2. April 1995

Rede zur Eröffnung der Hannover-Messe 1995

 

Sehr geehrter Herr Staatspräsident Suharto,

Herr Ministerpräsident,

Herr Oberbürgermeister,

meine Damen und Herren Abgeordnete,

Exzellenzen,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

sehr herzlich möchte ich vor allem auch unsere ausländischen Gäste begrüßen, die in großer Zahl nach Hannover gekommen sind.

Herr Staatspräsident, es ist für mich eine besondere Freude, dass ich Sie heute hier aus Anlass Ihres Besuchs der Hannover-Messe und Ihres Staatsbesuchs in der Bundesrepublik Deutschland begrüßen darf. Ich begrüße Sie als einen bewährten Freund Deutschlands, der auch in schwierigen Zeiten immer unser Streben nach der Einheit unseres Volks verstanden hat. Ein Gespräch mit Ihnen ist mir dabei unvergessen - es war Mitte der achtziger Jahre -, in dessen Verlauf Sie zu mir sagten; „Ich kann gar nicht verstehen, wie man darüber diskutieren kann, dass die Deutschen ihre Einheit wollen. Ein Volk will seine Einheit." Für diesen Satz und für dieses Denken danke ich Ihnen sehr herzlich.

Für unsere beiden Länder ist 1995 ein besonderes Jahr. Ihr Land, die Republik Indonesien, begeht im August dieses Jahres den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Bei uns in Deutschland gehen in diesen Tagen und Wochen unsere Gedanken zurück in die Zeit vor 50 Jahren. In wenigen Wochen, am 8. Mai, begehen wir den 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa. Es war ein Tag der Befreiung für viele Deutsche und viele Menschen in Europa. Wir vergessen auch nicht, dass Deutschland damals in Trümmern lag, Millionen Menschen entwurzelt und auf der Flucht waren. Ohne diese Erinnerung kann man kaum begreifen, weiche Wegstrecke wir seitdem zurückgelegt haben.

Hannover war, wie viele andere Städte damals, fast völlig zerstört. Die Einwohnerzahl war um mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf rund 217.000 zurückgegangen. Die Menschen waren durch den Krieg in alle Winde zerstreut. Viele haben ihr Leben verloren. Als zwei Jahre nach Kriegsende -unter schwierigen Bedingungen - die erste Hannover-Messe stattfand, war dies ein zukunftsweisendes Zeichen der Hoffnung. Ich möchte deshalb heute auch an jene mutigen Frauen und Männer erinnern, die damals nicht verzweifelt sind, sondern ihr Schicksal in die eigene Hand genommen haben. Ich nenne stellvertretend für diese Gründergeneration, auf deren Schultern wir stehen, Theodor Heuss, Konrad Adenauer und Kurt Schumacher. Kurt Schumacher hat hier, von Hannover aus, seinen politischen Weg im Nachkriegsdeutschland begonnen. Und ich nenne Ludwig Erhard. Seine Vision einer sozialen und marktwirtschaftlichen Ordnung war so erfolgreich wie wenig anderes in diesem Jahrhundert.

Für den erfolgreichen Wiederaufbau Deutschlands war eine wichtige Voraussetzung - und auch daran sollten wir uns dankbar erinnern - die Hilfe der Kriegsgegner von gestern, allen voran unsere heutigen Freunde und Partner, die Vereinigten Staaten von Amerika mit dem Marshall-Plan. Entscheidend aber war - und das ist ein Vorbild für uns heute - die Einstellung der Gründergeneration. Sie hat in einer aussichtslos scheinenden Lage mit Mut zur Zukunft, mit Fleiß, Ideen und Leistungsbereitschaft den Neubeginn geschafft.

Eine bedeutende wirtschaftliche und politische Initialzündung war zudem -noch vor der Gründung der Bundesrepublik - die Währungsreform von 1948. Insbesondere mit Blick auf die gegenwärtige Diskussion um die wirtschaftliche und monetäre Einheit Europas und die gemeinsame europäische Währung möchte ich hier bei unseren ausländischen Gästen und Freunden für Verständnis werben. In Deutschland verbinden viele Menschen mit der D-Mark wirtschaftlichen Aufstieg, gesellschaftliche und politische Stabilität sowie weltweite Anerkennung. Die Stabilität der Währung ist deshalb für uns Deutsche nicht irgendein Thema, sondern von höchstem politischen Wert. Deshalb haben für uns Geldwertstabilität und die strikten Stabilitätskriterien des Vertrags von Maastricht für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion absoluten Vorrang vor allem anderen.

