12. Dezember 1983

Berlin als Symbol der Freiheit

Rede vor der Berliner Pressekonferenz

 

Gibt es einen Ort auf dieser Welt, der uns wie Berlin an die Freiheit erinnert? Es war Ihr Gast Claude Cheysson, der diese Frage vor einem Jahr beim gleichen Anlaß stellte.

Und der französische Außenminister gab dann seine ganz persönliche Antwort: Wir sind in Berlin - nun denn, sprechen wir von Freiheit!

Dies bleibt eine ungewöhnliche und bewegende Huldigung an unsere alte Hauptstadt. Eine Stadt, die wie keine andere hat erfahren müssen, was Gewalt als Mittel staatlicher Politik im Innern wie nach außen bewirkt. Geteilt und geographisch isoliert hat sie an deren bitteren Folgen noch heute schwer zu tragen.

Berlin hat Gewaltherrschaft, Krieg und Zerstörung überlebt und im westlichen Teil seine Freiheit wiedergewonnen; und es hat sie dann gegen Druck und in Bedrängnis beharrlich verteidigt.

Die Völker der Welt schauen immer wieder auf diese Stadt und begreifen sie als Symbol der Freiheit und als Zeichen für aufrichtige Friedenserwartung. Berlin kann nicht eine Stadt wie jede andere sein. Vor den Augen der Welt hat diese Metropole eine Aufgabe für die Sache der Freiheit zu erfüllen: An ihr muß sie wachsen und damit Hoffnung für viele stiften.

Diese Freiheit, um die es uns geht, das ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit in Achtung und Verantwortung auch für den Nächsten. Sie bedeutet geistige Unabhängigkeit, Meinungsvielfalt und politische Selbstbestimmung nach der Entscheidung demokratisch legitimierter Mehrheiten. Sie bedeutet aber auch praktische Toleranz: Berlin war stets eine weltoffene Stadt und aufgeschlossen für Minderheiten.

Hier ist urwüchsige Kreativität und Originalität nie verdächtig gewesen. Freude am Entdecken und Erfinden, am Erforschen und Entwickeln, am künstlerischen Schaffen und seinem vielfältigen Ausdruck hat Berlin die Qualitäten verliehen, die seine Ausstrahlungs- und Anziehungskraft begründen: Die Intensität des Geisteslebens, die Leistungskraft von Wissenschaft und Technik und die Vitalität kultureller Ausdrucksstärke.

Zum guten Ruf der Stadt haben auch entscheidend beigetragen der Unternehmungsgeist in Handel, Handwerk und Industrie, Tüchtigkeit und Fleiß der Arbeitnehmer und ganz gewiß auch das menschliche Miteinander im Bezirks- und Nachbarschaftsleben.

Dies alles wäre ohne freiheitliches Denken, ohne Wettbewerb von Talenten, Ideen und Werken nicht möglich gewesen - und auch nicht ohne offene Leistungseliten.

Nicht nur wegen seines Behauptungswillens in exponierter Lage, sondern gerade auch auf Grund seiner Geschichte und seiner Tradition, seines Lebensgefühls und Selbstverständnisses verdient es Berlin, Stadt der Freiheit genannt zu werden: Es ist eine friedliche Stadt, die mit ihrer Freiheit für die Freiheit und für sich selbst wirbt.

Diese Freiheit ist es wert, verteidigt zu werden. Der westliche Teil Berlins hat sie seit 1945 zu bewahren vermocht - dank dem ungebrochenen Lebensmut und standhaften Freiheitswillen seiner Menschen, dank dem entschlossenen Schutz durch die Drei Mächte und dank der entschiedenen Unterstützung durch alle Bundesregierungen.

Frankreich, Großbritannien und die USA wirken in Berlin aus eigenem Recht. Ihre Präsenz in Berlin erhalten die Drei Mächte vor allem deshalb aufrecht, weil sie unsere Partner sind in der atlantischen Wertegemeinschaft für die - wie es in der Präambel des NATO-Vertrags heißt - Grundsätze der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts. Die Garantie für Berlin ist Symbol unserer Allianz für die Freiheit.

