Philipp Jenninger

Philipp Jenninger

* geboren 10.06.1932 in Rindelbach/Baden Württemberg
† gestorben 04.01.2018 in Stuttgart
Dr. jur. rk.


Jurist, Staatsminister, Bundestagspräsident, Botschafter

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Übersicht

10.06.1932 Geburt in Rindelbach/Baden-Württemberg
1952-1955 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Tübingen
1955 Erste Juristische Staatsprüfung
1957 Promotion
1959 Zweite Juristische Staatsprüfung
1960-1963 Dezernent bei der Wehrbereichsverwaltung V in Stuttgart
1963-1964 Referent bei der Personalabteilung des Bundesministeriums der Verteidigung
1964-1966 Persönlicher Referent und Pressereferent des Bundesministers für besondere Aufgaben bzw. für die Aufgaben des Bundesverteidigungsrates Dr. Heinrich Krone
1966-1969 Politischer Referent des Bundesministers für Finanzen Dr. Franz Josef Strauß
1969-1990 MdB
1973-1982 Parlamentarischer und Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
1982-1984 Staatsminister im Bundeskanzleramt
1984-1988 Präsident des Deutschen Bundestages
1991-1995 Botschafter in Wien
1995-1997 Botschafter beim Vatikan

Philipp Jenninger hat seiner Partei und seinem Land in vielen Funktionen gedient. Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel nennt ihn einen „christlichen Demokraten aus innerster Überzeugung“.

Kindheit und Jugend

Philipp Jenninger wird am 10. Juni 1932 als eines von acht Geschwistern in Rindelbach im heutigen Baden-Württemberg geboren. Er gehört damit zu einer Generation, die von manchen Soziologen als die „45er“ bezeichnet wird: Alt genug, um die Schrecken der nationalsozialistischen Zeit und des Zweiten Weltkrieges aus eigener Anschauung zu kennen, jung genug, um persönlich ohne jede schuldhafte Verstrickung zu sein. Aus dieser „Alterskohorte“ stammen viele der Persönlichkeiten, die die Entwicklung der Bundesrepublik in entscheidender Weise prägten. Philipp Jenninger ist damit auch ein Mann jener ersten Generation junger Menschen, die die noch im Aufbau begriffene CDU in den 1950er Jahren an sich zu binden vermag.

Die Familie ist fest in der katholischen Kirche und im katholischen Milieu verwurzelt. Sein Vater, der in der Zentrumspartei politisch aktiv ist, hat wegen dieses Engagements während der NS-Zeit vielfältige Schikanen zu erdulden. Der Zweite Weltkrieg bringt tiefes Leid auch über diese Familie: Die Brüder Walter und Wilhelm, die Soldaten hatten werden müssen, kehren nicht wieder nach Hause zurück. In dieser Zeit macht Philipp Jenninger nach eigenem Bekunden die prägende Erfahrung, dass das „Gefühl der Geborgenheit im Glauben“ menschliches Leben tragen und erfüllen kann. Die Bereitschaft zum politischen Engagement, die ihn in die CDU führt und seine berufliche Laufbahn prägt, entspringt der Überzeugung, dass Demokratie und Rechtsstaat nur funktionieren können, wenn Menschen zur Übernahme von Verantwortung angeregt und befähigt werden. Die parlamentarische und liberale Demokratie braucht die Bereitschaft der Bürger zum Einsatz für das Gemeinwesen - diese früh gewonnene Einsicht durchzieht das politische Leben Philipp Jenningers wie ein roter Faden.

Studium und erste berufliche Tätigkeit

Nach dem Abitur 1952 entscheidet er sich für das Studium der Jurisprudenz. 1955 - also nach einer bemerkenswert zügig absolvierten Hochschulausbildung - legt er das Referendarexamen ab. 1957 folgt die Promotion zum Dr. jur. mit einer Arbeit über die Reform des Bundesverfassungsgerichtes, 1959 die Zweite Juristische Staatsprüfung. Nach einer kurzzeitigen Tätigkeit als Dezernent bei der Wehrbereichsverwaltung V in Stuttgart kann Jenninger politische Erfahrungen zunächst als Referent des Personalchefs im Bundesverteidigungsministerium sammeln. Daran schließen sich prägende Jahre bei zwei wichtigen politischen Persönlichkeiten der Bundesrepublik an: Von 1964 bis 1966 arbeitet er als persönlicher Referent und Pressereferent von Heinrich Krone, in dieser Zeit Bundesminister für besondere Aufgaben. Von 1966 bis 1969 folgt eine Tätigkeit als Kabinettsreferent des damaligen Bundesfinanzministers Franz-Josef Strauß.

Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Parlamentarischer Geschäftsführer

1969 für den Wahlkreis Crailsheim in den Deutschen Bundestag gewählt, arbeitet Philipp Jenninger dort zunächst im Haushaltsausschuss mit. 1973 wird er einer der Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, im Januar 1975 deren 1. Parlamentarischer Geschäftsführer. In dieser Funktion, die er bis 1982 beibehält, koordiniert er die Oppositionspolitik der Union im Parlament. Der Machtverlust des Jahres 1969 hat für die „Kanzlerpartei“ CDU auch erhebliche organisatorische Schwierigkeiten zur Folge. Grundlegende Umstrukturierungen und der Ausbau der Bundesgeschäftsstelle sind erforderlich. Dass in dieser schwierigen Situation die Bundestagsfraktion zur „Speerspitze der Opposition“ wird (Hans-Otto Kleinmann), ist nicht zuletzt das Ergebnis der beharrlichen, wenig spektakulären, aber effektiven Arbeit Philipp Jenningers als Parlamentarischer Geschäftsführer.

Staatsminister beim Bundeskanzler

Nach der Regierungsübernahme der Union im Oktober 1982 holt Bundeskanzler Helmut Kohl ihn als Staatsminister ins Bundeskanzleramt. In seiner neuen Funktion zeichnet Philipp Jenninger unter anderem für die Ost- und Deutschlandpolitik verantwortlich und dies in einer Zeit, in der wichtige Weichenstellungen auf dem Weg zur späteren Einheit Deutschlands erfolgen. So führt er die Verhandlungen über den 950 Mio. DM-Kredit an die DDR, der Ende 1984 zustande kommt und mit dem bedeutsame Erleichterungen im innerdeutschen Reiseverkehr verbunden sind. Parallel zu dieser Kooperationsbereitschaft zu Gunsten der Menschen lässt die neue Bundesregierung aber keinen Zweifel daran, dass sie an den Sicherheitsstrukturen des westlichen Bündnisses festhalten und auch weiterhin nachdrücklich für die Menschen- und Bürgerrechte der Landsleute jenseits des Eisernen Vorhangs eintreten wird. Dass die Deutschlandpolitik der Regierung Kohl in dieser wichtigen Phase von Gesprächsbereitschaft und Prinzipienfestigkeit geprägt ist, sich der Forderung nach Anerkennung einer DDR-Staatsbürgerschaft entschieden widersetzt und am Vereinigungsauftrag des Grundgesetzes festhält, ist auch das Verdienst Philipp Jenningers.

Präsident des Deutschen Bundestages

Im Oktober 1984 übernimmt Philipp Jenninger von dem in Zusammenhang mit der Flick-Affäre zurückgetretenen Rainer Barzel das Amt des Bundestagspräsidenten. Aufgrund seiner jahrelangen intimen Kenntnis des parlamentarischen Geschäfts, seines vermittelnden Wesens und seiner Sachlichkeit findet seine Amtsführung über die Fraktionsgrenzen hinweg breite Zustimmung. Das dokumentiert auch das hervorragende Ergebnis bei seiner Wiederwahl im Jahre 1987. Nach eigenem Bekunden sieht Philipp Jenninger seine wichtigste Aufgabe als Parlamentspräsident darin, dem Bundestag als dem zentralen Staatsorgan unserer Demokratie Ansehen und Zustimmung zu verschaffen und die ihm verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch zustehende Stellung zu sichern. Das Parlament solle „Forum der Nation sein, auf dem die wichtigsten Angelegenheiten der Nation erörtert werden“. Die Abgeordneten erinnert er wiederholt daran, dass der parlamentarische Umgang prägend sei für die politische Kultur insgesamt. Jenninger ist der Überzeugung, dass auch der Bundestag seinen Beitrag zu den sich abzeichnenden Wandlungsprozessen im Ostblock leisten muss. Darum stößt er zahlreiche Begegnungen mit Abgeordneten aus Staaten des Warschauer Pakts an. Als einziger europäischer Parlamentspräsident nimmt er an der Feier der Knesset zum 40. Jahrestag der Staatsgründung Israels teil. In seine Amtszeit fällt außerdem der Beschluss zum Neubau des Plenarsaals. Daneben gilt sein Engagement der europäischen Integration. Immer wieder mahnt er die Europäer, sich auf „die lebendige christliche Tradition Europas“ zu besinnen, der die zentralen gemeinsamen Werte entspringen. Von 1985 bis 1990 ist er Präsident des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung und heute einer der Ehrenpräsidenten.