Indonesien ist in diesem Jahr Partnerland der Hannover-Messe. Indonesien ist ein Land mit einer bedeutenden Geschichte und einer großen Zukunft. Es gehört mit 190 Millionen Einwohnern nach China, Indien und den USA zu den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt und ist ein wichtiger Teil der asiatisch-pazifischen Region. Schon heute wohnen in dieser Region 60 Prozent der Weltbevölkerung, werden dort 30 Prozent des Weltsozialprodukts erwirtschaftet und beträgt der Anteil dieser Region am Welthandel 25 Prozent.

Es wird Zeit, dass wir in Europa, und nicht zuletzt in Deutschland, zur Kenntnis nehmen, dass in wenigen Jahren - zum Ende dieses Jahrhunderts - sieben Länder aus dieser Region, darunter auch Indonesien, zu den zehn führenden Wirtschaftsnationen der Welt gehören werden. Auf diese Entwicklung müssen wir uns einstellen und danach handeln. Unternehmen aus Deutschland müssen im aufstrebenden Wirtschaftsraum Asien und auch in Indonesien noch stärker Flagge zeigen.

Die Umsetzung des zusammen mit der deutschen Wirtschaft entwickelten Asien-Konzepts der Bundesregierung ist für mich in diesem Zusammenhang ein wichtiger Bestandteil unserer Politik. Wir beide, Herr Staatspräsident, werden in den nächsten Tagen gemeinsam mit Vertretern der Wirtschaft aus beiden Ländern über diese Fragen sprechen. An dieser Stelle möchte ich zugleich den Mitgliedern des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft für ihre Arbeit und ihr Engagement danken. Es ist eine wichtige Aufgabe, die weit über die Interessen des einzelnen Unternehmens hinaus für unser Land von Bedeutung ist.

Auch die Europäische Union hat im vergangenen Jahr unter deutschem Ratsvorsitz eine Asien-Strategie erarbeitet. Ich denke, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das zeigt auch der Erfolg der letzten Jahre. So ist der Exportanteil in die Asien-Pazifik-Region von 10 Prozent in 1991 auf 14 Prozent in 1994 deutlich gestiegen. Die Auslandsinvestitionen sind vom 1. Halbjahr 1993 bis zum 1. Halbjahr 1994 um fast 50 Prozent gewachsen. Aber das ist erst ein Anfang. Wir müssen noch mehr tun. Die Hannover-Messe ist eine gute Gelegenheit, neue Handelsbeziehungen zu knüpfen. Auch der Mittelstand muss seine Chancen nutzen. Es ist erfreulich, dass mittelständische Unternehmen aus Indonesien hier in Hannover vertreten sind.

Unsere Beziehungen nach Asien sind aber nicht allein von wirtschaftlichen Interessen bestimmt. Seit langem besteht gerade zwischen den beiden alten Kulturnationen Deutschland und Indonesien eine festgefügte Freundschaft. Wer einmal die großartige Gastfreundschaft Ihres Lands, Herr Staatspräsident, genossen und die reiche Kultur Ihres Landes erlebt hat, wird stets voller Respekt daran zurückdenken. Ich wünsche mir, dass möglichst viele meiner deutschen Landsleute diese großartige Erfahrung machen. Umgekehrt kommen viele tausend junge Indonesierinnen und Indonesier heute nach Deutschland, um zum Beispiel an unseren Hochschulen zu studieren. Das ist ein wichtiges Fundament unserer Beziehungen.

Ein Beispiel für unsere künftige Zusammenarbeit ist die Absicht Ihres Landes, mit deutscher Beratung und Hilfe das Berufsschulwesen in Indonesien einzuführen. Eine gründliche Ausbildung junger Menschen ist entscheidend für den Aufbau und den Ausbau einer modernen Industriegesellschaft. Das duale System der Berufsausbildung in Betrieb und Schule ist ein wichtiger Pluspunkt des Standorts Deutschland.

