* geboren 03.03.1930
in
Oberndorf/Neckar
† gestorben 11.09.2017
in
Gleisweiler
Dr. jur., rk.
Jurist, Bundesminister, CDU-Generalsekretär
1949 | Abitur am Jesuitenkolleg in St. Blasien |
1949-1957 | Studium der Philosophie und der Rechtswissenschaften in München und Tübingen |
1957 | Erste juristische Staatsprüfung |
1960 | Promotion zum Dr. jur. an der Universität Tübingen |
1962 | Zweite juristische Staatsprüfung |
1962 | Richter am Amtsgericht Stuttgart |
1962-1965 | Büroleiter des baden-württembergischen Arbeits- und Sozialministers |
1963-1967 | Landesvorsitzender der Jungen Union (Süd-)Württemberg-Hohenzollern (heute Bezirksverband Württemberg-Hohenzollern) |
1965-1967 | Mitglied des Deutschen Bundestages |
1967-1977 | Minister für Soziales, Jugend, Gesundheit und Sport des Landes Rheinland-Pfalz |
1971-1979 | Mitglied des Landtages von Rheinland-Pfalz |
1969-1977 | Mitglied des Bundesvorstandes der CDA |
1977-1980 | Vizepräsident der Christlich-Demokratischen Internationale |
1977-1989 | Generalsekretär der CDU |
1980-2002 | Mitglied des Deutschen Bundestages |
1982-1985 | Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit |
1989-2000 | Mitglied des Präsidiums und des Bundesvorstandes der CDU |
1991-1998 | stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion |
1997-2011 | Schlichter in verschiedenen Tarifkonflikten sowie im Konflikt um das Bahnprojekt „Stuttgart 21" |
Auszeichnungen | |
1970 | Bundesverdienstkreuz |
1983 | Grand Officier de l'Ordre National du Mérite, Frankreich |
1983 | Bergverlagspreis des Deutschen Alpenvereins |
1992 | Großkreuz des Verdienstordens „Bernardo O'Higgins", Chile (Freiheitsorden) |
1994 | Verdienstmedaille des Deutsch-Französischen Jugendwerkes |
1994 | Aachener Karnevalsorden „Wider den tierischen Ernst" |
1995 | Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg |
2004 | Politik-Award |
2005 | Regine Hildebrandt-Preis für Solidarität bei Arbeitslosigkeit und Armut |
2010 | Umweltpreis „Goldener Baum“ der Stiftung für Ökologie und Demokratie e. V., Bonn |
2010 | Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen des netzwerkes recherche e. V. |
2011 | Hermann Ehlers Preis |
2015 | Oswald von Nell-Breuning-Preis der Stadt Trier |
„Er ist ein begnadeter Rhetoriker mit einem gepflegten Schuss Demagogie“ (Kurt Biedenkopf)
Heiner Geißler war überzeugt, dass Konflikte im demokratischen Streit ausgetragen werden müssen, um sie zum Wohle der Menschen zu lösen. Von 1977 bis 1989 diente er der CDU als Generalsekretär. Nach der Regierungsübernahme in Bonn war er von 1982 bis 1985 gleichzeitig Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. Das Amt des Generalsekretärs hat er weit über seine Amtszeit hinaus geprägt und das Profil der CDU als Volkspartei der Mitte geschärft.
Heiner Geißler wurde 1930 in Oberndorf am Neckar geboren, einem kleinen Ort zwischen dem Osthang des Schwarzwaldes und der schwäbischen Alb. Der Familienname leitete sich von der Bergkette der Geißlerspitzen in den Dolomiten ab – kaum ein anderer Name hätte besser zu dem passionierten Bergsteiger Heiner Geißler gepasst. Sein Vater war Beamter und Politiker der Deutschen Zentrumspartei. Im Zuge der Machtübernahme der Nationalsozialisten zog er den Zorn der neuen Machthaber auf sich. Aufgrund von Strafversetzungen musste die Familie mehrfach umziehen. Die Erfahrung der Unfreiheit und der Repressionen gegen die Familie prägten Heiner Geißler tief und legte den Grundstein für sein lebenslanges Engagement für die Freiheit und die Menschenrechte. Kurz nach Kriegsende wurde er Schüler der Jesuitenschule Kolleg St. Blasien im Schwarzwald. Danach trat er nach dem Abitur 1949 als Novize in den Jesuitenorden ein.
