18. März 1998

Rede anlässlich der Eröffnung der CeBIT 1998 in Hannover

 

Herr Ministerpräsident,
Herr Professor Goehrmann,
Herr Gerstner,
Herr Oberbürgermeister,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren Abgeordnete,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

I.

 

zuallererst richte ich von dieser Stelle einen besonderen Gruß an unsere zahlreichen Gäste aus dem Ausland. Herzlich Willkommen in Deutschland! Sodann möchte ich gleich vorweg Ihnen, Herr Oberbürgermeister, eine Sorge nehmen, die Sie in Ihrer Eingangsrede bei der Begrüßung des Bundeskanzlers haben anklingen lassen. Ich war immer wieder zusammen mit Ihnen bei der CeBIT, und ich werde auch im nächsten Jahr dabei sein. Gemeinsam sind wir durch die Jahre gegangen, und in dieser Zeit haben wir uns aneinander gewöhnt.

 

Meine Damen und Herren, die CeBIT ist das größte Schaufenster der Welt für die neuesten Informations- und Kommunikationstechniken. Wie in den vergangenen Jahren kann der Veranstalter auch in diesem Jahr mit über 7200 Ausstellern aus 60 Ländern einen neuen Messerekord verzeichnen. Von der CeBIT '98 geht ein Signal der Zuversicht aus. Die Informationswirtschaft hat sich überall auf der Welt zu einem dynamischen Wachstumsmarkt entwickelt. Neue Technologien und damit neue Arbeitsplätze haben gerade auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland Zukunft.

 

Der Computer ist inzwischen aus unserem Alltag - zu Hause und im Beruf - nicht mehr wegzudenken. Ende 1997 waren 21 Millionen Computer in Betrieben und Haushalten unseres Landes installiert. Das sind 1,4 Millionen Computer mehr als noch 1996. Deutschland verfügt zudem über eine erstklassige Informationsinfrastruktur. Bei uns sind mehr Menschen als in jedem anderen Land der Welt an moderne Hochleistungsdatennetze angeschlossen. In den neuen Bundesländern ist die vollständige Digitalisierung des Telekommunikationsnetzes im vergangenen Dezember abgeschlossen worden.

 

Vor einem Jahrzehnt noch habe ich mit dem damaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, über mühsame Verbesserungen bei den kläglichen Telefonverbindungen zwischen beiden Teilen Deutschlands gerungen. Heute ist auf dem Gebiet der ehemaligen DDR das modernste Telekommunikationsnetz der Welt entstanden. Diese großartige Entwicklung ist das gemeinsame Verdienst der Menschen in den neuen und alten Bundesländern. Sie arbeiten mit Leistungsbereitschaft und Zuversicht für eine gute Zukunft unseres wiedervereinigten Landes.

 

Deutschland ist ein Land mit exzellenten und hochqualifizierten Datentechnikern, Elektronikingenieuren und Informatikern. Sie entwickeln Systeme, Programme und Bausteine, die im internationalen Vergleich eine Spitzenposition einnehmen. Damit verbunden sind Arbeitsplätze der Zukunft am Standort Deutschland. In den Unternehmen der Informationswirtschaft sind bei uns allein in den vergangenen zwei Jahren 100000 neue Arbeitsplätze entstanden. Damit zählt diese Branche jetzt insgesamt 1,7 Millionen Beschäftigte. In diesem Jahr werden weitere 90000 neue Stellen erwartet. Diese wenigen Zahlen unterstreichen die besondere Dynamik in diesem Wirtschaftszweig.

 

Jetzt gilt es, die großen Chancen für Wachstum und Arbeitsplätze in diesem Schlüsselsektor unserer Volkswirtschaft weiter entschlossen zu nutzen. Dazu gehört, gerade auch die ältere Generation für die neuen Möglichkeiten der Informationsgesellschaft zu gewinnen. Vor allem kommt es darauf an, die Systeme anwenderfreundlich zu gestalten und auf die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen zuzuschneiden.