Die Amerikaner sind stolz auf ihre Rolle bei der Erhaltung der Freiheit Berlins, sagte hier vor zwei Jahren Alexander Haig als Außenminister unseres Hauptverbündeten. Er fand damals noble Worte für diejenigen, die über sein Land nicht so gut dächten, wie er es sich wünsche, und bekräftigte die amerikanische Garantie für die Freiheit Berlins mit den Worten:

Selbst wenn wir nicht damit übereinstimmen, was sie sagen, sind wir bereit, bis zum Tod ihr Recht zu verteidigen, es zu sagen.

Wir sollten das nie vergessen, wenn wir über unsere transatlantischen Beziehungen nachdenken. Berlin bleibt Brennpunkt der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Hier hat sie sich besonders bewährt und wird sich weiter bewähren müssen. Unser Verhältnis zu den Drei Mächten ist von existentieller Bedeutung gerade auch für Berlin.

Wer einer Erosion unseres Zusammenhalts mit den Westalliierten Vorschub leistet, wer auf Distanz geht, ganz besonders zu den USA, der handelt verantwortungslos gegenüber den Menschen in Berlin.

Unser Standort, der Standort der Deutschen im freien Teil unseres Vaterlandes, ist und bleibt klar: Wir gehören zum Westen. Wir werden den Platz, den unser Land unter Konrad Adenauer eingenommen hat, nicht verlassen. Und in Berlin weiß man gewiß am besten, was diese konsequente Stetigkeit unserer Politik wert ist.

Wir sind keine Wanderer zwischen Ost und West, denn zwischen Demokratie und Diktatur gibt es keinen Mittelweg. Wir stehen auf der Seite der Freiheit, an der Seite unserer Freunde im Bündnis.

Die Entscheidung für die Atlantische Allianz wird uns auch in Zukunft Frieden und Freiheit sichern, solange auf uns selbst Verlaß bleibt. Auch deshalb sind wir in diesem Herbst gegenüber sowjetischem Übermachtstreben aus der Bündnissolidarität nicht ausgestiegen, sondern haben in einer Entscheidung von historischer Tragweite standfest und solidarisch unser Wort gehalten.

In den letzten vier Jahren, vor allem aber in den letzten Monaten haben wir leidenschaftlich um den richtigen Weg gerungen, wie der Friede in Freiheit für die Bundesrepublik und für den Westen insgesamt am besten gesichert werden kann. Das Denken und Handeln vieler Verantwortlicher in Ost und West hatte sich fast ausschließlich auf die Frage der Mittelstreckenraketen konzentriert, ja häufig genug verengt. In gleichem Maße verschlechterten sich die politischen Beziehungen der beiden Großmächte.

Die Bundesregierung hatte deshalb in ihrer Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 ihre Absicht unterstrichen, die Gespräche mit den osteuropäischen Staaten, insbesondere mit der Sowjetunion, auf allen Ebenen zu führen und, wenn möglich, zu vertiefen.

Wir haben dies nicht nur getan, sondern im Bündnis wie bilateral verstärkt Initiativen ergriffen, den Rüstungskontrollverhandlungen auf allen Gebieten zum Erfolg zu verhelfen und neue Verhandlungsmöglichkeiten zwischen West und Ost zu eröffnen, die über den Stationierungstermin hinausweisen.

Deshalb haben wir auf den Abschluß der KSZE-Folgekonferenz in Madrid gedrängt, damit am 17. Januar in Stockholm die Konferenz für Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa beginnen kann. Die Bundesregierung hat dazu als erster Teilnehmerstaat ihre Vorstellungen im Bündnis eingebracht.

Die Bundesregierung hat in Fortsetzung meiner Gespräche mit Generalsekretär Andropow in Moskau für den Frühsommer nächsten Jahres zu einer Internationalen Ost-West-Umweltschutzkonferenz nach München eingeladen, gemeinsame Maßnahmen gegen das Waldsterben zu beraten.

Noch eine Woche vor der Bundestagsdebatte über den Doppelbeschluß hat die deutsch-sowjetische Wirtschaftskommission in Moskau getagt und weitere Schritte für die wirtschaftliche Kooperation beraten.

