12. Juni 1996

Rede anlässlich der Festveranstaltung „Zehn Jahre Bundesfrauenministerium" in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn

 

Frau Präsidentin des Deutschen Bundestags,
liebe Frau Nolte,
meine Damen und Herren Abgeordneten des Bundestags und der Landtage,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

I.

„Zehn Jahre Bundesfrauenministerium" - das ist ein erfreulicher Anlass, gemeinsam zu feiern. Ich möchte allen danken, die in diesen Jahren mitgeholfen haben: den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, den vielen aus den Fraktionen des Deutschen Bundestags, die in der Frauenpolitik mitgewirkt haben, und nicht zuletzt denen, die das Ministerium führten -Ihnen, liebe Frau Süssmuth. Ihnen, liebe Frau Lehr, und natürlich auch Frau Merkel. Sie alle können mit Stolz auf das Erreichte zurückblicken. Das gilt auch für all jene, die schon vor 1986 Politik für Frauen gestaltet haben.

Zehn Jahre sind keine lange Zeit, aber es war eine gute Zeit. In diesen zehn Jahren hat sich sehr viel mehr in Fragen der tatsächlichen Gleichberechtigung der Frau in Deutschland getan als in langen Zeiträumen zuvor. Vieles ist heute selbstverständlich, was früher unvorstellbar erschien. Als vor 150 Jahren Frauen wie Louise Otto-Peters gleiche Rechte für Frauen in Politik und Gesellschaft einforderten, wurden sie von den meisten belächelt, oft sogar angefeindet. Man muss sich nur einmal vor Augen fuhren, dass erst vor 100 Jahren die ersten sechs Frauen ihr Abitur in Deutschland ablegen konnten. Allerdings blieb ihnen das Studium damals noch verwehrt. Es gab nur zwei Universitäten - Berlin und Göttingen -, die Frauen wenigstens als Gasthörerinnen aufnahmen. Die Zulassung war jedoch von der Erlaubnis des jeweiligen Dozenten und der Genehmigung des Unterrichtsministers abhängig.

Mit dem Umbruch vom Kaiserreich zur Republik erhielten die Frauen erstmals das aktive und passive Wahlrecht. Von da war es noch ein weiter Weg bis zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern, wie sie unsere Rechtsordnung heute kennt.

Die Geschichte unserer Bundesrepublik Deutschland wurde von Beginn an von bedeutenden Frauen mit gestaltet, an die ich heute erinnern möchte. Manche von ihnen hatte bereits zur Zeit der Weimarer Republik Ämter und Mandate inne. Ich denke etwa an die „Mütter des Grundgesetzes": Helene Weber, Helene Wessel, Elisabeth Selbert und Friederike Nadig. Ich denke auch an Persönlichkeiten aus den Gründerjahren unserer Republik wie Marie-Elisabeth Lüders, Louise Schroeder, Maria Probst, Elisabeth Schwarzhaupt oder die kürzlich verstorbene Käte Strobel. Jede von ihnen hat auf unverwechselbare Weise ein Vorbild gegeben, das andere Frauen zu eigenem politischen Engagement ermutigt hat.

Viele andere müssten noch genannt werden. Sie alle haben Bedeutendes für unser Land geleistet. Wir sollten uns auch an die vielen Frauen erinnern, die im Krieg und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in aussichtslos erscheinender Lage nicht verzagten - ich denke etwa an die Flüchtlingstrecks und an die zerstörten Häuser und Städte. Diese Frauen haben inmitten der Trümmer eines zerstörten Lands Lebensmut, Tatkraft und Durchstehvermögen bewiesen. Sie haben die Bundesrepublik von heute überhaupt erst möglich gemacht. Sie haben damals zugepackt und unter den allerschwierigsten Bedingungen für ihre Kinder, für ihre Familien gesorgt. Heute, im Juni 1996, sollte sich mancher, dem das Jammern zur zweiten Natur geworden ist, einmal voller Respekt an diese großartige Generation erinnern.

Ihr Ministerium steht in einer guten Tradition, an die Sie, liebe Frau Nolte, und Ihre Amtsvorgängerinnen anknüpfen konnten. Viele entscheidende Verbesserungen in unserem Sozialsystem, die vor allem Frauen zugute kommen, sind seit 1982 eingeführt worden. Ich möchte hier nur zwei grundlegende Reformwerke anfuhren: die Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht sowie die Einführung von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld, die von Müttern und Vätern gleichermaßen in Anspruch genommen werden können. Drei Jahre Erziehungsurlaub und zwei Jahre Erziehungsgeld, das gibt es in keinem anderen europäischen Land! Natürlich bleibt noch viel zu tun. Die Aufgabe ist gerade in einer Zeit knapper Kassen nicht einfach. Und es fällt auch mir schwer, bei diesem oder jenem, das viele gerne schon jetzt vollenden möchten, „nein" zu sagen.

Wichtig ist: Wir brauchen ein Umdenken insgesamt, eine stärkere Mitwirkung von Frauen im gesellschaftlichen Leben unseres Lands, in der Politik und in allen anderen Bereichen gleichermaßen. Helene Weber hat im Bundestag in der ihr eigenen Formulierungskraft einmal kurz und bündig gesagt, „der reine Männerstaat" sei „das Verderben der Völker". Ob man die Formulierung mag oder nicht: Sie drückt sicher etwas Richtiges aus. Wir wissen heute jedenfalls, wie wichtig Engagement, Sachverstand und Kreativität von Frauen für die Zukunft unseres Lands sind.

II.

Erfreulicherweise besteht heute ein breiter Konsens darüber, dass die Politik den vielfältigen Lebensentwürfen von Frauen und ihren besonderen Wünschen in verschiedenen Lebensphasen Rechnung tragen muss. Das ist alles andere als einfach. Denn schließlich geht es zum Beispiel um so unterschiedliche Anliegen wie jene der jüngeren wie der älteren Frauen; der erwerbstätigen wie der nicht erwerbstätigen Mütter, nicht zuletzt auch jener Mütter, die ihre Berufstätigkeit für eine Weile zugunsten der Familie unterbrechen; es geht ebenso um die Verbesserung der Lage von alleinerziehenden oder alleinstehenden Frauen und schließlich um die Interessen der selbständigen und der angestellten Frauen sowie derer, die im Familienbetrieb mithelfen - in vielen Fällen den Familienbetrieb überhaupt erst möglich machen.

Allein diese Beispiele zeigen die Vielschichtigkeit der Themen, mit denen Frauenpolitik zu tun hat. Unser Ziel kann und darf daher nicht die Durchsetzung eines bestimmten Frauenbilds sein. Vielmehr geht es darum, Hindernisse abzubauen, durch die Frauen in ihrer freien Entscheidung beeinträchtigt werden. Das ist auch eine psychologische Herausforderung. Wir müssen Frauen und Männern Mut machen, über die Grenzen eines tradierten Rollenverständnisses hinaus Verantwortung zu übernehmen. Diese Entscheidung müssen sie selbst treffen, und sie sollten sich dabei auch nicht von aktuellen Modetrends beeinflussen lassen. Worauf es ankommt, ist echte Partnerschaft - ob im Beruf oder im Haushalt.

Frauen sollten frei entscheiden können, ob und wie sie Familie und Beruf miteinander verbinden und ich verwende auch dieses Wort bewusst - verantworten. Unsere Gesellschaft braucht die berufstätige Frau und ebenso die Leistung jener Frauen, die sich ganz dem Haushalt, der Kindererziehung sowie der Pflege behinderter oder kranker Familienangehöriger widmen. Ich möchte an dieser Stelle auch das vielfältige soziale Engagement von Frauen in Erinnerung rufen. Ohne die ehrenamtliche Tätigkeit würde unserem Land ein gutes Stück Menschlichkeit und Wärme fehlen.

Die Erwerbstätigkeit ist heute bei den meisten Frauen ein ganz selbstverständlicher Bestandteil ihrer persönlichen Lebensplanung. Dabei entscheiden sie sich zum größten Teil für eine qualifizierte Berufsausbildung. Das ist der richtige Weg, den wir weiter unterstützen werden. Bei den Dienstleistungen bieten sich neue Beschäftigungschancen für Frauen - so etwa im Bereich der neuen Medien oder generell der neuen Technologien. Erfreulich ist auch der wachsende Anteil weiblicher Lehrlinge in den gewerblichen Ausbildungsberufen.

