19. Juli 1997

Rede bei der offiziellen Eröffnungsveranstaltung der bayerischen Glasstraße in der Mehrzweckhalle in Spiegelau

 

Meine Herren Staatsminister,
liebe Freunde Huber und Wiesheu,
lieber Herr Hinsken, lieber Herr Kalb,
liebe Kolleginnen und Kollegen
aus dem Deutschen Bundestag und dem Landtag,
meine Herren Landräte, Bürgermeister und Regierungspräsidenten
und vor allem: liebe Bürgerinnen und Bürger,

 

I.

 

zunächst bedanke ich mich dafür, daß Sie bei diesem nicht gerade besonders freundlichen Wetter hierhergekommen sind und mir ein so herzliches Willkommen bereitet haben. Sie werden verstehen, daß ich, bevor ich zu Ihnen spreche, zunächst ein Wort zu den Bauern sagen möchte, die vor der Halle demonstrieren.

 

Demonstrieren ist ein Grundrecht des Bürgers. In einem Land, in dem nicht mehr demonstriert werden kann, sind alsbald Freiheit und Frieden dahin. Deswegen habe ich auch sehr viel Verständnis für die Demonstration der Bauern, auch wenn sich ein Teil ihrer Parolen gegen den Falschen richtet.

 

Ich möchte ein grundsätzliches Wort dazu sagen, wie ich die Lage der Bauern und der Landwirtschaft in unserem Land sehe. Bei uns gibt es eine Stimmung, die ich immer wieder heraushöre und die besagt: Was gebt ihr in diesem Bereich für Subventionen aus - es betrifft doch nur noch drei Prozent der Erwerbstätigen in ganz Deutschland. Meine Damen und Herren, in Bayern sind dies noch fünf Prozent und in Ihrer Region noch knapp zehn Prozent. Dies ist für mich jedoch kein Argument.

 

Ich habe hier eine sehr grundsätzliche Position: Der Bauer gehört zur Landschaft. Die Kulturlandschaft der Deutschen - das, was die Menschen genießen und warum sie auch hierher in den Bayerischen Wald kommen und Urlaub machen - ist das Werk vieler Generationen von Bäuerinnen und Bauern. Sie haben die Kulturlandschaft, in der wir heute leben, durch ihre Arbeit überhaupt erst ermöglicht. Ich möchte hierzu Barbara Bush zitieren. Die Gattin des früheren amerikanischen Präsidenten, die eine große Freundin unseres Landes ist, hat - während eines Hubschrauberfluges über unser Land - gesagt: "Deutschland - das ist ein einziger Garten."

 

Die Bedeutung dieses Wirkens der Bauern nicht zuletzt für die Tourismusentwicklung, gerade auch für das Feriengebiet hier im Bayerischen Wald, ist leicht erkennbar. Die Gäste werden nur kommen, wenn sie eine gepflegte Landschaft und Natur vorfinden, in der sie sich erholen können. Für die Bauern ist dies mit harter Arbeit rund um die Uhr verbunden, die nicht von Tarifverträgen bestimmt ist, sondern vom Rhythmus der Natur.

 

Wegen dieses umfassenden Stellenwerts der Landwirtschaft in unserem Land ist es wichtig, daß unsere Gesellschaft hier nicht den Rechenstift anlegt und von fehlender wirtschaftlicher Rendite spricht. Es geht ganz einfach darum, daß wir den Gesamtwert unserer Bauern für unsere Gesellschaft erkennen. Dieser hat für mich noch ein weiteres Element, das ebenfalls über rein wirtschaftliches Denken hinausgeht: Der Bauer und Eigentum - dies gehört untrennbar zusammen.

 

Eigentum ist eine Grundvoraussetzung für Freiheit. Dies hat uns die Geschichte gelehrt. Wenn in einer Gesellschaftsordnung das Eigentum eingeschränkt oder abgeschafft wird, dann wird alsbald auch die Freiheit abgeschafft - und umgekehrt. Heute müssen wir deswegen im Rahmen des Möglichen alles tun, um unsere Landwirtschaft zu modernisieren und ihr eine existenzfähige Grundlage für die Zukunft zu schaffen. Auch deshalb ist das, was wir heute für unsere Bauern tun, für mich keine Subventionspolitik, sondern eine Politik für das Ganze.

