16. Oktober 1996

Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung "Sechs Jahre nach der Wiedervereinigung - Landschaften aus den 16 deutschen Bundesländern - Skizzen und Bilder von Klaus Fußmann" im Bundeskanzleramt in Bonn

 

Lieber Herr Fußmann, liebe Frau Fußmann,

lieber Herr Kollege Schmidt,

meine Damen und Herren Abgeordnete,

Exzellenzen,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich heiße Sie sehr herzlich zu dieser Begegnung heute abend hier im Bundeskanzleramt willkommen und freue mich, daß meine Einladung zu der Eröffnung der Ausstellung "Landschaften - Skizzen und Bilder aus den 16 Bundesländern" ein so großes Echo gefunden hat.

Ich freue mich ganz besonders, daß Sie, lieber Herr Schmidt, heute hierher gekommen sind. Sie sind der Begründer dieser Ausstellungstradition, Sie haben dieses Haus seinerzeit als Bundeskanzler zu einem Haus der Kunst gemacht. Das Bundeskanzleramt beherbergt eine einzigartige Sammlung von Gemälden, die von Besuchern aus dem In- und Ausland immer wieder bewundert wird.

Meine Damen und Herren, vor zwei Wochen hat sich die deutsche Wiedervereinigung zum sechsten Mal gejährt. Es fügt sich gut, daß wir gerade in diesen Oktobertagen Gelegenheit erhalten, in Bildern verdichtete Eindrücke des Künstlers Klaus Fußmann aus allen 16 Bundesländern kennenzulernen.

Es ist erst ein Jahr her, als ich zum ersten Mal aquarellierte pfälzische Landschaften des Malers Klaus Fußmann sah. Zuvor kannte ich nur seine Blumenbilder. Ich war begeistert, denn selten habe ich so überzeugende zeitgenössische Landschaftsbilder gesehen. Mich faszinierte sofort der Gedanke an eine Ausstellung, in der Landschaftsbilder aller Bundesländer hier im Kanzleramt gezeigt werden könnten. Ich bin Ihnen, lieber Herr Fußmann, und allen, die mitgeholfen haben, sehr dankbar, daß es gelungen ist, diese Ausstellung binnen Jahresfrist zu verwirklichen.

Diese Ausstellung ist eine Ausnahme - das Bundeskanzleramt weicht damit von der Regel ab, keine Einzelausstellungen lebender Künstler zu zeigen. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist diese Ausnahme ganz gewiß wert. Sie ist Grund genug, uns die vielfältige Schönheit deutscher Landschaften und ihre Zusammengehörigkeit durch das Werk eines Künstlers vor Augen zu führen.

Bilder sind Ausdruck ganz persönlicher Welt-Sichten. Das Motiv Landschaft, dem Fußmann sein künstlerisches Schaffen vorrangig widmet, erschließt die Welt-Sicht Fußmanns vor allem als ein Ineinanderfließen von Raum und Zeit: Der Blick auf den ständigen Wandel der Natur läßt in ihr den Kreislauf von Werden und Vergehen erkennen. Die Einsicht Heraklits "Alles fließt" gewinnt in diesen Bildern eine eigene Realität, die sich unmittelbar dem Betrachter mitteilt.

Fußmanns Ziel ist es, gleichsam Momentaufnahmen seines Empfindens zu vermitteln. Er steht damit in der Tradition der abendländischen Landschaftskunst, die aus dem Spannungsverhältnis zwischen der Liebe zur Natur und der Erfahrung ihres Verlustes lebt.

Diese Gedankenwelt spiegelt sich zum Beispiel im Werk Caspar David Friedrichs, das Klaus Fußmann in seinem Schaffen stark beeinflußt hat. Doch geht es ihm darüber hinaus darum, hinter den ständig sich ändernden Erscheinungsweisen der Landschaft "die Landschaft an sich" zu erkennen. Zugleich scheint in seinen Bildern der unlösliche Zusammenhang zwischen Natur- und Kulturlandschaft auf. Sie machen sichtbar, in welchem Maße unsere Landschaft eine gestaltete Landschaft ist - und hier am Rhein ist dies ja in besonderer Weise zu spüren.

Klaus Fußmann ist ein Maler der deutschen Landschaft und nicht nur des Nordens, wo er sich auf der Suche nach eben dieser Ursprünglichkeit niedergelassen hat. Wir sehen in den hier ausgestellten Skizzen und Bildern die Vielfalt der deutschen Landschaft. Wir sehen aber auch, durch den charakteristischen Blick des Künstlers, ihre Einheit. Damit symbolisiert diese Ausstellung in besonderer Weise den Prozeß der deutschen Einheit - und das Bekenntnis zu ihr.

Ich sage bewußt "den Prozeß" - denn in den vergangenen sechs Jahren seit der Wiedervereinigung sind wir gewahr geworden, daß die Herstellung der inneren Einheit nach über 40 Jahren der Trennung und ganz unterschiedlicher Lebenserfahrungen eine große und zugleich schwierige Aufgabe ist. Wir alle - ich schließe mich ausdrücklich mit ein - haben in diesen letzten Jahren in Deutschland viel voneinander lernen müssen - und lernen können. Aber es ist uns auch klar geworden, daß die Gestaltung der Zukunft unseres Landes nur gelingen kann, wenn wir sie als gemeinsame Aufgabe begreifen.

Wir sind in unserem Denken und Handeln mehr denn je dazu aufgefordert, uns füreinander verantwortlich zu fühlen - die Menschen am Rhein auch für die, die an der Saale wohnen, und die Menschen an der Oder auch für die, die am Chiemsee zu Hause sind. Und dafür ist eine wesentliche Voraussetzung, daß wir nicht nur die wirtschaftliche und soziale Einheit vollenden, sondern auch die geistig-kulturelle Einheit leben und uns immer wieder auf sie besinnen. Unsere gemeinsame Sprache und Kultur ist neben dem Willen zur Einheit in Freiheit das wichtigste Band, das bereits in der Zeit der schmerzlichen Teilung unseres Vaterlandes die Nation zusammengehalten hat.

Mit den hier gezeigten Skizzen und Bildern aus allen sechzehn Bundesländern hat Klaus Fußmann für sich und uns die deutsche Landschaft neu entdeckt. Ich hoffe, daß diese Bildwelt für uns Anstoß zu einer neuen Sichtweise der deutschen Landschaften sein wird und unseren eigenen Blick für die Vielfalt der Einheit unseres Landes erweitert. Vielleicht kommt der eine oder andere von Ihnen ja auch auf den Gedanken, daß man nicht immer nur an fernen Gestaden Urlaub machen muß, sondern sich auch mitten in Deutschland sehr wohlfühlen kann.

Allen, die die Ausstellung vorbereitet haben, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Dabei denke ich vor allem an Herrn Dr. Roland, dem ich seit Mainzer Tagen immer wieder wertvollen Rat in künstlerischen Fragen verdanke. Er hat auch diese Ausstellung und den vorliegenden Katalog, den ich ob seiner Qualität gar nicht genug rühmen kann, realisiert. Darüber hinaus gilt mein Dank auch den Leihgebern, Herrn Peerlings und Herrn Siedler, aus dessen Besitz der "Blick auf den Kudamm" stammt, den wir hier vor uns sehen.

Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen allen einen interessanten Abend und viel Freude und Anregung durch ein besonderes Kunsterlebnis. Ich darf nun Herrn Dr. Roland bitten, uns eine Einführung in die Ausstellung zu geben.

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 96. 26. November 1996.