Für mich gehört es zu den guten Erfahrungen, dass der Anteil von Frauen, die bei Meisterfeiern mit Preisen ausgezeichnet werden, im Laufe der Jahre immer mehr angestiegen ist. Früher war unter 20 Jungmeistern, die auf dem Podium standen, vielleicht eine Frau; das war meistens eine Friseurmeisterin oder Schneidermeisterin. Heute sind Frauen in ganz anderen Berufen vertreten. Ihre Zahl ist überproportional gewachsen, weil sie im Schnitt bessere Ergebnisse vorweisen als ihre männlichen Kollegen. Ich beobachte immer mit großem Amüsement das Gemurre in dem überwiegend männlichen Publikum, wenn die Namen der Reihe nach aufgerufen werden. Im Ausbildungsbereich hat sich weit mehr verändert, als an der Spitze auch vieler Organisationen unserer Gesellschaft wahrgenommen wird.

Bei aller Sorge um Arbeitsplätze möchte ich an dieser Stelle auch einmal hervorheben, dass die Beschäftigungserfolge im vergangenen Jahrzehnt in erster Linie Frauen zugute gekommen sind: 1994 gab es zwölf Millionen erwerbstätige Frauen in den alten Bundesländern, das ist fast ein Fünftel mehr als zehn Jahre zuvor! Gerade auf dem Arbeitsmarkt zeigen sich Frauen gegenüber Neuem besonders aufgeschlossen.

Frauen verstehen ihre Berufstätigkeit nicht als Absage an Familie und Kinder. Allerdings tragen sie oft allein die Last der Doppelaufgabe. Es ist daher nötig, über Flexibilität nicht nur zu reden, sondern sie auch praktisch zu leben. Wer als Mutter aus dem Erwerbsleben ausscheidet, muss die Chance erhalten, wieder in den Beruf zurückzukommen. Deshalb sollten Frauen auf keinen Fall gezwungen werden, sich bereits in jungen Jahren endgültig zwischen Familie und Beruf entscheiden zu müssen.

Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind gefordert, wenn es darum geht, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen. Das ist nicht zuletzt und vor allem auch eine Anfrage an die Männer, inwieweit sie bereit sind, in partnerschaftlicher Verantwortung ihren Beitrag zur gemeinsamen Haus- und Erziehungsarbeit zu leisten.

Die Politik kann die Rahmenbedingungen verbessern. Hier ist in den letzten Jahren viel geschehen. Ich nenne zum Beispiel

Modellprogramme, die den Frauen helfen, nach einer Familienphase wieder in das Erwerbsleben zurückzukehren,

Steuererleichterungen für Alleinerziehende bei der Kinderbetreuung und

das einvernehmlich zwischen Bund und Ländern beschlossene Recht auf einen Kindergartenplatz.

Die Kommunen stehen in der Pflicht, ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Insbesondere Alleinerziehende sind darauf angewiesen. Ich weiß um die Finanznot der Gemeinden. Aber wenn es jetzt heißt, der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz sei nicht finanzierbar, so habe ich für dieses Argument letztlich kein Verständnis. Wir haben diesen Anspruch gemeinsam mit den Ländern beschlossen. Jetzt muss eben vor Ort entschieden werden, was wichtiger ist - eine aufwendige Verschönerung von Fußgängerzonen oder ein neuer Kindergarten. Das ist eine Frage der Prioritäten Setzung.

Für eine gute Zukunft unseres Lands - eines kinderfreundlichen Landes, das wir sein wollen - müssen Kindergärten und Kindertageseinrichtungen zugunsten von Kindern, und damit natürlich von Eltern, Vorrang haben. Im übrigen gibt es viele Beispiele, wobei es gar nicht um Geld geht, sondern schlicht um die Bereitschaft zu handeln: Die starren Öffnungszeiten der Kindergärten oder unregelmäßige Schulzeiten erschweren das Leben vieler Eltern oft unnötig.

Ganz wesentlich ist auch alles, was zu einer größeren räumlichen Nähe von Lebenswelt und Arbeitswelt beiträgt. Ich nenne deshalb an dieser Stelle die stärkere Berücksichtigung von Kindern im Bereich der Wohnungsbauforderung. Eine wesentliche Erleichterung für viele Eltern erwarte ich auch von der Anerkennung von Haushaltshilfen im Steuerrecht. Ich habe nie eingesehen, warum eine solche Maßnahme als „Dienstmädchenprivileg" abgetan wird. Sie hilft doch gerade berufstätigen Müttern wie Vätern und kann im übrigen neue Arbeitsplätze schaffen.

