14. Januar 1989

Rede zur Eröffnung der Festveranstaltung „40 Jahre Frauen-Union“ in Bonn-Bad Godesberg

 

Ich bin ausgesprochen gerne heute hierhergekommen, weil dieser 40. Geburtstag unserer Frauen-Union eine gute Gelegenheit ist zu danken; eine gute Gelegenheit, zurückzublicken auf vierzig wichtige Jahre deutscher Geschichte; und auch eine gute Gelegenheit, Ausschau zu halten auf unsere gemeinsame Zukunft.
Da ist zunächst der Dank. Romano Guardini hat einmal gesagt, Dankbarkeit sei die Erinnerung des Herzens. Ich finde, das ist ein richtiger Satz - Dankbarkeit ist in der Tat mehr als eine Sache des Verstandes. Wer heute im freien Teil unseres Vaterlandes leben darf und auf die Geschichte unserer Bundesrepublik Deutschland zurückblickt, hat allen Grund zu einem Gefühl tiefer Dankbarkeit. Es hat schon symbolische Bedeutung, dass der 40. Geburtstag der Frauen-Union gleichsam den Auftakt zu den vielen 40-Jahr-Feiern bildet, die wir 1989 begehen werden: Unsere Bundesrepublik Deutschland verdankt den Frauen weit mehr, als jemals in den Geschichtsbüchern verzeichnet sein wird.
Wir sprechen gerne vom „Wirtschaftswunder“ und meinen damit die Zeit nach der Einführung der D-Mark im Sommer 1948 bis hinein in die Mitte der fünfziger Jahre. Wer dabei war - viele hier im Saal waren das und haben diese Zeit mit gestaltet -, der weiß indessen: Das war kein „Wunder“; da gab es in einer schwierigen Stunde unserer Geschichte zunächst einmal die Hilfe von außen, die ausgestreckte Hand der Kriegsgegner von gestern - vor allem der Amerikaner mit ihrem Marshall-Plan. Diese Hilfe war die Initialzündung, um den Menschen in ihrer Not und ihrem Elend die Botschaft zu übermitteln: Wenn Ihr nur wollt, könnt Ihr den Aufbau schaffen! Vor die Wahl gestellt, zu resignieren oder die Kraft zum Aufbau dieser neuen Republik aufzubringen, haben die Menschen eben zugepackt, hart gearbeitet, Lebensmut bewiesen. Und ein entscheidendes Verdienst kommt dabei den Frauen zu. Wenn Sie durch Berlin fahren und an dem Denkmal vorbeikommen, das für die „Trümmerfrauen“, wie man sie damals nannte, errichtet wurde, dann werden Sie an eine Zeit erinnert, die wir nie vergessen dürfen: Unzählige Frauen hatten im Krieg ihre Ehemänner, die Heimat und -wie viele damals glaubten - die Zukunft verloren. Es waren Frauen, die für sich allein den Lebensunterhalt, die Erziehung und die Ernährung der Kinder sicherstellen mussten. Sie sind - und es hat nichts mit falschem Pathos zu tun, wenn ich das so sage - die „unbesungenen Heldinnen“ des Aufbaus unserer Republik.
Ich finde, wenn wir vierzig Jahre Frauen-Union feiern, sollten wir diesen Anfang unserer politischen Arbeit niemals vergessen. Wir sollen es vor allem deswegen nicht vergessen, weil wir - Frau Süssmuth sagte es schon - von dieser großartigen Generation viel lernen können. Wer, wie ich in meinem Amt, alltäglich die Larmoyanz und das Selbstmitleid so vieler beobachtet, der sieht sich besonders veranlasst, auf diese Zeit hinzuweisen. Wir haben Grund zur Dankbarkeit auch für jene großartigen Frauen und Männer, die vor vierzig Jahren unsere Verfassung schufen, die wohl beste Verfassung in der Geschichte der Deutschen. Sie schufen die Spielregeln für vierzig Jahre gelebter Demokratie - und das Grundgesetz wird auch in Zukunft die Grundlage unseres politischen Handelns sein.