 

Ebenso wichtig ist es, den Jugendlichen das Tor zur faszinierenden Welt der neuen Informations- und Kommunikationstechniken weit aufzustoßen. Entscheidend dafür ist eine gute Ausbildung. Die Bundesregierung gibt den jungen Menschen dafür den Schlüssel in die Hand. Ich denke zum Beispiel an die Initiative "Schulen ans Netz", die positive Impulse gibt. Wahr ist natürlich, daß hier noch viel mehr geschehen muß. Erstmals für das jetzt laufende Ausbildungsjahr haben wir neue Ausbildungsordnungen für Lehrlinge in den Multimedia-Berufen geschaffen.

 

Eine unverzichtbare Voraussetzung für den erfolgreichen Weg in die Informationsgesellschaft ist das Vertrauen der Menschen in die Sicherheit der Kommunikationsnetze. Persönliche Daten müssen vor Mißbrauch, vor jeder Form erbärmlicher Indiskretion, geschützt sein. Das neue Multimedia- Gesetz vom 1. August 1997 bildet eine verläßliche Grundlage, auf der sich die Informations- und Kommunikationsdienste sicher und dynamisch entfalten können.

 

Wichtiger Bestandteil dieses Gesetzes ist die digitale Signatur. Die elektronische Unterschrift direkt im Datennetz zum Beispiel unter Kaufverträge erspart den Vertragspartnern Wege, Zeit und Kosten. Ich appelliere an die Unternehmen der Informationswirtschaft, diese neugeschaffene Grundlage intensiv zu nutzen und mit dazu beizutragen, daß die Menschen Vertrauen in die neuen Möglichkeiten der Informationsgesellschaft fassen.

 

II.

 

Meine Damen und Herren, in weniger als zwei Jahren endet das 20. Jahrhundert, ein neues Jahrtausend beginnt. Dies ist ein guter Anlaß, um mit berechtigtem Stolz auf das zurückzublicken, was in den vergangenen Jahrzehnten geleistet wurde und was der Bundesrepublik Deutschland in der internationalen Gemeinschaft der Völker Ansehen und Reputation eingebracht hat. Der Übergang in ein neues Jahrhundert ist aber - und ein Wahljahr ist dafür überhaupt kein Hinderungsgrund - ebenso Anlaß für die nüchterne Frage: Was müssen wir tun, um unserem Land im 21. Jahrhundert eine gute Zukunft zu sichern?

 

Die Welt um uns herum hat sich in den vergangenen Jahren tiefgreifend verändert. Die Länder der Erde wachsen wirtschaftlich immer stärker zusammen. Die CeBIT '98 ist dafür ein anschauliches Beispiel. In diesem Jahr sind über 2700 Aussteller aus dem Ausland nach Hannover gekommen. Dies sind fast dreimal so viel wie noch vor zehn Jahren. Die Dynamik der Globalisierung ist an wenigen Wirtschaftsdaten erkennbar. Die Weltproduktion wächst seit 1985 jährlich um sechseinhalb Prozent. Sehr viel rascher nehmen das Welthandelsvolumen mit zehn Prozent pro Jahr und die grenzüberschreitenden Direktinvestitionen zu, die mit 19 Prozent jährlich dreimal so stark wachsen wie die Weltproduktion.

 

Die immer stärkere Globalisierung wird noch beschleunigt durch den technischen Fortschritt. Revolutionäre Entwicklungen gerade im Bereich der Informations- und Kommunikationstechniken ermöglichen heute einen sekundenschnellen Datenaustausch rund um den Globus. Dadurch gewinnen auch entlegene Standorte immer mehr an Attraktivität. Kurzfristiges Reagieren auf Marktentwicklungen und neue Bedürfnisse ist inzwischen überall auf der Welt technisch nahezu problemlos möglich. Dies hat zur Folge, daß im internationalen Wettbewerb heute weniger denn je die Großen die Kleinen, dafür aber um so mehr die Schnellen die Langsamen schlagen.

 

Ob wir es wollen oder nicht, meine Damen und Herren: Die Globalisierung verschärft den weltweiten Wettbewerb. Sie eröffnet zugleich aber auch vielfältige neue Chancen für mehr Wohlstand überall auf der Welt und für mehr Wachstum und Arbeitsplätze gerade in unserem Land mit unserer traditionell stark exportorientierten Wirtschaft.