 

Dafür spricht noch eine andere Erfahrung, die ich - ich war am Ende des Zweiten Weltkriegs 15 Jahre alt - auch persönlich gemacht habe: Niemand von uns kann sicher sein, daß nie wieder Krisen kommen, für die wir eine Ernährungsbasis im eigenen Land brauchen. Dies müssen wir auch einmal bedenken. Ich halte dabei nichts von Reißbrettideologen, die so tun, als könne man die Zukunft berechnen. Dies haben uns nicht zuletzt die bitteren Erfahrungen dieses Jahrhunderts gezeigt, das in zweieinhalb Jahren zu Ende geht. Auch deshalb bin ich nachdrücklich dafür, daß wir alles tun müssen, um die Ernährungsbasis unseres Landes unter allen Umständen und zu allen Zeiten sicherzustellen - auch wenn dies manche für eine altväterliche Betrachtung halten und auch wenn viele Ökonomen dies anders sehen.

 

Im übrigen möchte ich hinzufügen: Der Staat kann die Kulturlandschaft nicht über Haushaltsstellen sichern. Das wäre nicht nur furchtbar teuer, sondern auch ganz unsinnig. Die Sicherung der Kulturlandschaft ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern vor allem auch eine Frage des Denkens. Die Gesellschaft der Deutschen ist eine Solidargemeinschaft. Und wenn es den Bauern derzeit schlechter geht - aus einer Reihe von Gründen, die die meisten von Ihnen hier kennen und zu denen ich in der Kürze der Zeit nichts sagen kann -, dann muß die Solidargemeinschaft aus genannten Gründen bereit sein, für sie etwas zu tun.

 

Hier brauchen wir - gerade auch in den Städten - ein Umdenken. Es ist wichtig, daß wir erkennen, daß die Bauern in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle übernehmen. Es ist wichtig, daß wir auch morgen und übermorgen noch junge Bauern haben und diese eine Frau bekommen, die bereit ist, mit ihnen auf dem Hof zu leben. Dies ist übrigens ein Thema, über das man in der breiten Öffentlichkeit viel zu wenig redet, das aber mindestens genauso wichtig ist wie die wirtschaftliche Situation und die Preise. Mit einem Wort: Wir brauchen die Bauern. Die Bundesregierung wird deswegen auch in der Europäischen Union im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles für eine gute Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland tun. Ich werde mich dafür auch ganz persönlich einsetzen.

 

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal betonen: Ich habe nichts gegen das Protestieren, aber ich habe etwas dagegen, wenn man nur sagt: Wir protestieren - macht ihr etwas. Wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich die Welt um uns herum verändert hat und auch weiter verändern wird. Um die neuen Herausforderungen erfolgreich zu meistern, müssen wir zusammenstehen. Das heißt, wir müssen einander helfen. Hier sind wir gemeinsam gefordert genauso wie jeder einzelne - auch der Bauer auf seinem Hof -, dazuzulernen und die in den Veränderungen liegenden Chancen mit Mut zur Zukunft zu nutzen.

 

II.

 

Ich bin heute aber auch zu Ihnen gekommen, um für etwas zu demonstrieren. Unsere Demokratie erlaubt ja keineswegs nur das Demonstrieren gegen etwas, sondern ebenso für etwas. Das Projekt Glasstraße ist beispielhaft für die partnerschaftliche Zusammenarbeit der Beteiligten. Dahinter steht die Idee, gemeinsam etwas zu tun, um den Menschen, die hier leben, und den kommenden Generationen eine Perspektive in ihrer Heimat zu geben.