1989 wird mit unserem Grundgesetz auch dessen Artikel 3 Absatz 2 vierzig Jahre alt, der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ausdrücklich festlegt. Und es jährt sich ein anderes Datum, das vielleicht das epochemachende Datum in der Geschichte der Deutschen Frauenbewegung ist: Vor siebzig Jahren, im Januar 1919, konnten die deutschen Frauen bei der Wahl zur Verfassunggebenden Nationalversammlung von Weimar zum ersten mal das aktive und passive Wahlrecht wahrnehmen. Dies war der Beginn ihrer gestaltenden Beteiligung am politischen Leben unseres Volkes - und es steht außer Frage, dass die Frauen diese Chance auch genutzt haben.
Nach 1945 wurde das noch deutlicher sichtbar - und zwar sehr zum Vorteil des Gemeinwesens, das im freien Teil Deutschlands entstand. Das nationalsozialistische Regime hatte den Frauen die Rechte in Bildung und Beruf weitgehend, in Öffentlichkeit und Politik sogar gänzlich verweigert. Dies alles gehörte zur Lebenserfahrung, als vor vierzig Jahren die „Frauenarbeitsgemeinschaft der CDU/CSU“ gegründet wurde.
Es gab nicht viele Frauen im ersten Deutschen Bundestag. Das Versprechen Konrad Adenauers, wonach 20 Prozent der Mandate in den Länderparlamenten sowie im Bundestag an Frauen gehen sollten, amüsiert mich sehr. Wenn Adenauer das damals geschafft hätte, hatten wir viele Probleme heute nicht. Ich will aber doch daran erinnern, dass die Frauen, die damals dem Deutschen Bundestag und auch der Parteiführung angehörten, in einer großartigen Weise für unsere gemeinsame Sache tätig waren. Ich erinnere ganz besonders an Helene Weber: Als Zentrumsabgeordnete hatte sie schon in der Verfassunggebenden Nationalversammlung von Weimar und im Reichstag leidenschaftlich für die Sache der Frauen gefochten. Sie war die erste Ministerialrätin Preußens, und Kardinal Frings hat sie zu Recht an ihrem 75. Geburtstag „ein Mutterherz mit Löwenmut“ genannt. Als Mitglied des Parlamentarischen Rates, der vor bald vierzig Jahren unser Grundgesetz verabschiedete, gehört sie zu den unvergessenen Gründergestalten unserer Republik. Ich erinnere an Christine Teusch, die erste deutsche Ministerin - sie war Kultusministerin in Nordrhein-Westfalen. Ich nenne Elisabeth Schwarzhaupt, die erste Bundesministerin.
Es wären noch viele zu erwähnen. Allen ist eines gemeinsam: Sie haben in einer ganz vorbildlichen Weise unserem Land gedient, auch indem sie für die Rechte der Frauen kämpften. Sie haben in beharrlicher, oft mühseliger Kleinarbeit Stück für Stück Verbesserungen für die Frauen in allen Bereichen der Politik durchgesetzt. Dies wird auch in unserer Partei zu leicht vergessen und zu wenig gewürdigt. Ich finde, heute ist eine gute Gelegenheit, dies noch einmal deutlich zum Ausdruck zu bringen. Ich will an diesem Tag vor allem auch hervorheben, dass viele von den bahnbrechenden gesellschaftspolitischen Entscheidungen, die wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten getroffen haben, auf Forderungen der Frauen-Union zurückgehen. Ich erwähne nur die Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht, das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub. Wir sollten häufiger von diesen Errungenschaften sprechen, denn es geht dabei um Kernpunkte christlich-demokratischer Politik; um Erfolge, die wir aus gutem Grund für uns in Anspruch nehmen dürfen; um gesellschaftspolitische Weichenstellungen, die dringend notwendig sind, wenn wir die Herausforderungen der Welt von morgen bewältigen wollen.
