Portrait-Aufnahme Horst Teltschik
Horst Teltschik

Horst Teltschik

* geboren 14.06.1940 in Klantendorf/Nordmähren

Professor Dr. h. c. mult.


Politikwissenschaftler, stv. Chef des Bundeskanzleramtes, Wirtschaftsmanager

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Übersicht

1940 geboren in Klantendorf/Nordmähren (heute Kujavy, Tschechische Republik)
1960 Abitur
1960-1962 Wehrdienst, Oberleutnant der Reserve
1962-1967 Studium der Politischen Wissenschaft, Neueren Geschichte und des Völkerrechts an der Freien Universität Berlin
1965-1966 stellv. RCDS-Bundesvorsitzender
1968-1970 Hochschulassistent am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin
1970-1972 Leiter der Gruppe „Außen- und Deutschlandpolitik“ in der CDU-Bundesgeschäftsstelle in Bonn
1972-1976 Leitender Ministerialrat in der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz unter Ministerpräsident Helmut Kohl
1977-1982 Leiter des Büros des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
1982-1990 Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt, Leiter der Abteilung 2 für „Auswärtige und innerdeutsche Beziehungen, Entwicklungpolitik, Äußere Sicherheit“
1989-1990 Sonderbeauftragter für die Verhandlungen mit Polen
1991-1993 Geschäftsführer der Bertelsmann-Stiftung
1993-2000 Vorstandsmitglied der BMW AG
1999-2008 Vorsitzender der Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik
seit 2002 Honorarprofessor der Technischen Universität München
2003-2006 Präsident von Boeing Deutschland

In der Ära Kohl war Horst Teltschik eine zentrale Figur der deutschen Außenpolitik und wurde zeitweilig sogar zum „Nebenaußenminister“ stilisiert. Besonders auf die Entwicklungen 1989/90 nahm er als Anstoßgeber und Gestalter des als Katalysator wirkenden Zehn-Punkte-Programms Helmul Kohls Ende November 1989 entscheidenden Einfluss.

Horst Teltschik wurde am 14. Juni 1940 in Klantendorf (Nordmähren, heute Kujavy, Tschechische Republik) geboren. Am Kriegsende floh die Familie aus dem Sudetenland nach Bayern, wo sie vor vielen Herausforderungen des Neubeginns stand. Teltschik durchlebte keine sorgenfreie Kindheit und verpflichtete sich auch aus finanziellen Gründen für zwei Jahre Wehrdienstzeit im Panzerbataillon 54 in der Nähe von Kassel. In dieser Zeit reifte sein Entschluss, in Berlin zu studieren.

1962 begann Teltschik das Studium der politischen Wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, mit dem Hauptfach Internationale Politik und einem Schwerpunkt auf sowjetischer Außenpolitik. Während des Studiums absolvierte er als Reservist weitere Wehrübungen, hielt Vorträge und trat in die CSU ein, da er nach Bayern zurückkehren wollte. An der Hochschule wurde er im „Ring Christlich-Demokratischer Studenten“ (RCDS) aktiv und avancierte zum RCDS-Landesvorsitzenden und stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Er erlebte die Studentenrevolte aus erster Hand, stand allerdings, wie der Berliner RCDS generell, der Entspannungspolitik der sozial-liberalen Koalition offen gegenüber.

Als Student in West-Berlin

Inhaltlich befasste er sich vor allem mit Ost-West Fragen. Nach seiner Diplomarbeit zur „Politik des albanischen kommunistischen Regimes in ihrer Wechselwirkung mit dem sowjetisch-chinesisch Konflikt, 1956-1961“ (1967) wurde er Assistent bei Richard Löwenthal, der der SPD angehörte, aber der Studentenrevolte kritisch gegenüberstand.
Er begann nun mit den Arbeiten an einer Dissertation über „Die Interdependenz zwischen der Politik der DDR und der Sowjetunion“, für die er sich Russischkenntnisse aneignete. Doch die Unwägbarkeiten einer Hochschulkarriere bewogen ihn dazu, ein Jobangebot der CDU-Bundesgeschäftsstelle in Bonn anzunehmen. Die CDU-Zentrale galt als „eine Art Auffangbecken für Universitätsabsolventen, die von hier aus ihren Weg in die Politik suchten“ (Köhler, S.206). Später gab Teltschik an, dass Heiner Geißler viele Mitglieder des RCDS und Absolventen der FU nach Bonn lotste.

