18. Dezember 1997

Ansprache bei dem Abschiedsempfang für den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. Wolfgang Frühwald, in Bonn

 

Lieber Herr Professor Frühwald,
sehr verehrte Frau Frühwald,
meine Damen und Herren Abgeordnete,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

wir sind heute hier zusammengekommen, um Sie aus dem Amt des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu verabschieden. Sie haben dieses Amt seit 1992 ausgeübt. Es war eine Zeit dramatischer Veränderungen in Deutschland, Europa und der Welt - Veränderungen, die noch längst nicht abgeschlossen sind. Jetzt kehren Sie an die Universität München zurück, um sich wieder ganz Ihrem Fach widmen zu können: der neueren deutschen Literatur.

 

Diese Stunde des Abschieds ist vor allem auch eine gute Gelegenheit, Ihnen sehr herzlich zu danken: Sie haben sich in den vergangenen Jahren um die Wissenschaft in Deutschland, um das Wohl unseres ganzen Landes große Verdienste erworben. Und Sie haben bewiesen, daß die Geistes- und Kulturwissenschaften auch in unserer naturwissenschaftlich-technisch geprägten Zivilisation eine zentrale Rolle spielen.

 

Ihr Lebens- und Berufsweg hat Sie dafür in besonderer Weise qualifiziert. Ihr bewundernswerter akademischer Werdegang spricht für sich! Sie haben neben Ihrer intensiven und erfolgreichen Lehr- und Forschungstätigkeit als Germanist immer auch Aufgaben der wissenschaftlichen Selbstverwaltung wahrgenommen. Weit über 200 Buch- und Zeitschriftenpublikationen entstammen Ihrer Feder. Darüber hinaus pflegen Sie eine rege Herausgebertätigkeit. Aber im Gegensatz zu manchem Ihrer Kollegen gehen Sie nicht dazu über, nur noch Vorworte zu verfassen. Vor kurzem habe ich Ihr jüngstes Buch "Zeit der Wissenschaft. Forschungskultur an der Schwelle zum 21. Jahrhundert" erhalten. Dieses Werk kennzeichnet die Spannweite Ihres Denkens. Es reflektiert gesellschaftliche, kulturelle und auch ethische Bezüge von Wissenschaft und Forschung in einer zusammenwachsenden Welt. Es ist nicht zuletzt wegen der verständlichen Art der Darstellung auch ein Gewinn für diejenigen, die die beschriebenen Zusammenhänge nicht derart fachkundig zu beurteilen vermögen wie Sie selbst.

 

Wer einmal wie ich das Vergnügen hatte, Sie bei der Verleihung der Leibnizpreise zu erleben, der hat Ihre außerordentliche Fähigkeit schätzengelernt, auch Nichtfachleuten etwas von der Faszination des Abenteuers wissenschaftlicher Forschung zu vermitteln. Ihr brillantes Darstellungsvermögen hat Ihnen auch überfüllte Hörsäle gebracht. Für Sie ist Lehre keine "lästige Pflicht", sondern anspornende Herausforderung.

 

Lieber Herr Frühwald, als Präsident der DFG haben Sie an einer zentralen Schnittstelle von Wissenschaft und Politik Großes bewirkt. Ihre Stimme im Rat für Forschung, Technologie und Innovation hat Gewicht. Im Dialog mit Politik und Wirtschaft haben Sie maßgeblich dazu beigetragen, das Bewußtsein für die herausragende Bedeutung der Forschung für die Zukunft unseres Landes zu schärfen. Mit dieser Botschaft haben Sie auch in der breiten Öffentlichkeit Gehör gefunden. Hier kam Ihnen die besondere Gabe zugute, komplexe Sachverhalte und abstrakte Gedankengänge klar, verständlich und anschaulich zu formulieren.

 

Die Art, wie Sie Ihr Amt geführt haben, wie Sie unaufdringlich und zupackend zugleich für die Anliegen der deutschen Forschung geworben und gekämpft haben, hat mich immer wieder beeindruckt. Bleibende Verdienste haben Sie sich beim Aufbau der Forschung in den neuen Ländern erworben. Dies gilt insbesondere für die Integration der ostdeutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in das nationale und internationale Wissenschaftssystem.

 

Sie gehören zu jenen, die die Deutsche Einheit als ein großes Geschenk empfinden. Das konnte und kann man immer wieder spüren. Wer mit Ihnen über Ihre Erfahrungen und Begegnungen in den neuen Ländern spricht, kann beobachten, wie sehr es Sie innerlich bewegt und was es Ihnen bedeutet, daß wir diese Chance zur Einheit bekommen haben.

 

Im Westen unseres Vaterlandes sollten wir nie vergessen, daß wir in den vergangenen Jahrzehnten das Glück hatten, auf der Sonnenseite der deutschen Geschichte zu leben. Wir müssen in Erinnerung behalten, wie anders das Leben beispielsweise in Halle, Leipzig oder anderswo war - und wie weit der Weg ist, den unsere Landsleute im Osten Deutschlands in den Jahren seit der Wiedervereinigung bereits zurückgelegt haben. Vieles muß sich noch entwickeln. Es bleibt noch eine Menge zu tun. Aber wir haben auch schon sehr viel geleistet. Mein herzlicher Wunsch an Sie, Herr Professor Winnacker, ist, daß Sie den Herausforderungen und Aufgaben, die sich der Deutschen Forschungsgemeinschaft in den neuen Ländern stellen, ebenso ein besonderes Augenmerk widmen wie Ihr Vorgänger.