Das Motto, das Sie sich heute gewählt haben, ist Zeichen eines gesunden, eines kräftigen Selbstbewusstseins: „Für die Zukunft verantwortlich. Wir wollen mehr als unser Recht“ - das zeigt einen ganz selbstverständlichen Anspruch auf Teilhabe an den politischen Entscheidungen. Und dieses Selbstbewusstsein brauchen Sie - auch im Interesse der Gesamtpartei - für die Aufgaben, die noch auf Sie und uns alle warten.
In den vergangenen vierzig Jahren haben wir erreicht, dass Gleichberechtigung formal weitgehend verwirklicht wurde. Das ist ganz gewiss nicht wenig, aber die soziale Wirklichkeit - auch die Wirklichkeit in unserer Partei - sieht in vielen Fällen noch anders aus. Die volle Verwirklichung des Verfassungsgebotes muss im Interesse einer zukunftsorientierten Entwicklung unseres Staates und unserer Gesellschaft von uns allen als Herausforderung begriffen werden. Es bleibt auch ein klares Ziel der von mir geführten Bundesregierung.
Unsere Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu verbessern und - wo nötig - zu scharfen, die den Frauen gleichberechtigte Teilhabe an der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gestaltung der Zukunft ermöglichen. Dazu gehört auch, die immer noch zu beobachtenden Benachteiligungen abzubauen. Ohne den Sachverstand und die Kreativität der Frauen kann unsere Gesellschaft die Herausforderungen nicht bewältigen, die an der Schwelle zum 21. Jahrhundert an eine moderne Industrienation gestellt werden. Helene Weber hat ja in der ihr eigenen, manchmal etwas herben Art im Bundestag gewarnt: „Der reine Männerstaat“ sei „das Verderben der Völker“. Man mag sich über diese Formulierung natürlich amüsieren, bei genauerem Nachdenken wird man aber viel Richtiges daran erkennen. Heute ist es bei uns schon beinahe selbstverständlich, dass wir „die andere Stimme“, die Stimme der Frauen, im öffentlichen Leben besser zur Kenntnis nehmen, deutlicher hören. Der Fortschritt ist unverkennbar.
Ich will zwei Beispiele nennen: Wir haben jetzt in der Bundesregierung die Anzahl der Frauen von drei auf sechs verdoppelt. Und von diesen sechs gehören immerhin fünf der Christlich-Demokratischen Union an. Ich habe durchaus die Absicht, diese Zahl nach 1990 noch zu erhöhen. Rita Süssmuth hat als Präsidentin des Deutschen Bundestages eines der wichtigsten Ämter inne, die unsere Republik zu vergeben hat. Das ist eine große Chance, um im Sinne der Frauen in der Öffentlichkeit zu wirken.
Ein zweites Beispiel, wo es eher zähflüssig voranging - auf allen Ebenen, auch in unserer eigenen Partei: Noch vor fünf Jahren gab es nur vereinzelt Frauenbeauftragte in den Ländern und Gemeinden. Heute gibt es in allen Bundesländern Frauenbeauftragte oder Gleichstellungs-Stellen, und die Zahl dieser Stellen in den Gemeinden ist auf über 400 angewachsen.
Die Stimme der Frauen ist in der Politik eine wichtige Größe geworden. Der Blick fürs Ganze, die Fähigkeit zum Konsens, ein wacher Verstand und ein gesunder Sinn für Realitäten, auch die Begabung zu unorthodoxen Problemlösungen - sind nicht nur für die Politik, sondern auch in allen anderen Lebensbereichen ein großer Gewinn. Die Union hat dies klar erkannt und als erste Partei schon 1985 in ihren Essener „Leitsätzen für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau“ zum Ausdruck gebracht. Wir haben damit Maßstäbe gesetzt. Nur: Diese Maßstäbe dürfen nicht Theorie bleiben, sie müssen in die Praxis umgesetzt werden. Wir haben dabei noch viel zu tun.
