1. November 1996

Rede anlässlich des Abendessens, gegeben vom Ministerpräsidenten von Japan, Ryutaro Hashimoto, in dessen Residenz in Tokio

 

Herr Ministerpräsident,

Exzellenzen,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

zunächst möchte ich hier meine früheren Kollegen begrüßen (Anmerkung: Ministerpräsident a.D. Nakasone, Ministerpräsident a.D. Takeshita, Ministerpräsident a.D. Hata). Ich empfinde es als eine große Ehre, daß Sie heute abend hierher gekommen sind. Wir sind eine lange Wegstrecke zusammen gegangen. Daher ist es mir eine große Freude, Sie heute abend hier zu sehen.

Herr Ministerpräsident, Sie hatten die Freundlichkeit, mich heute auf den Jahrestag meiner Amtszeit anzusprechen. Für das Erreichen einer solch langen Regierungszeit kann ich Ihnen keinen Rat geben, kein Geheimnis verraten. Ich kann nur sagen, was helfen könnte: sich nicht von den Aufgeregtheiten aktueller Debatten beeindrucken lassen und auf den Rat guter Freunde hören, nicht die Lebensfreude verlieren und nicht den Mut sinken lassen, wenn andere den nahen Sturz prophezeien.

Herr Ministerpräsident, ich gratuliere Ihnen zu Ihrem beeindruckenden Wahlergebnis. Ich denke, daß Sie jetzt eine große Zeit vor sich haben. Ich wünsche Ihnen und dem japanischen Volk viel Glück und Erfolg auf diesem Weg. Ich möchte Ihnen, Herr Ministerpräsident, auch herzlich für die Gastfreundschaft und den freundschaftlichen Empfang danken, den Sie mir und meiner Delegation bereitet haben.

Japan genießt in Deutschland große Sympathie, viel Respekt und vor allem ein ganz ungewöhnliches Interesse. Dies nicht zuletzt deswegen, weil Ihr Land eine alte große Kultur verkörpert, die uns Deutsche immer wieder anzieht. Unsere Länder verbindet eine altbewährte Freundschaft, die wir in den letzten Jahrzehnten ausgebaut haben.

Herr Ministerpräsident, lieber Freund, ich möchte als Ergebnis unserer heutigen Gespräche festhalten: Es ist jetzt an der Zeit, daß wir unseren Beziehungen einen qualitativen Schub geben und daß wir in einer dramatischen Veränderung in der Welt nicht nur auf die Gefahren starren, sondern auf die Chancen achten.

Zu den deutsch-japanischen Beziehungen gibt es viel Gutes zu sagen. Sie sind vielfältig, sie sind freundschaftlich, sie sind problemfrei. Bei meinem letzten Besuch 1993 habe ich mich, Herr Ministerpräsident, mit Ihrem Vorgänger auf die Gründung des Deutsch-Japanischen Kooperationsrates für Hochtechnologie und Umwelttechnik verständigt. Dieses Gremium hat gute Arbeit geleistet. Es wird ernsthaft über konkrete Technologieprojekte diskutiert.

Ferner haben wir heute vereinbart, daß wir uns jährlich treffen wollen. Wir haben bereits einen Termin in Aussicht genommen. Wir werden uns im Juni 1997 aus Anlaß des G7-Gipfels in den USA treffen. Bei dieser Gelegenheit wollen wir uns einen Tag Zeit nehmen und etwas tun, was die Unternehmer hier besonders freut: Wir wollen eine Erfolgskontrolle durchführen, das heißt bewerten, was aus dem geworden ist, was wir heute verabredet haben.

In erster Linie geht es uns um möglichst viele Kontakte, insbesondere um Kontakte zwischen der deutschen und der japanischen Wissenschaft, zwischen deutschen und japanischen Firmen. Es geht uns darum, mehr junge Leute zueinander zu bringen, den Studenten- und Jugendaustausch zu fördern, um die Kultur und Denkweise des jeweils anderen Volkes besser kennenzulernen. Eines ist sicher - und das ist auch eine der Erfahrungen unserer Zeit: Wirtschaftliche Beziehungen, die nicht eng verbunden sind mit dem Austausch kultureller Erfahrungen, werden auf Dauer nicht erfolgreich sein.