Er entschied sich nach vier Jahren jedoch gegen den geistlichen Stand, verließ den Orden und studierte Jura in München und Tübingen. Das Studium schloss er mit der Promotion und beiden Staatsexamina ab. In seiner Studienzeit fällte er eine Entscheidung, die seinen weiteren Lebensweg maßgeblich bestimmte: Er trat in den RCDS und die Junge Union sowie in die CDU ein. Binnen kurzem stieg er zum Vorsitzenden der Jungen Union Baden-Württemberg auf und er wurde in den Landesvorstand der CDU Württemberg-Hohenzollern gewählt. In dieser Zeit lernte er den gleichaltrigen Helmut Kohl kennen, der seine politische Laufbahn entscheidend beeinflusste. Die Arbeit in einem Flüchtlingslager, einer Eisengießerei und einem Heim für schwer erziehbare Kinder konfrontierte ihn mit den alltäglichen Problemen vieler Menschen.
Sein Dienst als Richter nach dem Assessorexamen 1962 blieb ein Intermezzo. Als ihm der Baden-Württembergische Sozialminister Josef Schüttler 1962 die Leitung seines Ministerbüros anbot, ergriff Geißler die Gelegenheit, eine politische Laufbahn einzuschlagen. Schüttler, der aus der christlichen Gewerkschaftsbewegung stammte, wurde für ihn politischer Mentor und Vorbild. Zur Bundestagswahl 1965 bewarb sich Geißler um das Mandat des Wahlkreises Reutlingen und wurde mit knapp 47 Prozent der Erststimmen direkt in den Bundestag gewählt. In Bonn machte er von sich reden, war jedoch nach nur zwei Jahren nach eigener Aussage „maßlos enttäuscht“ und fühlte sich von der „Maschinerie“ verschlissen.
Diese als Tiefpunkt empfundene Phase in seiner noch jungen politischen Karriere markierte freilich erst ihren Beginn. Helmut Kohl, seinerzeit Vorsitzender der rheinland-pfälzischen CDU und Fraktionsvorsitzender im Landtag von Rheinland-Pfalz, setzte nach der Landtagswahl im Frühjahr 1967 durch, dass ihn CDU-Ministerpräsident Peter Altmeier zum Sozialminister im neuen Kabinett ernannte. Neben Kultusminister Bernhard Vogel gehörte Geißler zu dem gelegentlich als „Mainzer Mafia“ bespöttelten Kreis aufstrebender Nachwuchspolitiker um Helmut Kohl, der 1969 schließlich selbst Ministerpräsident wurde.
Als Sozialminister nahm Geißler ein umfangreiches Reformprogramm in Angriff, mit dem der Schwabe in Rheinland-Pfalz und darüber hinaus von sich reden machte. Vielbeachtetes Kernstück seiner Reformagenda war die Einrichtung von Sozialstationen, die die bisher auf viele kleine Einheiten zersplitterten sozialen Dienstleister bündelten. Dadurch wurden die sozialen Leistungen für die Bevölkerung effektiver und noch dazu kosteneffizienter. Des Weiteren setzte Geißler in den zehn Jahren seiner Amtszeit das erste bundesweite Kindergartengesetz, ein Sportförderungsgesetz sowie ein Krankenhausreformgesetz durch. Zu den Grundansichten Geißlers gehörte es dabei, dass sich manche soziale Leistungen nicht über Angebot und Nachfrage auf dem Markt regeln ließen, sondern von der öffentlichen Hand zu sichern seien, beispielsweise die medizinische Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in ländlichen Gebieten. Seine Zugehörigkeit zum christlich-sozialen Flügel der CDU kam auch dadurch zum Ausdruck, dass er der Vereinigung der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) in der CDU beitrat und von 1969 bis 1977 Mitglied des Bundesvorstandes war, 1968 obendrein Mitglied der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV) wurde.