Die skandalisierte Rede

Natürlich kann das schmerzlichste Kapitel in der langen politischen Laufbahn Philipp Jenningers nicht unerwähnt bleiben: die Auseinandersetzungen um seine in der Eigenschaft als Bundestagspräsident am 10. November 1988 gehaltene Rede zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht. Philipp Jenninger unternimmt den Versuch, nicht bei den üblichen Scham- und Schuldbekenntnissen stehen zu bleiben, sondern eine Antwort auf die Frage zu geben, wie es zum Holocaust kommen konnte und warum die antijüdischen Pogrome von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung hingenommen wurden. Er wählt dazu die Methode des vorgestellten Miterlebens und versucht, anhand von Zitaten die damalige Gedankenwelt vieler Deutscher zu verdeutlichen. Dies führt zu Missverständnissen und Protesten, einige Abgeordnete der SPD und der GRÜNEN verlassen den Plenarsaal. Das Echo in großen Teilen der Öffentlichkeit ist verheerend, ohne dass man sich mit den inhaltlichen Aussagen und den Intentionen Jenningers auseinandersetzt. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, der die Rede ebenfalls durchaus kritisch beurteilt, weil sie nach seiner Auffassung in der Form dem Anlass nicht adäquat gewesen sei, schreibt in seiner Autobiographie: „Nachdem ich mir offensichtlich als einer von wenigen die Mühe gemacht hatte, die Rede von Jenninger auch zu lesen, war mir klar geworden, dass es darin einige Passagen gab, die nie zuvor in dieser Deutlichkeit ein deutscher Politiker gesagt hatte.“ So betont Jenninger weitaus stärker als Richard Weizsäcker in seiner berühmt gewordenen Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes die Verantwortung der Deutschen insgesamt, „da alle sehen konnten, was heute vor 50 Jahren in Deutschland geschah“. In den folgenden Jahren baut Bubis wiederholt Passagen der Rede in eigene Vorträge ein - und erhält stets Beifall und Zustimmung.

Mittlerweile sind die Rede und der sich anschließende „Skandal“ zum Gegenstand der sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Forschung geworden, wobei auch das „hörerseitige Kommunikationsverhalten“ kritisch untersucht wird. Zu einem Missverständnis gehören schließlich immer zwei: derjenige, der der sich missverständlich ausdrückt, sowie derjenige, der missversteht. Und im Falle Philipp Jenningers, so kann man mit Rainer Poeschl feststellen, „scheute der Wille zum Missverstehen keine Mühe“, findet sich in der Rede doch kein einziger Satz, den man als Beschönigung oder gar Rechtfertigung nationalsozialistischer Verbrechen interpretieren könnte. Der bekannte Journalist Herbert Riehl-Heyse urteilt in einem Beitrag zum 70. Geburtstag 2002, Philipp Jenninger habe „eine gescheite, politisch korrekte Rede über die Frage gehalten [..], wie es in Deutschland zur Hitlerei und zur Judenverfolgung kommen konnte“. Bei der angeblichen „Skandalrede“ habe es sich „um ein einziges Missverständnis“ gehandelt. Zum Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten, den er nach eigenem Bekunden mit sich und seinem Herrgott ausgemacht hat, bewog Philipp Jenninger v.a. der Wille, Schaden vom zweithöchsten Staatsamt der Bundesrepublik abzuwenden. Rückblickend lässt sich konstatieren, dass die damaligen Ereignisse alles andere als ein Ruhmesblatt für die politische Kultur der Bundesrepublik darstellen. Das gilt für das Verhalten von Mitgliedern des Deutschen Bundestages und der politischen Klasse ebenso wie für große Teile der Medien.

Im diplomatischen Dienst

Nach dem Rücktritt vom Amt des Bundestagspräsidenten und dem Ausscheiden aus dem Parlament zwei Jahre später beginnt mit dem Eintritt in den diplomatischen Dienst noch einmal ein neuer Abschnitt in der politischen Laufbahn Philipp Jenningers. Einer vierjährigen Tätigkeit als Botschafter in Wien folgen vor der Pensionierung 1997 zwei weitere Jahre als Botschafter der Bundesrepublik beim Heiligen Stuhl. Dort entwickelt er große Bewunderung für Papst Johannes Paul II., den er als „begnadeten Politiker“ und zentrale Figur des Wandels im Ostblock betrachtet. Man kann es als durchaus symbolhaft und folgerichtig betrachten, dass der christliche Demokrat und überzeugte Katholik Philipp Jenninger seine politische und diplomatische Karriere als hochgeschätzter Botschafter der Bundesrepublik Deutschland im Vatikan beschloss. Er selbst hat die Jahre in Rom als Krönung seiner politischen Laufbahn betrachtet.

  • Philipp Jenninger: Gedanken über Deutschland. Stuttgart/Leipzig 2002.

  • Ignatz Bubis (mit Peter Sichrovsky): „Damit bin ich noch längst nicht fertig.“ Die Autobiographie. Frankfurt a. M./New York 1996.
  • Horst Ferdinand (Hg.): Reden, die die Republik bewegten. 2. Aufl. Opladen 2002.
  • Armin Laschet/Heinz Malangré (Hg.): Philipp Jenninger: Rede und Reaktion. Aachen 1989.
  • Rainer Poeschl: Nach der Rede im freien Fall. In: Das Parlament v. 11. April 2011.
  • Herbert Riehl-Heyse: Tadellos bis zum Rücktritt. Philipp Jenninger wird 70. In: Süddeutsche Zeitung v. 10. Juni 2002.
  • Holger Siever: Kommunikation und Verstehen. Der Fall Jenninger als Beispiel einer semiotischen Kommunikationsanalyse. Frankfurt a. M. 2001.

Christopher Beckmann