13. Mai 1998

Rede bei dem Festakt anlässlich des Besuchs von Präsident William J. Clinton in Berlin

 

Herr Präsident der Vereinigten Staaten,
Herr Bundespräsident,
Frau Bundestagspräsidentin,
Herr Bundesratspräsident,
Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

es ist mir, Herr Präsident, eine große Freude, Sie heute erneut hier in Berlin und mitten in Deutschland willkommen zu heißen.

 

Mit Ihnen begrüßen wir einen engen Verbündeten und persönlichen Freund Deutschlands - einen Freund, dem wir sehr viel verdanken. Es ist bereits Ihr zweiter offizieller Besuch in der deutschen Hauptstadt. Ich freue mich ganz besonders, daß Sie als erster amerikanischer Präsident in diesen Tagen auch zwei der neuen Bundesländer, nämlich Brandenburg und Thüringen, besuchen.

 

Meine Damen und Herren, der Besuch des obersten Repräsentanten der Vereinigten Staaten von Amerika ist ein wichtiges Signal für die Menschen in den neuen Bundesländern. Er ist ein Meilenstein in den Beziehungen zwischen unseren Ländern. Diese Beziehungen haben eine lange und große Tradition.

 

Wir waren gemeinsam in Sanssouci am Grabe Friedrichs des Großen. Er genoß als herausragender Repräsentant des aufgeklärten Europa gerade auch in Ihrem Land größtes Ansehen. Sein Offizier Friedrich Wilhelm von Steuben hat eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung der Armee George Washingtons gespielt. Die jährliche Steubenparade in New York erinnert noch heute daran. Im Jahre 1785 schloß Friedrich der Große einen Handels- und Freundschaftsvertrag mit den gerade unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten von Amerika. George Washington hat dieses Abkommen als "den freisinnigsten Vertrag, der je von unabhängigen Mächten geschlossen wurde" bezeichnet.

 

Morgen, Herr Präsident, werden wir gemeinsam die Wartburg besuchen, wo Martin Luther lebte und arbeitete. Viele seiner protestantischen Glaubensgenossen gehörten vor mehr als 300 Jahren zu den ersten deutschen Auswanderern, die ihr Glück und auch ihre Freiheit in Amerika suchten. Später haben viele Deutsche den gleichen Weg gewählt - von den großen Auswandererströmen des 19. Jahrhunderts bis hin zu den Emigranten der dreißiger und vierziger Jahre, die vor der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Zuflucht in den USA suchten und die vor allem Freiheit fanden.

 

Fast jeder fünfte Amerikaner ist heute deutscher Herkunft. Diese deutschen Wurzeln bilden ein wichtiges Bindeglied zwischen unseren Völkern. Die deutsch-amerikanische Freundschaft, Herr Präsident, ist aber in einer ganz besonderen Weise von den Erfahrungen der letzten fünfzig Jahre geprägt.

 

Im vergangenen Jahr haben wir auf beiden Seiten des Atlantiks den 50. Jahrestag des Marshall-Planes begangen. Die großherzige und zutiefst menschliche Initiative Ihres Volkes und Ihrer Regierung, die für immer mit den Namen Harry S. Trumans und George Marshalls verbunden bleibt, hat damals - viele von uns haben es erlebt - die Not von Millionen von Deutschen in den Trümmerwüsten der deutschen Städte gelindert. Sie gab uns Kraft, Hoffnung und Zuversicht, den Aufbau unseres Landes anzupacken.

 

In diesem Jahr - der Regierende Bürgermeister hat zu Recht daran erinnert - erinnern wir uns an den Beginn der Berliner Luftbrücke vor fünfzig Jahren. Ich freue mich, Herr Präsident, daß wir morgen Gelegenheit haben werden, auf dem Flughafen Tempelhof diese beispiellose Hilfsaktion zu würdigen.

