14. Mai 1998

Rede anlässlich der Feierstunde zum Gedenken an die Luftbrücke auf dem Flughafen Tempelhof in Berlin

 

Herr Präsident, lieber Freund,
Herr Regierender Bürgermeister,
Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Schülerinnen und Schüler,

 

ich heiße Sie, Herr Präsident, auf dem Flughafen Tempelhof in Berlin sehr herzlich willkommen. Dieser Flugplatz mitten in der deutschen Hauptstadt steht in einer besonderen Weise für die Verbundenheit Amerikas mit Berlin. Er ist ein Symbol, und er steht für eine der großartigsten Hilfsaktionen in der Geschichte. In wenigen Wochen jährt sich zum fünfzigsten Mal der Tag, an dem die Luftbrücke nach Berlin begann. Als die Sowjetunion, als Stalin im Juni 1948 eine Blockade aller Landwege nach Berlin anordnete, waren es die westlichen Alliierten und nicht zuletzt unsere amerikanischen Freunde, die die Bürger im freien Teil Berlins monatelang aus der Luft versorgten. Hier landeten tagein, tagaus jene Flugzeuge, die von der Bevölkerung bald liebevoll "Rosinenbomber" genannt wurden und die in einer der großartigsten Leistungen in der Geschichte der modernen Technik und der Luftfahrt - die Zukunft Berlins sicherten.

 

Die Berliner - aber auch wir alle in Deutschland - haben damals erfahren, was es heißt, in der Stunde der Not nicht allein zu sein. Wir wissen, daß diese Stadt ihr Überleben in Freiheit während des Kalten Krieges der unerschütterlichen Solidarität der Vereinigten Staaten von Amerika und der anderen westlichen Alliierten verdankt. Hier in Berlin, Herr Präsident, haben Deutsche und Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erlebt.

 

Hier wurden im Laufe der Jahre aus Siegern Schutzmächte und Partner, aus Gegnern und Feinden von gestern Verbündete und Freunde. Die Luftbrücke wurde so ein Symbol der Standhaftigkeit der westlichen Demokratien. Die ganze Welt wurde Zeuge der Entschlossenheit der westlichen Alliierten, auf keinen Fall der kommunistischen Bedrohung zu weichen.

 

Aus dieser Erfahrung erwuchs der Wille, sich zur Verteidigung von Frieden und Freiheit fest und dauerhaft in der Atlantischen Allianz zusammenzuschließen. In dieser Allianz arbeiten wir nun seit vielen Jahrzehnten erfolgreich zusammen. Die einzigartige Hilfe der westlichen Alliierten, nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, war keineswegs selbstverständlich. Es war eine Hilfe, die auch Opfer kostete.

 

Herr Präsident, wenige Meter von hier entfernt steht das Denkmal der Luftbrücke. Es erinnert uns an die Opfer jener Zeit - an die 78 Menschen, die ihr Leben im Einsatz für die Freiheit verloren haben. Ich freue mich, daß heute viele amerikanische Soldaten unter uns sind. Ich begrüße ganz besonders herzlich die Veteranen, die selbst in jener Zeit an der Luftbrücke teilgenommen haben. Sie haben in einer sehr persönlichen Weise einen Beitrag zur deutsch-amerikanischen Freundschaft geleistet. Dafür danke ich Ihnen im Namen der Berliner und aller Deutschen. Ihnen, den Veteranen der Luftbrücke, möchte ich versichern, daß wir Ihren Kameraden stets ein ehrendes Andenken bewahren werden. In dieser Stunde gehen unsere Gedanken und Erinnerungen an die Angehörigen der Toten.

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, in den vergangenen Jahrzehnten haben rund 7 Millionen amerikanische Soldaten bei uns in Deutschland Dienst getan. Gemeinsam mit ihren Familien waren es etwa 15 Millionen Amerikaner, die fernab ihrer Heimat, ihren Beitrag zur Erhaltung von Frieden und Freiheit leisteten - gemeinsam mit den übrigen Alliierten und den Soldaten unserer Bundeswehr. Im täglichen Kontakt mit ihren deutschen Nachbarn haben sie viele persönliche Beziehungen geknüpft. Diese wurden - dafür sind wir besonders dankbar - eines der Fundamente der engen Freundschaft zwischen unseren Völkern. Es sind ja nicht zuletzt die alltäglichen Erfahrungen und Eindrücke, die persönlichen und menschlichen Begegnungen, die in diesen Jahrzehnten die deutsch-amerikanischen Beziehungen mit Leben erfüllt haben. So sind die amerikanischen Soldaten ein wichtiger Teil der Freundschaftsbrücke über den Atlantik geworden.