Mit der Übernahme des Vorsitzes des Bundesfachausschusses Sozialpolitik der Bundes-CDU im Jahr 1973 wuchs Geißlers Einfluss auch auf der bundespolitischen Ebene. 1974 machte seine Studie Schlagzeilen, in der er auf die absehbare Kostenexplosion im Gesundheitswesen hinwies. Damit stellte er seine Fähigkeit unter Beweis, über die Tagespolitik hinauszudenken. Noch dazu traf die Kampagne die sozialliberale Koalition im Bund weitgehend unvorbereitet. Sein inhaltliches wie strategisches „Meisterstück“ war jedoch die Erfindung des Konzepts der „Neuen Sozialen Frage“. Im Kontext der „Mannheimer Erklärung“, der ersten Programmschrift der CDU seit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Helmut Kohl, brachte Geißler 1975 einen Beitrag zur „Neuen Sozialen Frage“ in die Diskussion ein. Darin stellte die CDU „das Engagement für die Schwachen, die Bedürftigen, die Nichtorganisierten in unserem Land“ als Leitgedanken ihrer Sozialpolitik in den Mittelpunkt. Zu diesen gesellschaftlichen Randgruppen zählte das Papier neben den alten Menschen auch Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Behinderte, insgesamt rund sechs Millionen Menschen. Als politisch-strategisches Konzept der großen Volkspartei CDU war die „Neue Soziale Frage“ „ein Geniestreich“, weil sich die CDU damit als die wahrhaft soziale Partei profilierte und potentielle Wähler der Sozialdemokraten ansprach. Durch diese und weitere inhaltliche Impulse gehörte Geißler Mitte der 1970er Jahre zu den wenigen Landessozialministern mit bundespolitischem Ansehen.
Ursprünglich hatte Geißler seine politische Zukunft in Rheinland-Pfalz gesehen. Als Helmut Kohl 1973 Vorsitzender der CDU wurde und damit sein Wechsel nach Bonn bevorstand, bewarb sich Geißler auf dem Landesparteitag 1974 um den Vorsitz der Rheinland-Pfälzischen CDU. Nachdem er in der Abstimmung jedoch Bernhard Vogel unterlegen war, zeichnete sich auch für Geißler ein Wechsel in die Bundespolitik ab. Bereits im Vorfeld der Bundestagswahl 1976 galt er im Falle eines Wahlsiegs als Kandidat für ein Ministeramt. Nach der nur knapp verlorenen Wahl vom Herbst 1976 und nachdem sich Kohl mit Generalsekretär Kurt Biedenkopf überworfen hatte, schlug Kohl dem Düsseldorfer Parteitag seinen Parteifreund Geißler als neuen Generalsekretär vor. Die Delegierten folgten Kohls Vorschlag und wählten Geißler mit 746 von 812 Stimmen (91,8 Prozent) ins Amt.
Bereits seine Nominierung hatte freilich nicht nur wohlwollende Reaktionen hervorgerufen. Den wirtschaftsliberalen und den konservativen Strömungen in der CDU und auch der CSU galten Geißlers Ansichten als zu „links“ und seine Berufung als Vorbereitung eines „Linksschwenks“ der CDU. Geißler war in ihren Augen ein Vertreter von Arbeitnehmerinteressen und zu wenig ein Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft, mithin der Gegenentwurf zu seinem ordoliberalen Amtsvorgänger Kurt Biedenkopf. Kohl setzte sich jedoch durch und verwies unter anderem darauf, dass Geißler beispielsweise 1973 in der Frage der betrieblichen Mitbestimmung gegen den Antrag „seiner“ CDA und für den Kompromissvorschlag Kohls gestimmt hatte.
Als Generalsekretär der CDU stand Geißlers deshalb vor einer doppelten Aufgabe: Nach innen musste er seine Rolle als alleiniger Repräsentant des „linken“ Flügels aufgeben. Stattdessen musste er integrierend wirken, die divergierenden Strömungen in der Partei einen und das Profil der CDU durch inhaltliche Impulse schärfen. Nach außen musste er die CDU zum politischen Gegner hin abgrenzen, ohne sich die Möglichkeit zu verstellen, im bestehenden Drei-Parteien-System mit der FDP die parlamentarische Mehrheit wiederzugewinnen.
Binnen eines Jahres nach seinem Amtsantritt reorganisierte Geißler die Bundesgeschäftsstelle, gliederte die Abteilungen neu, straffte Abläufe und delegierte Verantwortung an die Mitarbeiter, um sich selbst Freiraum für die wichtigen strategischen Entscheidungen zu schaffen. Dadurch erhöhte sich die Schlagkraft der Bundesgeschäftsstelle beträchtlich. Ausdruck dieser Effizienzsteigerung war eine Serie hervorragend organisierter Fachkongresse, die die politische Kompetenz der CDU unterstrich und ihre innere Lebendigkeit förderte. Selbst in SPD-nahen Zeitungen war von „spektakuläre(n) Kongresse(n) mit erheblicher publizistischer Breitenwirkung“ die Rede.