Der Lernprozess kommt in der Partei nur voran, weil er in der gesamten Gesellschaft nur schwer vorankommt. Wenn Sie heute die oberen Etagen der deutschen Wirtschaft betrachten, werden Sie nur sehr wenige - in weiten Bereichen nur minimale - Veränderungen während der letzten dreißig Jahre entdecken. Und wenn Sie etwa die Zahl von weiblichen Ordinarien an den deutschen Universitäten betrachten, werden Sie keinen bedeutenden Fortschritt feststellen, obwohl in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Lehrstühle um fast ein Drittel zugenommen hat.
Die Versäumnisse der anderen dürfen für uns natürlich keine Entschuldigung sein, denn wir haben hier eine Vorbildfunktion zu erfüllen. Frauenpolitik ist für uns eine neue Dimension der Politik, und wir vertreten dabei kein „Einheitsmodell“. Wir wollen den unterschiedlichen Lebenssituationen der Frauen Rechnung tragen: der jüngeren wie der älteren Frauen; der erwerbstätigen Mütter, die Berufs- und Familienarbeit verbinden, der nicht erwerbstätigen Mütter und auch der Mütter, die die Berufstätigkeit für eine Weile zugunsten der Arbeit in der Familie unterbrochen haben; der abhängig beschäftigten Frauen und der selbstständigen Frauen, der Frauen in der Landwirtschaft, der mithelfenden Familienangehörigen; der alleinerziehenden und der alleinstehenden Frauen. Allein diese knappe Aufzählung zeigt die Komplexität des Problems. Es geht dabei immer auch um eine Veränderung der privaten und gesellschaftlichen Rolle des Mannes, um eine materielle und ideelle Aufwertung der Tätigkeiten in der Familie, um eine größere Flexibilität in der Arbeitswelt - und das schließt auch den öffentlichen Dienst ein.
Dass dieser Wandel sich langsam vollzieht, ist oft enttäuschend; aber niemand darf verkennen, dass wir auch große Fortschritte gemacht haben, die sich durchaus zu einer neuen politischen Qualität summieren. Zu diesen Fortschritten zählen auch die Erfolge, die nicht der Frauenpolitik im engeren Sinne zuzurechnen sind. Ich denke beispielsweise an die positiven Auswirkungen steigender Beschäftigungszahlen. Mittlerweile sind fast 900 000 neue Arbeitsplätze entstanden, sichere und meist qualifizierte Arbeitsplätze - und diese Entwicklung kommt auch den Frauen zugute.
Was wir schaffen müssen - und hier bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung -, ist eine größere Flexibilisierung der Arbeitszeit. Das ist überhaupt auch ein wichtiges Mittel im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Der eigentliche Durchbruch steht hier noch aus. In vielen Personalbüros und bei Tarifverhandlungen ist man zum Teil noch einer Mentalität verhaftet, die an das Denken zu Beginn dieses Jahrhunderts erinnert. Es muss uns aufrütteln, dass in einem mit uns durchaus vergleichbaren Land, den Niederlanden, die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze 24 Prozent beträgt, während es bei uns nur 12 Prozent sind. Auch bei uns muss es doch möglich sein, ein ähnliches Niveau zu erreichen. Diese Entwicklung käme übrigens ja auch Männern zugute.
In einem anderen Bereich sind wir auf einem guten Weg: In den gewerblichen Ausbildungsberufen von Industrie und Handel hat der Anteil der weiblichen Lehrlinge spürbar zugenommen. Als ich kürzlich auf einer Meisterfeier in Südwestdeutschland sprach - es waren weit über 1000 junge Meisterinnen und Meister anwesend -, gab der Hauptgeschäftsführer bekannt, dass die Mehrheit der Preise an Frauen ging.
