* geboren 25.09.1942
in
Hamburg-Harburg
Lehrer, Bundesminister, CDU-Generalsekretär, ev.
1962-1968 | Studium der Anglistik und Germanistik in Hamburg |
1970-1976 | Gymnasiallehrer |
1970-1976 | Abgeordneter in der Hamburgischen Bürgerschaft (CDU) |
1976-2005 | MdB |
1982-1989 | stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion |
1989-1992 | Generalsekretär der CDU |
1992-1998 | Bundesverteidigungsminister |
1998 | stellvertretender Parteivorsitzender |
1998-2002 | stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion |
2002-2005 | Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. |
„Volker Rüpel“, „einer mit Ellbogen“, „beratungsresistent“, … Die Stimmen zu Volker Rühe sind mitunter wenig schmeichelhaft. Sie können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er, einer der profiliertesten (Außen-)Politiker der Ära Kohl, am Zusammenwachsen von CDU in Ost und West, der Integration der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr und der Öffnung der NATO gen Osten entscheidend mitgewirkt hat.
Volker Rühes Interesse für fremde Länder wird schon zu Schulzeiten geprägt. Als einer der ersten deutschen Austauschschüler besucht der am 25. September 1942 geborene Sohn eines Lehrers eine Schule in Großbritannien. Später, während seines Lehramtsstudiums in Deutsch und Englisch bleibt er dem angelsächsischen Raum treu und arbeitet als Tutor in den USA. Doch auch jenseits seiner Ausbildung bewegt sich Rühe bald im internationalen Raum. Über seine Tätigkeit im Bundesvorstand der Jungen Union, der er seit 1963 angehört, lernt er die Arbeitsgemeinschaft Christlich-demokratischer und konservativer Jugendverbände Europas (DEMYC), kennen, die er schließlich von 1972 bis 1974 leitet. Hier knüpft er erste politische Kontakte auf dem internationalen Parkett.
Obwohl sein Herz für die Außenpolitik schlägt, macht sich Rühe zunächst als Bildungsexperte einen Namen. 1970 tritt er in den regulären Schuldienst ein und wird in die Hamburger Bürgerschaft gewählt. Dort avanciert der junge Gymnasiallehrer in nur drei Jahren zum stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden und bildungspolitischen Sprecher. Weitere drei Jahre später zieht er über die Hamburgische Landesliste in den Deutschen Bundestag ein, wo er ebenfalls für seine Sachkenntnis im Bildungswesen geschätzt wird. 1977 wird er Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft sowie Vorsitzender der entsprechenden Fraktionsarbeitsgruppe, wo er eng mit dem Kohl-Vertrauten Anton Pfeifer zusammenarbeitet. Als er 1982 zur Bürgerschaftswahl in Hamburg allerdings als Schulsenator in das Schattenkabinett von Walther Leisler Kiep aufgenommen wird, hat er die Bildungspolitik bereits hinter sich gelassen.
1981 soll der Obmann im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft neu gewählt werden. Rühe nutzt diese Gelegenheit, um sich wieder der Außenpolitik zuzuwenden und verzichtet auf eine weitere Amtszeit. Er wechselt in den Auswärtigen Ausschuss sowie in den CDU-Bundesfachausschuss für Außen- und Sicherheitspolitik, dem er zuerst als stellvertretender Vorsitzender, ab 1983 als Vorsitzender vorsteht. Helmut Kohl kennt und schätzt den jungen Hamburger mit den guten Englischkenntnissen und der souveränen Art bereits seit gemeinsamen Auslandsreisen in den 1970er Jahren. Dank dessen legendär guten „Riechers“ für junge Politik-Talente wird Rühe stark gefördert. Als er 1982 für den stellvertretenden Fraktionsvorsitz mit dem Schwerpunkt Außen-, Sicherheits-, Deutschland- und Entwicklungspolitik kandidiert, kann er sich mit der Rückendeckung des CDU-Parteivorsitzenden in einer Kampfabstimmung gegen den altgedienten und konservativen Außenpolitiker Manfred Abelein durchsetzen.