 

Die DFG hat unter Ihrer Präsidentschaft, Herr Professor Frühwald, ihre Rolle als Katalysator des wissenschaftlichen Wettbewerbs in Deutschland ausgebaut. Dieser Wettbewerb ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß unsere Forschung auch in der weltweiten Konkurrenz mithalten kann - mehr noch: Spitzenpositionen zu behaupten vermag. Ich finde, wir sollten - bei allem, was noch getan werden muß - mehr darüber sprechen, was wir in Deutschland auf diesem Feld geleistet haben. Sie persönlich haben die Weiterentwicklung der Forschungslandschaft in Deutschland unter Bewahrung des Bewährten aktiv vorangetrieben. Mit Ihrem Namen, lieber Herr Frühwald, ist auch die herausragende Rolle der DFG bei der Umsetzung der von der Bundesregierung 1996 beschlossenen "Leitlinien zur strategischen Orientierung der deutschen Forschungslandschaft" auf das engste verbunden.

 

Auch im Ausland genießen Sie großes Ansehen, und Ihr Rat ist international gefragt: Sie lehrten als Gastprofessor in den USA; die Universitäten Dublin und Bristol verliehen Ihnen die Ehrendoktorwürde; die niederländische Regierung hat Sie in das Komitee zur Evaluation ihrer Forschungsförderorganisation berufen; Österreich hat Ihnen den Vorsitz der Wittgenstein-Kommission übertragen.

 

Sie haben ganz wesentlich dazu beigetragen, daß die DFG ein Modell für die trilaterale Kooperation zwischen Israelis, Palästinensern und Deutschen entwickelt hat. Die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern kann den Friedensprozeß im Nahen Osten unterstützen, indem sie Mißtrauen abzubauen hilft und die Einsicht wachsen läßt, daß gemeinsame Aufgaben nur im Miteinander zu lösen sind. Durch die Intensivierung der Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China hat die DFG unter Ihrer Präsidentschaft die Bemühungen um die Etablierung guter wissenschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschland und China weiter vorangebracht.

 

Lieber Herr Frühwald, kennzeichnend für Sie ist die tiefe Überzeugung, daß wissenschaftliche Leistung und Kreativität entscheidend von der Persönlichkeit des Forschers bestimmt werden. Für die Richtigkeit dieser Ansicht haben Sie in den vergangenen Jahren selbst den eindrucksvollsten Beleg geliefert: Mit Ihrem gesamten Wirken haben Sie der heutigen Forschungsstruktur in Deutschland Ihren unverwechselbaren Stempel aufgedrückt - zum Wohle der Gemeinschaft. Sie haben frühzeitig erkannt, daß es unter den Bedingungen der demokratischen Gesellschaft nicht nur darauf ankommt, ein guter Wissenschaftler, ein ausgewiesener Forscher und Hochschullehrer zu sein. Sie haben vorgelebt, daß daraus auch die Verpflichtung für das Bewahren unseres kulturellen Erbes und den Schutz der Grundwerte eines humanen Zusammenlebens erwächst.

 

Ich hoffe, daß Sie noch möglichst lange der Wissenschaft zur Verfügung stehen werden. Zugleich danke ich Ihnen noch einmal für manchen wertvollen Rat und für die Unterstützung, die Sie mir vielfach haben zuteil werden lassen. In diesen Jahren, in denen wir vieles miteinander besprechen und manches miteinander bewirken konnten, habe ich Sie als einen Mann kennengelernt, auf dessen Wort man zählen kann, für den "Pflicht" und "Dienen" nicht bloße Worte sind, sondern Teil seines Lebens. Ihnen und Ihrer Frau wünsche ich einen guten Wiederbeginn an Ihrer alten und neuen Wirkungsstätte - Glück, Erfolg und Gottes Segen!

 

Ihnen, Herr Professor Winnacker, wünsche ich für Ihre Arbeit in dieser schwierigen Zeit viel Glück und Erfolg - und zugleich viele engagierte Mitstreiter in der Politik, in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in allen Bereichen der Gesellschaft, damit wir in dieser entscheidenden Phase gemeinsam eine große Wegstrecke vorankommen. Für die Bundesregierung kann ich Ihnen versichern, daß wir - und natürlich ich selbst - Sie unterstützen werden, wo immer es uns möglich ist. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Das Staffelholz wird jetzt weitergegeben. Jeder hat seine eigene Persönlichkeit, seinen eigenen Stil - aber ich bin sicher, daß auch der neue Präsident mit seiner unverwechselbaren Handschrift alles tun wird, was jetzt notwendig und richtig ist, um die Deutsche Forschungsgemeinschaft weiter auf einem guten Weg zu führen. Ich rufe alle auf, die heute hier sind, ihm dabei zu helfen. Viel Glück!

 

 

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 6. 26. Januar 1998.