So wichtig solche Verbesserungen des Umfelds für Mütter und auch für Väter sind - die Politik kann etwas verändern, aber sie kann nicht alles leisten. Wir müssen auch darauf achten, dass wohlgemeinte Bestimmungen zum Schutz von Frauen sich am Ende nicht als Einstellungsbarrieren herausstellen. Gerade hier zeigt sich, dass gesetzliche Regelungen allein nicht ausreichen, um die gewünschten Erfolge zu erzielen.

Vor allem die Tarifpartner - Arbeitgeber und Gewerkschaften - sind gefordert, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Betrieben und Verwaltungen vor Ort durchzusetzen. In der Praxis gibt es immer noch zu wenig flexible Arbeitszeitregelungen. Auf die Tatsache, dass Millionen von Frauen im Berufsleben stehen, haben sich Arbeitgeber, Betriebsräte und Tarifpartner noch viel zu wenig eingestellt. Das gilt auch für den Öffentlichen Dienst. Aber in die Diskussion über die Teilzeit ist immerhin Bewegung gekommen - wenn auch mehr aus Not als aus Einsicht. Ich hoffe sehr, dass diese Initiativen jetzt weitergehen. Aber es gibt schon wieder eine Tendenz dahin -die ich ausdrücklich missbillige - als sei Teilzeitarbeit eine reine Frauenfrage und für Männer überhaupt nicht akzeptabel.

Es ist ermutigend, dass es inzwischen bereits eine ganze Reihe von Unternehmen mit vorbildlichen Regelungen und Einrichtungen gibt - angefangen von betrieblichen Kinderbetreuungseinrichtungen über familienfreundliche Arbeitszeiten oder Jobsharing-Regelungen bis hin zu Weiterbildungs- und Wiedereingliederungsprogrammen für Frauen. Ihr Ministerium leistet dabei wesentliche Hilfen. Ich begrüße es sehr, dass Sie in diesem Jahr zum zweiten Mal den Bundeswettbewerb „Der familienfreundliche Betrieb" durchführen.

Es gibt immer noch viel zu wenig Frauen in Führungspositionen von Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung. Wenn wir uns die Praxis einmal anschauen, dann bestätigt sich leider immer noch täglich, dass Führungsfunktionen in unserer Gesellschaft - ich schließe die Parteien ausdrücklich mit ein - im Regelfall mit Männern besetzt werden. Um eine Führungsposition zu erlangen, muss eine Kandidatin zumeist besser sein als ihre männliche Konkurrenz. Das ist absurd. In vielen Fällen - angefangen bei meiner eigenen Partei bis in andere Bereiche hinein - gewinne ich den Eindruck, dass in rein männlich besetzten Gremien viele Herren mit Argumenten hantieren, die sie zu Hause im Umgang mit ihren Frauen, mit ihren Töchtern oder Freundinnen nie vorzutragen wagen würden. Auch hier ist neues Denken angesagt.

Ein Bereich, den ich schon in meiner Mainzer Ministerpräsidentenzeit immer wieder kritisch angesprochen habe, fällt mir ganz besonders auf: Ich erinnere mich noch an eine Befragung an deutschen Universitäten Mitte der fünfziger Jahre, die die Einstellung zu weiblichen Hochschullehrern klären sollte: 89 Prozent der männlichen Befragten lehnten Hochschullehrerinnen ab. Die Begründungen beruhten auf tiefschürfenden Einsichten wie „Geistigkeit ist ein Privileg der Männer", „Frauen können nicht logisch denken" oder „Zum Hochschullehrer gehört die ganze Fülle der männlichen Begabung".

Wir lachen heute darüber. Aber wenn ich mir die Zahlen betrachte, dann muss es doch einen Grund geben, dass man damals so dachte und heute offensichtlich weitgehend noch so handelt. Kaum ein Mann würde es heute noch wagen, öffentlich solche Kommentare abzugeben. Tatsache ist gleichwohl, dass nicht einmal vier Prozent der Lehrstühle in den alten Bundesländern von Frauen besetzt sind.

