Magnifizenz,
sehr geehrter Herr Professor Landfried,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
übermorgen, am 3. Oktober, feiern wir den Jahrestag der Wiedervereinigung Deutschlands vor sieben Jahren. Ich freue mich deshalb ganz besonders, heute anläßlich der "Tage der Forschung" zu Ihnen sprechen zu können. Ohne die Ereignisse, die zum 3. Oktober 1990 führten, ohne den Mut der vielen Männer und Frauen, die sich gegen die SED-Diktatur auflehnten und ohne den festen Willen der Deutschen zur Einheit in Freiheit könnten wir jetzt nicht hier in Jena beisammen sein.
Sieben Jahre Deutsche Einheit - das ist ein Grund zu großer Freude und Dankbarkeit. So wird es auch bleiben. Bei allen Schwierigkeiten, die die Ausgestaltung der inneren Einheit mit sich bringt, bei aller Mühsal, die mit der Überwindung der SED-Hinterlassenschaften notwendigerweise verbunden ist, sollten wir doch niemals aus den Augen verlieren, daß die Wiedergewinnung der Deutschen Einheit vor allem ein kostbares Geschenk der Geschichte ist. Dieses Geschenk bedeutet gemeinsame Freiheit für die Deutschen in Ost und West, gemeinsame Zukunft für die heutigen und die kommenden Generationen.
Die Kinder, die mit Beginn des neuen Schuljahres eingeschult wurden, sind bereits im vereinten Deutschland geboren. Sie werden sich kaum noch vorstellen können, daß Deutschland einmal geteilt war. Sie werden auch vieles von dem gar nicht verstehen, was die Menschen zum Teil heute noch als trennend empfinden. Für diese Kinder wird es eine Selbstverständlichkeit sein, daß die Deutschen eine Gemeinschaft bilden, in der sie ihre Zukunft gestalten.
Das Beispiel dieser Kinder macht deutlich, worauf es jetzt ankommt. Wir dienen ihnen nicht mit Zaudern und Wehklagen, auch nicht mit dem Beschwören von Unterschieden, Ressentiments oder Neidgefühlen. Gefordert ist vielmehr, daß die Deutschen in Ost und West die gemeinsamen Herausforderungen zusammen meistern.
Wir sind auf diesem Weg weiter als vielen bewußt ist. Bei der Hochwasserkatastrophe an der Oder hat sich eindrucksvoll gezeigt, daß die Deutschen zusammenhalten, wenn es nötig ist. Mein Dank gilt allen, die den Menschen in ihrer Notsituation durch Spenden oder durch tatkräftigen Einsatz geholfen haben. Ganz besonders danke ich den Soldaten unserer Bundeswehr. Wir können stolz auf sie sein.
Ich bin überzeugt: In diesem Geist werden wir alle Probleme lösen können. So wie im Oderbruch brauchen wir in vielen Fragen eine gemeinschaftliche Kraftanstrengung. Wir haben es in der Hand, wenn wir nur wollen. Daß wir es können, daran zweifelt niemand. Das gilt für die Veränderungen, die wir durchsetzen müssen, um unser Land gut auf das 21. Jahrhundert vorzubereiten. Es gilt ebenso für weitere Fortschritte beim Aufbau Ost.
Es ist unübersehbar, daß der Strukturwandel und der Aufbau in den neuen Ländern zügig vorankommen. Dies ist eine große Leistung der Menschen, die in Ost und West zum Aufbauwerk beitragen. Dabei schafft der Kapitaltransfer von West nach Ost - der völlig einzigartig in der Welt ist - die notwendige materielle Grundlage. Das entscheidende Verdienst aber gebührt den Menschen hier in den neuen Ländern. Ihre harte Arbeit, ihre Einsatzbereitschaft, nicht zuletzt ihre Fähigkeit, sich auf völlig veränderte Bedingungen einzustellen, machen die Erfolge beim Aufbau Ost möglich. Dafür gebührt ihnen alle Anerkennung.
Die Entwicklung in Jena ist ein gutes Beispiel dafür, was in diesen Jahren hier in den neuen Ländern - auch und gerade auf dem Gebiet von Wissenschaft und Forschung - erreicht worden ist. Die Anziehungskraft dieser traditionsreichen Universitätsstadt "im grünen Herzen Deutschlands" erwächst aus der gelungenen Verbindung von Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur. Die Vision von der High-Tech-Region Jena nimmt immer deutlichere Konturen an. Neben der Großindustrie haben sich bereits über 100 Betriebe des Hochtechnologiesektors angesiedelt. Der Sonderpreis, den die Region Jena beim BioRegio-Wettbewerb im vergangenen Jahr erhalten hat, ist Ausweis der vorbildlichen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in diesem Teil unseres Landes.
Das Beispiel Jena steht für viele andere: Was im vereinten Deutschland von ostdeutschen Forschern und Entwicklern geleistet wird, kann sich auch im internationalen Maßstab sehen lassen. Technologietage, Forschungsmessen, die "Tage der Forschung" und auch die heutige Ausstellung hier in der Universität sind eine eindrucksvolle Demonstration der Vitalität und der Leistungsfähigkeit ostdeutscher Forschung und Entwicklung. Sie vermitteln uns zugleich eine ganz entscheidende Botschaft: Ohne leistungsfähige Forschung würde unser Gemeinwesen keine Zukunft haben. Ohne wissenschaftlichen Fortschritt sind die wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und politischen Grundlagen für ein gutes Gedeihen unserer Gesellschaft nicht zu sichern. Forschung ist Ausdruck einer prinzipiellen Offenheit des Denkens und Erkennens. Sie weist neue Wege, eröffnet neue Handlungsmöglichkeiten. Sie schafft Voraussetzungen für Veränderungen, auf die wir Deutsche gerade jetzt, an der Schwelle zu einem neuen Jahrhundert, so dringend angewiesen sind.
Der Reichtum eines rohstoffarmen Landes wie Deutschland liegt in seinen Menschen - in ihrem Fleiß, ihrer Leistungskraft, ihrer Kreativität. Diese Kreativität - und damit die Fähigkeit zur Innovation - ist ein entscheidender Schlüssel zur Zukunft. So werden wir nur mit beständiger Innovation und nur mit den modernsten Produkten auch künftig auf den Weltmärkten bestehen können. Innovation ist die Antriebskraft, die es uns ermöglicht, im verschärften internationalen Wettbewerb auch weiterhin in der Spitzengruppe dabei zu sein. Das zeigt sich schon jetzt ganz deutlich: Die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft wären ohne Spitzenleistungen in Zukunftstechnologien - wie beispielsweise bei neuen Materialien, der Robotik, der Fertigungstechnik, der Lasertechnik oder der Integration von Informationstechnik in traditionelle Produktfelder - nicht denkbar. Der bemerkenswerte Aufschwung in der Automobilbranche ist ganz wesentlich das Ergebnis von Innovationserfolgen. Im Osten wie im Westen unseres Landes gilt: Die Chancen auf neue Arbeitsplätze, die Sicherung von Wohlstand und sozialer Stabilität verbinden sich ganz maßgeblich mit Höchstleistungen bei Innovationen.
Das Ziel der Bundesregierung ist es, den Standort Deutschland attraktiv für Zukunftstechnologien zu gestalten. Auf diesem Weg haben wir bereits große Erfolge erreicht. Im Informations- und Kommunikationssektor wurden die Grundlagen für mehr Wettbewerb und Innovation geschaffen. Deutschland ist der inzwischen bedeutendste Medien- und Kommunikationsmarkt in Europa. Wirtschaftsforscher schätzen das Beschäftigungspotential in Deutschland bis zum Jahr 2010 auf über eine Million neuer Arbeitsplätze. Jetzt streite ich nicht über die eine Million. Wenn es 500000 wären, meine Damen und Herren, wäre auch dies eine höchst erfreuliche Zahl. Mit dem Multimedia-Gesetz, das am 1. August 1997 in Kraft getreten ist, hat die Bundesregierung die Weichen gestellt, daß dieses Potential ausgeschöpft werden kann.
Wir dürfen nicht zulassen, daß Chancen an ideologischen Barrieren scheitern. Ich denke hier zum Beispiel an den Transrapid. Die Entwicklung des Transrapids zeugt von dem Pioniergeist, der in Menschen und Unternehmen steckt. Dank ihres Einsatzes sind wir heute führend in der Magnetschwebebahntechnik. Der weltweit erste Bau einer Strecke in unserem Land wird eine technische Meisterleistung sein, die dem Technologiestandort Deutschland eine erfolgreiche Zukunft weist.
Es ist das klare Ziel der Bundesregierung, weitere zukunftsweisende Innovationen in Wissenschaft und Wirtschaft anzustoßen. Dafür wirkt - mit großer Entschiedenheit und Energie - Kollege Rüttgers. Aber ich weiß auch: Max Webers Wort "vom Bohren der dicken Bretter" gilt gerade auch in diesem Bereich. Wenn man drei Bretter gebohrt hat und denkt, man sei durch, werden plötzlich noch einmal vier weitere aufgelegt.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Biotechnologie. Seit 1993 hat die Bundesregierung konsequent das Gentechnikrecht entrümpelt. Ich brauche Ihnen hier in dieser kundigen Runde nicht zu schildern, mit welchen Einwänden wir es zu tun hatten. Heute sind die Bedingungen für Biotechnologie am Standort Deutschland so gut wie nie zuvor. In der biotechnologischen Forschung steht Deutschland in Europa und weltweit mit an der Spitze. Jetzt zieht auch die Wirtschaft mit. Deutsche Unternehmen, die noch vor wenigen Jahren ihre Forschung und Produktion ins Ausland verlagerten, investieren wieder in Deutschland. Ausländische Unternehmen - zum Beispiel aus den USA - verstärken ihre Aktivitäten in Deutschland.
Die Zahl der BioTech-Unternehmen hat sich von 75 im Jahr 1995 auf rund 150 im Jahr 1996 verdoppelt. In den 17 Regionen des BioRegio-Wettbewerbs sind 93 biotechnologische Neugründungen allein bis Mitte 1997 zu verzeichnen, weitere 52 Neugründungen sind konkret geplant. Das heißt: Wir können davon ausgehen, daß sich die Zahl der Biotechnologie-Unternehmen in Deutschland in Kürze wieder verdoppeln wird, auf dann 300. Mit BioRegio haben wir neue Wege beschritten. Besonders erfreulich ist: Unternehmen, Wissenschaftler, Banken und Behörden ziehen dabei an einem Strang. Die Bedeutung des Wettbewerbs BioRegio geht damit weit über die Biotechnologie hinaus. Er zeigt, wie wir durch gemeinsames und zielgerichtetes Handeln Kräfte und Kreativität für den Standort Deutschland freisetzen können.
Um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern, müssen wir vor allem die Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen stärken. Ich habe großen Respekt vor dem, was unsere Hochschulen in den letzten Jahrzehnten geleistet haben. Die Zahl der Hochschulabsolventen hat sich seit 1965 verdreifacht. 1997 werden voraussichtlich mehr als 230000 Hochschulprüfungen abgelegt. Ich weiß, wieviel zusätzliche Arbeit, welche außergewöhnlichen Anstrengungen sich hinter diesen Zahlen verbergen. Dafür will ich unseren Hochschullehrern meinen Dank sagen. Anerkennung verdienen auch die Studenten. Die allermeisten von ihnen zeigen ein Maß an Engagement, Leistungsbereitschaft und Zielstrebigkeit, wie wir es uns nur wünschen können. Diese jungen Menschen stehen für eine moderne, aufgeschlossene Generation, die mit "No-future"-Denken nichts im Sinn hat, sondern die beherzt Ja sagt zur Zukunft.
