krieges zu Beginn der 1980er Jahre zusammen. Auf die erfolgte Ankündigung der UdSSR zur Stationierung einer neuen Generation nuklearer Mittelstreckenraketen antworteten die NATO-Staaten 1979 mit dem so genannten „Doppelbeschluss“, der den Entscheid zur Stationierung eigener Mittelstreckenraketen in Westeuropa mit einem Gesprächsangebot zu Abrüstung und Entspannung an die Staaten des Warschauer Pakts verband. Kohl war unter den europäischen Staats- und Regierungschefs einer der stärksten Befürworter, der die Aufstellung der neuen Pershing-II- und Cruise-Raketen vehement verteidigte.
Ein Teil der deutschen Öffentlichkeit protestierte mit Vehemenz gegen diese Entscheidung. Die SPD, die in der Vergangenheit den Abzug der US-Truppen von deutschem Boden und eine Null-Lösung gefordert hatte, versuchte bei den Wahlen daraus Kapital zu schlagen. Aus diesem Grund war die Positionierung von Felipe González von besonderer Bedeutung: Er appellierte an das Verantwortungsbewusstsein der Europäer und stellte sich nicht nur gegen die Ansichten seiner deutschen Gesinnungsgenossen, sondern sogar gegen die seiner eigenen Partei.
Dieser Umstand hat nicht nur die Position des deutschen Bundeskanzlers gestärkt, sondern ihm auch die Führungsqualitäten von González vor Augen geführt, und hat zur Vertiefung der Beziehungen beigetragen und dazu, auf direktem Wege die Blockade bei den Verhandlungen über den Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft zu lösen, den Frankreich und in geringerem Maße auch Italien aus Angst vor der Konkurrenz durch die spanischen Agrarprodukte verzögerten. Diese Interpretation des europäischen Gedankens und eben auch der europäischen Sicherheit wurde später durch die Forderung von Felipe González nach einem Referendum zur Legitimierung der weiteren Mitgliedschaft Spaniens in der NATO bekräftigt, was González' Verantwortungsbewusstsein und seine Fähigkeit zur Führung auf internationaler Ebene unter Beweis stellte. Beide Dimensionen waren sehr wertvoll für die Bewältigung der großen Herausforderungen, denen sich die europäische und globale Politik in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre stellen musste.
Die tiefgreifenden Veränderungen, die die UdSSR nach dem Amtsantritt von Gorbatschow durchlief – dessen Ziel gerade darin bestand, das Regime zu erhalten, und nicht, es zu verändern oder gar zu stürzen – fanden ihren Höhepunkt, nachdem die Grenzen zwischen den beiden deutschen Staaten wieder offen waren und wurden damit unumkehrbar. Die überstürzte, nicht geplante und tumultartige Öffnung der Grenzen zwischen der DDR und der Bundesrepublik war das erste Element der Transformation einer europäischen Realität, die seit 1945 eingefroren geblieben war. Sie war auch der Beginn des Wiedervereinigungsprozesses. Rief die wachsende Zahl der DDR–Demonstranten vor dem 9. November 1989 noch „Wir sind das Volk“ (und distanzierte sich damit offenkundig von denen, die sich als die „Volksvertreter“ ausgaben), so änderte sich nach diesem Datum die Hauptparole in „Wir sind EIN Volk“ (und forderten eine rasche Vereinigung mit der Bundesrepublik).
Die Bonner Regierung war in der Lage, diese Veränderungen zu fördern und wurde durch sie ermutigt. Bei der Überwindung alter Streitigkeiten und Stereotypen erhielt sie breite Unterstützung von vielen europäischen Ländern – zuallererst von Spanien – für den Wiedervereinigungsprozess, der in überraschend kurzer Zeit abgeschlossen wurde. Präsident González war der erste führende Politiker, der mit Kohl Kontakt aufnahm, ihn zu dieser Öffnung beglückwünschte und ihm die Unterstützung der Spanier für die deutsche Wiedervereinigung übermittelte. Wie Kohl später selbst einräumte, war bei den meisten seiner europäischen Nachbarn diese Geste nicht so häufig und so schnell zu finden („Man konnte sie an den Fingern einer Hand abzählen“, sagte er).
Das zweite Handlungsfeld war der Aufbau Europas, bei dem es trotz der zwischen Spanien und Deutschland bestehenden unterschiedlichen Interessenlage zu einer erstaunlichen Harmonie der Kriterien und Vorschläge kam. Gerade diese Unterschiedlichkeit sorgte dafür, dass es keine nennenswerten Streitigkeiten, sondern stattdessen verstärkte Synergieeffekte gab. Und gerade in diesem Bereich waren die Synergien zweifellos am wichtigsten und notwendigsten. Als Kohl und González 1982 an die Macht kamen, stand der Aufbau Europas einerseits noch unter der Trägheit der Römischen Verträge von 1957 und andererseits unter dem doppelten Einfluss der Ölkrisen der 1970er Jahre und der großen Erweiterung von 1973 (Großbritannien, Irland und Dänemark).