 

Ich habe keinen Zweifel, daß diese wunderschöne Landschaft des Bayerischen und Oberpfälzer Waldes in Deutschland und Europa weiterhin ihre Chance hat. Meine Zuversicht beruht auf dem Fleiß und der Leistungsbereitschaft der Menschen in der Region sowie der klugen Politik, die hier auf allen Ebenen gemacht wird - ob in den Rathäusern, den Landratsämtern oder von der Landesregierung. Zwei Staatsminister sind heute unter uns, die sich besondere Verdienste erworben haben - unsere Freunde, die Minister Wiesheu und Huber. Ebenfalls herausragend ist der Einsatz der beiden Bundestagsabgeordneten Hinsken und Kalb, die zuvor schon zu Ihnen gesprochen haben.

 

Was die Menschen in dieser Region auszeichnet, ist ihre Einstellung: Hier sagt man eben nicht nur, wir fordern, wir erwarten und wir verlangen, sondern hier setzt man sich auch einmal zusammen und stellt sich die Frage, was man selbst tun kann. Genau das ist es, was wir, die Deutschen, vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Veränderungen um uns herum jetzt wieder brauchen - in dieser Region genauso wie überall in unserem Land.

 

Klar ist: Der Bayerische Wald und der Oberpfälzer Wald sind schön, aber die Welt ist weit und die Zukunft liegt in der Öffnung hin zu den Weltmärkten. Dies bedeutet, daß man in seiner Heimat den Wandel mitgestalten und zugleich für die Probleme und die Herausforderungen der Welt offenbleiben muß. Der international intensiver werdende Wettbewerb und die sich ständig fortentwickelnden Produktionsmethoden stellen auch das Glashandwerk und die Glasindustrie vor neue Herausforderungen. Die Glasstraße ist insoweit ein wichtiges Signal für die Zukunft. Für die Glaswirtschaft ist sie gleichsam ein Schaufenster. Sie gibt den Betrieben Gelegenheit, sich zu präsentieren - mit der Handwerkskunst auf der einen Seite und modernsten industriellen Produktionsmethoden auf der anderen Seite. Die Glasstraße steht zugleich für die Erkenntnis der Beteiligten, daß man - im wörtlichen Sinne - nicht "hinter dem Glas-Ofen hocken" bleiben darf.

 

Die Glasstraße steht zugleich noch für etwas anderes: Sie ist eine zusätzliche Attraktion für den Tourismus. Hierher kommen Feriengäste, die sich erholen und außerdem etwas Besonderes sehen möchten. Sie erleben hier - neben der landschaftlichen Schönheit der Region - die segensreiche Wirkung einer gesunden mittelständischen Wirtschaftsstruktur. Für die Dynamik unserer Volkswirtschaft sind neben den großen Konzernen genauso unsere vielen kleinen und mittleren Betriebe unverzichtbar. Dies gilt um so mehr vor dem Hintergrund ihrer herausragenden Bedeutung als Arbeitgeber. Wir brauchen einen breiten und innovativen Mittelstand und vor allem auch wieder mehr junge Leute, die den Sprung in die Selbständigkeit wagen. Immerhin entstehen mit jeder Neugründung im Durchschnitt vier neue Arbeitsplätze.

 

Meine Damen und Herren, die großen Veränderungen in der Welt und in Europa fordern von uns allen ein grundlegendes Umdenken und entschlossenes Handeln. Dies ist natürlich nicht immer einfach, und wir haben dadurch auch manche Probleme. Aber wir haben, wie ich meine, keinen wirklichen Grund zur Klage. Nehmen Sie zum Beispiel Ihren Nachbarn, die Tschechische Republik. Die Grenze verläuft nur wenige Kilometer von hier entfernt. Vor zehn Jahren wäre wohl keiner von uns auf den Gedanken gekommen, daß wir heute kurz vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Tschechischen Republik, Polen und Ungarn stehen, um nur diese drei zu nennen, oder daß aus den G 7-Ländern mit Rußland die G 8 geworden sind und wir unsere Nachbarn im Osten eingeladen haben, Mitglieder der NATO zu werden. Meine Damen und Herren, überlegen Sie einmal, was dies bedeutet - nicht zuletzt auch mit Blick auf unsere vor zehn Jahren noch geführte Diskussion über die Stationierung von Kurzstreckenraketen.