Dennoch stehen wir an den Hochschulen vor Problemen, die wir dringend lösen müssen. Die Studienzeiten bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluß sind viel zu lang. Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, daß unsere jungen Hochschulabsolventen im Durchschnitt erst mit knapp 28 Jahren ins Berufsleben eintreten. Sie haben dann einen erheblichen Nachteil zum Beispiel gegenüber Mitbewerbern aus dem europäischen Ausland, die schon früher auf den Arbeitsmarkt kommen. Im Interesse unserer jungen Akademiker: Das kann nicht so bleiben. Auch die Quote der Studienabbrecher ist mit mehr als 25 Prozent indiskutabel hoch.
Weiterhin können wir nicht darüber hinwegsehen, daß die internationale Attraktivität des Studienstandortes Deutschland in Gefahr ist. Es muß uns mit Sorge erfüllen, daß sich nur zwei Prozent der im Ausland studierenden Japaner und 4,6 Prozent der Studenten aus Singapur, Südkorea und Hongkong für eine deutsche Hochschule entscheiden. Zum Vergleich: Jeder zweite Auslandsstudent aus diesen ostasiatischen Ländern studiert in den USA. Es ist nicht akzeptabel, daß an meiner Heimatuniversität Heidelberg die Zahl der amerikanischen Studenten in den 50er Jahren viel höher als heute war. Das hat viele Gründe, aber im Moment habe ich den Eindruck, daß wir die Hindernisse einfach nur zur Kenntnis nehmen anstatt sie zu beseitigen.
Es ist zwingend, daß wir jetzt zu Reformen im Hochschulbereich kommen. Wir brauchen vor allem mehr Leistungsorientierung und mehr Wettbewerb an unseren Hochschulen. Dies setzt mehr Spielräume für Eigenverantwortung voraus. Auch deutsche Hochschulen müssen unter Bedingungen arbeiten können, die Kreativität und Spitzenleistungen bestmöglichst fördern. Nur so gewährleisten wir ihre Attraktivität auch im internationalen Vergleich. Schließlich müssen wir auch dafür Sorge tragen, daß deutsche Bildungsabschlüsse weltweit kompatibel sind.
In diesen Tagen ist ein kleines Wunder geschehen: Zwischen Bund und Ländern ist eine Einigung über die Hochschulreform erzielt worden. Die Bildungspolitik hat damit über Partei- und Ländergrenzen hinweg ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Ich kann nur allen danken, die daran mitgewirkt haben. Wenn ich an andere Bereiche denke, dann weiß ich das um so höher zu bewerten.
Neue Orientierungen und strukturelle Änderungen sind auch in der außeruniversitären Forschung nötig, damit Deutschland langfristig konkurrenzfähig bleibt. Wir haben hervorragende Forscher, exzellente Teams und traditionsreiche Forschungseinrichtungen. Unsere Forschung kann sich mit ihren Ergebnissen international sehen lassen. Aber wir müssen uns fragen, wo wir noch besser werden können. Die Bundesregierung hat daher im Sommer 1996 "Leitlinien zur strategischen Orientierung der deutschen Forschungslandschaft" beschlossen, die jetzt in Zusammenarbeit mit den Ländern umgesetzt werden. Ich plädiere leidenschaftlich dafür, daß wir den Begriff "strategische Orientierung der deutschen Forschungslandschaft" mit Leben erfüllen. Durch mehr Eigenverantwortung und Wettbewerb untereinander, durch flexiblere Regelungen der Haushaltsführung und durch Abbau von Bürokratie sollen die Forschungseinrichtungen den Anforderungen des globalen Wettbewerbs besser gerecht werden können.