In den 1980er Jahren leitete das europäische Aufbauwerk mit der Einheitlichen Europäischen Akte und dem Schengener Abkommen (1985) einen Prozess der effektiven Neugründung ein, der mit dem Vertrag von Maastricht und der Aufnahme von Verhandlungen mit den Ländern des ehemaligen Ostens seinen Höhepunkt fand. Neben den Fortschritten auf institutioneller Ebene waren für den Durchschnittseuropäer auch andere Aspekte von größerer Bedeutung. Als die beiden Regierungschefs in Regierungsverantwortung kamen, hatten die Europäer gerade zum ersten Mal ihre Vertreter in das Europäische Parlament gewählt (1979), und in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verfügten sie bereits über einen europäischen Pass, eine gesamteuropäische Charta der Grundrechte und waren im Begriff, eine gemeinsame Währung einzuführen.
Der von den beiden Regierungschefs ausgehende Impuls trug in hohem Maße zu diesen Erfolgen bei, nicht zuletzt, weil sich das zwischen ihnen bestehende gute Verhältnis auch auf die Berater- und Ministerteams beider Regierungen erstreckte. Dies zeigte sich vor allem bei den regelmäßigen informellen Treffen, die in der Regel vor den Ratstagungen zwischen den Regierungen stattfanden und die dazu dienten, Wege für die Zusammenarbeit abzustecken, Positionen abzustimmen und die Anstrengungen zu bündeln. Wie Horst Teltschik, der ehemalige außen- und sicherheitspolitische Berater von Helmut Kohl, einräumte, „waren die deutsch-spanischen Beziehungen nie so gut wie in den Zeiten von Kohl und González“.
Diese Behauptung bildet einen Kontrast zur Situation ab Mitte 1996, dem Ende der langen Amtszeit von González, und zu den letzten Jahren der Kanzlerschaft Kohls, die mit der neuen Regierung von José María Aznar zusammenfiel. Ideologisch stand diese Regierung der deutschen CDU sehr viel näher. In der Tat integrierte die erneut geschaffene Partido Popular die verschiedenen christdemokratischen Strömungen, die es in Spanien seit der Übergangszeit, also seit zwanzig Jahren, gab. Aznars Position zeigte sich bereits, als er noch in der Opposition war und äußerte sich in seinen Warnungen vor González‘ „Nachgiebigkeit“ bei den europäischen Verhandlungen, einschließlich im Gebrauch eines spanischen Nationalismus, der sich gegen die Übertragung jeglicher Souveränität richtete. Inmitten der abschließenden Verhandlungen zur Einführung des europäischen Währungssystems mit den Konvergenzkriterien für den Euro konzentrierten sich diese Vorbehalte besonders auf die Währungssouveränität.
Die deutsche Regierung, die CDU und sogar die Europäische Volkspartei vertraten die gegenteilige Position, so dass in den letzten Jahren der Kanzlerschaft Kohls das auf komplementären Interessen beruhende harmonische Verhältnis, das während der langen Amtszeit von González aufrechterhalten worden war, nicht beibehalten werden konnte. Diese Harmonie zerbrach endgültig, als Aznar sich 2003 an die Seite von George W. Bush stellte, nachdem dieser eine interventionistische Wende im Kampf gegen den Dschihadismus vollzogen hatte. Dies bedeutete nicht nur einen Interessenskonflikt zwischen Deutschland und Spanien, sondern auch zwischen dem, was der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als das „neue und das alte Europa“ bezeichnete, wobei er die den USA folgenden Regierungen in das erste und die Gegner der Intervention im Irak in das zweite Lager stellte. Aznar war Teil des Azoren-Trios (gemeinsam mit George W. Bush und Tony Blair), während die deutsche Regierung – als Reaktion auf die Tausenden von Demonstranten, die am 15. Februar 2003 in den deutschen Großstädten auf die Straße gingen – dagegen Stellung bezog.
Der letzte Ausdruck der persönlichen Verbundenheit zwischen González und Kohl fand während des Trauerakts für den verstorbenen Altkanzler im Europäischen Parlament in Straßburg am 1. Juli 2017 statt, bei der González die vielleicht wirkungsvollste, persönlichste und herzlichste Gedächtnisrede hielt, in der er nicht nur ein öffentliches Bekenntnis der Freundschaft und Bewunderung ablegte, sondern auch eine allgemeine Rede auf eine Generation von europäischen Politikern hielt, die mittlerweile abgetreten war, aber aufgrund ihrer enormen Verdienste ein gewaltiges politisches Erbe hinterlassen hat.
In seiner Rede in Straßburg äußerte González über Kohl: „Wir haben einen großen Europäer verloren. Ich persönlich habe das Gefühl, einen Freund verloren zu haben, mit dem ich historische Augenblicke geteilt habe, die entscheidend waren für Deutschland, für Spanien, für Europa und für die gesamte Welt.“
Felipe González Stiftung: