12. Februar 1997

Ansprache anlässlich eines Empfangs für die Mitglieder des Deutsch-Japanischen Dialogforums im Palais Schaumburg in Bonn

 

Meine Herren Vorsitzenden,

Exzellenzen, meine Damen und Herren,

es ist für mich eine große Freude, Sie heute abend im alten Kanzleramt willkommen zu heißen. Dieser Ort - das Palais Schaumburg - ist für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von zentraler Bedeutung gewesen. Seit 1950 war dies das Gebäude, in dem alle meine Vorgänger - Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt und, in der ersten Hälfte seiner Amtszeit, Helmut Schmidt - gearbeitet haben. Während der Amtszeit Helmut Schmidts ist dann das jetzige Kanzleramt erbaut worden. Und vor wenigen Tagen haben wir den Grundstein für das neue Kanzleramt des wiedervereinten Deutschlands in Berlin gelegt.

Hier - im früheren Kabinettsaal - fanden viele Begegnungen mit japanischen Regierungschefs statt. Ich freue mich über Ihren heutigen Besuch in diesem Saal, weil dies auch die Kontinuität der guten deutsch-japanischen Zusammenarbeit deutlich macht. Diese Zusammenarbeit ist gerade in den letzten Jahrzehnten sehr intensiv und eng geworden.

Unsere beiden Länder haben in dieser Zeit viele ähnliche Entwicklungen erlebt. Dazu gehört der aufsehenerregende Aufstieg unserer Volkswirtschaften nach dem Zweiten Weltkrieg. Dazu gehören aber auch eine Reihe gemeinsamer Herausforderungen und Probleme in Deutschland und Japan, die wir bewältigen müssen und - dessen bin ich sicher - bewältigen werden. Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang sagen, für wie außerordentlich wichtig ich dabei Ihre Arbeit halte. Japan und Deutschland können und sollten an der Schwelle zum neuen Jahrhundert und Jahrtausend möglichst vieles gemeinsam voranbringen - zum beiderseitigen Nutzen.

In den vergangenen Jahren hat sich das Dialogforum zu einer sehr wichtigen Stätte der Begegnung zwischen Japanern und Deutschen entwickelt. Sie selbst haben durch ihr Engagement ganz wesentlich dazu beigetragen, daß die Beziehungen noch intensiver gestaltet wurden. Deutsche und Japaner verbindet viel. Wir sind natürlich auch Konkurrenten auf den Weltmärkten. Dies beeinträchtigt unsere Freundschaft aber keineswegs. Angesichts der globalen Veränderungen, vor denen wir stehen, müssen wir bei allem Wettbewerb auch gemeinsame Positionen einnehmen, um uns auf die Zukunft einzustellen.

Ich nenne nur drei Themen, die in ein paar Monaten auch auf dem G7-Gipfel in den USA in Denver eine Rolle spielen werden und uns - Japaner und Deutsche - gemeinsam berühren. Erstens: der Schutz der Umwelt. Es ist unsere Pflicht, die Schätze der Natur, die wir von unseren Vorfahren übernommen haben, so gut erhalten wie möglich an kommende Generationen weiterzugeben. Zweitens: die Bekämpfung von Hunger und Armut in der Welt - ausgehend von der gemeinsamen Erkenntnis, daß wir im nächsten Jahrhundert keinen Frieden haben werden, wenn die Schere zwischen den reichen und den armen Ländern immer weiter auseinandergeht. Als drittes wichtiges Thema nenne ich den Ausbau und die Sicherung des freien Welthandels.

Meine Damen und Herren, verehrte japanische Gäste, es ist mir wichtig, einige Bemerkungen zur europäischen Einigung zu machen. Was immer Sie lesen oder hören mögen: Wir werden das Haus Europa bauen. Wir werden in wenigen Monaten, im Sommer dieses Jahres, in Amsterdam die Regierungskonferenz zur Überprüfung und Fortentwicklung des Maastrichter Vertrages erfolgreich abschließen. Wir werden - wie wir es in der Europäischen Union beschlossen haben - auch die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden.

Wir wollen dabei - dies sage ich mit Nachdruck - das geeinte Europa nicht mit einer Art neuem Grenzzaun umgeben. Wir wollen keine Festung Europa, sondern ein offenes Europa - offen für Wettbewerb, auch mit unseren japanischen Freunden. Wettbewerb nutzt beiden Seiten. Und er sorgt vor allem dafür, daß wir wirtschaftlich gefordert werden, daß wir wach und präsent bleiben und in unseren Bemühungen nicht nachlassen.

Ich habe vor wenigen Monaten, bei meinem letzten Besuch in Ihrem Land, intensiv mit meinem japanischen Kollegen Hashimoto darüber gesprochen. Wir beiden pflegen einen kontinuierlichen und intensiven Dialog. Die nächsten deutsch-japanischen Konsultationen werden am Rande des G7-Treffens in Denver stattfinden. Wir haben auf Regierungsebene bereits eine ganze Reihe von gemeinsamen Vorhaben verabredet. Darüber wollen wir im Juni in Denver miteinander reden. Unser Gespräch wird sich auf ein weites Feld von Themenbereichen beziehen: auf Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie sowie nicht zuletzt auch darauf, den akademischen Austausch und die Begegnung der jungen Generationen unserer Länder zu fördern. Ich setze dabei, meine Damen und Herren, auch auf Ihre Unterstützung und Hilfe. Die im Mai des vergangenen Jahres vereinbarte Agenda für die deutsch-japanische Partnerschaft ist für uns ebenso Ausdruck und Beleg unserer ausgezeichneten und engen Zusammenarbeit wie der Deutsch-Japanische Kooperationsrat für Hochtechnologie und Umwelt.

Bei der Intensivierung der deutsch-japanischen Beziehungen sollten wir aber - gestatten Sie mir diesen Hinweis - eines nicht versäumen: Wir sollten nicht die kulturelle Dimension unserer Beziehungen vernachlässigen. Es gilt, hier ein wertvolles Erbe zu pflegen. Ich denke an die großartige Entwicklung des Bereichs der Japanologie an deutschen Universitäten. Voller Bewunderung denke ich auch an meinen Besuch in der kaiserlichen Universität Kyoto und daran, was ich dort über die enge wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Japan, etwa zur Zeit der Weimarer Republik, erfahren habe. Für viele klingt es unfaßbar, aber es ist wahr: In Kyoto gab es über lange Jahre hinweg sogar einen Lehrstuhl für Plattdeutsch! Ich erwähne dieses Beispiel mit großer Sympathie, weil es das große Interesse Japans an unserem Land deutlich macht.

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich bei Ihnen allen - bei unseren japanischen Gästen und bei den deutschen Mitgliedern des Forums - für Ihr Kommen. Ich wünsche der morgen in Berlin beginnenden fünften Sitzung des Dialogforums einen guten Verlauf und viele gute Gespräche.

Ich wünsche unseren japanischen Gästen, daß sie in Berlin vielleicht noch einen kleinen Eindruck von jenen historischen Ereignissen gewinnen, die uns Deutschen das Glück der Einheit gebracht haben. Nicht wenige von Ihnen waren ja in früheren Jahren in Berlin, standen vor der Mauer und sahen den ganzen Wahnsinn einer geteilten Stadt, eines geteilten Landes und eines geteilten Europas. Es erscheint heute kaum faßbar, daß dies alles erst ein paar Jahre her ist. Für mich bleibt es eine der glücklichsten Erfahrungen der deutschen Geschichte, daß wir das Geschenk der Deutschen Einheit mit der Zustimmung all unserer Nachbarn erhalten haben.

Vor der Wiedererlangung der Deutschen Einheit stand ich einmal mit meinem Freund, dem damaligen Ministerpräsidenten Nakasone, im Reichstag, und wir schauten über die Mauer. Ich erinnere mich noch sehr genau seiner Worte, mit denen er damals den Wunsch vieler Menschen in Japan zum Ausdruck brachte, daß die Einheit kommen möge. Für die Unterstützung, die wir aus Japan in diesen Jahren erfahren haben, für die gute Zusammenarbeit und die enge Freundschaft zwischen unseren Ländern sind wir Deutschen dankbar.

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 17. 27. Februar 1997.