Meine Damen und Herren, um den Standort Deutschland fit zu machen für das 21. Jahrhundert, müssen wir manche eingefahrenen Gleise verlassen, auch manche althergebrachten Berührungsängste abbauen. Dazu gehört, daß Wissenschaft und Wirtschaft noch enger als bisher zusammenarbeiten. Von dem mit hohem Aufwand produzierten Wissen liegt zuviel in den Schubladen oder steht in Fachzeitschriften für einen engen Kollegenkreis. Die Wissensproduktion ist groß, aber der Anteil des Wissens, mit dem auch produziert wird, ist nach wie vor gering.
Das ist nicht nur eine bisher ungelöste Aufgabe der Wissenschaft, sondern gleichermaßen der Wirtschaft. Wir brauchen vor allem eine bessere und schnellere Umsetzung von Forschungsergebnissen in Markterfolge und damit Arbeitsplätze. In Deutschland ist der Weg von der Erfindung zum Produkt nach wie vor viel zu lang und beschwerlich. Innovationen werden einen größeren Erfolg haben, wenn die potentiellen Anwender Forschung und Entwicklung mitgestalten können. Je früher ein enger Kontakt zwischen Forschern und späteren Nutzern der Forschungsergebnisse entsteht, um so besser sind die Chancen für die Umsetzung. Dies bedeutet nicht, daß die Grundlagenforschung zugunsten der anwendungsorientierten Forschung abgebaut werden soll. Ebensowenig sollen Wissenschaftler mit ihren Ergebnissen wie Unternehmen am Markt agieren. Und es bedeutet auch nicht, den Stellenwert von Forschung allein an der Zahl der Patentanmeldungen zu messen.
Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen aber sollten - wenn möglich und sinnvoll - die Chancen einer kommerziellen Nutzung ihrer Forschungsergebnisse bedenken und ergreifen. Die Bundesregierung leistet auch dazu ihren Beitrag, beispielsweise mit den sogenannten Leitprojekten als einem neuen Element staatlicher Forschungsförderung. In Leitprojekten werden klar umrissene Innovationsziele angestrebt. Die Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten gemeinsam an der Lösung der Forschungs- und Entwicklungsaufgaben und der Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis. Die erste Ausschreibung Anfang dieses Jahres war ein großer Erfolg. Die 750 eingereichten Vorschläge haben bewiesen, daß bei uns viele innovative Ideen vorhanden sind. Dieses Potential gilt es zu nutzen!
Meine Damen und Herren, Forschung und Entwicklung sind gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen mit hohen technischen und wirtschaftlichen Risiken verbunden. Das gilt insbesondere für die neuen Länder. Veranstaltungen wie diese sind auch eine gute öffentliche Demonstration dessen, was hier an Fördergeld vernünftig angelegt wurde. Die vier Milliarden D-Mark, mit denen die Bundesregierung die Industrieforschung in den neuen Ländern von 1991 bis 1996 unterstützt hat, sind Investitionen in die Zukunft. Die geförderten Unternehmen tragen in starkem Maße die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern. Sie haben zum Teil zweistellige Zuwachsraten im Umsatz, eine erfreuliche Beschäftigungsentwicklung und eine geringe Insolvenzanfälligkeit. Trotz dieser positiven Entwicklung ist die Situation der ostdeutschen Industrieforschung noch immer kritisch. Deshalb wird der Bund die Förderung mittelfristig auf hohem Niveau weiterführen.
Bei all dem, was an Hilfestellung geleistet wurde und weiterhin geleistet werden muß, gilt: Geld allein löst Probleme nicht. Vor jeder Förderung steht die Idee von innovativen Produkten und Dienstleistungen. Staatliche Förderung kann deshalb immer nur eine begrenzte Hilfe zur Selbsthilfe sein, sie kann weder unternehmerisches Engagement noch Innovationsfähigkeit ersetzen. Man kann es nicht oft genug betonen: Es kommt auf die Menschen, ihren Mut und ihre Leistungsbereitschaft an. Besonders gefragt sind junge Frauen und Männer, die sich etwas zutrauen und Ja sagen zur Selbständigkeit. Sie sind es, die in unserer Gesellschaft vor allem für Innovation, Dynamik und Arbeitsplätze sorgen. Wir brauchen eine neue Kultur der Selbständigkeit. Daher müssen wir in unserer Gesellschaft ein Klima schaffen, das junge Menschen ermutigt, sich eine eigene Existenz aufzubauen.