Das wirft die Frage auf: Wie wird man eigentlich ordentlicher Professor an einer deutschen Universität - abgesehen von der Tatsache, dass man sich habilitiert? Es gibt Sachverständigengremien, es gibt Berufungskommissionen, und es gibt andere Institutionen, deren Bedeutung niemand bestreiten kann -wie die Kultusministerien, die Kultusministerinnen und die Kultusminister. Gerade auch in dieser Frage müssen wir insistieren - nicht etwa, weil ich glaube, dass die Berufung zum ordentlichen Professor an einer deutschen Universität praktisch das Höchste an menschlicher Größe bedeutet, sondern weil hier ein Beispiel gesetzt werden kann, das für viele andere Bereiche Signalwirkung hat.

III.

Im Blick auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist eine Welle von Existenzneugründungen für unser Land von größter Wichtigkeit. Wir brauchen eine neue Kultur der Selbständigkeit, und wir haben in diesem ganz wesentlichen Bereich eine besondere Chance, wenn auch mehr Frauen diesen Schritt tun. Wir wissen, dass jede dritte betriebliche Existenzgründung heute durch eine Frau erfolgt. Frauen leiten fast 800.000 der gut drei Millionen Unternehmen in Deutschland. Dies kann gar nicht hoch genug bewertet werden, denn sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.

Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass gerade auch Frauen, die sich selbständig machen, als Arbeit-Gebende mehr gesellschaftliche Anerkennung und nicht Missgunst erfahren - oder gar auf Ablehnung stoßen. Das beginnt schon bei der Gewährung von Krediten für Existenzgründer. Hier stoßen Frauen häufig auf größere Probleme als ihre männlichen Kollegen. Die Frau als Unternehmerin ist für manchen Banker immer noch eher eine suspekte Vorstellung. Wenn Sie die Zahl von weiblichen Vorstandsmitgliedern bei deutschen Großbanken sehen, dann finde ich das nicht einmal verwunderlich!

Es gibt eine Vielzahl von positiven Beispielen, die zeigen, dass Frauen als Unternehmerinnen genauso Erfolg haben wie Männer. Sie sollten auch anderen Frauen Mut machen, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Dies ist auch unter einem anderen Aspekt wichtig: Wir wissen, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren 700.000 mittelständische Unternehmer, darunter 200.000 Handwerker, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für ihren Betrieb suchen. Umfragen zeigen, dass es für etwa jeden zweiten Handwerksbetrieb in der eigenen Familie keinen Nachfolger gibt. Deshalb müssen wir alles tun, um auch hier Frauen mehr Chancen zu eröffnen.

Wir müssen alles tun, um den Willen und die Bereitschaft der Frauen zur Selbständigkeit gerade in den neuen Bundesländern zu stärken. Und wir sollten die Frauen gerade dort auf Führungsaufgaben gezielt vorbereiten. Mit dem Projekt „Praxisnahe Qualifizierung von Frauen in Führungspositionen" setzt Ihr Ministerium, Frau Nolte, hier ein wichtiges Zeichen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg!

Es gerät heute zunehmend in Vergessenheit, welche grundlegenden Veränderungen der Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft für die Menschen in den neuen Bundesländern bedeutete und auch heute noch bedeutet. Sie mussten sich innerhalb kürzester Zeit auf eine völlig neue Situation einstellen. Das gilt insbesondere auch für die Familien. Auf Mütter und Väter kam mehr Eigenverantwortung zu.

Es ist unbestreitbar, dass vor allem die Frauen die Last dieses tiefgreifenden Strukturwandels zu tragen hatten. Sie waren und sind besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Deshalb haben wir in den neuen Bundesländern das Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes offensiv eingesetzt. Erfreulich hoch ist dabei gerade die Teilnahme von Frauen an Fort- und Weiterbildungsprogrammen: Der Frauenanteil an beruflichen Fortbildungsmaßnahmen stieg dort bis zum Frühjahr 1996 auf rund 63 Prozent. Es bleibt auch weiterhin unser Ziel, den Frauen in den neuen Bundesländern neue Chancen zu eröffnen.

Den Frauen, die ihr Berufsleben in der ehemaligen DDR verbrachten, haben wir eine angemessene Rente gesichert. Dabei habe ich Norbert Blüm nachdrücklich unterstützt. Die Menschen in der früheren DDR haben ihr Leben lang genauso hart gearbeitet wie ihre Landsleute im Westen. Deshalb sage ich nicht ohne Stolz: Die Rentner in ganz Deutschland genießen ein Wohlstandsniveau, das weltweit seinesgleichen sucht.