 

Mit Entschlossenheit und Standfestigkeit haben damals die USA Seite an Seite mit den anderen westlichen Alliierten der kommunistischen Bedrohung widerstanden und das Überleben des freien Teils dieser Stadt gesichert. Die Berliner im besonderen - aber auch wir alle in Deutschland - werden nicht vergessen, daß es die Vereinigten Staaten von Amerika und die übrigen westlichen Verbündeten waren, die nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges unserem besiegten Land halfen. Ungeachtet ihrer parteipolitischen Zugehörigkeit haben seither - von Harry S. Truman beginnend bis zu Ihnen, Herr Präsident - alle amerikanischen Präsidenten Deutschland zur Seite gestanden.

 

Wir Deutsche wissen: Ohne die Unterstützung der Vereinigten Staaten wäre der Wiederaufbau unseres Landes nicht möglich gewesen. Ohne die verläßliche Freundschaft der Vereinigten Staaten hätte unser Volk, unser Land, nicht in Frieden und Freiheit seine Einheit wiedererlangt. Dafür bleiben wir dem amerikanischen Volk zutiefst dankbar.

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums hat unser Europa historische Umwälzungen erlebt. Die Umbrüche des letzten Jahrzehnts stellen uns gemeinsam - Amerikaner und Deutsche - vor große Herausforderungen. Nicht weniger als früher geht es auch heute um die Bewahrung unserer gemeinsamen Werte und den Ausbau einer stabilen Ordnung im Zeichen der Freiheit.

 

Die Gefahr großer Konflikte scheint zunächst gebannt. Doch neue Risiken und Gefahren bedrohen unsere gemeinsame Sicherheit. Wir müssen ihnen gemeinsam begegnen. Frieden und Stabilität im Euro-Atlantischem Raum werden wir - darin sind wir einig, Herr Präsident - auch künftig nur gemeinsam sichern können. Auch für das 21. Jahrhundert gilt: Europa braucht ein starkes Amerika, aber Amerika braucht auch ein starkes Europa. Für uns Deutsche gehören die transatlantische Partnerschaft und der Bau des Hauses Europa eng zusammen. Beides ist für uns von existentieller Bedeutung.

 

Im Rahmen der deutschen Präsidentschaft der Europäischen Union im ersten Halbjahr 1999 werden wir uns dafür einsetzen, die Beziehungen der Europäischen Union zu den USA weiter auszubauen. Die fortschreitende Einigung Europas wird dabei auch in unseren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten neue Chancen eröffnen. Denn ein Europa, das politisch und wirtschaftlich noch enger zusammenwächst und das das wichtige Ziel hat, auch die Staaten Mittel- und Osteuropas einzuschließen, wird für die USA ein noch attraktiverer und wertvollerer Partner sein.

 

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem geeinten Europa ist die Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Nach dem Europäischen Rat vom 2. Mai in Brüssel steht endgültig fest: Der Euro wird am 1. Januar 1999 in elf europäischen Staaten als gemeinsame Währung eingeführt werden. Er wird das Klima für Investitionen und Beschäftigung in Europa und die Position Europas im immer schärfer werdenden weltweiten Standortwettbewerb deutlich verbessern. Viele Ihrer Landsleute, die verantwortliche Funktionen in der Wirtschaft innehaben, werden der Europäischen Union als potentiellem Kooperationspartner nach der Einführung des Euro noch größere Aufmerksamkeit schenken.

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ganz besonders auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik bewährt. Unsere strategische Zusammenarbeit im Rahmen der Nordatlantischen Allianz bleibt das unverzichtbare Fundament für Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent. Dazu gehört nach unserer festen Überzeugung auch in Zukunft eine substantielle militärische Präsenz der USA in Europa.