Deutschland hat viele Aktivposten. Die Hannover-Messe als Schaufenster der Investitionsgüterhersteller ist hierfür ein eindrucksvoller Beleg. Sie ist die größte Industriemesse der Welt. In diesem Jahr sind hier über 7.000 Aussteller aus rund 70 Ländern vertreten. Dennoch haben wir keinen Grund, die Hände selbstzufrieden in den Schoß zu legen. Der stärker werdende internationale Wettbewerb zwingt uns dazu, den Standort Deutschland ständig zu modernisieren. Die deutsche Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren nicht schlechter geworden, aber andere Länder holen in großen Schritten auf. Dies gilt nicht nur für die heranwachsenden Länder Asiens. Neue Wettbewerber stehen auch direkt vor unserer Haustür, in Mittel- und Osteuropa. Ich möchte gleich hinzufügen: Die Veränderungen in Tschechien, in der Slowakei, in Polen, Ungarn, in der Ukraine und vor allem in Russland sollten wir mit Freude zur Kenntnis nehmen, denn dort können die Menschen nun endlich - und das haben wir immer erhofft - Demokratie, Rechtsstaat und marktwirtschaftliche Ordnung aufbauen.

Wer hier nur zukünftige Konkurrenten sieht, sollte sich einmal vorstellen, was geschieht, wenn die Reformen dort ihr Ziel nicht erreichen und diese Länder wieder in alte Strukturen zurückfallen. Wir wollen nie wieder zurück in die Zeit des Kalten Kriegs, in den Teufelskreis von Rüstung und Nachrüstung. Wenn die Entwicklung in diesen Ländern weiter erfolgreich voranschreitet, werden hier natürlich auch große Kräfte frei. Diese traditionellen Industriestandorte werden - verbunden mit niedrigen Lohnkosten - immer attraktiver auch für deutsche Investoren. So betragen die Lohnkosten in Ungarn, Polen, Tschechien oder der Slowakei nur rund ein Zehntel der deutschen Lohnkosten. Zwar werden die Löhne in diesen Ländern steigen, und natürlich sind niedrige Lohnkosten nicht alleiniger Gradmesser für die Qualität eines Standorts. Wenn wir in Deutschland im Wettbewerb nicht zurückfallen wollen, müssen wir jedoch solche Kostennachteile ausgleichen. Daher sind zum Beispiel flexiblere Arbeitszeiten und längere Maschinenlaufzeiten unverändert das Gebot der Stunde. Die gesetzlichen Möglichkeilen sind geschaffen. Jetzt ist es Sache der Tarifpartner, diese auch zu nutzen.

Bei der Eröffnung der Hannover-Messe im vergangenen Jahr habe ich von einem beginnenden Konjunkturfrühling gesprochen. Damals bin ich von manchen belächelt worden. Mittlerweile befindet sich die Weltwirtschaft in einem robusten Wachstumsprozess. In Nordamerika und in Westeuropa nehmen Produktion und Nachfrage stetig zu. Auch in Deutschland ist ein kräftiger Aufschwung zu verzeichnen. In diesem Jahr erwarten wir ein Wirtschaftswachstum von real plus 3 Prozent. Die Nachfrage nach deutschen Industrieprodukten ist sowohl im Inland als auch im Ausland lebhafter geworden. Ich weiß, dass gerade im Maschinenbau befürchtet wird, die Auswirkungen der Währungsturbulenzen der letzten Wochen könnten zu Lasten des Exports gehen. Ich erinnere aber auch daran, dass deutsche Unternehmen in der Vergangenheit Höherbewertungen der D-Mark immer wieder hervorragend bewältigt haben.

Auch in den neuen Ländern kommt der wirtschaftliche Aufholprozess kräftig voran. 1994 hatten wir ein reales Wachstum von plus 9 Prozent, für dieses Jahr sind die Aussichten noch etwas günstiger. Ostdeutschland ist unverändert die Wachstumsregion Nummer Eins in Europa. Ein guter Beleg für diese positive Entwicklung ist die steigende Zahl der ostdeutschen Aussteller bei der Hannover-Messe. 1990 kamen aus der damaligen DDR gerade einmal 33 Aussteller, in diesem Jahr sind 546 Aussteller aus den neuen Ländern hier vertreten.

