18. Februar 1998

Laudatio des Stadtkämmerers der City of London, Bernhard Harty, anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der City of London an Bundeskanzler Kohl im Rathaus der Stadt London (Guildhall)

 

My Lord Mayor, Herr Bundeskanzler,
Herr Premierminister, Eure Exzellenzen,
My Lords, verehrte Ratsherren,
Sheriffs, sehr geehrte Damen und Herren,

 

My Lord Mayor, es ist einmal gesagt worden, daß es drei verschiedene Arten von Menschen gebe: solche, die nicht wissen, was passiert, solche, die wissen, was passiert und solche, die machen, was passiert.

 

Ich habe heute abend die tiefempfundene Freude, in Ihrem Namen, My Lord Mayor, im Namen der Stadt London und ihrer Bürger, eine Person in dieser letzteren Kategorie auf das herzlichste willkommen zu heißen, und zwar den deutschen Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl, zusammen mit seiner klugen Gattin Hannelore, die so viel für behinderte Menschen getan und darüber hinaus Zeit gefunden hat, so vortrefflich über ein Thema zu schreiben, dem wir alle mit unserem Herzen - oder vielmehr - Magen verbunden sind, dem Essen.

 

Es ist ein ganz besonderes Vergnügen, Sie, Herr Bundeskanzler, in unserer altehrwürdigen Great Hall of Guildhall bei uns zu haben; dieser Wiege der Freiheit und Demokratie, die unserem Nationalen Parlament als Vorbild diente, dem Ort, an dem die Statuen anderer, wichtiger Verfechter solcher Werte über den Lauf der Geschichte wachen, zu dem Sie während des letzten Abschnittes dieses 20. Jahrhunderts einen solch bemerkenswerten Beitrag geleistet haben.

 

Es handelt sich, Sir, darüber hinaus um einen Ort, an dem Präsident Ronald Reagan im Jahre 1988 eine historische Rede zur Zukunft der Ost-West-Beziehungen hielt und an dem Generalsekretär Michail Gorbatschow ein Jahr später seine weitsichtigen Ausführungen über die politischen Strategien präsentierte, die schließlich zu der explosionsartigen Entwicklung einer völlig neuen Situation in der europäischen Politik sowie der Weltpolitik führten.

 

My Lord Mayor, der junge Helmut Kohl wurde in einer Zeit erwachsen, als die Auswirkungen des letzten Krieges überall noch zu sehen waren. Das Elend von Millionen Flüchtlingen, die verwüsteten deutschen Städte, Hunger und Verzweiflung, die nackte Armut, das schreckliche Leid. Mit dem Tod seines einzigen Bruders hat er die Tragödie des Krieges selbst erfahren müssen. Während seiner Studienzeit in Frankfurt und Heidelberg hatte er stets seine Vision politischer Realitäten und Praxis im Blick. Nach Abschluß seines Studiums verfolgte er seinen Weg energisch und mit unbeirrbarer Festigkeit. Er entwickelte große Entschlußkraft und Stärke in Verbindung mit den traditionellen Tugenden harter Arbeit, Eigeninitiative, Anstand und Ehrlichkeit.

 

Seit Ihrem Eintritt in die Christlich Demokratische Union im Jahre 1947, Herr Bundeskanzler, wurden die Facetten Ihrer staatsbürgerlichen und politischen Karriere auf dem harten Felsen der Erfahrung geschliffen. Und als Sie im Jahre 1982 zum Bundeskanzler gewählt wurden, waren Sie entschlossen, zwei politische Ziele zu verfolgen: die Wiedervereinigung des deutschen Volkes und die Verankerung Deutschlands in einem geeinten Europa.

 

Als der plötzliche Zusammenbruch der Sowjetunion und die Beendigung des Kalten Krieges das Ende einer 45 Jahre währenden Ost-West-Konfrontation verkündeten, übernahmen Sie, Herr Bundeskanzler, eine führende Rolle bei der Beseitigung dessen, was Europa trennte. Seit dieser Zeit tragen Sie entscheidend zur Annäherung Rußlands an die Gemeinschaft europäischer Demokratien bei. Ihr staatsmännisches Geschick hat die Wiedervereinigung Deutschlands in Bewegung gesetzt und entscheidend zu einer neuen Phase europäischer Integration, einschließlich Ihres vereinten Vaterlandes beigetragen.

 

Sie, Sir, gehören zu einer elitären Gruppe von Politikern, die niemals die Wiedervereinigung Deutschlands in einem vereinten Europa aus den Augen verloren noch aus dem Herzen gestrichen haben. Wie Ihr Mentor und Vorgänger, Kanzler Konrad Adenauer, haben Sie nie aufgehört, an eine Wiedervereinigung zu glauben, den Wunsch danach zu bewahren und sie für möglich zu halten.

 

Die großartige Errungenschaft der Wiedervereinigung haben Sie mit Ihren eigenen Worten bescheiden mit dem deutschen Sprichwort "Man soll das Heu einfahren, solange das Wetter gut ist" umschrieben. Oder, um es einmal mit den Worten Winston Churchills, dieser großen und genialen Gestalt, zu deren Bewunderern Sie - wie ich weiß - zählen und dessen Statue hier über uns, dort hinten in dieser altehrwürdigen Halle schwebt, auszudrücken: "Es war tatsächlich so, als sei das ganze bisherige Leben die Vorbereitung auf diesen Moment gewesen."

 

Ein Moment, der nicht nur den Fall der Berliner Mauer bedeutete, dieses obszönen Symbols der Teilung Deutschlands und Europas für alle Europäer, sondern darüber hinaus die Integration weiterer großer Städte von historischer Bedeutung wie zum Beispiel Weimar, Leipzig und Dresden mit sich brachte. Orte, die sich mit so klangvollen Namen wie Luther, Goethe, Bach, Richard Strauss sowie mit der Berliner Humboldt-Universität mit ihren 27 Nobelpreisträgern verbinden. Kultur- und Lernzentren all diese, wo so viel deutsche und europäische Kunst und Wissenschaft ihren Ursprung hatte.