 

Wenn man sich einmal klar macht, was wir in den vergangenen Jahren erreicht haben und daß zum Beispiel die Grenze zur Tschechischen Republik keine Grenze mehr im damaligen Sinne ist, sondern die Tschechische Republik jetzt vielmehr auf dem Weg ist, Teil der NATO und Teil der Europäischen Union zu werden, dann haben wir allen Grund zur Dankbarkeit - trotz mancher Probleme, die gerade auch mit den tiefgreifenden Veränderungen auf unserem Kontinent seit Ende der 80er Jahre verbunden sind.

 

Meine Damen und Herren, ich bin ganz sicher, daß Ihre Region - wie Deutschland insgesamt - alle Chancen hat, die anstehenden Probleme zu lösen und die großen Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Was wir dafür heute vor allem wieder brauchen, ist ein gemeinsamer Konsens über unsere immateriellen Werte, unsere Tugenden. Es darf nicht sein, daß der Fleißige und Ehrliche für dumm erklärt wird und derjenige, der Subventionen und Sozialhilfe erschleicht oder Steuern hinterzieht, als der Schlaue gilt. Der Satz, der lautet: So etwas tut man nicht! - dieser Satz muß wieder stärker Geltung erlangen. Dies hat etwas mit Zukunft zu tun.

 

Ich wünsche mir, daß die symbolische Eröffnung der Glasstraße mit dem Enthüllen des Glastores jetzt gleich im Anschluß an meine Rede den Menschen in der Region eine friedliche und glückliche Zukunft verheißt. Ich wünsche mir ebenso, daß wir alle begreifen, daß es auch in unserer eigenen Hand liegt, mit Mut, Zuversicht, Ideenreichtum und persönlicher Einsatzbereitschaft Zukunft zu gestalten - so, wie dies die Gründergeneration nach dem Zweiten Weltkrieg getan hat.

 

Dies ist auch das Schöne an dem heutigen Tag: Die Beteiligten der Glasstraße haben mit ihrem Projekt ein wichtiges Signal nicht nur für die Region gegeben. Sie haben gezeigt, daß sie sich etwas zutrauen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen für die Zukunft viel Glück und Gottes Segen.

 

Auf dem Stadtplatz in Zwiesel:

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

vielen Dank, daß Sie trotz des nicht gerade freundlichen Wetters hierher gekommen sind und mir ein so herzliches Willkommen bereitet haben.

 

Ich bin heute zu Ihnen in den Bayerischen Wald gekommen, um mit Ihnen gemeinsam - den Menschen, die hier leben, genauso wie den vielen Feriengästen, die hier ihren Urlaub verbringen, - für eine gute Zukunft dieser Region insgesamt und vor allem der Glaswirtschaft zu demonstrieren. Darüber hinaus möchte ich auch den Tourismus unterstützen und darauf aufmerksam machen, daß wir uns hier in einem der schönsten Feriengebiete Europas befinden.

 

Am heutigen Vormittag haben wir die Glasstraße offiziell eröffnet. Sie steht für die lange Tradition der Glaswirtschaft und ihren seit jeher wesentlichen Einfluß auf die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Region. Die Geschichte zahlreicher Familien hier ist untrennbar mit Glas verbunden. Viele sind zu Recht stolz auf eine lange Familientradition - als Glasmacher, Glasschleifer oder Glasgraveure, um nur einige Beispiele zu nennen. Zugleich steht die Glasstraße dafür, daß die Glaswirtschaft in dieser Region eine Zukunft hat.

 

Wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich die Welt um uns herum verändert hat und weiter wandeln wird. Damit gehen für uns alle neue Herausforderungen einher. Ich denke zum Beispiel an den zunehmenden Konkurrenzdruck, der durch produktionstechnische Weiterentwicklungen und durch das Hinzutreten neuer Wettbewerber in Europa und der ganzen Welt sehr viel höher geworden ist. Vor diesem Hintergrund sind wir alle gefordert, umzudenken und für die Zukunft zu handeln. Dies betrifft vor allem auch diese Grenzregion, in der die tiefgreifenden Veränderungen auf dem euro-

 

päischen Kontinent seit Ende der 80er Jahre natürlich besonders spürbar sind. Auch insoweit ist die Glasstraße ein wichtiges Signal. Sie steht in beispielhafter Weise dafür, daß die Menschen hier vor Ort gemeinsam etwas unternehmen, um ihrer Region eine gute Zukunft zu sichern.