 

Die NATO war stets mehr als eine Militärallianz. Sie ist zu allererst eine Gemeinschaft freier Nationen, die für den Schutz und die Bewahrung gemeinsamer Grundwerte einstehen. Dies ist ein wesentlicher Grund für die Anziehungskraft der NATO gerade auch für zahlreiche junge Demokratien in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Beim Jubiläumsgipfel zum fünfzigjährigen Bestehen der NATO im April 1999 in Washington werden wir Polen, Ungarn und die Tschechische Republik feierlich in das Bündnis aufnehmen. Ihr Beitritt - dessen bin ich sicher - wird das Bündnis stärken.

 

Wir sind uns mit den Vereinigten Staaten einig, daß es Sicherheit und Stabilität in Europa dauerhaft nur gemeinsam mit Rußland geben kann. Die Bundesrepublik Deutschland hat in besonderem Maße den Reformprozeß in Rußland und in den anderen Staaten auf dem Boden der früheren Sowjetunion unterstützt. Wir haben uns mit Nachdruck dafür eingesetzt, daß die Öffnung der NATO mit dem Ausbau ihrer Beziehungen zu Rußland einhergeht. Die Unterzeichnung der Grundakte zwischen der NATO und Rußland im Mai 1997 in Paris hat die Perspektive einer langfristigen Sicherheitspartnerschaft eröffnet. Sie hat Möglichkeiten des Miteinanders geschaffen, die von allen genutzt werden müssen - gerade auch von Rußland selbst. Die grundlegenden Veränderungen in Europa eröffnen uns die Chance, eine Sicherheitsarchitektur für unseren ganzen Kontinent zu entwerfen. Zur Erreichung dieses großen Friedenszieles müssen Europäer und Amerikaner eng zusammenwirken.

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes haben wirtschaftliche Fragen noch mehr an Bedeutung gewonnen. Gerade auf diesem Gebiet ist zwischen unseren Ländern nach dem Krieg ein enges Geflecht von Beziehungen entstanden. Für die Bundesrepublik Deutschland ist es stets ein besonderes Anliegen gewesen, beim Handel Grenzen innerhalb der Europäischen Union zu beseitigen. Aber wir wollen sie nicht beseitigen, um dann die Außengrenzen zu verstärken. Mit uns Deutschen wird es keine "Festung Europa" geben.

 

Wir Deutsche sind uns bewußt, daß der freie Welthandel und ein ungehinderter Austausch von Ideen, Know-how und kulturellen Erfahrungen für Europas Zukunft von existentieller Bedeutung sind. Dabei sollten wir diesen Prozeß vor allem als Chance begreifen, nicht zuletzt als Chance für eine gerechtere Welt.

 

Die Vereinigten Staaten sind unser wichtigster Handelspartner außerhalb der Europäischen Union. In keinem anderen Land gibt es mehr deutsche Investitionen. Umgekehrt sind bei uns die USA der größte Auslandsinvestor. Allein in den neuen Bundesländern haben amerikanische Unternehmen 60000 Arbeitsplätze geschaffen. Dafür sind wir dankbar. Wir hoffen, Herr Präsident, auf Ihre Unterstützung, damit es noch viel mehr werden.

 

Ein herausragendes Beispiel für dieses amerikanische Engagement ist das moderne Automobilwerk der General Motors-Tochter Opel in Eisenach, das wir morgen besichtigen werden. Ich bin sicher, daß in Zukunft auch weitere amerikanische Investoren die unbestreitbaren Vorteile des Standortes Deutschland nutzen werden.

 

Um Deutschland für das 21. Jahrhundert fit zu machen, setzen wir auch weiterhin entschlossen auf die notwendigen Reformen. Dabei nehmen wir uns in vielem die Vereinigten Staaten zum Vorbild, deren Elan und vor allem deren Pragmatismus maßgeblich zu ihrem wirtschaftlichen Erfolg beigetragen haben. Privatinitiative, schöpferische Intelligenz und die Bereitschaft, entschlossen und selbstbewußt die großen Aufgaben der Zukunft zu gestalten, das war, ist und bleibt die Grundlage der herausragenden Rolle Amerikas in der Welt. Hier können wir viel von unseren amerikanischen Freunden lernen.