Meine Damen und Herren, wer Herausragendes leisten kann und will, muß die Chance erhalten, seine Fähigkeiten zu entfalten und einzusetzen. Das heißt auch: Wir brauchen in Deutschland mehr denn je ein klares Ja zu Eliten. Damit meine ich Leistungseliten - Frauen und Männer, die über das gewöhnliche Maß hinaus Verantwortung übernehmen und Überdurchschnittliches leisten. Das gilt für alle Bereiche unserer Gesellschaft - ganz besonders für Wissenschaft und Forschung.
Wir können es uns nicht leisten, herausragende Begabungen zu vergeuden. Auf dem Gebiet menschlicher Intelligenz und Kreativität haben wir nichts zu verschenken. Die Fähigkeit, scheinbare Grenzen des Wissens zu überschreiten, sie neu zu stecken in bisher unbekanntem Gebiet, ist nur wenigen gegeben. Wenn auch Forschung mehr und mehr auf Großgeräte, auf internationale Kooperation und auf Teamgeist angewiesen ist, so ist es letztlich doch der einzelne Forscher, der mit seiner Begabung, seinem Spürsinn und seiner Begeisterung neue Wege sucht. Diese Menschen zählen zu den wichtigsten Leistungsträgern unserer Gesellschaft. Wir müssen sie fördern und fordern. Sie verdienen unsere Anerkennung und unseren Respekt.
Gedeihen kann Forschung nur in einem Klima der Offenheit für neue Entwicklungen. Forschung braucht ein aufgeschlossenes Umfeld, braucht Freiraum und Vertrauen. Hier hat sich in unserem Land vieles zum Positiven verändert - gerade junge Menschen setzen heute ganz selbstverständlich auf die Anwendung moderner Technologien. Darüber können wir sehr froh sein, denn zu den größten Zukunftsrisiken für unser Land gehören Fortschrittsfeindlichkeit und Technologieverteufelung. Solche Einstellungen würden unsere Industrienation auf dem schnellsten Weg in den Niedergang führen.
Deshalb ist es für uns alle, für Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Medien eine ständige Aufgabe, mit den Menschen in Deutschland darüber zu sprechen, welch unverzichtbare Beiträge Wissenschaft, Forschung und Technologie leisten, um die Zukunft jedes einzelnen Bürgers zu sichern sowie eine lebenswerte Umwelt zu bewahren. In der Diskussion um Forschung und Innovation sind gerade auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefordert, die Zukunftsaufgaben beim Namen zu nennen. Dazu gehört auch, ethische Fragen offen zu diskutieren und Risiken aufzuzeigen. Es ist wichtig, daß die Menschen wissen: Bei unserem Bekenntnis zu wissenschaftlichem Fortschritt und technologischer Innovation gehen wir immer von einer Forschung in Verantwortung für den Menschen aus. Auch für die Forschung gilt, daß Freiheit und Verantwortung nie voneinander getrennt werden dürfen. Nicht alles, was wissenschaftlich machbar ist, ist ethisch zu verantworten.