Das sind nur drei Beispiele unseres Bemühens, den Dialog und die Politik der Verständigung mit der Sowjetunion fortzuführen und auszubauen.

Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen können nur erfolgreich sein, wenn es gleichzeitig gelingt, politisches Vertrauen zwischen West und Ost zu schaffen. Die Bundesregierung wird dazu weiterhin ihren Beitrag leisten.

Der Westen wird deshalb weiterhin alle Türen für Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen offenhalten: Dies gilt auch für die Genfer Verhandlungen über den Abbau der nuklearen Mittelstreckenraketen. Leider hat die Sowjetunion in dem Augenblick den Verhandlungstisch verlassen, als sich zum ersten Mal beide Verhandlungspartner in entscheidenden Punkten deutlich aufeinander zu bewegten. Nachdem die ersten drei Verhandlungsjahre ohne sichtbare Bewegung verstrichen waren, haben sich nicht zuletzt auf Drängen der neuen Bundesregierung und unserer europäischen Verbündeten die Vereinigten Staaten mehrfach kompromißbereit gezeigt und damit auch die sowjetische Führung veranlaßt, darauf zu reagieren.

Wir werden auch weiterhin die amerikanischen Vorschläge unterstützen, in den START-Verhandlungen über strategische Interkontinentalwaffen nicht nur die Trägersysteme drastisch zu verringern, sondern auch die Zahl der Gefechtsköpfe der land- und seegestützten Raketen um 40 Prozent zu vermindern.

Die MBFR-Verhandlungen über den Truppenabbau in Mitteleuropa gehen weiter. Auch hier findet eine enge Abstimmung im Bündnis statt. Wir sind überzeugt, daß auch hier noch unausgeschöpfte Verhandlungsmöglichkeiten bestehen. Deshalb haben wir im Bündnis eine neue Initiative eingeleitet.

Im Genfer Abrüstungsausschuß werden wir uns weiter um ein Abkommen bemühen, das Produktion und Lagerung aller chemischen Waffen nachprüfbar verbietet.

Der Beschluß der NATO, weitere 1400 nukleare Gefechtsköpfe abzuziehen und damit den Gesamtbestand um ein Drittel zu verringern, wird durchgeführt.

Die Bundesregierung ist bereit, auch andere Vorschläge und Initiativen zu unterstützen, wenn sie zu dem Ziel der Verminderung der Rüstung in Ost und West beitragen. In diesem Sinne halten wir auch den Vorschlag einer Konferenz der fünf Nuklearmächte für erwägenswert.

Wir werden aber auch - wie eingangs erwähnt - jede Chance der Zusammenarbeit in den anderen Bereichen nutzen: politisch, wirtschaftlich, kulturell und im humanitären Bereich, sowohl gegenüber der Sowjetunion wie gegenüber den anderen Warschauer-Pakt-Staaten,

- im Geiste der KSZE-Schlußakte von Helsinki,
- im Geiste des Harmel-Berichts der NATO von 1967 und
- auf der Grundlage der Verträge und Abkommen.

Ich wiederhole deshalb ausdrücklich meine Einladung an Generalsekretär Andropow vom Juli dieses Jahres.

Außenminister Genscher und Außenminister Gromyko haben bereits vereinbart, ihre Gespräche im Frühjahr fortzusetzen.

Wir würden es weiterhin begrüßen, wenn im Verlauf der nächsten Jahreshälfte eine Begegnung zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Andropow zustande käme.

Die Bundesregierung wird prüfen, welche Schritte sie einleiten kann, die Beziehungen zu Polen wieder konstruktiver zu gestalten.

Ich beabsichtige, im nächsten Frühjahr der Einladung des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei, Kadar, zu politischen Gesprächen nach Budapest zu folgen.

Wir haben die jüngsten rumänischen Initiativen zu den Genfer Verhandlungen als einen Schritt gewürdigt, der zu mehr Flexibilität in der sowjetischen Verhandlungsposition führen sollte.