In der CDU-Bundesgeschäftsstelle wurde Teltschik Leiter der Arbeitsgruppe Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik. Er plante vergebens, dabei seine Dissertation abschließen zu können, doch die täglichen Aufgaben hatten stets Priorität und seine Arbeitsgruppe veröffentliche stattdessen zahlreiche andere Studien. Unter seiner Ägide entstand  im Januar 1972 ein Argumentationsleitfaden dazu, wie „die Ostpolitik in den bevorstehenden Wahlkämpfen“ einzusetzen sei. Helmut Kohl, der Teltschiks Schriften kannte, lud daraufhin den 32-Jährigen im Februar 1972 zu einem persönlichen Gespräch nach Mainz ein. Kohl eröffnete ihm seine Ambitionen auf den Parteivorsitz und das Kanzleramt und fragte, ob Teltschik für ihn arbeiten wolle. Nach kurzer Bedenkzeit trat Teltschik am 1. April 1972 als Redenschreiber in Kohls „Mannschaft“ ein.

Mit Kohl in Mainz und Bonn

Kohl, der 1969 in Rheinland-Pfalz mit 39 Jahren der jüngste Ministerpräsident der Bundesrepublik Deutschland geworden war, sammelte in Mainz viele junge Talente um sich. Der „schwarze Riese“ galt damals primär als innenpolitischer Experte, doch die Ostverträge sowie der deutsche Beitritt zu den Vereinten Nationen wurden auch im Bundesrat diskutiert und Kohl wollte in diesem so wichtigen Themenfeld auf Augenhöhe mit seinem innerparteilichen Konkurrenten Rainer Barzel agieren. Kohl vermied es jedoch eine exponierte Haltung einzunehmen und folgte in der Ostpolitik den Ideen Teltschiks. Im Bundesrat lieferte er, auf dessen Anraten, Sowohl-als-auch-Reden, in denen er weder eine strikte Abwehrhaltung gegen die Ostverträge einnahm, noch alles verteufelte. Kohls Ausführungen wiesen eine „gewisse Eleganz des Stils auf, vor allem aber [...] eine souveräne Beherrschung der Materie“, was primär dem Wirken Teltschiks zugeschrieben wurde (Köhler, S.205).

Die große Politik war in Mainz jedoch keineswegs Alltag. Teltschik erledigte auch viele andere Aufgaben, half bei wiederkehrenden Querelen mit der CSU, schrieb Reden für allerlei Themen und wurde auch in innenpolitischen Fragen zur „Allzweckwaffe“ Kohls. Das Konzept der „dynamischen Demokratie“, zum Beispiel, hatte Teltschik von Löwenthal übernommen. Es fand Eingang in Kohls Gedanken zur Fortentwicklung der Demokratie und in das Ludwigshafener Programm.

Nach der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976, in der die Union mit 48,6 Prozent nur knapp die absolute Mehrheit verfehlt hatte, wechselte Kohl als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion in den Bundestag und wurde Oppositionsführer. Teltschik, der sich für den Orts- und Rollenwechsel stark gemacht hatte, wurde sein Büroleiter und Redenschreiber. Gemeinsam mit Juliane Weber, Wolfgang Bergsdorf und Eduard Ackermann bildete er das loyale und vertraute Kernteam um Kohl. Auch in Bonn beschränkte sich das Arbeitsfeld Teltschiks nicht auf die Außenpolitik. Obwohl er viele Reisen organisierte und internationale Kontakte knüpfte, musste er Reden zu Themen jeglicher Couleur verfassen und wurde zu Kohls ständigem Begleiter in Wahl- und parteiinternen Flügelkämpfen.