Weder Japan noch Deutschland können beiseite stehen bei der Lösung der großen internationalen Herausforderungen. Wenn es um den Frieden und die Aussöhnung mit der Schöpfung geht, wenn es darum geht, Menschen in ärmeren Ländern zu helfen, die sich selbst nicht helfen können, dann haben wir eine gemeinsame Verantwortung.

Eine weitere neue Chance eröffnet sich: die Chance der Zusammenschlüsse der Regionen, wichtiger Regionen in der Welt. In Ihrer Region sind das die Zusammenschlüsse von APEC und ASEAN, sowie der Dialog zwischen den EU-Staaten und Asien, zu dem wir uns vor ein paar Monaten in Bangkok getroffen haben. Bei uns in Europa ist es der Bau des Hauses Europa; daneben gibt es neue Entwicklungen in Lateinamerika und Nordamerika, wenn Sie an MERCOSUR und an NAFTA denken.

Meine Botschaft heute abend ist auch: Sie sollen wissen, daß wir das Haus Europa bauen. Die Wirtschafts- und Währungsunion wird vollendet. Wir werden im Juni nächsten Jahres den Vertrag über die zweite Regierungskonferenz abschließen. Was immer Sie lesen und hören: Der Euro wird kommen, auch wenn professionelle Besserwisser jeden Tag Neues prophezeien. Jetzt werden die Hausaufgaben gemacht, und im Frühjahr 1998 die Noten verteilt. Es ist wie in der Schule: Mit dem Zwischenzeugnis wird man nicht immer versetzt. Es kommt auf das Schlußzeugnis an. Wir müssen dafür auch in Deutschland noch viel tun, aber gehen Sie davon aus, daß wir es tun werden.

Für Sie ist wichtig, daß Sie sich darauf verlassen können. Ich hatte heute die ungewöhnliche Ehre, in Ihrer Börse zu sein. In einer der größten Projekte der modernen deutschen Wirtschaftsgeschichte wird die Aktie der Telekom in wenigen Tagen auch hier in Tokio an der Börse plaziert.

Am Beispiel der Plazierung der Telekom-Aktie hier in Japan, am Beispiel der vielen Absprachen, die wir gemeinsam getroffen haben, zeigt sich, daß wir wissen, daß in wenigen Jahren das 21. Jahrhundert beginnt. Wir müssen jetzt gemeinsam die Zukunft gestalten. Wir wollen das gemeinsam mit unseren japanischen Freunden tun. Gemeinsam heißt auch, daß wir für einen freien, offenen Welthandel eintreten. Wir beide, Japan und Deutschland, leben vom freien Welthandel als Exportnationen.

Daher ist es auch wichtig, daß wir in unseren Ländern gegenseitig für mehr Verständnis werben. So danke ich Ihnen, daß Sie sich bei der "EXPO 2000" in Hannover voll engagieren. Sie bewerben sich für die Weltausstellung 2005. Wir wollen Sie gerne dabei unterstützen.

Ehrlicherweise müssen wir auch feststellen, daß wir in vielen Feldern Konkurrenten sind. Das ist kein Gegensatz zu unserer Freundschaft, die in vielen langen Jahren gewachsen ist und sich auch in schwierigen Zeiten bewährt hat. Ich denke voller Dankbarkeit an die Sympathie, die wir in Japan beim Prozeß der deutschen Einheit erfahren haben. Das werden wir nie vergessen.

Herr Ministerpräsident, lassen Sie uns aufbrechen zu neuen gemeinsamen Taten! Darauf möchte ich mit Ihnen anstoßen. Ich möchte anstoßen auf unseren gemeinsamen Weg in der Geschichte und darauf, daß wir daraus die Kraft für eine gemeinsame große Zukunft schöpfen. Ich erhebe mein Glas und darf die Anwesenden bitten, das gleiche zu tun. Auf Ihr Wohl, Herr Ministerpräsident, auf eine glückliche und friedvolle Zukunft des japanischen Volkes und auf die gute Zukunft der deutsch-japanischen Beziehungen!

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 95. 25. November 1996.