Besondere Bedeutung kommt den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu. Ich habe von der Verantwortungsgemeinschaft gesprochen, die die beiden Staaten in Deutschland verbindet. Sie sollten gerade in schwierigen Zeiten durch konstruktive Zusammenarbeit zur Erhaltung des Friedens in Europa beitragen.

Die Bundesregierung hat aufmerksam zur Kenntnis genommen, daß die DDR-Führung in den letzten Tagen trotz der von ihr als neu bewerteten Lage im Ost-West-Verhältnis ihr grundsätzliches Interesse an der Unterstützung des Abrüstungsprozesses, der Fortsetzung des Dialogs und der Weiterentwicklung friedlicher Beziehungen entsprechend dem Vertragssystem bekräftigte.

Die Bundesregierung wird ihrerseits die Politik des Dialogs und der langfristig angelegten Zusammenarbeit mit der DDR fortsetzen, wie sie in dem kürzlichen Abschluß einer Vereinbarung über die Reinhaltung der Röden [Röthen] und einer Vereinbarung über eine neue Postpauschale und Verbesserungen im Post- und Telefonverkehr zum Ausdruck gekommen ist.

Von deutschem Boden muß Frieden ausgehen. Das gilt auch für die Lösung der nationalen Frage, die sich nur als Friedenswerk in einem größeren europäischen Rahmen verwirklichen läßt. Wer dies verkennt, wer die europäische Dimension der deutschen Frage ignoriert, der verdrängt die geschichtliche Erfahrung: Die deutsche Frage war stets auch eine Anfrage unserer europäischen Nachbarn.

Sie wird auch künftig nicht in den Alleinbesitz unserer geteilten Nation übergehen. Kein deutscher Sonderweg kann unser Land aus der Mitte Europas herausführen. In dieser Mittellage findet deutsche Geschichte statt, und hier haben wir sie mit unseren eigenen Kräften zu gestalten - eingebunden in den größeren europäischen Rahmen, ausgehend von den realen Machtverhältnissen unserer Zeit und getragen von dem Willen der Nation zur Einheit.

Wir haben keinen Grund zu resignieren. Die Geschichte spricht kein letztes Wort, sie schafft keinen endgültigen Zustand. Wir schöpfen aus ihr Kraft, wenn sie uns auch geistige Heimat ist. Und weil dies so ist, weil uns die Entwicklung unserer nationalen Gemeinschaft im Zentrum Europas ständig bewußt bleiben muß, unterstütze ich auch das Projekt eines Deutschen Historischen Museums, das als Forum für Geschichte und Gegenwart hier in Berlin entstehen soll.

Die Grenze, die heute Deutschland teilt und Europa spaltet - diese Grenze zwischen Ost und West verläuft quer durch Berlin. Berlin liegt nicht nur geographisch mitten in Europa, sondern auch geistig und politisch.

In dieser Stadt kristallisiert sich der Wille der Europäer und besonders aller Deutschen, Trennendes zu überwinden und aufeinander zuzugehen. Deshalb müssen Signale der Verständigung vor allem von Berlin ausgehen und Zeichen des Friedens gerade hier gesetzt werden.

Die Lage in Berlin zeigt uns immer wieder, daß Mauer und Stacheldraht, daß verschlossene Grenzen das größte Hindernis für Frieden und Verständigung sind.

Je mehr die Menschen zueinander kommen können, desto unwahrscheinlicher ist Krieg, desto sicherer sind Frieden und Freiheit.

Das ist die großartige Erfahrung, die wir im freien Teil Europas und vor allem in der Europäischen Gemeinschaft machen konnten und von der wir wünschen, daß eines Tages ganz Europa an ihr teilhaben wird. Mit der Öffnung unserer Grenzen haben wir einen ganz konkreten Beitrag zur Völkerverständigung geleistet.