Ich denke, diese wenigen Beispiele zeigen, dass Frauenpolitik, dass Politik für Frauen nicht einen genau eingegrenzten Aufgaben Sektor darstellt, der sich etwa gegen andere Bereiche abschotten ließe. Was wir auch hier brauchen, ist „ganzheitliches Denken“. Ich erinnere damit an Ludwig Erhard, dessen Vorstellungen zur Zeit weltweit eine Renaissance erfahren und der dieses „ganzheitliche Denken“ für alle Bereiche der Politik - der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, der Technologie- und Kulturpolitik - gefordert hat. Politik für Frauen ist, so verstanden, keine einseitige Interessenpolitik. Sie richtet sich nicht nur an Frauen. Sie muss eine Politik für bessere Lebensbedingungen im weitesten Sinne sein:
Politik für den Schutz und die Erhaltung des Lebens, für eine menschengerechte Lebensumwelt, in der alle Halt und Geborgenheit finden: Frauen wie Männer, Kinder wie alte Menschen, Gesunde wie Kranke.
Frauenpolitik muss immer auch das Ganze im Blick haben - die Familie und die Arbeitswelt, die rechtlichen Verhältnisse wie die sozialen Sicherungssysteme, den ländlichen Raum ebenso wie die Städte. Frauenpolitik steht heute für eine neue Qualität der Politik insgesamt. Dieses „ganzheitliche Denken“ muss sich auch auf allen Ebenen unserer Partei zeigen. Wir können es uns einfach nicht leisten, nach dem Motto zu verfahren: Dieses oder jenes Thema weisen wir einer Vereinigung zu: Die Arbeit in den Betrieben der CDA, die Arbeit für die Jugend der Jungen Union, die Frauenpolitik der Frauen-Union. Natürlich ist es der Sinn der Vereinigung, sich zunächst einmal um diese spezifischen Themen zu kümmern. Aber ein Kreisvorstand, ein Bezirksvorstand, ein Landesvorstand und ein Bundesvorstand, der nicht in all diesen Bereichen selbst Mitverantwortung - und das heißt immer auch Arbeit -übernimmt, hat seine Aufgabe verfehlt.
Natürlich muss sich die Partei auf die Vereinigungen verlassen können und umgekehrt. Das gilt für alle, auch für die Frauen-Union. Allerdings erwarte ich von der Gesamtpartei, dass sie ernst macht mit den „Richtlinien zur politischen Gleichstellung der Frauen in der CDU“, die wir im Juni vergangenen Jahres auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden beschlossen haben. Dort heißt es, ich zitiere: „Die CDU will entsprechend den Beschlüssen des Essener Parteitages die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im Lebensalltag, das heißt auch bei politischen Ämtern und Mandaten, innerhalb der neunziger Jahre erreichen. In einer ersten Stufe sollen deshalb Frauen mindestens entsprechend ihrem Anteil an der Mitgliedschaft der CDU für Ämter und Mandate nominiert werden.“
Wir haben uns ganz bewusst gegen die Quotenregelung entschieden, weil wir nicht glauben, dass dies für uns der richtige Weg ist. Allerdings sage ich auch ganz deutlich: Wir müssen jetzt - und hier hat Rita Süssmuth recht - den Beweis dafür antreten, dass wir den von uns gewählten Weg auch tatsächlich beschreiten. Die erste Bewährungsprobe, zumindest auf Bundesebene, findet bei der Bundestagswahl 1990 statt. Die Partei muss auf diesem Felde noch viel dazulernen. Für die Zukunftsentwicklung sind dabei die Wahlen zu Parteiämtern genauso wichtig wie die Kandidatenaufstellungen für die Parlamente der Gemeinden, der Länder und des Bundes. Denn wenn wir mehr Frauen in den Kreisvorständen, in den Bezirks- und Landesvorständen und auch im Bundesvorstand - obwohl hier schon eine vergleichsweise günstige Relation besteht - haben, dann wird sich die Situation auch im Blick auf die Kandidatenaufstellung für öffentliche Ämter spürbar verändern. Heute ist die Situation immer noch so, dass die Frauen - um Erfolg zu haben - wesentlich besser qualifiziert sein müssen als ihre männlichen Konkurrenten, und dies ist wirklich absurd.