Für die innere Einigung und Geschlossenheit der Partei nach außen kaum zu unterschätzen war Geißlers Anteil am Erfolg des Ludwigshafener Parteitags 1978, auf dem die CDU ihr erstes Grundsatzprogramm verabschiedete. Das Ludwigshafener Programm diente in erster Linie der geistigen Orientierung für die Partei und bestimmte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit als die drei gleichrangigen Grundwerte, an denen sich ihr konkretes politisches Handeln orientieren sollte. Während der Parteivorsitzende Kohl auf dem Parteitag selbst eher blass erschien, begeisterte Geißler die Delegierten durch eine mitreißende Rede und schwor die CDU auf das christliche Menschenbild als Grundlage ihres Selbstverständnisses ein.
Das Ergebnis der Europawahl 1979 bestätigte diesen Kurs: Die Union erhielt 49,2 Prozent der Stimmen und stellte damit die absolute Mehrheit der deutschen Mandate für das Europäische Parlament. Auch wenn die Wahlkampagne zur Bundestagswahl 1980 nicht zum gewünschten Erfolg führte, war die programmatisch-strategische Arbeit nicht vergebens. Mit dem Koalitionswechsel der FDP zur CDU/CSU, dem konstruktiven Misstrauensvotum und der Bildung der Regierung Kohl im Herbst 1982 sowie einem hervorragenden Wahlergebnis von 48,8 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl 1983 war das Etappenziel der Rückkehr an die Regierung erreicht.
In der neuen Bundesregierung übernahm Heiner Geißler das Amt des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Inhaltliche Akzente setzte er hier unter anderem mit der Neuordnung des Kriegsdienstverweigerungsrechts und der Verabschiedung eines Zivildienstgesetzes, der Einführung eines Erziehungsgeldes sowie der Berücksichtigung von Erziehungsjahren in der Rentenversicherung. Auch für das vermeintlich „weiche“ Thema Frauenpolitik setzte sich Geißler ein und drängte auf eine gesellschaftliche Bewusstseinsänderung. Nur so könne die Gleichberechtigung von Mann und Frau verwirklicht werden. Zudem organisierte er im März 1985 einen „Frauenparteitag“ und schlug schließlich die Quereinsteigerin Rita Süßmuth als seine Nachfolgerin im Ministeramt vor.
Während Geißler innenpolitisch vor allem als Reformer agierte, bewegte er sich in der Außenpolitik und mit Blick auf die Bekämpfung des politischen Gegners mehr in den gewohnten Bahnen. Die scharfe Abgrenzung zur SPD bei gleichzeitiger Schonung der FDP beruhte dabei auf der von ihm propagierten „Lagertheorie“: Demnach stünden sich das linke Lager aus SPD und Grünen und das bürgerliche Lager aus Union und FDP gegenüber. Ziel der Union müsse es sein, stets Mehrheiten des bürgerlichen Lagers aus CDU/CSU in Kooperation mit der FDP zu erzielen; Koalitionen quer zu dieser Trennlinie seien in der Regel nicht erstrebenswert. Durch pointierte, teils polemische Attacken gegen den politischen Gegner band Geißler vor allem die konservative Strömung in der CDU mit ein. Für Bundeskanzler Helmut Schmidt erfand er den Begriff des „politischen Rentenbetrügers“ und scholt die SPD als „Fünfte Kolonne der anderen Seite“, weil sie in der Nachrüstungsdebatte die Argumente der Sowjetischen Seite verwende. Oft zitiert wurde sein Hauptargument in der Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung: Deren Vorwurf, die Unterstützer des NATO-Doppelbeschlusses würden einem Atomkrieg und damit einem nuklearen Holocaust den Weg bereiten, hielt er entgegen, dass der Pazifismus der westeuropäischen Staaten in den 1930er Jahren Auschwitz erst möglich gemacht habe. Frieden lasse sich nicht durch einseitige Abrüstung des Westens, sondern nur durch „immer weniger Waffen“, d.h. die gleichzeitige Abrüstung beider Seiten schaffen.
Sowohl in der Nachrüstungsdebatte als auch davon unabhängig beharrte Geißler auf der universalen Gültigkeit der Menschenrechte, da nur über ihre Einhaltung echter Friede verwirklicht werden könne. Deshalb kritisierte Geißler nicht nur Menschenrechtsverletzungen im sowjetischen Machtbereich, sondern beispielsweise auch in der chilenischen Pinochet-Diktatur und in anderen autoritär regierten Staaten.