 

Dabei muß man vor allem auch immer die positive Seite dieser Entwicklung sehen. Kaum jemand hätte vor einigen Jahren, als ich zum erstenmal während meiner Amtszeit als Bundeskanzler nach Zwiesel kam, daran gedacht, daß wir heute über die Aufnahme unserer Nachbarn im Osten - zum Beispiel die Tschechische Republik, Polen oder Ungarn - in die Europäische Union oder die NATO verhandeln. Vor zehn Jahren hat diese Region Deutschlands noch die volle Härte der Teilung durch den Eisernen Vorhang erfahren. Die Vorstellung, daß dieses Gebiet wieder die Mitte Europas wird und im Mittelpunkt des Geschehens liegt, ist eines der ganz großen Geschenke unserer Generation am Ende dieses Jahrhunderts.

 

Vor 40 Jahren hätte wohl auch niemand zu träumen gewagt, daß unsere Kinder die erste Generation der Geschichte unseres Volkes in den letzten zwei Jahrhunderten sein werden, die nach menschlichem Ermessen nicht mehr in einen Krieg ziehen und die damit verbundenen bitteren Auseinandersetzungen mit unseren Nachbarn erleben müssen. Ich finde, es ist ein Grund zu großer Freude, daß am Ende dieses Jahrhunderts, das so viel Not und Elend gesehen hat, Aussöhnung möglich ist und wir Deutsche dafür gemeinsam mit unseren Nachbarn eintreten.

 

Ich möchte zum Abschluß auch noch ein Wort zu den Bauern sagen, die hier unter uns sind oder auf meinem Weg hierher demonstriert haben. Für mich steht grundsätzlich fest: Der Bauer und die bäuerlichen Familienbetriebe gehören zu unserer Kulturlandschaft. Es gäbe hier im Bayerischen und Oberpfälzer Wald auch keinen Fremdenverkehr, wenn die Landschaft nicht gepflegt wäre und die Felder nicht bearbeitet würden. Mit einem Wort: Für unsere Kulturlandschaft brauchen wir einen leistungsfähigen Bauernstand. Ich sage dies nicht zuletzt mit Blick auf all jene, die gelegentlich argumentieren, daß die Bauern bei uns zu sehr unterstützt würden.

 

Meine Damen und Herren, nochmals herzlichen Dank für Ihr Kommen! Ich wünsche jenen, die hier leben und arbeiten, eine glückliche Zukunft. Und jenen, die hier ihre Ferien verbringen, wünsche ich vor allem gute Laune. Dies hängt ja nicht allein vom Wetter ab. Es hat auch damit etwas zu tun, ob man es als Glück empfinden kann, auszuspannen, miteinander zu reden und ohne Fernsehgerät fähig zu sein, einander zuzuhören. Kurzum: Ich wünsche uns allen Glück und Erfolg - für unser Vaterland und die künftige Entwicklung in Europa. Herzlichen Dank!

 

Bei der offiziellen Abschiedsveranstaltung auf dem Marktplatz in Bodenmais:

 

Herr Bürgermeister,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

herzlichen Dank, daß Sie bei dieser etwas schwierigen Witterung hierher gekommen sind und mir ein sehr freundliches Willkommen bereitet haben.

 

Mein Freund Ernst Hinsken hat in seiner vorangegangenen Ansprache bereits gesagt, worum es heute geht. Dies klingt zunächst sehr nüchtern: Wir haben die Glasstraße offiziell eröffnet. Dahinter steht die großartige Idee, die Menschen in unserem Land und über die Landesgrenzen hinweg darauf aufmerksam zu machen, daß hier ein Wirtschaftszweig mit stolzer künstlerischer und handwerklicher Tradition zu Hause ist - das Glashandwerk und die Glasindustrie.