 

Deutschland hat hervorragende Voraussetzungen im internationalen Standortwettbewerb. Ich nenne als Beispiele nur unsere ausgezeichnete Infrastruktur, die hohe Qualifikation der Arbeitnehmer, unsere ausgewogene Wirtschaftsstruktur mit einem innovativen Mittelstand, ein hohes Maß an Rechtssicherheit sowie wirtschaftliche Stabilität und ein gutes soziales Klima. Unsere Gesellschaft und unsere Soziale Marktwirtschaft sind aufgebaut auf den Ideen der Partnerschaft und des Miteinanders gerade auch der Tarifparteien. Wir sollten dieses kostbare Gut, eine großartige Errungenschaft der vergangenen Jahrzehnte, die unserem Land gut getan hat, nicht in Frage stellen.

 

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Reformen durchgesetzt, um den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb weiter zu stärken und fit für die Zukunft zu machen. Ich denke zum Beispiel an die Bahn- und Postreform, mit der wir in diesem Bereich neue starke Dienstleistungsunternehmen geschaffen haben. Ich erwähne ebenso die Privatisierung der Telekom und der Lufthansa. Wir haben außerdem die arbeitsplatzvernichtenden Substanzsteuern - Vermögensteuer und Gewerbekapitalsteuer - abgeschafft und den Solidaritätszuschlag um zwei Prozentpunkte gesenkt.

 

Darüber hinaus haben wir die Neuregelung der gesetzlichen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durchgesetzt. Dadurch und durch entsprechende Regelungen in den Tarifverträgen sind Unternehmen und Arbeitsplätze von Kosten in Höhe von rund 15 Milliarden D-Mark entlastet worden. Im Jahr 1996 haben wir diese Reform gegen manchen erbitterten Widerstand auf den Weg gebracht. Heute redet kaum mehr jemand davon - mit Ausnahme derjenigen, die diese zukunftsgerichtete Reform wieder zurücknehmen wollen.

 

Wir können heute ebenfalls feststellen, daß der Krankenstand - und auch dies ist ein Beispiel dafür, daß wir auf dem Weg des Umdenkens vorankommen - auf das niedrigste Niveau seit Kriegsende gesunken ist. Diese Entwicklung spiegelt die zunehmende Erkenntnis wider, daß der Arbeitsplatz ein wertvolles Gut ist und daß der Erfolg des Betriebes, in dem man arbeitet, Voraussetzung dafür ist, daß dieses Gut erhalten bleibt.

 

Die Bundesregierung hat - auch hier gegen heftige Opposition - die Gesundheitsreform fortgesetzt. Ohne die dritte Stufe dieses Reformvorhabens, die seit 1. Juli 1997 in Kraft ist, wäre es im Gesundheitsbereich im vergangenen Jahr zu einem Defizit in Höhe von zehn Milliarden D-Mark und in der Konsequenz zu einer weiteren Anhebung des Beitragssatzes gekommen. Nicht zuletzt haben wir die Rentenreform durchgesetzt, sie wird ab 1999 in Kraft treten. Auch hier gilt: Ohne Reform wäre ein weiterer Anstieg des Beitragssatzes und damit der Lohnzusatzkosten unvermeidlich geworden.

 

Ich weise ganz bewußt immer wieder auf die sich abzeichnenden tiefgreifenden demographischen Veränderungen hin, die Konsequenzen erzwingen - wie zum Beispiel die Gesundheits- und die Rentenreform. Deutschland gehört zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenrate in der Europäischen Union. Nur in Italien und Spanien werden, gemessen an der Bevölkerung, noch weniger Kinder geboren. Zugleich werden die Menschen in Deutschland immer älter. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt für die Männer heute 73 Jahre, bei den Frauen liegt sie bei 79 Jahren.

 

Dessen ungeachtet gehen die Menschen zunehmend früher in Rente - heute im Durchschnitt mit 60 Jahren. Andererseits erfolgt der Start in den Beruf immer später - bei Akademikern vielfach erst mit 30 Jahren. Das Ergebnis ist, daß immer weniger Menschen für immer kürzere Zeit in einen Topf zahlen, aus dem immer mehr Menschen für immer längere Zeit ihre Rente beziehen. Es liegt auf der Hand, daß diese Rechnung auf Dauer nicht aufgehen kann.