In der Fraktionsleitung unterstützt Rühe die Außenpolitik Helmut Kohls. Am 6. Februar 1985 mahnt er im Bundestag die „Bindungswirkung“ der Warschauer Verträge als Grundlage der aktuellen Ost- und Deutschlandpolitik an. Dieser wahrscheinlich mit Kohl abgestimmte Redebeitrag führt in der Fraktion zur Konfrontation zwischen sogenannten „Stahlhelmern“ und „Genscheristen“. Insbesondere die konservativen Abgeordneten Manfred Abelein, Herbert Czaja, Herbert Hupka, Hans Graf Huyn und Werner Marx lehnen den Verzicht auf ehemals deutsche Gebiete jenseits der Oder und Neiße kategorisch ab, während eine jüngere Generation von Abgeordneten die Ostverträge als reale Ausgangslage zukünftiger Ostpolitik akzeptiert und der Politik des Außenministers Genscher folgt. Trotz des Gegenwindes, der ihm auch von Seiten der Vertriebenenverbände entgegen bläst, kann sich Rühe Dank der Unterstützung von Kohl, Schäuble und Geißler mit seiner Haltung in der Fraktion langfristig durchsetzen.
Seine Haltung als bekennender Atlantiker gibt Rühe dabei keineswegs auf. Obwohl er die Perestrojka-Bewegung befürwortet, warnt er davor, den sowjetischen ZK-Generalsekretär Gorbatschow allzu weitgehend zu unterstützen. Den Zusammenhalt der NATO-Staaten hält er für wichtiger als die Annäherung der Bundesrepublik Deutschland an den Ostblock.
Seit 1984 ist Volker Rühe immer wieder für hohe Regierungsämter im Gespräch. Er verbleibt indes zunächst in der Fraktion, weil er eine Schlüsselstellung für die außenpolitische Balance der Fraktion hat. 1989 aber sorgt Helmut Kohl für eine Überraschung, als er ihn für die Nachfolge des CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler nominiert. Parteimanagement gehört bislang nicht zu Rühes Erfahrungsschatz, doch Kohl schätzt seine Loyalität und Direktheit. Nach anfänglichem Zögern, die Außenpolitik vorerst zurückzustellen, wird der 47-Jährige auf dem Bremer Bundesparteitag mit 704 von 746 Stimmen gewählt.
Bereits nach wenigen Monaten steht der neue Generalsekretär vor einer Jahrhundertaufgabe: Nach dem Fall der Mauer gilt es, die CDU in Ost und West zusammen zu führen. Engagiert setzt sich Rühe für die Integration von Bürgerrechtlern in die CDU und die Ausgrenzung belasteter Mitglieder der Ost-CDU ein. Weil er dabei nicht immer zimperlich vorgeht, ist er in den ostdeutschen Landesverbänden nicht besonders beliebt. 1990 schließlich organisiert Rühe den Wahlkampf für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl. Gerade jedoch bei der Wahlkampforganisation scheint Rühe keine glückliche Hand zu haben. Im Bund geht der Stimmanteil der Union leicht zurück. Ein Jahr später verliert die CDU die Wahlen in Hamburg und Rheinland-Pfalz. Vor allem jüngere Parteimitglieder werfen Rühe vor, in erster Linie Zuarbeiter des Parteivorsitzenden zu sein und die programmatische Erneuerung der Partei und strukturelle Probleme zu vernachlässigen.
Im März 1992 tritt Gerhard Stoltenberg wegen ungenehmigter Lieferungen von Leopard-Panzern an die Türkei vom Amt des Verteidigungsministers zurück. Obwohl Rühe eher daran denkt, bis 1994 Generalsekretär der CDU zu bleiben, um dann das Auswärtige Amt von der FDP zu übernehmen, nimmt er die spontane Berufung zur Nachfolge Stoltenbergs an. Auch auf der Hardthöhe steht er, der selbst nie gedient hat, vor gewaltigen Aufgaben: Die Integration der NVA in die Bundeswehr, ihre Umstrukturierung verbunden mit massivem Personalabbau sowie ihre Neuausrichtung zu einer attraktiven Bündnisarmee der NATO. Rühe scheut unbequeme Entscheidungen nicht. Noch im ersten Amtsjahr entscheidet er über die Schließung fast aller ostdeutscher Truppenübungsplätze und die Streichung von Zuwendungen zum langjährigen Jäger 90-Projekt, bewilligt den Sanitätseinsatz deutscher Soldaten in Kambodscha und eröffnet einen Brückenkopf des Verteidigungsministeriums in Berliner Bendler Block. Dem Einsatz in Kambodscha folgen Entsendungen deutscher Soldaten nach Bosnien-Herzegowina und Somalia.