Nach über zwölf Jahren als Generalsekretär der CDU verdichteten sich 1989 die Zeichen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Geißler und dem Parteivorsitzenden Helmut Kohl Schaden genommen hatte. Kohl schlug Geißler auf dem Bremer Bundesparteitag vom 11.-13. September 1989 deshalb nicht mehr zur Wiederwahl vor. Seitdem war Geißler „machtpolitisch ins Abseits geraten“ (FAZ). 1992 verunglückte er bei einem Gleitschirmflug schwer, kämpfte sich jedoch wieder in den Alltag zurück. Von 1991 bis 1998 war er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und bis 2000 Mitglied des Bundesvorstandes und des CDU-Präsidiums. Welche Bedeutung er für die CDU selbst nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Generalsekretärs hatte, zeigte seine Rede auf dem Hamburger Parteitag 1994, auf dem die CDU ihr neues gesamtdeutsches Grundsatzprogramm verabschiedete. Gemeinsam mit anderen drängte Geißler darauf, das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zu erweitern, indem sich die CDU künftig für eine „Ökologische Soziale Marktwirtschaft“ einsetzen wolle.
Mit Ende der Legislaturperiode schied Geißler 2002 aus dem Bundestag und der aktiven Politik aus. Der breiten Öffentlichkeit und jüngeren Generation war bzw. wurde er in den Folgejahren vor allem dadurch bekannt, dass er 2007 dem globalisierungskritischen Netzwerk attac beitrat und sich damit gegen die Linie seiner eigenen Partei stellte. Konkret kritisierte Geißler die globalisierte Marktwirtschaft, die dringend ökologischer und sozialer Korrekturen bedürfe. Abseits des Rampenlichts schlichtete er in diesen Jahren in mehreren Tarifkonflikten, allein viermal in der Bauindustrie, im Druckgewerbe und beim Streit zwischen der Deutschen Bahn und der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL). 2010 moderierte er als Schlichter den Konflikt um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Wenn auch sein Schlichterspruch nicht ohne Kritik blieb, so beeindruckte doch seine über jeden Verdacht der Parteilichkeit erhabene Leitung der Diskussionsrunden, seine Durchsetzungsstärke, das Drängen auf totale Transparenz der Diskussion, wodurch alle relevanten Fakten öffentlich diskutiert und die erbitterten Auseinandersetzungen befriedet wurden.
Auch in den Jahren danach war Heiner Geißler häufig Gast in Fernsehtalkshows und Gesprächsrunden, schrieb Bücher, nahm Termine für Lesungen und Diskussionen in ganz Deutschland war. Am 11. September 2017 starb er seinem Heimatort, dem pfälzischen Gleisweiler an der Weinstraße, und wurde dort beigesetzt.
Heiner Geißler war ein christlicher Demokrat im besten Sinne. Sein keinesfalls unkritisches christliches Bekenntnis war nicht bloße Folklore, sondern prägte sein politisches Handeln. Dabei setzte er seine Sicht der Dinge nicht moralisch absolut, sondern der Prüfung im demokratischen Streit aus. Als CDU-Generalsekretär mit der bisher längsten Amtszeit gab er dem Amt eine Prägung, die bis heute nachwirkt. Seine Nachfolger mussten sich an ihm messen. Als Impulsgeber für gesellschaftspolitische Innovationen und ihre Umsetzung hat er maßgeblich zur Profilbildung der CDU als Volkspartei der Mitte beigetragen. So konnte sie den Wählerinnen und Wählern überzeugende Antworten auf die großen Fragen der Zeit anbieten. In Erinnerung werden Geißlers intellektuelle und rednerische Brillanz sowie seine aufrechte demokratische Haltung bleiben. Die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung brachte dies in ihrem Nachruf folgendermaßen zum Ausdruck: „Bei Geißler konnte man im Urteil stets die Auseinandersetzung erkennen, die dorthin führt. Er machte den Weg nachvollziehbar, auf dem er dorthin gelangt war, mochte politischen Gegnern oder Freunden dieses Urteil nun gefallen oder nicht. Das hat ihm das dämliche Label des ‚Querdenkers‘ eingetragen. Doch er dachte nicht quer, er dachte. In der Rückschau lässt sich vielleicht besser erkennen, dass Geißler sich nicht mit Nebensachen beschäftigte, sondern mit Hauptsachen, eigenen Einsichten und dem eigenen Gewissen folgend. Von solchen salzigen Menschen lebt die Demokratie.“