 

Deshalb müssen wir heute die unabweisbar notwendigen Konsequenzen ziehen. Ich verbinde dies mit einem klaren Ja zum Sozialstaat. Wir wollen unser System der sozialen Sicherung nicht abbauen, sondern umbauen und für die Zukunft bezahlbar machen. Wir stehen für die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards - die Verbindung von marktwirtschaftlicher Freiheit und sozialer Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft. Beispielsweise staatliche Sozialleistungen stärker mit der Bereitschaft zur Arbeit zu verknüpfen ist dazu kein Widerspruch - im Gegenteil. Viele Nachbarländer geben hier positive und nachahmenswerte Beispiele.

 

III.

 

Meine Damen und Herren, die volle Wirkung unserer Reformen wird sich erst nach und nach entfalten, doch erste Erfolge sind bereits jetzt sichtbar. Deutschland hat seine Position als starker Innovationsstandort in der Welt erfolgreich ausgebaut. So nimmt unser Land inzwischen wieder Rang eins in der Welt bei den gerade im Zusammenhang mit der Globalisierung besonders wichtigen Weltmarktpatenten ein.

 

Auch beim Handel mit Hochtechnologiegütern haben wir die Weltmarktführerschaft zurückgewonnen. In der Biotechnologie herrscht in Deutschland Aufbruchstimmung. Die Zahl der Unternehmen in dieser Zukunftsbranche hat sich bei uns von 1995 mit 75 Unternehmen bis Ende 1997 auf 300 Betriebe vervierfacht. Es ist höchste Zeit, daß ideologisch und politisch motivierte Barrieren, die die verantwortungsbewußte Nutzung dieser Schlüsseltechnologie behindern, endlich vollständig beseitigt werden.

 

Wir erleben in Deutschland ebenso eine neue Dynamik im Bereich der Telekommunikation. Die Aufhebung des Fernmeldemonopols am 1. Januar 1998 zeigt positive Wirkung. Viele neue Unternehmen haben in diesem Sektor seither ihre Tätigkeit aufgenommen. Der damit verbundene neue Wettbewerb führt zu sinkenden Telekommunikationskosten. Dies ist gut für die Bürger ebenso wie für die Wirtschaft und damit für Arbeitsplätze in Deutschland.

 

Die deutsche Exportwirtschaft boomt. Gegenüber dem Vorjahr sind unsere Ausfuhren 1997 um über zehn Prozent gestiegen. Dieser Zuwachs liegt höher als der Anstieg des Welthandels. Mit anderen Worten: Deutschland hat im vergangenen Jahr erstmals wieder Weltmarktanteile zurückgewonnen. Dies zeigt deutlich, daß sich der Modernisierungskurs von Wirtschaft und Politik auszahlt. Der Standort Deutschland ist international inzwischen spürbar wettbewerbsfähiger geworden.

 

All dies wirkt sich positiv auf das Wachstum in unserem Land aus. Das Aufschwungtempo beschleunigt sich. Im vergangenen Jahr ist das reale Bruttoinlandsprodukt um 2,2 Prozent gestiegen. In diesem Jahr wird ein Wachstum in der Größenordnung von zweieinhalb bis drei Prozent erwartet. Für 1999 zeichnet sich ein noch besseres Ergebnis ab. Die Teuerungsrate verdient inzwischen ihren Namen nicht mehr. Im Februar lagen die Preise gerade noch 1,1 Prozent höher als im gleichen Monat des Vorjahres. Das ist Preisstabilität! Eine harte Währung ist zugleich die beste Sozialpolitik. Gerade Menschen mit niedrigem Einkommen und Rentner sind besonders darauf angewiesen, daß ihr Geld seinen Wert behält.

 

Nicht zuletzt sind die Zinsen in Deutschland so niedrig wie nie zuvor. Dennoch sind die deutschen Staatsanleihen bei internationalen Anlegern begehrt wie lange nicht mehr. Deutschland gilt weltweit als ein sicherer Hafen. Die Reaktionen der Anleger auf die Börsenturbulenzen in Südostasien der letzten Monate haben dies erneut deutlich gemacht. Ich sage dies im Hinblick auf manchen Hinweis der vergangenen Jahre - auch hier aus dem Saal - auf die so vorbildliche Entwicklung in Japan.

