Frau Präsidentin,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
die Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist in ihren Konsequenzen die bedeutendste Entscheidung seit der deutschen Wiedervereinigung. Sie ist die tiefgreifendste Veränderung auf unserem europäischen Kontinent seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums. Und sie ist zugleich der wichtigste Meilenstein im europäischen Einigungsprozeß seit Gründung der Montanunion 1951 und seit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957.
Es entspricht der großen Tradition eines demokratischen Parlaments, daß diese für die Zukunft unserer Nation so wesentliche Frage im Deutschen Bundestag, dem frei gewählten Parlament der Deutschen, in diesen Tagen - man muß sagen: in diesen Wochen - so eingehend diskutiert wird.
Der Deutsche Bundestag hat am 2. Dezember 1992 dem Vertrag von Maastricht mit überwältigender Mehrheit zugestimmt. Ein Kernelement dieses Vertrages ist die Schaffung einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Meine Damen und Herren, wir stehen jetzt kurz vor der Verwirklichung dieses Zieles. Ich denke, wir alle spüren in diesem Augenblick in einer ganz besonderen Weise, was dieser Schritt für Deutschland und Europa bedeutet.
Das 20. Jahrhundert, das in zwei Jahren zu Ende geht, hat zwei Gesichter gezeigt - zwei Gesichter, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. In der ersten Hälfte war dieses Jahrhundert gekennzeichnet von schlimmen Kriegen, den schlimmsten, die die Menschheit je erlebt hat, von Terrorherrschaft und totalitären Ideologien. In der zweiten Hälfte stand es zunächst nur in einem Teil unseres Kontinents im Zeichen von Frieden und Freiheit, von Verständigung und Versöhnung. Dann haben wir in Deutschland die deutsche Einheit als Geschenk erfahren.
Diese tiefgreifenden Veränderungen - ich glaube, man kann sagen: vom Schlimmen zum Guten - haben viele Gründe, aber vor allem auch die Einigung Europas. Die europäische Einigung, meine Damen und Herren, ist ein wirklicher Glücksfall - gerade für uns Deutsche. Ohne diese Politik wäre es nicht möglich gewesen, aus dem freien Teil unseres Kontinents den Krieg dauerhaft zu verbannen. Ohne die Einigung Europas wäre auch die deutsche Einheit nicht möglich gewesen. Gerade wir Deutschen haben das größte Interesse daran, daß diese Einigung in Europa weiter vorankommt. Dafür bietet sich uns heute eine historische Chance. Die wollen wir nutzen.
Vor gerade acht Jahren hatten wir die einmalige Chance zur Wiedervereinigung. Wir haben sie genutzt. Damals waren Bedenkenträger und Miesmacher unterwegs, die uns daran hindern wollten. Es sind zum großen Teil die gleichen, die heute Stimmung gegen die Europäische Union, gegen die Wirtschafts- und Währungsunion machen. Genausowenig wie bei der Deutschen Einheit werden wir uns heute von solchen Überlegungen leiten lassen.
(Unruhe - Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Stoiber!)
- Warum Sie in dem Punkt unruhig werden, weiß ich nicht. Ihr Beitrag zur Deutschen Einheit war denkbar gering; das wissen Sie so gut wie ich.
Meine Damen und Herren, wir sind auf einem guten Weg, das gemeinsame Haus Europa zu errichten. Aber wir wissen auch: Ein Haus, das nur halb vollendet ist, zerfällt wieder. Es wird dem Wind und den Stürmen eines neuen Jahrhunderts, von dem wir alle noch gar nicht wissen, was es uns bringt, auf Dauer nicht standhalten können. Deshalb müssen wir jetzt den Bau des Hauses Europa fortführen und vollenden.
Meine Damen und Herren, mehr denn je gilt, was Konrad Adenauer am 15. Dezember 1954 vor dem Deutschen Bundestag erklärte - ich zitiere -:
Die Einheit Europas war ein Traum von Wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für Viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.
Wir stehen vor zwei epochalen Aufgaben, die das Gesicht Europas im bald beginnenden neuen Jahrhundert prägen werden. Es geht zum einen darum, durch die Erweiterung der Europäischen Union und des Nordatlantischen Bündnisses endgültig die Gräben des kalten Krieges auf unserem Kontinent zu überwinden.