Wir haben in der Zwischenzeit in der Organisationskommission, die auf dem Wiesbadener Parteitag eingesetzt wurde, erfolgreich gearbeitet. Auf dem nächsten Bundesparteitag im September in Bremen werden wir uns - neben den dann fälligen Neuwahlen des Parteivorstandes und des Präsidiums sowie neben dem zentralen Thema „Umweltschutz“ - einen Tag lang der Frage widmen, wie sich die Parteiarbeit entwickeln soll. Wir werden dabei nüchtern Bilanz ziehen; wir werden offen über Soll und Haben miteinander sprechen - auch, was die Teilhabe von Frauen an Ämtern und Mandaten anbelangt.
Ich appelliere heute nochmals eindringlich an die Gesamtpartei: Werben Sie um die Mitarbeit von engagierten Frauen, fördern Sie deren Kandidaturen, unterstützen Sie die Frauen bei ihrer politischen Arbeit, denn ohne die Mitarbeit von Frauen wäre die Arbeit in unserer Partei um viele Perspektiven und Nuancen ärmer. Es gibt keinen Weg zurück zu jenen althergebrachten Vorstellungen, die wir gelegentlich noch zu hören bekommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es viele Frauen in unserer Partei gibt, die wir für Ämter gewinnen können. Aber ich glaube auch, dass es darüber hinaus noch viele Frauen gibt, die sich für unsere Partei gewinnen lassen, wenn wir entsprechende Beispiele geben.
Das Rüstzeug für eine erfolgreiche Arbeit der CDU sollte aus allen Bereichen des Berufslebens, und auch aus den Familien, kommen. Die Möglichkeit, bewährte Persönlichkeiten für die Politik zu gewinnen, ist doch immer auch eine Chance für unsere Partei, sich als eine wirkliche Volkspartei darzustellen!
Sie werden verstehen, wenn ich in diesem Zusammenhang ganz besonders dafür werbe, dass auch Sie in der Frauen-Union besonders darum bemüht sind, junge Frauen für unsere Partei zu gewinnen - als Wählerinnen wie auch als Mitglieder. Denn in dem Maße, wie der Frauenanteil in unserer Partei, zur Zeit sind es rund 23 Prozent, wächst, wird auch die Forderung nach mehr Teilhabe der Frauen an Ämtern und Mandaten Nachdruck erhalten. Und das ist wichtig, weil ich mir davon einen besonderen Impuls und eine besondere Unterstützung für die zentralen Aufgaben und Herausforderungen unserer Politik erwarte.
Es bleibt eine Kernforderung christlich-demokratischer Politik, dass Familienarbeit immer mehr die ihr gebührende gesellschaftliche Anerkennung findet. Insbesondere müssen Erziehungs- und Pflegetätigkeit in angemessener Weise rentenbegründend und rentenerhöhend wirken -natürlich für Frauen und Männer. Dieses Gebot folgt auch aus der Notwendigkeit, den Fortbestand des Generationenvertrags zu sichern. Wir haben zu all diesen Themen auf der Bundesausschusssitzung am 26. September gute Beschlüsse gefasst. Besonders wichtig erscheint mir dabei die Forderung nach zwei weiteren rentenbegründenden und rentenerhöhenden Kindererziehungsjahren für die Erziehenden, die Erziehungsgeld erhalten haben.
Ich habe schon von der notwendigen Flexibilisierung der Arbeitszeit gesprochen, und ich appelliere vor allem an unsere Kommunalpolitiker, den Frauen dabei hilfreich zur Seite zu stehen. Es ist zum Beispiel erstaunlich, wie unflexibel manche Kindergarten-Träger sind, wenn es darum geht, bei den Öffnungszeiten auf die Wünsche halbtags arbeitender Mütter Rücksicht zu nehmen.