 

Die größte innenpolitische Herausforderung ist und bleibt die Bekämpfung der viel zu hohen Arbeitslosigkeit. Gegenwärtig beobachten wir in diesem Bereich in den alten und neuen Bundesländern eine unterschiedliche Entwicklung. In Westdeutschland hat die Trendwende am Arbeitsmarkt langsam aber sicher eingesetzt. In den neuen Ländern dagegen gibt es dafür noch keine Anzeichen. Der Wechsel der Auftriebskräfte von der Bauwirtschaft, deren Gewicht sich mit fortschreitendem Aufholprozeß der ostdeutschen Wirtschaft normalisiert, hin zur Industrie, die jetzt kräftig aufholt, wirkt sich noch nicht auf den Arbeitsmarkt aus.

 

Die Bundesregierung wird deshalb den Prozeß der Annäherung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen alten und neuen Ländern weiterhin unterstützen. Wir bleiben ein verläßlicher Partner des Aufbaus Ost - auch wenn manche gerade in den alten Ländern dies insbesondere in einem Wahljahr nicht so gerne hören.

 

Ein erfreuliches Signal für die jungen Menschen in unserem Land ist es, daß beim Angebot von Ausbildungsplätzen - allen Unkenrufen zum Trotz - 1997 die Trendwende geschafft worden ist. In den alten Bundesländern hat es erstmals seit 1984 einen beachtlichen Zuwachs neuer Lehrverträge gegeben. In den neuen Ländern haben wir im vergangenen Jahr eine nahezu ausgeglichene Lehrstellenbilanz erreicht - wenn auch nur mit staatlicher Unterstützung.

 

Bei aller Genugtuung über dieses Ergebnis sollten wir aber auch zur Kenntnis nehmen, daß die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen bis zum Jahr 2005 noch weiter kräftig ansteigen wird. Erst danach werden deutlich weniger Jugendliche eine Lehrstelle suchen. Mein Wunsch ist es deshalb, daß wir gemeinsam - Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften - eine Regelung erreichen, um auch in den Jahren bis 2005 allen jungen Menschen, die dies wollen und können, einen Ausbildungsplatz anzubieten.

 

Mein Appell an all jene, die unternehmerische Verantwortung tragen, lautet: Überlegen Sie sich eine Ausbildungskonzeption für Ihren Betrieb in den nächsten Jahren - so wie Sie dies auch in vielen anderen Bereichen Ihres Unternehmens tun. Helfen Sie auf diesem Wege mit, jungen Menschen den Schlüssel für ihren weiteren beruflichen Lebensweg in die Hand zu geben. Tragen Sie damit gleichzeitig dazu bei, Forderungen nach einer Ausbildungsplatzabgabe einen Riegel vorzuschieben. Ich bin überzeugt, daß eine solche Abgabe keine neuen Lehrstellen schafft. Sie führt am Ende zu einer zusätzlichen steuerähnlichen Belastung der Betriebe - und damit auch der Arbeitsplätze und Lehrstellen.

 

Besonders erfreulich ist es, daß die Bereitschaft zur Selbständigkeit in Deutschland wieder zunimmt. Allein 1996 haben sich 500000 Menschen eine eigene unternehmerische Existenz aufgebaut, davon 60000 in den neuen Bundesländern. Die Bundesregierung hat diese positive Entwicklung tatkräftig gefördert. Ich nenne als Beispiel nur die Vergabe zinsgünstiger Innovationsdarlehen an mittelständische Technologieunternehmen. Insgesamt hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau seit 1995 bereits fast 2500 solcher Darlehen im Umfang von zusammen 4,3 Milliarden D-Mark vergeben.

 

So wichtig die Frage der Finanzierung natürlich ist: Entscheidend für mehr Selbständigkeit ist und bleibt ein gesellschaftliches Klima, das junge Menschen bei ihrem Vorhaben, sich selbständig zu machen, ermutigt und unterstützt. Zweifler und Skeptiker etwa in Elternhaus und Freundeskreis, an Schulen und Universitäten dürfen in dieser gerade für mehr Beschäftigung in unserem Land zentralen Frage nicht die Oberhand behalten!

 

Meine Damen und Herren, mehr Innovationen, mehr Exporte, mehr Wachstum und mittlerweile auch erste Anzeichen für mehr Arbeitsplätze - all dies sind nicht zuletzt auch Erfolge unserer Reformpolitik. Wer diese Reformen zurücknimmt, wird diese Erfolge wieder zunichte machen. Es gibt keine Alternative zum Beispiel zum Umbau des Sozialstaates. Die sich abzeichnende demographische Entwicklung in unserem Land richtet sich nicht nach Parteitagsbeschlüssen und Wahlprogrammen - sie ist eine Tatsache, der wir uns stellen müssen.