IV.

Es ist gut, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Rolle der Frau fast ausschließlich im Haushalt und in der Kindererziehung gesehen wurde. Aber ich halte genauso wenig davon, dass wir jetzt in das andere Extrem verfallen und sagen: Eine Frau zählt nur, wenn sie berufstätig ist. Unsere Anerkennung, aber auch unsere politischen Anstrengungen, gelten selbstverständlich genauso den Frauen, die sich aufgrund ihrer persönlichen Entscheidung vor allem der Familie und der Erziehung ihrer Kinder widmen.

Ich wehre mich entschieden dagegen, dass der Einsatz und das Engagement der Hausfrau und Mutter geringer gewertet wird als die Erwerbs arbeit. Was Mütter Tag für Tag in ihren Familien leisten - bei der Erziehung ihrer Kinder oder auch bei der Pflege hilfsbedürftiger Angehöriger -, ist für uns alle von unschätzbarem Wert. Ich finde es ausgesprochen dumm, wenn dann von „Nurhausfrauen" gesprochen wird.

Eine wirklich durchdachte Frauenpolitik muss deshalb auch immer eine Politik für die Familie sein, und das gilt auch umgekehrt. Die Familie ist und bleibt das Fundament unserer Gesellschaft. Als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft erbringt die Familie unverzichtbare Leistungen, die andere Institutionen entweder gar nicht oder nur unvollkommen erbringen können. In ihr können Werte am besten vermittelt und Verhaltensweisen eingeübt werden, ohne die eine freiheitliche und solidarische Gesellschaft nicht existieren kann: Liebe und Vertrauen, Toleranz und Rücksichtnahme, Opferbereitschaft und Mitverantwortung, Selbständigkeit und Hilfsbereitschaft.

Aus gutem Grund stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Daran lassen wir nicht rütteln! Gerade in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen gewinnt die Familie als Quelle von menschlicher Wärme und Geborgenheit an Bedeutung. Sie bedeutet für viele Verlässlichkeit in einer Zeit schnellen Wandels.

Ich sage es noch einmal: Zu den wichtigen Erfahrungen dieses Jahrhunderts gehört auch die Erinnerung an das, was Frauen vor 50 Jahren geleistet haben - als ein Millionenheer von Flüchtlingen unterwegs war, als in Millionen deutscher Familien der Vater nicht da war und die Mütter die Familien zusammenhielten und einen neuen Anfang wagten. Gerade heute haben wir keinen Grund zu verzagen, sondern wir müssen auch in einer Zeit, die diese bitteren Erfahrungen Gott sei Dank nicht mehr kennt, unsere Pflicht wahrnehmen und die Familie stärken. Wir müssen die Familienarbeit aufwerten und stärker anerkennen - von wem auch immer sie geleistet wird, ob von Frauen oder von Männern.

Wir haben jetzt die Gelegenheit, dies zu tun: Die Bundesregierung hat heute die Mitglieder der beiden Kommissionen zur Reform des Steuersystems und zur Reform der sozialen Sicherungssysteme berufen. Sie werden bis Ende dieses Jahres ihre Vorschläge vorlegen. Ich lade alle ein, sich an der Diskussion darüber zu beteiligen und Verbesserungsvorschläge zu machen. Ich habe auch die Hoffnung, dass es diesmal keine ideologische Auseinandersetzung wird, sondern dass wir die Zeichen der Zeit erkennen und die richtigen Entscheidungen treffen - für die Rentner von heute, aber ebenso für die junge Generation. Wir müssen Entscheidungen treffen, die sich zugunsten der Familien und der Kindererziehung auswirken.

Wir stehen vor dramatischen demographischen Veränderungen in Deutschland. Von einer Bevölkerungspyramide kann schon heute keine Rede mehr sein - die „Pyramide" steht, überspitzt formuliert, schon jetzt auf dem Kopf. Deshalb ist es an der Zeit, dass wir überlegen, wie wir auch den Schülerinnen und Schülern von heute im 21. Jahrhundert eine angemessene Rente sichern können.