Eine durchdachte Frauenpolitik ist immer auch Politik für die Familie - und umgekehrt. Wir haben hier wegweisende Entscheidungen getroffen. Ich begrüße es ausdrücklich, dass der Bundesausschuss im September die Forderung erhoben hat, Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub auszubauen. Ich füge allerdings hinzu - weil nur das ehrlich und solide ist: Wir können dies alles nur tun im Rahmen dessen, was finanziell möglich ist. Und gerade Sie haben sicherlich am meisten Verständnis dafür, dass nur eine solide Haushaltsführung uns die Möglichkeiten für eine gesicherte Zukunft gibt.
Ich weise schließlich darauf hin, dass wir jetzt in 47 Monaten, am 31. Dezember 1992, den europäischen Markt vollendet haben werden. Ein Wirtschaftsraum ohne Binnengrenzen für 320Millionen Menschen: Das wird unsere Gesellschaft stark verändern. In zehn Jahren wird diese Bundesrepublik Deutschland anders aussehen. Bis dahin wird es ein schwieriger Weg sein, es wird viel Arbeit und manchen Ärger kosten, aber wir haben alle Chancen, am Ende dieses Jahrhunderts, das so viel Leid gebracht hat, die nächste Generation in eine Zukunft zu führen, die wirklich gesichert und gut sein wird.
Wir werden manches auf dem Wege der sogenannten Harmonisierung bei uns zu verändern haben. Und wir werden feststellen - auch im Blick auf Frauenpolitik -, dass es innerhalb der EG Felder gibt, in denen andere uns voraus sind. Wir haben Grund, auch von anderen zu lernen, dort, wo sie besser sind. Wir brauchen hier ein Höchstmaß an Engagement, Sachverstand und Sensibilität. Für den Erfolg unserer Politik wird es entscheidend darauf ankommen, dass sich die Familie als die grundlegende Form menschlichen Zusammenlebens behauptet. Ich sehe sonst keine Chance, wie wir die Probleme, die auf uns zukommen, meistern können.
Wir sollten unseren Wählern und Wählerinnen immer wieder deutlich machen: Unser Bild vom Menschen, unsere Vision von einer Gesellschaft mit menschlichem Gesicht ist den Konzepten und Vorstellungen anderer überlegen, weil wir alle Gruppen einbeziehen. Wir machen keine einseitige, keine gruppenspezifische Politik, weil wir nicht eine Gruppe zu Lasten einer anderen bevorzugen. Dies ist unser Verständnis von Solidarität. Helfen Sie mit, diese Politik für die Zukunft überzeugend zu vertreten!
Ich will Ihnen allen noch einmal sehr herzlich danken und in dieser Stunde an die vielen aus Ihrem Kreis erinnern, die heute nicht mehr unter uns sind, und ohne deren Wirken wir diesen 40. Geburtstag nicht feiern könnten. In vierzig Jahren haben viele Frauen in verschiedensten Funktionen und in allen Bereichen unserer Partei ihr Bestes gegeben, mit einem Engagement, einem Lebensmut und mit einer Fröhlichkeit des Herzens, die ich uns auch für die Zukunft wünsche.
Vierzig Jahre Bundesrepublik Deutschland und vierzig Jahre Arbeit der Frauen-Union: Das sind Daten, bei denen es sich lohnt, innezuhalten, zurückzuschauen, zu danken - und nach vorne zu blicken. Zu den vielen wichtigen Daten gehört auch, dass wir jetzt die längste Friedensperiode in der deutschen Geschichte der Neuzeit erreicht haben; und wir haben allen Grund zur Hoffnung, dass wir weiterhin in Frieden und Freiheit leben dürfen. Am Tag der Bundestagswahl 1990 werden rund 60 Prozent der in der Bundesrepublik Lebenden einer Generation angehören, die nach Hitler geboren und aufgewachsen ist. Viele davon denken keine Minute mehr darüber nach, dass alles auch ganz anders sein könnte. Aber es ist eben nicht selbstverständlich, dass wir während der vergangenen vierzig Jahre in Frieden, Freiheit und wachsendem Wohlstand leben durften.