Im Kanzleramt

Als Helmut Kohl im Oktober 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum Bundeskanzler wurde, löste er sofort sein gegenüber Teltschik gemachtes „Versprechen“ ein: der Büroleiter des Oppositionsführers avancierte nun zum engsten Kanzlerberater. Teltschik arbeitete federführend an der hastig verfassten Regierungserklärung und wurde Leiter der Abteilung 2 für „Auswärtige und innerdeutsche Beziehungen, Entwicklungspolitik und äußere Sicherheit“ im Kanzleramt. Diese Position wurde traditionell mit einem Berufsdiplomaten besetzt, der zwar oft eine parteipolitische Affinität zum Kanzler hatte, aber nicht wie Teltschik ein „Parteimann“ war. Das Auswärtige Amt unter Hans-Dietrich Genscher wurde mit Teltschiks Einstellung nie vollends warm und blockierte, dass er zum Staatssekretär (wie einst Egon Bahr) aufstieg. Teltschik übernahm ebenso Koordinierungsaufgaben innerhalb des Kanzleramts, zwischen den Ministerien, die sein Fachbereich tangierten, und leitete Ideen des Kanzlers in andere Abteilungen weiter.

Die starke Stellung und Sonderrolle Teltschiks wurde auch in Kohls sogenanntem „Küchenkabinett“, dem engsten morgendlich tagenden Beraterkreis, deutlich. Teltschik dachte und widersprach auch außerhalb seines Fachbereichs und drängte Kohl zu Entscheidungen, wenn er meinte, dass dies notwendig sei. Hierbei wirkte er „bescheiden, erstaunlich distanziert und mit analytischer Schärfe“ vorgehend, wurde aber einstweilen auch von Kohl „eingefangen“, da Teltschiks öffentliche Vorträge und Publikationen nicht immer auf dessen Gegenliebe stießen .

Der personalisierte Regierungsstil Kohls gewährte seinen engsten Mitarbeitern viel Gestaltungsraum, Unabhängigkeit und Einfluss. Zusammen mit Kohl und Genscher wurde Teltschik zu einer zentralen Figur der deutschen Außenpolitik und teilweise, dank der vielen direkten Kontakte zu ausländischen Regierungen und dem daraus resultierenden, vom Auswärtigen Amt unabhängigen Informationsfluss, zum „Nebenaußenminister“ (Reuth, S.126) stilisiert. Gerade in strittigen Fragen der Ostpolitik, in denen der Kanzler und sein Außenminister unterschiedlicher Ansicht waren, setzte Teltschik immer wieder Impulse und blieb unverzichtbar für den Kanzler.

Der Weg zur Wiedervereinigung entsprach in vielerlei Hinsicht Kohls Tendenz zur informellen Politik, weshalb Teltschik eine entscheidende Rolle zukam. Pointiert formuliert, war Teltschik Kohls Chefkoch im internationalen Küchenkabinett. Gerade wenn zwischen den Regierungschefs Uneinigkeiten auftraten, etwa bei Thatcher, Mitterrand oder Gorbatschow, nutzte Teltschik seine engen Kontakte zu deren Chefberatern, um die Wogen zu glätten. Beispielsweise konnte er 1986 missverständliche Äußerungen Kohls über Gorbatschow durch seinen direkten Draht zu dem damaligen sowjetischen Botschafter und Gorbatschows Berater Nikolai Portugalow klarstellen. Über diese Verbindungen gelang es auch in den ereignisreichen Tagen um den 9. November 1989 immer wieder, den Kreml davon zu überzeugen, dass es zu keinen chaotischen Zuständen oder gar Übergriffen auf sowjetische Einrichtungen kommen werde.

Kohl hatte die Schlüsselrolle Ungarns als Taktgeber des friedlichen Wandels im Ostblock früh erkannt, und das gute Verhältnis Teltschiks mit dem ungarischen Botschafter und Außenminister half der Bundesregierung schon im Sommer 1989, das Problem der DDR-Flüchtlinge zu entschärfen, der ungarischen Regierung das Versprechen abzunehmen, niemanden gegen seinen Willen in die DDR zurückzuschicken, und immer wieder „über Bande“ die Stimmungslage im Kreml zu erkunden. So wurde auch die Öffnung der ungarischen Grenze direkt an Moskau kommuniziert, was der DDR weiter das Wasser abgrub.