Unsere innenpolitische Aufgabe Nummer eins ist und bleibt der Stopp und der Abbau der Arbeitslosigkeit. Deshalb leistet die Bundesregierung jeden ihr möglichen Beitrag zu einer zukunftsorientierten Modernisierung unserer Volkswirtschaft. Dazu gehören insbesondere die Förderung von Zukunftsinvestitionen in der Privatwirtschaft und im Bereich des Staates, die Unterstützung von Existenzneugründungen, der Abbau bürokratischer Hemmnisse soweit wie irgend möglich und Änderungen unseres inzwischen leistungs- und beschäftigungsfeindlichen Steuertarifs. [...]

Vor allem geht es für unser rohstoffarmes Land darum, die Ideen unserer Wissenschaftler mit der Leistungskraft unserer Volkswirtschaft zusammenzuführen. Zwischen Wirtschaft und Wissenschaftlern darf es keine Berührungsängste geben. Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen müssen sich der Unternehmenswelt öffnen und Kontakt zur Industrie suchen.

Dafür gibt es in Berlin wichtige Anregungen. Neben dem jüngst eröffneten „Berliner Innovations- und Gründerzentrum" verweise ich hier auf die Innovationsassistenten, junge Wissenschaftler, die mit staatlicher Förderung auf Zeit in mittelständischen Unternehmen arbeiten und sie beraten.

Durch diesen Wissenschaftstransfer entstehen krisenfeste Arbeitsplätze, die gerade für Berlin überlebenswichtig sind. Solche Arbeitsplätze zu schaffen, war auch das Ziel der Berliner Wirtschaftskonferenz, die ich vor einem Jahr gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister einberufen hatte.

Auf einer Nachfolgekonferenz in der ersten Hälfte des kommenden Jahres sollen Bilanz gezogen und neue Anstöße gegeben werden.

Ich wiederhole meinen Appell an die deutsche Wirtschaft, in dem Industriestandort Berlin zu investieren.

Vor allem braucht Berlin den Pioniergeist risikobereiter junger Unternehmer, die sich mit neuen Produkten dem Wettbewerb stellen. Besonders technologische Zukunftsprojekte müssen hier die Chance für Bewährung und Erfolg erhalten.

Wir müssen uns auch stärker auf den Grundsatz der Subsidiarität besinnen und unsere Mitbürger ermutigen, nicht nur zu fragen: „Wer hilft mir?", sondern auch: „Wem helfe ich?" Eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht beweist ihre Humanität, wenn viele für andere da sind - nicht nur jeder für sich selbst.

Staat und Politik haben die Pflicht, die dafür notwendigen Freiräume zu schaffen: Nur wer auf die Mündigkeit der Bürger vertraut, kann die anonyme Betreuungsbürokratie wieder abbauen. Ich möchte die Berliner ausdrücklich ermutigen, auf diesem Weg fortzufahren.

Berlin hat die Substanz und die Vitalität, diesen Perspektiven Gestalt zu geben, unseren gemeinsamen Zukunftshorizont zu erweitern und damit zugleich seine eigene Lebenskraft und sein neues Selbstvertrauen zu stärken. Berlin, seit langem schon Symbol für die standfeste Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten durch die freien Völker des Westens, Zeugnis für Größe wie Elend der deutschen Geschichte und für die ungelöste nationale Frage, Testfall für die Verständigungsbereitschaft zwischen Ost und West, dieser Stadt wächst eine neue Aufgabe zu: Berlin, gegründet vor fast 750 Jahren, diese Stadt, in der schon immer die Konturen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen früher und schärfer deutlich wurden als anderswo, bietet sich heute an als Modell für die Gestaltung einer menschlichen und lebenswerten Zukunft. Unsere offene Gesellschaft wird daraus Kraft gewinnen, die Herausforderungen zum Ende dieses Jahrhunderts zu bestehen.

Berlin ist dieser Aufgabe gewachsen. Die Stadt hat - nach einer Zeit krisenhafter Selbstzweifel - ihren natürlichen Elan wiedergefunden. Berlin blüht wieder auf, und dazu haben viele beigetragen.

Die Berliner und wir alle haben jeden Grund, auf dieses neugefügte Fundament zu vertrauen und an die Dynamik Berlins und seiner Bürger zu glauben.

Quelle: Bundeskanzler Helmut Kohl: Reden 1982-1984. Hg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bonn 1984, S. 297-306.