 

Es gibt auch keine Alternative beim Thema Steuerpolitik. Wir brauchen eine durchgreifende Steuerreform, die den Weg frei macht für Innovationen und Investitionen. Wer eine Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 Prozent auf 49 Prozent bereits als Steuerreform ausgibt, muß wissen, daß er in dieser Richtung nichts bewegen wird.

 

Wer dennoch so argumentiert, denkt beim Thema Steuerpolitik vor allem an das Bedienen von Neidkomplexen und an steuerliche Gestaltungen, die - um es auf eine Kurzformel zu bringen - Fleißige bestrafen und Trittbrettfahrer belohnen. Dies ist wider die menschliche Natur - und eine solche Politik, die gegen die menschliche Natur gerichtet ist, kann auf Dauer nicht erfolgreich sein. Deshalb bin ich sicher, daß die große Steuerreform kommen wird. Die Wähler haben dazu bei der Bundestagswahl im September das Wort.

 

IV.

 

Meine Damen und Herren, das Jahr 1998 ist ein Schicksalsjahr für den europäischen Einigungsprozeß. In wenigen Wochen - Anfang Mai - werden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union entsprechend den Regelungen in den Verträgen von Maastricht und Amsterdam die Entscheidung über die Teilnehmer an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion treffen.

 

Ebenso geht es darum, die neue Europäische Zentralbank aus der Taufe zu heben - mit all dem Gewicht und der Reputation, die sie für ihre erfolgreiche Arbeit benötigt. Die Einführung des Euro wird das wirtschaftliche Klima in allen Teilnehmerländern entscheidend verändern. Die gemeinsame europäische Währung gibt Investoren mehr Planungssicherheit, das Wechselkursrisiko wird ausgeschaltet.

 

Ich bin überzeugt, daß der Euro - wie vereinbart - pünktlich zum 1. Januar 1999 kommt. Deutschland wird von Anfang an dabei sein. Wir erfüllen die Stabilitätsvorgaben des Vertrages von Maastricht. Die schwierige Defizitmarke von drei Prozent haben wir 1997 mit 2,7 Prozent deutlich unterschritten. Natürlich habe ich viel Verständnis dafür - und dies sage ich gerade auch zu unseren ausländischen Gästen -, daß nicht wenige Menschen in unserem Land die Einführung des Euro sehr zurückhaltend, manchmal auch mit großen Sorgen betrachten. Der Euro bedeutet eine tiefgreifende Veränderung bis hinein in den persönlichen Lebens- und Erfahrungsbereich jedes einzelnen.

 

Im kommenden Juni feiern wir den 50. Geburtstag unserer D-Mark. Für viele Deutsche ist die D-Mark nicht nur Münze oder Geldschein, sondern ein Stück der eigenen Lebensgeschichte. Die Einführung der D-Mark im Juni 1948 war - gemeinsam mit dem Marshall-Plan, den Harry S. Truman und George Marshall 1947 großherzig und weitsichtig auch für das deutsche Volk ins Leben gerufen haben - der erste Lichtstrahl der Hoffnung inmitten tiefer Verzweiflung in dem zerstörten Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die D-Mark steht für das sogenannte Wirtschaftswunder, das eigentlich kein Wunder war, sondern das Verdienst der harten und unermüdlichen Aufbauarbeit der Gründergeneration.

 

Vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Zusammenhänge habe ich großes Verständnis für das Gefühl vieler Menschen, die jetzt fragen: Diese gute D-Mark sollen wir hergeben? Deshalb ist für uns Deutsche die Stabilität des Euro von so großer Bedeutung. Deshalb auch setzen wir uns vehement dafür ein, daß die Stabilitätskriterien des Vertrages von Maastricht nicht manipuliert, sondern ohne Wenn und Aber eingehalten werden.