 

Hätte der Fall der Mauer, dieses Ereignis von gewaltiger Tragweite, auf eine angemessenere Art und Weise als durch die spontanen Aufführungen von Beethovens Neunter Symphonie und der darin enthaltenen Ode an die Freude von Schiller in West-Berlin und im ehemaligen Osten der Stadt gefeiert werden können? Gäbe es eine angemessenere Hymne der Europäischen Union als eben diese?

 

Als leidenschaftlicher Europäer und nicht minder leidenschaftlicher deutscher Patriot, der bestens mit der Geschichte seines eigenen Landes, seiner Literatur und seiner Traditionen vertraut ist, muß der Akt der Wiedervereinigung für Sie, Herr Bundeskanzler, die Erfüllung jener Worte sein, die von Johann Wolfgang von Goethe stammen: "Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen."

 

My Lord Mayor, in einem Klima, in dem Finanzmärkte eine erhebliche Auswirkung auf den Wert eines Unternehmens, auf Währungen oder die Aussichten von Investitionen in bestimmten Gegenden der Welt haben, sind wir, die wir dieses in den Bereichen Finanzen, Business und Handelsmacht weltweit an der Spitze stehende Haus bewohnen, uns deutlich der Chancen, aber auch der Herausforderungen einer europäischen Währungsunion bewußt.

 

In diesem Zusammenhang haben wir mit großem Interesse die Zusicherung unserer Regierung verfolgt, daß wir während unseres Vorsitzes in der Europäischen Union "dafür Sorge tragen werden, daß der Ablauf hinsichtlich der einheitlichen Währung genauestens befolgt wird und daß alles im Bereich des Möglichen Stehende unternommen wird, um einen Erfolg derjenigen sicherzustellen, die diesen Weg beschreiten wollen".

 

Europa und die Errichtung des europäischen Hauses liegen Ihnen, verehrter Herr Bundeskanzler, sehr am Herzen, und Sie haben - vielleicht mehr als jeder andere Staatsmann - andere dazu ermuntert, Ihre Vision von Europa zu teilen. Die beiden Hauptziele, die Sie als Bundeskanzler insbesondere durch eine Wirtschafts- und Währungsunion erreichen wollten, waren die Wiedervereinigung Deutschlands und eine verstärkte europäische Integration. Ersteres haben Sie erreicht; nun stehen Sie an der Schwelle auch letzteres zu verwirklichen.

 

Wir wissen ebenfalls, wie sehr Sie zur Entscheidung über die Erweiterung der Europäischen Union beigetragen haben. Wenn die neuen Mitglieder erst einmal beigetreten sein werden, wird Deutschland nicht nur von Freunden, sondern auch von europäischen Partnern und NATO-Verbündeten umgeben sein. Die Schaffung eines freien Gesamteuropas ist ein Unternehmen von historischer Bedeutung, das von Großbritannien voll und ganz unterstützt wird.

 

Da Sie jemand sind, der großen Wert auf die "Chemie" persönlicher Beziehungen legt, sind wir, Herr Bundeskanzler, erfreut, daß auf der persönlichen Ebene zwischen Ihnen und unserem Premierminister ein enges Verhältnis auf der Basis gegenseitiger Wertschätzung besteht.

 

Dies ist ein gutes Zeichen für eine Partnerschaft unter Freunden. Die kürzlich getroffene Entscheidung unserer Regierungen zugunsten des Eurofighters und einer Zusammenarbeit bei der Umstrukturierung der europäischen Raumfahrtindustrie unterstreicht diese äußerst engen Verbindungen, die zwischen unseren beiden Ländern auf vielen Ebenen bestehen.

 

My Lord Mayor, wie Sie wissen, ist es eine Tradition unserer alten und doch modernen Stadt, daß bei seltenen Gelegenheiten solchen ausgewählten Menschen, die sich um ihr eigenes Volk oder das Allgemeinwohl verdient gemacht haben, die höchste Ehre zuteil wird, welche die Stadt zu vergeben hat.

 

Bis zum heutigen Tage hat kein ausländischer Staatsmann aus der Europäischen Union die Ehrenbürgerwürde unserer Stadt erhalten. Heute abend wird durch den Kanzler der Bundesrepublik Deutschland ein Präzedenzfall geschaffen. Ein Mann, dessen Leistungen ich dieser geschätzten Versammlung geschildert habe und dessen Kreuzzug für die Sache der Wiedervereinigung in einem friedlichen und blühenden Europa die Überzeugung John Miltons, eines unsterblichen Sohnes dieser Stadt, bestätigt hat: "Auch in Friedenszeiten gibt es Siege, die nicht weniger ruhmvoll sind als jene, die im Krieg errungen werden."

 

Im Glanze dieses Ruhms ist es nun in meiner Eigenschaft als Chamberlain dieser großen Stadt mein Privileg und meine Freude, Ihnen die Hand der Freundschaft zu reichen und Sie als Bürger der Stadt London zu begrüßen.

 

Im Namen des Lord Mayors, des Stadtrates und der Mitglieder des Gemeinderates unserer Stadt bitte ich Sie, dieses Kästchen entgegenzunehmen, in welchem sich der Beschluß zu Ihrer Ehrenbürgerschaft befindet.

 

Betrachten Sie dies als Ausdruck der Anerkennung an einen großen Deutschen, einen großen Europäer, einen großen internationalen Staatsmann, einen in jeder Hinsicht bedeutenden Mann.

 

 

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 16. 4. März 1998.