 

Die Freundschaft und Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten gehört zu den tragenden Säulen deutscher Außenpolitik. Uns Deutschen wurde ihre entscheidende Bedeutung bewußt, als wir das Geschenk der Wiedervereinigung erfahren durften. Als sich die dramatischen Veränderungen im Osten Europas abzeichneten und als endlich die Mauer fiel, haben wir von niemandem so viel Unterstützung und Hilfe erfahren wie von unseren amerikanischen Freunden. Das werden wir nie vergessen.

 

Während andere noch zögerten und manche voller Bedenken waren, stellten sich die Vereinigten Staaten ohne Wenn und Aber an die Spitze derjenigen, die uns auf dem Weg zur Deutschen Einheit unterstützten. Dem unerschütterlichen Engagement unserer amerikanischen Freunde verdanken wir es, daß Mauer und Stacheldraht, die Berlin und Deutschland so lange teilten, endlich überwunden werden konnten.

 

Sie, Herr Präsident, und Ihre Amtsvorgänger haben sich stets für die Vertiefung der deutsch-amerikanischen Freundschaft eingesetzt. Ich werde jenen Tag vor vier Jahren nicht vergessen, als wir gemeinsam durch das Brandenburger Tor gingen. In Ihrer bewegenden Rede haben Sie damals gesagt, daß Amerika weiter an der Seite der Berliner und der Deutschen stehen wird. Ich zitiere Sie wörtlich: "Jetzt und für immer". Herzlichen Dank, Herr Präsident!

 

Seien Sie versichert, Herr Präsident, daß Sie bei uns in Deutschland auch in Zukunft treue Freunde und zuverlässige Partner haben werden. Unsere engen Beziehungen ruhen auf drei stabilen Säulen: auf den gemeinsamen Werten, die uns politisch, wie geistig-moralisch verbinden, auf unseren gemeinsamen Interessen und auf unserem gemeinsamen Einsatz für eine freie Weltwirtschaftsordnung, die für unsere Volkswirtschaften von entscheidender Bedeutung ist.

 

Wir leben in einer Zeit dramatischer Umbrüche. Wir müssen gemeinsam - Deutsche und Amerikaner - das neue Jahrhundert, das in eineinhalb Jahren beginnt - im Geist der transatlantischen Partnerschaft angehen. Dabei kommt auch uns, den Deutschen, eine besondere Verantwortung zu. Wir stehen zu dieser Verantwortung. Es ist für mich in dieser Umbruchzeit von unschätzbarer Bedeutung, im Weißen Haus einen Freund und Partner zu wissen. Auch dafür danke ich sehr herzlich.

 

Wir haben gestern in unseren Reden noch einmal deutlich gemacht, daß wir unsere gemeinsame Aufgabe auch darin sehen, die Folgen der Teilung Europas in den langen Jahrzehnten des Ost-West-Gegensatzes dauerhaft zu überwinden. Wir müssen alles dafür tun, den jungen Demokratien Mittel-, Ost- und Südosteuropas Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, damit sie Teil unserer gemeinsamen Zukunft werden können. Dies ist für uns als Deutsche und dies ist für unsere amerikanischen Freunde von großer Bedeutung. Unser Ziel, Herr Präsident, ist es, den Bau des Hauses Europa zu vollenden. Dabei wollen wir, daß unsere amerikanischen Freunde in diesem Haus auf Dauer ihre feste Wohnung haben.

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, das enge Zusammenwirken unserer beiden Völker ist auch weiterhin eine unverzichtbare Grundlage für eine gute Zukunft. Wir bekennen uns gemeinsam zur Würde des Menschen, zu Freiheit und Demokratie. Unsere Unterstützung für eine Politik des Friedens überall in der Welt bleibt dabei Richtschnur unseres gemeinsamen Handelns.

 

Besonders zu den vielen jungen Menschen, die erfreulicherweise heute hier sind, sage ich: Lassen Sie uns auf diesem gemeinsamen Weg weiter vorangehen - im Rückblick auf das gemeinsam Erreichte und mit einer überzeugenden Vision für eine Zukunft in Frieden und Freiheit.

 

 

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 35. 26. Mai 1998.