Wohl waren diese vierzig Jahre überschattet von der Teilung unseres Vaterlandes; aber wir Deutschen haben uns nicht auseinandergelebt - im Gegenteil, wir kommen wieder näher zusammen. Im letzten Jahr gab es bei uns rund sechs Millionen Besucher aus der DDR. Nach meinem Eindruck wird diese Zahl 1989 weiter wachsen. Bei 17 Millionen Einwohnern in der DDR ist das eine gewaltige Zahl, auf die wir stolz sein können. Sie zeigt: Wir stehen zu unserer Verantwortung für ganz Deutschland. Wir haben bei uns „Wohlstand für alle“ im Sinne Ludwig Erhards erreicht. Das ist eine großartige Leistung gewesen. Aber diese Leistung hat auch eine Kehrseite: Viele meinen jetzt, es verstehe sich von selbst, dass der Friede, die Freiheit und der Wohlstand erhalten bleiben.
Es ist unsere Aufgabe, auch dort, wo wir Gegenwind haben - etwa bei der Gesundheitsreform, bei der Steuerreform, bei der Postreform, bei der Rentenreform -, bei aller Leidenschaft unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu sagen: Wenn wir jetzt nicht in die Zukunft investieren, werden wir absteigen, werden wir zweit- und drittklassig werden.
Es ist nicht selbstverständlich, dass die Bundesrepublik Deutschland unter verschiedenen Gesichtspunkten zu den bedeutendsten Ländern der Welt gehört. Ich spreche nicht von der militärischen Kapazität. Ich spreche beispielsweise von Forschung: Wir haben im letzten Jahr 60 Milliarden DM in die Forschung investiert - Staat und Wirtschaft -, und das ist in unserer Geschichte der höchste Betrag, der je für diesen Zweck ausgegeben wurde. Und jede in die Forschung investierte Mark ist eine Investition in die Zukunft.
Ich denke beispielsweise auch an die Wirtschaftskraft unseres Landes, an den hohen Ausbildungsstandard dank unseres bewährten dualen Systems und an das, was es in den Universitäten an Lerneifer und an Fleiß bei Lehrenden, Forschenden und Lernenden gibt. Wenn mich Ausländer fragen, wo unsere Probleme liegen, pflege ich zu antworten: Wir können im Prinzip alle materiellen Probleme bei uns lösen - wenn auch nicht über Nacht, und manche erst in vielen Jahren. Entscheidend ist die Frage, ob wir die innere Kraft dazu aufbringen. Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten, auch hier im Saal: Ob wir den Mut, ob wir das Stehvermögen, ob wir die Solidarität untereinander aufbringen, um das Notwendige zu tun.
Es kommt letztlich entscheidend darauf an, dass wir alle aus unserer Geschichte lernen, dass wir lernfähig bleiben, offen und sensibel für die Fragen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger; dass wir wissen: Die Macht, die wir besitzen, ist uns nur auf Zeit anvertraut, wir haben keinen Anspruch darauf, und wir müssen sie immer wieder neu erwerben; dass wir auf die Menschen zugehen und nicht warten, bis sie zu uns kommen; dass wir Vertrauen erwerben und verdienen durch unser Programm, durch unsere Politik, durch unser eigenes Beispiel; und vor allem: dass wir uns nicht von Pessimismus den Blick auf die Chancen der Zukunft trüben lassen. Mit einem Wort: dass wir unsere Arbeit gut bewältigen -nicht verbissen, sondern mit der Fröhlichkeit des Herzens, mit dem Gefühl: Es macht uns Freude, für unser Vaterland, für unsere Zukunft zu arbeiten und zu kämpfen!

Quelle: Union in Deutschland, CDU-Dokumentation (Bonn) 3/1989.