Die Freiheit der Forschung verpflichtet zu einem verantwortlichen Umgang mit ihren Ergebnissen - im Bewußtsein der Tatsache, daß nicht die Technologie, sondern der Mensch das Maß der Dinge ist. Wissenschaftler - das kann man gar nicht oft genug betonen - müssen die Öffentlichkeit suchen, um breite Schichten der Bevölkerung über diesen Zusammenhang zu informieren und dabei auch für ihre Arbeit zu interessieren. Wir alle müssen das Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit dafür schärfen, daß Deutschland ein Land der Forschung und der Erfindungen ist, wir haben allen Grund, stolz darauf zu sein. Dazu leisten die "Tage der Forschung" einen wesentlichen Beitrag. Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen stellen sich der Öffentlichkeit. Wissenschaftler, Forscher und Ingenieure werben um Vertrauen in ihre Arbeit. Allen, die zum Gelingen dieser "Tage der Forschung" beigetragen haben, sage ich ein herzliches Wort des Dankes. Ich wünsche den "Tagen der Forschung" weiterhin einen guten Verlauf und allen Beteiligten viel Erfolg.
Meine Damen und Herren, die dramatischen Veränderungen in der Welt stellen uns vor große Herausforderungen, die wir nur im Miteinander mit unseren Freunden und Partnern meistern können. Dabei kommt es ganz besonders auf die europäische Zusammenarbeit an. Das europäische Einigungswerk ist eine Schicksalsfrage für eine gute Zukunft unseres Kontinents. Ein einiges Europa ist kein Luxus, sondern eine existentielle Notwendigkeit. Dabei ist die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion ein ganz entscheidender Schritt. Sie ist nicht nur von höchster wirtschafts- und währungspolitischer Bedeutung, sie ist zugleich ein Meilenstein auf dem Weg zur Politischen Union. Im Gegensatz zu all dem, was Sie jetzt hören und lesen: Gehen Sie davon aus, daß der Euro kommt. Die Deutschen werden dabei sein.
Wir bauen jetzt das Haus Europa - ein Haus, groß genug, damit alle Völker Europas, die dies wollen, eine angemessene Wohnung darin finden. Ein Haus, in dem es auch eine Wohnung für unsere amerikanischen Freunde gibt. Es ist ein Haus mit einer klaren und unmißverständlichen Hausordnung, an die sich jeder zu halten hat. Sie besagt im Kern - und das ist ein Novum in der europäischen Geschichte -, daß wir unsere Streitigkeiten zivilisiert austragen. Ich zitiere gerne und aus gutem Grund die letzte Rede von François Mitterrand vor dem Europäischen Parlament. Es war wenige Tage vor dem Ausscheiden aus dem Amt des Präsidenten der Französischen Republik und wenige Monate vor seinem Tod, als er den Abgeordneten zurief: "Der Nationalismus, das ist Krieg."
Unser Ziel ist ein vereintes, demokratisches und bürgernahes Europa, in dem die Menschen ihre Identität bewahren - als Deutsche, Franzosen oder Italiener - und gleichzeitig Europäer sind. Heimat, Vaterland, Europa - das ist der Dreiklang der Zukunft. Lebens- und liebenswert wird Europa durch den Reichtum seiner Kultur, die unterschiedliche Prägung seiner Regionen, die Vielfalt seiner geistigen und geschichtlichen Tradition. Daran wollen wir auch in Zukunft festhalten, denn aus dieser Vielfalt gewinnt Europa Kraft und Kreativität. Auch in der Wissenschaft wollen wir auf europäischer Ebene die Vielfalt der Traditionen, Kenntnisse und Begabungen immer mehr in gemeinsamen Anstrengungen bündeln.
Meine Damen und Herren, das Jahr 2000 steht bevor - und damit der Übergang in das 21. Jahrhundert. Ich sprach von den Kindern, die mit Beginn des neuen Schuljahres eingeschult wurden. Ich wünsche uns allen, daß diese Generation in einigen Jahren im Rückblick auf die Zeit der Jahrtausendwende über uns sagen kann: Das waren Leute, die ihre Probleme, ihre Sorgen hatten. Aber sie waren nicht verzagt. Sie waren einsichtig, mutig und klug. Sie haben sicherlich auch Fehler gemacht. Aber sie haben es gewagt, sie haben angepackt. Genau das ist unsere Pflicht: Etwas zu wagen in dieser Zeit. Dazu möchte ich uns alle einladen!
Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 85. 29. Oktober 1997.