Inzwischen hat der Aufschwung auch den Arbeitsmarkt erreicht. Dies ist vor allem in Ostdeutschland spürbar. Aber auch in Westdeutschland ist der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit durchschritten. Besonders erfreulich ist, dass Deutschland die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa zu verzeichnen hat. Mit 4,8 Prozent liegen wir weit unter dem Durchschnitt der Europäischen Union von 19,5 Prozent. Das ist auch ein Erfolg unseres dualen Ausbildungssystems. Ich möchte daher die Gelegenheit wahrnehmen, all jenen zu danken, die auch in der Zeit der Rezession den jungen Menschen Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt haben. Ich möchte an Sie alle appellieren, dies auch weiterhin zu tun. Ein Volk, das seinen Jugendlichen keine sichere Ausbildung gewähren kann, kann nicht erwarten, dass diese bereit sind, ihren Dienst zur Verteidigung von Frieden und Freiheit in der Bundeswehr zu leisten.

Eine bedrückende Erfahrung unserer Zeit - das gilt für alle Industrieländer -ist der nach jeder Rezession höhere Sockel der Arbeitslosigkeit. Gerade die Gruppe der weniger Qualifizierten ist hiervon besonders betroffen. Deswegen müssen wir alles tun, um auch für diese Menschen dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Arbeitslosigkeit ist kein unabwendbares Schicksal. In den achtziger Jahren haben wir schon einmal über drei Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Ein ähnlicher Beschäftigungserfolg ist auch am Ende dieses Jahrhunderts wieder möglich, wenn Wirtschaft und Gesellschaft schnell und flexibel auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren. Umdenken ist unverändert geboten. Ich warne vor der Einstellung, dass der Aufschwung es schon richten wird.

Wenn Deutschland für ausländische Investoren attraktiv bleiben soll, müssen wir zeigen, dass wir bereit sind, selbst auf liebgewordene Besitzstände zu verzichten. Die Zukunft Deutschlands zu sichern, heißt vor allem, mehr Freiräume für private Initiative, Leistungskraft und Ideenreichtum zu schaffen. Wir müssen den Anteil der Staatsausgaben am Sozialprodukt zurückführen. Schon einmal - zwischen 1982 und 1989 - haben wir die Staatsquote von über 50 Prozent auf knapp 46 Prozent gesenkt. Ohne diese Voraussetzung wären die finanziellen Folgen der Deutschen Einheit nicht zu meistern gewesen. Höhere Steuern und der erneute Anstieg der Staatsquote - auf etwas über 50 Prozent - waren vorübergehend unvermeidlich. Die großen Aufgaben im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit duldeten keinen Aufschub.

Unser klares Ziel ist es, die Steuer- und Abgabenbelastung wieder zurückzuführen. Das bedeutet auch, dass der Solidaritätszuschlag so bald wie möglich abgebaut wird. Seine Einführung Anfang 1995 war unumgänglich. Oft habe ich gehört, wie groß die Bereitschaft sei, für die Deutsche Einheit Opfer zu bringen. Wenn wir bei vielen Gelegenheiten - nicht zuletzt auf Kirchentagen - an die moralische Pflicht der Deutschen appellieren, für andere, denen es viel schlechter geht in der Dritten Welt, in Lateinamerika, in Asien und Afrika, das Notwendige zu tun, weil sie unsere Brüder und Schwestern sind, dann sind für uns und für mich unsere Brüder und Schwestern auch in Rostock und in Frankfurt an der Oder.

Und deswegen stehe ich zu dem Solidaritätszuschlag, der so lange bestehen bleibt, bis wir die Hauptaufgaben erledigt haben, aber dann so schnell wie möglich wieder abgeschafft werden muss. Wir werden darüber hinaus die Unternehmen Steuerreform mit dem Ziel fortsetzen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland zu verbessern und damit zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen. Das Jahressteuergesetz 1996, das am 23. März im Kabinett beschlossen wurde, bringt zusammen mit dem Familienlastenausgleich und dem Wegfall des „Kohlepfennigs" insgesamt ein Entlastungsvolumen von 30 Milliarden D-Mark für Bürger und Unternehmen.

Entscheidend für die Zukunft unseres Lands sind Forschung, Technologie und Innovation. Hier müssen wir einen neuen Anlauf unternehmen. Mit gemeinsamen Anstrengungen können wir ein Stück des Terrains, das wir verloren haben, wiedergewinnen. Vor allem müssen wir das spürbare Zurückbleiben Deutschlands im weltweiten Innovationswettlauf umkehren. 1973 lagen Japan und Deutschland bei der Anmeldung weltmarktrelevanter Patente noch gleichauf. 1992 meldete Japan dreimal so viele dieser Patente an wie Deutschland. Das ist eine große Herausforderung, auf die wir jetzt und heute reagieren müssen. Forschung und Entwicklung sind zuallererst Aufgabe der Unternehmen. Die Bundesregierung wird ihrerseits trotz der Sparzwänge die Forschungsausgaben im Bundeshaushalt 1995 steigern, während die Gesamtausgaben sinken.