 

Mit der heutigen Eröffnung der Glasstraße wollen wir vor allem dafür demonstrieren, daß die Glaswirtschaft eine gute Zukunft in der Region hat und für die Menschen vor Ort weiterhin eine Perspektive bietet. Ich kann hierzu nur sagen: Die Glasstraße ist ein wichtiges Signal. Es ist eine prima Sache aller Beteiligten, daß sie sich in gemeinsamer Verantwortung für ihre Heimat zusammengetan haben.

 

Darüber hinaus möchte ich mit meinem Besuch auch darauf aufmerksam machen, daß wir uns hier in einer großartigen Ferienlandschaft befinden. Ein besonders herzliches Wort des Grußes möchte ich deshalb an die zahlreichen Feriengäste aus ganz Deutschland und dem Ausland richten, die heute hier unter uns sind. Auf meinem Weg über den Marktplatz zum Podium rief mir soeben ein Ehepaar zu: "Wir sind aus Brandenburg!". In dieser Bemerkung klingt eine Entwicklung an, auf die ich gerne näher eingehen möchte. Die Welt um uns herum hat sich gerade in den vergangenen Jahren dramatisch verändert und wird sich weiter wandeln. Für uns alle bedeutet dies neue Herausforderungen, auf die wir uns einstellen müssen. Wir sind gefordert, grundlegend umzudenken und, wo nötig, neue Wege zu gehen. Dies ist nicht immer einfach und auch mit Problemen verbunden.

 

Gleichzeitig müssen wir aber auch sehen, daß wir das Glück haben, jetzt in einer Zeit zu leben, in der nach menschlichem Ermessen der Friede und die Freiheit in Deutschland und Europa gesichert sind. Ich erinnere mich noch gut an meinen letzten Besuch bei Ihnen vor einigen Jahren. Ein Hauptthema damals war der Eiserne Vorhang zum Osten - und zwar ohne Aussicht auf eine Veränderung zum Besseren. Millionen unserer Landsleute lebten im anderen Teil Deutschlands unter kommunistischer Herrschaft.

 

Gerade die grenznahen Regionen wie diese haben die volle Härte der Ost-West-Teilung erfahren. Viele Jahre lang haben sich die Zweifel, ob diese Region eine gute Zukunftsperspektive bieten kann, auf die Entscheidung vieler junger Menschen ausgewirkt, in der Region zu bleiben oder wegzugehen. Heute ist die Teilung überwunden, die Grenze zum Osten ist - im damaligen Verständnis - keine mehr.

 

Vor wenigen Tagen - auf dem NATO-Gipfeltreffen in Madrid - wurde beschlossen, daß auch die Tschechische Republik, Ihr unmittelbarer Nachbar, Mitglied der NATO werden soll. Der Europäische Rat im Dezember wird voraussichtlich darüber entscheiden, mit welchen Ländern die Europäische Union ab Anfang 1998 über den Beitritt zur Europäischen Union verhandeln wird. Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, Verhandlungen zunächst mit unseren direkten Nachbarn aufzunehmen - mit der Tschechischen Republik und Polen, aber auch mit Ungarn, Slowenien und Estland sowie Zypern.

 

Damit werden die Länder in Mittel- und Südosteuropa in das freie gemeinsame Europa heimkehren. Diese Entwicklungen sind für Europa und die ganze Welt bedeutsam und sie berühren unmittelbar auch das Schicksal der Menschen hier in Bodenmais, das ja nur wenige Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt ist. Dies ist auch ein Grund für meinen heutigen Besuch bei Ihnen. Meine Botschaft an Sie ist: Natürlich haben wir in Deutschland einige Probleme. Doch wir haben überhaupt keinen Grund, darüber zu verzagen.

 

Meine Damen und Herren, die Älteren hier auf dem Marktplatz können ihren Kindern und vor allem Enkeln erzählen, wie das vor 50 Jahren gewesen ist, als die Trennung in Ost und West kam - und vor allem, welche Möglichkeiten uns dagegen heute gegeben sind. Ich bin sicher: Wir können unsere Probleme erfolgreich überwinden - wir schaffen es, wenn wir es nur wollen und danach handeln.