Wer jetzt 15 Jahre alt ist, der wird nach menschlichem Ermessen die Mitte des kommenden Jahrhunderts, das Jahr 2050, erleben. Es ist doch verständlich, dass diese jungen Leute die Frage nach ihrer Alterssicherung stellen -nicht in dem Sinne, dass sie jetzt bereits geistig in Ruhestand treten, aber mit dem berechtigten Anliegen, dass sie ein Stück Lebenssicherheit vor sich sehen wollen. Ich will es noch einmal deutlich sagen: Die Bundesregierung ist zu jedem offenen Gespräch bereit. Es geht darum, jetzt den besten Weg in die Zukunft zu sichern.

In diesen Zusammenhang gehört auch das „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung". Ziel dieses Programms ist nicht „bloßes Sparen", sondern die Sicherung der Zukunft unseres Landes. Dazu gehört selbstverständlich auch die Zukunft der Familie. Von 1982 bis 1995 haben wir die Mittel für Familien von 27,5 Milliarden D-Mark auf fast 60 Milliarden D-Mark mehr als verdoppelt. Davon wird nichts zurückgenommen. Im Gegenteil: Trotz finanzieller Engpässe haben wir mit dem Jahres Steuergesetz 1996 die familienbezogenen Leistungen um sieben Milliarden D-Mark nochmals kräftig aufgestockt. Ich füge gleich hinzu: Ich bin gerne bereit, auch weitere Schritte zu unterstützen, wenn die Finanzierung nachgewiesen wird. Aber Luftbuchungen helfen uns in der gegenwärtigen Lage nicht weiter.

Jetzt kommt es darauf an, die Konkurrenzfähigkeit unseres Landes im härter gewordenen internationalen Wettbewerb zu stärken. Das bedeutet zwingend, einem Anstieg der Steuer- und Abgabenlast entgegenzuwirken und durch eine konsequente Konsolidierungspolitik die Bedingungen für Wachstum und Beschäftigung zu verbessern. Wir sparen nicht um des Sparens willen. Es geht allein darum, eine gute Zukunft zu sichern - gerade für unsere Kinder und Enkel, für deren Arbeitsplätze.

V.

Politik für Frauen - das ist nicht ein genau eingrenzbarer Aufgabensektor. Deshalb brauchen wir auch hier ein ganzheitliches Denken. Politik für Frauen richtet sich nicht nur an Frauen. Sie muss eine Politik für bessere Lebensbedingungen im weitesten Sinne sein, eine Politik für den Schutz und die Erhaltung des Lebens, für die Bewahrung der Schöpfung und schließlich für eine menschengerechte Lebenswelt, in der alle Halt finden.

Frauenpolitik muss die Familie ebenso im Blick haben wie die Arbeitswelt, die rechtlichen Verhältnisse ebenso wie die sozialen Sicherungssysteme, den ländlichen Raum ebenso wie die Städte. Frauenpolitik steht heute - kurz gesagt - für eine neue Chance der Politik insgesamt. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir mehr Frauen für die Politik gewinnen. Wir müssen sie bestärken und dazu ermutigen, sich stärker politisch zu engagieren.

Wir müssen ihnen überall dort, wo wir es können - das gilt nicht zuletzt in unseren politischen Parteien -, dazu die notwendige Unterstützung geben. Ich weiß: Das ist leichter gesagt als getan. Ich habe da auf einem Parteitag im vergangenen Jahr meine eigenen Erfahrungen gemacht. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es richtig ist, dies immer wieder deutlich vorzutragen.

Nur eine wirklich ausreichende und gleichberechtigte Beteiligung von Frauen in allen Lebensbereichen unseres Landes - ich schließe die Wirtschaft ausdrücklich mit ein - schafft die notwendigen Voraussetzungen für überfällige Veränderungen. Bis dahin müssen wir noch viel tun.

Zehn Jahre Bundesfrauenministerium sind eine knappe Zeit. Dennoch habe ich allen Grund, den vielen Dank zu sagen, die geholfen haben. Das, was Sie angestoßen und in die Wege geleitet haben, ist gut für unser Land. Ich möchte Ihnen allen weiterhin Glück und Erfolg wünschen und vor allem auch die notwendige Unterstützung in allen Bereichen der Gesellschaft: im Alltag in den Verwaltungen und den Betrieben, in Verbänden und politischen Parteien - und nicht zuletzt an den Universitäten. Ich selbst werde Sie im Rahmen meiner Möglichkeiten bei Ihrer Arbeit unterstützen.

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung Nr. 53 (24. Juni 1996).