18. März 1987

Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl

 

Wir müssen den europäischen Pfeiler im Atlantischen Bündnis stärken. Die NATO braucht ein starkes und einiges Europa, das gemeinsam seine Sicherheitsinteressen klarer und auch nach außen sichtbar definiert und vertritt. Dies liegt im Interesse der Vereinigten Staaten, und es liegt in unserem Interesse, denn die Verteidigung des freien Europa ist immer auch die Verteidigung der Vereinigten Staaten.
Wir wollen die Westeuropäische Union als geeignetes Forum weiterentwickeln. Gemeinsam mit Frankreich, mit Großbritannien, Italien und den Benelux-Staaten werden wir alle unsere Anstrengungen energisch fortsetzen, die Westeuropäische Union wiederzubeleben. Freundschaft und enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika sind für die Bundesrepublik Deutschland von existentieller Bedeutung. Sie sind unverzichtbar für die Einheit des Bündnisses. Sie ermöglichen uns Einfluß und Mitgestaltung. Sie erhöhen die Chance, daß unsere deutschen und die europäischen Interessen Eingang finden in alle Entscheidungen zu Politik und Strategie, zu Wirtschaft und Währung in der westlichen Gemeinschaft. 

Grundlage dieser Freundschaft bleiben die gemeinsame Wertordnung und das gegenseitige Vertrauen, wie es gerade seit dem Oktober 1982 sichtbar erneuert wurde. 

In diesem Jahr werden wir den 40. Jahrestag des Marshall-Plans begehen. Wir werden dieses Jubiläum zum Anlaß nehmen, unseren Dank für das damals Geleistete zu erneuern und zugleich neue Wege zu beschreiten, die Verbundenheit der Länder der und Völker gerade auch bei der nachwachsenden Generation zu verankern.

Transatlantische Partnerschaft darf nicht nur von den Regierungen, sondern muß vor allem auch von den Völkern getragen werden. Es wird in den nächsten Jahren entscheidend darauf ankommen, unser Bild in den USA und über die USA bei uns zu verbessern und vor allem den Jugendaustausch zu verstärken.

Europa ist unsere politische Zukunft.

In einer Woche werden wir den 30. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge feiern. Europa ist unsere wirtschaftliche, kulturelle und politische Zukunft. Nur durch immer engeren Zusammenschluß kann sich ein freies, demokratisches Europa für die Zukunft behaupten.

Die Einheitliche Europäische Akte hat das für alle verbindliche Ziel, die Europäische Union festgeschrieben. Sie bleibt vorrangiges Ziel deutscher Außenpolitik.

Wir wollen ein vielgestaltiges Europa, in dem die gewachsenen, auch regionalen Strukturen ihren Platz haben. Zugleich muß dieses Europa durch immer engere Bande der Solidarität zusammengehalten werden. Die Menschen in den einzelnen Staaten der Gemeinschaft müssen ein gemeinsames politisches Bewußtsein entwickeln, nennen wir es ruhig europäischen Patriotismus.

Wir sind entschlossen, die deutsche Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1988 zu einem Aktivposten für Europa zu machen.

Die Europäische Politische Zusammenarbeit steht nunmehr auf fester vertraglicher Grundlage. In der ständigen Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten wächst europäische Außen- und Sicherheitspolitik heran. 

Die Bundesregierung bekennt sich zum "Europa der Bürger". Europa muß für den einzelnen konkret erfahrbar werden. Wir brauchen noch offenere Grenzen, mehr Schüler- und Wissenschaftleraustausch und vor allem auch die gegenseitige Anerkennung von Zeugnissen und Diplomen.

Die EG steht vor wichtigen Entscheidungen. Ihre Finanzen müssen mittelfristig auf eine Grundlage gestellt werden, die eine gerechtere Aufbringung der Mittel und Verteilung der Lasten sicherstellt und die Prioritäten so setzt, daß für zukunftsorientierte Projekte mehr Raum geschaffen wird. Die Bundesrepublik Deutschland ist bereit, ihren fairen Anteil dazu beizutragen. 

Die Vollendung des Binnenmarktes gehört zu den wichtigen, festen Zielen der Gemeinschaft. Die Bundesregierung wird alles in dieser Legislaturperiode Mögliche tun, damit dieses Ziel bis 1992 erreicht wird. Der einheitliche Binnenmarkt mit über 320 Millionen Menschen stellt für die Wirtschaft der Gemeinschaft und damit auch für die Wirtschaft unseres Landes eine unverzichtbare Basis dar, um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können. Allerdings - und darüber muß sich jeder im klaren sein - verlangt der Binnenmarkt von den Volkswirtschaften und Unternehmungen aller Staaten, auch bei uns, erhebliche Anpassungen. 

Ähnlich wie die Gründung der EWG vor 30 Jahren wird aber die Vollendung des Binnenmarkts bis 1992 neue Wachstumsimpulse freisetzen; Wachstumsimpulse, die allen zugute kommen, nicht zuletzt dem Verbraucher. Wir wollen, daß Europa zu einer Technologiegemeinschaft zusammenwächst, um auch auf den Weltmärkten erfolgreich bestehen zu können.

Auf dem Weg zur Europäischen Union wollen wir fortfahren, das Europäische Parlament als die gewählte demokratische Vertretung der Bürger in seinen Befugnissen weiter zu stärken. Die deutsch-französische Freundschaft war und bleibt die treibende Kraft im europäischen Einigungsprozeß. Ihre Intensität ist heute einmalig. Diese Partnerschaft umfaßt eine sehr weitgehende, gemeinsame Konzeption; von europäischer Sicherheit, eine gemeinsame Vision von der Zukunft Europas und die Gesamtheit unserer politischen, wirtschaftlichen, technologischen und kulturellen Aktivitäten.

Wir wollen diese privilegierte Partnerschaft weiterentwickeln. Zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland gibt es heute eine Identität der Auffassungen und Interessen, die es ermöglichen sollte, erste Schritte auch zu einer operativ gemeinsamen Außenpolitik zu tun. Das schließt auch die Möglichkeit eines engeren Zusammengehens in der Entwicklungspolitik ein. 

Wir werden die begonnene militärische Zusammenarbeit fortentwickeln. Frankreich und Deutschland müssen zur politischen Kerngemeinschaft einer sich entwickelnden Europäischen Union werden.

Großbritannien ist zu einer wichtigen Kraft im europäischen Einigungsprozeß geworden. Es leistet unverzichtbare Beiträge zur Sicherheit des Westens und gerade auch unseres Landes. Wir schätzen diese Zusammenarbeit sehr hoch ein, und wir wollen sie, wo immer das möglich ist, weiter ausbauen. 

Wir wollen das Verhältnis zu Italien und Spanien intensivieren. Wir würdigen die aktive Rolle der Benelux-Staaten. Mit ihnen sowie mit den anderen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft verbindet uns bewährte Freundschaft.

Quelle: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenogr. Berichte. Bd. 141. Plenarprotokoll 11/4. 18. März 1987, S. 68f.