 

Meine Damen und Herren, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist ein zentraler Baustein für das Haus Europa. Wir verdanken dem europäischen Einigungsprozeß die längste Friedensperiode in unserer jüngeren Geschichte. Und wir verdanken ihm die Wiedervereinigung unseres Landes in Frieden und Freiheit. Ohne die feste Einbettung Deutschlands in die Europäische Union wäre die Zustimmung unserer Partner und Nachbarn zur Deutschen Einheit undenkbar gewesen.

 

Die friedliche Überwindung des Ost-West-Gegensatzes rückt das wiedervereinigte Deutschland in die Mitte des neu zusammenwachsenden Europas, in dem Staatsgrenzen zwar weiterhin bestehenbleiben, aber immer weniger Begriff für Trennung und Bedrückung der Menschen auf unserem Kontinent sein werden. Mein Wunsch ist es, daß zum Beispiel die Grenze zwischen Deutschland und Polen, an Oder und Neiße, dieselbe alltägliche Normalität gewinnt wie die deutsch-französische Grenze zwischen Schwarzwald und Vogesen, zwischen Pfalz und Elsaß. Ich will ein Europa, in dem wir Deutsche, Franzosen, Briten oder Schweden bleiben und zugleich Europäer sind.

 

Der Bau des Hauses Europa ist die entscheidende Garantie für Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent im 21. Jahrhundert. Die schlimmen Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien der vergangenen Jahre ebenso wie die Nachrichten aus dem Kosovo, die uns derzeit täglich erreichen, machen in eindringlicher Weise deutlich, daß Krieg und Zerstörung eben nicht automatisch auf Dauer von unserem Kontinent verbannt sind, sondern daß wir dafür immer wieder neu arbeiten müssen.

 

Die Botschaft, die François Mitterrand uns in seiner letzten großen Rede im Europäischen Parlament wenige Tage vor seinem Ausscheiden aus dem Amt und wenige Monate vor seinem Tod zugerufen hat: Das Zurück zum Nationalstaat, das ist der Krieg - diese Botschaft ist unverändert aktuell. Deshalb setzen wir alles daran, den europäischen Einigungsprozeß irreversibel zu gestalten.

 

Meine Damen und Herren, die Erfolge der Vergangenheit in Deutschland und Europa geben uns allen Anlaß zu einem realistischen Optimismus. Ich glaube an die Zukunftschancen unseres Landes, an die schöpferischen Kräfte der Menschen - ihren Fleiß, ihre Ideen und ihre Weltoffenheit. Wir Deutschen haben nicht vergessen, daß uns in Zeiten schlimmster Not die Amerikaner und andere geholfen haben. Diese Hilfe von einst ist uns heute moralische Verpflichtung gegenüber anderen.

 

Herr Oberbürgermeister, Sie haben in Ihrem Grußwort von der EXPO 2000 gesprochen. Mein Wunsch ist es, daß Millionen Menschen aus Europa und der Welt, die zu diesem Anlaß nach Deutschland, hier nach Hannover kommen, ein weltoffenes Land erleben, das sich auf der Höhe der Zeit befindet und ein Land ist, das seinen Beitrag zum Fortschritt in allen Bereichen der menschlichen Kultur leistet. Entscheidend dafür ist die Besinnung auf die Werte und Tugenden, die den Aufstieg und den Erfolg unseres Landes in den vergangenen Jahrzehnten ermöglicht haben.

 

Fleiß und Toleranz, Ehrlichkeit und Mitmenschlichkeit, Leistungsbereitschaft und Wagemut - nur mit diesen Werten, davon bin ich zutiefst überzeugt, werden wir uns das Vertrauen der Welt, das wir in den vergangenen Jahrzehnten gewonnen haben, auch in Zukunft erhalten. Wir brauchen dazu einen klaren Kurs der Zuverlässigkeit und Grundsatztreue - keinen Opportunismus mit ständigen Kurswechseln.

 

Dies bedeutet Veränderungen und Reformen, wo sie um der Zukunft willen geboten sind, ebenso aber das Festhalten an Grundwerten, die für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft unverzichtbar sind. Wenn wir mit dieser Einstellung ans Werk gehen, meine Damen und Herren, können wir guten Mutes nach vorne blicken. Wir haben alle Chancen - wir müssen sie nur nutzen! Dazu lade ich Sie herzlich ein. In diesem Sinne erkläre ich die CeBIT '98 für eröffnet.

 

 

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 21. 27. März 1998.