Notwendig ist darüber hinaus ein intensiverer Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Der von mir berufene „Rat für Forschung, Technologie und Innovation" hat auf seiner konstituierenden Sitzung am 22. März 1995 wichtige Signale für die Zukunft gegeben. Noch wichtiger ist aber, dass wir dabei begreifen, dass eine freiheitliche Demokratie in allen Bereichen der Gesellschaft das Vorbild von Leistungseliten braucht, von Männern und Frauen, die aus eigener Überzeugung mehr leisten als andere. Schließlich geht es auch darum, Forschungsergebnisse schneller in marktfähige Produkte umzusetzen und die Vermarktung neuer Technologien zu erleichtern. Dabei sind wir alle gemeinsam gefordert. Für den Staat heißt das zum Beispiel Bürokratie abzubauen. Deshalb werden wir staatliche Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter verkürzen.

In fünf Jahren gibt es eine besondere Gelegenheit, den Technologiestandort Deutschland der Weit zu präsentieren. Die EXPO 2000 hier in Hannover ist die erste Weltausstellung auf deutschem Boden. Sie ist zunächst natürlich ein wichtiges Ereignis für die Stadt Hannover und das Land Niedersachsen, und es ist sicher nützlich, wenn Oberbürgermeister und Ministerpräsident dies nicht vergessen. Die EXPO 2000 ist aber darüber hinaus eine wichtige Angelegenheit aller Deutschen. Unter dem Leitthema „Mensch - Natur - Technik" wird das wiedervereinigte Deutschland Gastgeber der Staaten dieser Welt sein. Das ist eine außergewöhnliche Chance für unser Land.

Fünf Jahre vor dem Ende dieses Jahrhunderts hat Deutschland eine internationale Position erreicht, von der wir jahrzehntelang nur träumen konnten. [,..] Das wiedervereinigte Deutschland ist Teil des Atlantischen Bündnisses, in Freundschaft verbunden mit den Staaten diesseits und jenseits des Atlantiks, und es ist Teil der Europäischen Union. Neben ökonomischen, sozialen und ökologischen Aspekten ist das vereinte Europa vor allem ein Garant für den Erhalt des Friedens auf unserem Kontinent. Niemand soll glauben, dass die Schreckensbilder, die wir täglich aus dem früheren Jugoslawien sehen, nur in jenem Teil Europas möglich sind. Manch einer der Älteren unter uns erinnert sich noch an die Jahre der Weimarer Republik. Damals waren viele der Meinung, ein zweiter Weltkrieg sei undenkbar. Kurze Zeit danach kam Hitler und dann der Zweite Weltkrieg. Zwar wiederholt sich Geschichte nicht so einfach. Aber aus der Geschichte lernen, heißt Vorsorge zu treffen. Deshalb bleiben wir, die Deutschen, Motor der europäischen Einigung.

Wir haben allen Grund zu Optimismus. Dabei geht es nicht um Gesundbeterei und Verharmlosung von bestehenden Problemen. Zu Beginn meiner Rede habe ich bereits auf die Gründergeneration verwiesen, auf deren Schultern wir heute stehen. Ich denke, auch wir sind den kommenden Generationen verpflichtet und Rechenschaft schuldig über den Zustand, in dem wir diese Welt an sie weitergeben. Aus diesem Bewusstsein ergibt sich unsere Verantwortung für die Bewahrung des inneren und äußeren Friedens, für den Erhalt der Freiheit und die Bewahrung der Schöpfung. Zur Zeit findet in Berlin die Klimakonferenz statt. Der Klimaschutz ist eine globale Herausforderung und muss in internationaler Zusammenarbeit erfolgen. Dies ist eine wichtige Aufgabe, der wir uns nicht entziehen dürfen.

Herr Staatspräsident, dieses Europa besinnt sich auf seine Kraft und gewinnt neue Dynamik. Wir wollen sie bündeln, mit Ihnen und unseren Freunden überall in der Welt. Wir haben große Chancen und wollen diese entschlossen nutzen. Ich erkläre hiermit die Hannover-Messe 1995 für eröffnet.

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung Nr. 29 (11. April 1995).