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die deutsch-amerikanische Freundschaft beruht auf gemeinsamen Werten. Gemeinsam treten wir für die Würde des Menschen, für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit ein. Auf dieser Grundlage wollen wir die Beziehungen zwischen unseren Ländern in die Zukunft tragen.

 

Das Spektrum unserer Zusammenarbeit umfaßt alle Bereiche des Lebens unserer Gesellschaft. Die allermeisten Kontakte erfolgen auf privater Ebene - ohne Vermittlung seitens politischer und staatlicher Stellen. Sie gehören zum Alltagsgeschehen auf beiden Seiten des Atlantiks. Das enge Netz persönlicher Verbindungen ist der wahre Schatz deutsch-amerikanischer Beziehungen. Durch Kontakte zwischen den Menschen werden nicht nur die Kenntnisse über das Partnerland vertieft, sondern auch Freundschaften begründet, die oft ein Leben lang halten. Wir sollten die enge Verbindung unserer Gesellschaften jedoch nicht als selbstverständlich erachten. Dies gilt um so mehr, als in Amerika eine Generation heranwächst, die Europa - auch Deutschland - häufig nicht mehr aus eigener Erfahrung kennt.

 

Herr Präsident, ich bin mir mit Ihnen einig, daß wir gemeinsam dafür sorgen müssen, den Kontakt zwischen den jungen Menschen in unseren Ländern noch zu vertiefen. Besonders wichtig erscheint mir auch eine Förderung der wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen. Unsere gemeinsamen Bemühungen zur Förderung des kulturellen Austausches haben Früchte getragen. Ich nenne nur einige Beispiele: Das Deutsch-Amerikanische Akademische Konzil, zu dessen Gründung wir gemeinsam vor fünf Jahren die Initiative ergriffen haben, leistet inzwischen sehr gute Arbeit.

 

Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung ein "Programm für transatlantische Begegnungen" ins Leben gerufen. Es stellt jährlich zehn Millionen D-Mark zur Förderung innovativer Projekte und längerfristiger Austauschprogramme bereit.

 

Die "Centers of Excellence" an den Universitäten von Berkeley, Georgetown und Harvard haben sich bewährt. Ich freue ich mich sehr, daß ich in der nächsten Woche an der Brandeis-Universität bei Boston eine weitere solche Forschungsstätte einweihen kann.

 

Ganz besonders begrüße ich, daß das Netzwerk der deutsch-amerikanischen Beziehungen in jüngster Zeit auch in Deutschland um zwei wichtige Einrichtungen bereichert worden ist. Im März habe ich hier in Berlin an der Eröffnung der Amerikanischen Akademie teilgenommen. Ich bin ganz sicher: Sie wird zu einem fruchtbaren Austausch im Bereich von Literatur, bildender Kunst und Musik beitragen.

 

Ich will auch ganz besonders dankbar erwähnen, daß Anfang dieses Jahres das American Jewish Committee sein Büro in Berlin eröffnet hat. Es ist sehr gut, daß diese angesehene Organisation jetzt in der deutschen Hauptstadt präsent ist.

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, knapp eineinhalb Jahre trennen uns vom Beginn eines neuen Jahrhunderts. Auf dem Weg in dieses neue Jahrhundert gehören die zuverlässige Partnerschaft zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten und die Freundschaft zwischen unseren Völkern zum kostbarsten Kapital, das wir besitzen.

 

Wir müssen und wir wollen diesen Schatz bewahren und pflegen. Dann wird die deutsch-amerikanische Freundschaft auch für die Generation unserer Kinder und Enkelkinder das darstellen, was sie für unsere Generation bedeutet: ein solides Fundament für Sicherheit und Stabilität, für Frieden und Freiheit in der Welt von morgen.

 

 

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 35. 26. Mai 1998.