Obwohl ihm die Integration der NVA ebenso glückt wie der schmerzliche Stellenabbau in Ministerium wie Truppe und er gerade aus dem Ausland Anerkennung für die Modernisierung zu einer Bündnisarmee erhält, wird mitunter heftige Kritik an Rühe geübt. Er gerät in Konflikt mit der CSU, die sich für die Interessen der Rüstungsindustrie einsetzt. Weil er sich seit 1993 öffentlich für die Ost-Erweiterung der NATO einsetzt und damit auch außenpolitisch Stellung bezieht, begleiten auch Spannungen mit dem FDP-Außenminister Kinkel seine Amtszeit. 1997 schließlich gerät sein Ministerstuhl ins Wanken. Nur zögerlich reagiert er auf eine Serie von Vorfällen mit rechtsextremem Hintergrund in der Bundeswehr. Die Opposition verlangt wegen der schleppenden Aufklärung seinen Rücktritt. So weit kommt es allerdings nicht. Zur Bundestagswahl 1998 wird Rühe gemeinsam mit Schäuble als möglicher Nachfolger Helmut Kohls gehandelt.
Das Ergebnis der Bundestagswahl ist allerdings ernüchternd. Im Zuge des Regierungswechsels muss Rühe die Hardthöhe verlassen. Er wird erneut Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Unions-Fraktion im Bundestag und wenig später auch zum Stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden gewählt. Noch 1998 beginnt sich abzuzeichnen, dass der Hamburger die amtierende Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins Heide Simonis bei der nächsten Landtagswahl im Jahr 2000 herausfordern wird, was im folgenden Jahr auch der Landesparteitag der CDU in Schleswig-Holstein bestätigt. Nachdem er sich gegen den CDU-Landesvorsitzenden Peter-Kurt Würzbach durchgesetzt hat, führt Rühe einen erfolgreichen Wahlkampf, der insbesondere auf die politische Mitte setzt. Die Hoffnung auf die absolute Mehrheit zerschlägt sich aber, als die CDU-Parteispendenaffäre aufgedeckt wird. Fragen zu Rühes Tätigkeit als CDU-Generalsekretär zwischen 1989 und 1992 dominieren nun die politische Berichterstattung in Schleswig-Holstein. Zur Wahl im Jahr 2000 ist schließlich nichts mehr zu retten, die CDU unterliegt der SPD mit 35 zu 43%. Volker Rühe gibt in der Folge auch sein Landtagsmandat zurück, um sich aus der Landespolitik Schleswig-Holsteins zurückzuziehen.
Stattdessen kehrt Rühe wieder zu seiner großen Leidenschaft, der Außenpolitik, zurück. Im Bundestag, dem er ununterbrochen angehört hat, wird er 2002 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Auch hier bleibt er mitunter unbequem. 2002 reist er ohne Wissen von Bundeskanzler Gerhard Schröder in die USA, um die auf Grund der Position der Bundesregierung zum 2. Irakkrieg erschütterten deutsch-amerikanischen Beziehungen zu stabilisieren. Auch spricht er sich schon früh für den Beitritt der Türkei zur EU aus. Als 2005 vorgezogene Bundestagswahlen anstehen, verzichtet Rühe allerdings auf eine erneute Kandidatur, weil er sich außenpolitisch isoliert sieht. Fünf Jahre nach seiner Niederlage in Schleswig-Holstein zieht sich der mittlerweile 62-Jährige auch aus der Bundespolitik zurück. Auf seine reichen Erfahrungen auf dem politischen Parkett greift er seitdem als Berater verschiedener Gesellschaften und in der Privatwirtschaft zurück.