 

Ich möchte an dieser Stelle auch ein Wort zu den Bauern sagen, von denen einige auf dem Weg hierher demonstriert haben - auch wenn diese es jetzt nicht hören können. Ich tue dies nicht zuletzt an die Adresse der Menschen, die in unseren Städten leben oder aufgewachsen sind. Wer hierher kommt, um Urlaub zu machen, oder wer hier lebt, kann diese Landschaft nur genießen, weil viele Generationen von Bäuerinnen und Bauern sie durch ihre Arbeit gepflegt und gestaltet haben. Ihnen verdanken wir Deutschen unsere Kulturlandschaft. Für die Bauern ist dies mit hartem Einsatz rund um die Uhr verbunden, die nicht von Tarifverträgen bestimmt ist, sondern vom Rhythmus der Natur.

 

Dies macht deutlich: Unsere Bauern leisten zugleich einen wichtigen Dienst für die Gemeinschaft. Und wenn es der Landwirtschaft aus verschiedenen Gründen, die Sie alle kennen, jetzt schlechter geht, müssen wir trotz knapper Kassen aus Gründen der Solidarität zu unseren Bauern stehen. Daran ändert auch nichts, daß sie heute nur noch drei Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland ausmachen, in Bayern fünf Prozent und in Ihrer Region knapp zehn Prozent. Es geht ganz einfach darum, daß wir den Gesamtwert der Landwirtschaft für unsere Gemeinschaft erkennen und im Rahmen des Möglichen alles tun, um ihr auch für die Zukunft eine existenzfähige Grundlage zu schaffen.

 

Meine Damen und Herren, ich bin ganz sicher, daß unsere gewissermaßen demonstrative Eröffnung der Glasstraße eine positive Wirkung für die Region haben wird. Sie ist auch ein Stückweit symbolhaft für das, was wir in ganz Deutschland heute leisten müssen. In zweieinhalb Jahren geht dieses Jahrhundert zu Ende, das so viel Not und Elend gesehen hat. Dieses Jahrhundert war für uns Deutsche ein harter Weg, und wir haben daran auch eigene Schuld gehabt.

 

Vor allem mit dem Blick auf die schwierige Wegstrecke, die wir bewältigt haben, möchte ich Ihnen zurufen: Wir haben heute großartige Chancen. Diese müssen wir nutzen. Natürlich haben wir auch einige Probleme, ich nenne vor allem die inakzeptabel hohe Arbeitslosigkeit. Positiv ist, daß die wirtschaftliche Entwicklung jetzt wieder spürbar besser wird. Wir müssen aber noch mehr tun, um die Situation am Arbeitsmarkt im erforderlichen Maße zu verbessern. Von allein wird dies nicht geschehen. Das heißt, wir müssen umdenken und umsteuern. Dabei sind wir alle gemeinsam gefordert - die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und den Gewerkschaften ebenso wie jeder einzelne in seinem Bereich.

 

Meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt einmal in Ruhe über Ihr Leben nachdenken und darüber, was Sie persönlich bis heute erreicht haben oder noch erreichen möchten, dann - so denke ich - werden Sie sehr rasch zu dem Ergebnis kommen, daß es sich lohnt, für unser Land, für unser Volk, für unsere Heimat zu arbeiten und daran mitzuwirken, daß Deutschland eine gute Zukunft hat. Wir sollten dies nicht mit einem verklemmten Gesicht und Jammern angehen, sondern mit mehr Freude und Zuversicht an dem, was wir schaffen können.

 

Dazu möchte ich Sie alle herzlich einladen! Ich wünsche jenen, die hier ihren Urlaub verbringen, noch eine gute erholsame Zeit und eine glückliche Heimkehr. Den Bürgerinnen und Bürgern von Bodenmais wünsche ich, daß ihre Gemeinde eine gute Entwicklung nimmt. Uns allen wünsche ich eine glückliche Zukunft und Gottes Segen für unser Vaterland.

 

 

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 68. 18. August 1997.