Einen weiteren, entscheidenden Einfluss auf die Entwicklungen 1989/90 nahm Teltschik als Anstoßgeber und Gestalter des als Katalysator wirkenden Zehn-Punkte-Programms Ende November 1989, auch wenn er dabei, so eine kritische Lesart, die Offenheit Moskaus zur deutschen Wiedervereinigung überschätzte. Unabhängig von historischen Interpretationen zum Verdienst des Kanzleramts oder des Auswärtigen Amts im Prozess der Wiedervereinigung gesehen, führte dieses „produktive Missverständnis“ und Teltschiks Initiative, auch gegen Widerstände innerhalb des Kanzleramts und der Union, jedenfalls dazu, dass Kohl sich die Meinungsführerschaft sicherte, einen informellen Schulterschluss mit den Demonstrationen in der DDR herstellte und das Thema Wiedervereinigung offiziell auf die internationale Agenda setzte. Teltschik war auch an den folgenden Verhandlungen beteiligt. So in puncto Wirtschaftshilfen für die Sowjetunion und in Moskau im Februar 1990, als die Bundesregierung die Zusage erhielt, den Weg und Zeitplan zur Einheit selbst bestimmen zu können. Die Formulierung, Gorbatschow habe damit den Deutschen den Schlüssel zur Wiedervereinigung in die Hand gegeben, stammte von Teltschik, der Kohl, im Gegensatz zu Genscher, bei dem Treffen mit Gorbatschow begleitet hatte. Zu Teltschiks Bedeutung 1989/90 heißt es im Standardwerk von Andreas Rödder zusammenfassend: „Strategisch und leidenschaftlich im politischen Denken, im Vereinigungsprozess an den entscheidenden Stellen bei der Einschätzung kritischer Sachverhalte optimistischer und unbefangener als die Vertreter von Bürokratie und Diplomatie, trieb Teltschik die im Vergleich zum Auswärtigen Amt oftmals forschere, offensivere Politik der Regierungszentrale voran“ (Rödder, S.131).

Nach der Wiedervereinigung kehrte Teltschik der Politik den Rücken, auch aufgrund der abermaligen Weigerung Genschers, ihn zum Staatssekretär zu ernennen, und entschloss sich, neue Wege zu gehen. Zunächst fungierte er als Geschäftsführer der Bertelsmann-Stiftung und Vorstandsmitglied bei BMW. Im Anschluss wurde er Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und Präsident von Boeing Deutschland. Bis heute ist er ein gefragter Experte und Kommentator zur internationalen Politik.

  • Teltschik, Horst, 329 Tage. Innenansichten der Einigung, Berlin 1991.
  • Teltschik, Horst, Russisches Roulette. Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden, München 2019.

  • Über Horst Teltschik liegt bisher keine Monographie oder und kein wissenschaftlicher Aufsatz vor. Etwas längere Skizzen finden sich in: Werner Filmer und Heribert Schwan, Helmut Kohl, Düsseldorf 1990, S.227-231; Mainhardt Graf von Nayhauß, Bonn vertraulich, Bergisch Gladbach 1986, S.73-77.
  • Ackermann, Eduard, Mit feinem Gehör. Vierzig Jahre in der Bonner Politik, Bergisch Gladbach 1994.
  • Dreher, Klaus, Helmut Kohl. Leben mit Macht, Stuttgart 1998.
  • Fröhlich, Stefan, „Auf den Kanzler kommt es an“: Helmut Kohl und die deutsche Außenpolitik, Paderborn 2001.
  • Kohl, Helmut, Erinnerungen. 1930-1982, München 2004.
  • Köhler, Henning, Helmut Kohl. Ein Leben für die Politik, Köln 2014.
  • Pruys, Karl Hugo, Helmut Kohl. Die Biographie, Berlin 1995.
  • Reuth, Ralf Georg, Annäherungen an Helmut Kohl, München 2017.
  • Ritter, Gerhard A., Hans-Dietrich Genscher und das Auswärtige Amt und die deutsche Vereinigung, München 2013.
  • Rödder, Andreas, Deutschland einig Vaterland: Die Geschichte der Wiedervereinigung, München 2009.
  • Schwarz, Hans-Peter, Helmut Kohl. Eine politische Biographie, München 2012.
  • Weidenfeld, Werner, Außenpolitik für die deutsche Einheit. Die Entscheidungsjahre 1989/90, Stuttgart 1989.

Bastian Matteo Scianna