Dabei haben wir bereits große Fortschritte erreicht. Vor zwei Tagen hat die Europäische Union offiziell die Verhandlungen zum Beitritt Polens, der Tschechischen Republik, Ungarns, Sloweniens, Estlands und Zyperns aufgenommen, und in der vergangenen Woche haben Bundestag und Bundesrat dem Beitritt Polens, der Tschechischen Republik und Ungarns zur NATO zugestimmt.
Das zweite große Ziel, vor dessen Verwirklichung wir jetzt stehen, ist die gemeinsame europäische Währung. Sie wird der europäischen Einigung eine neue Qualität verleihen. Beides, die Erweiterung der Union und die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, steht in der Kontinuität der Politik der europäischen Einigung von Konrad Adenauer.
In der deutschen Nachkriegsgeschichte, meine Damen und Herren, ist das europäische Einigungswerk von führenden Persönlichkeiten aus allen demokratischen Parteien nachdrücklich unterstützt und gefördert worden. Ich nenne hier neben Konrad Adenauer stellvertretend für viele Carlo Schmid, Kurt Georg Kiesinger, Franz Josef Strauß und Willy Brandt. Und ich erinnere in dieser Stunde auch mit besonderer Dankbarkeit an die großen europapolitischen Debatten der vergangenen Jahre und Jahrzehnte im Deutschen Bundestag. Ich denke, dies waren Sternstunden des deutschen Parlaments. Heute - das will ich dankbar erwähnen - ist es Helmut Schmidt, mein Amtsvorgänger, der mit Leidenschaft und mit strategischen Argumenten für die Europäische Währungsunion eintritt.
Die gemeinsame europäische Währung ist ein tragendes Element beim Bau eines stabilen und wetterfesten Hauses Europa. Sie wird - dessen bin ich sicher - das Miteinander, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Europäer stärken. Der Euro wird das Bewußtsein dafür fördern, daß die Völker Europas die großen Aufgaben der Zukunft nur gemeinsam lösen können.
An den Anfängen der Geschichte der europäischen Einigung stand zu Recht die berühmte Erklärung des damaligen französischen Außenministers Robert Schuman am 9. Mai 1950, die letztendlich zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl führte. Robert Schuman sagte - ich darf zitieren-:
Europa läßt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.
Meine Damen und Herren, über vierzig Jahre europäische Erfolgsgeschichte haben bewiesen, daß die europäische Einigung kein ,,Glasperlenspiel" für verträumte Weltverbesserer ist. Sie ist handfest, sie ist harte Alltagsarbeit, und sie vollzieht sich Schritt für Schritt. Es hat sich einmal mehr erwiesen, daß die Visionäre die wahren Realisten der Geschichte sind. Zukunft für unser Land läßt sich eben nur mit Mut, mit Grundsatztreue und Weitsicht gewinnen. Mit Ängstlichkeit und Opportunismus läßt sich auch in Deutschland keine Zukunft gewinnen.
In der allerjüngsten Zeit sind aus den Reihen der Opposition - ich bedauere dies - Stimmen zu hören, die deutlich machen, daß man die existentielle Bedeutung dieses großen Zukunftsziels für Deutschland und Europa entweder nicht begreift oder, was wahrscheinlicher ist, nicht begreifen will.
Vor einigen Tagen hat Ministerpräsident Schröder über die Einführung des Euro folgendes gesagt - ich zitiere -: "Die überhastete Währungsunion hat zu einer kränkelnden Frühgeburt geführt." Meine Damen und Herren, für diese Äußerung fehlt mir jegliches Verständnis. Wer sich um das Amt des deutschen Bundeskanzlers bewirbt und sich aus rein populistischen Gründen zu solchen Formulierungen versteigt, der disqualifiziert sich selbst. Das ist seine Sache und muß uns nicht aufregen.
Eine andere Sache ist, wie sehr sich damit der Spitzenkandidat der SPD als einer der wesentlichen Sprecher der deutschen Politik im Kreis unserer europäischen Partner und Freunde isoliert; denn zu den Vätern dieser angeblich ,,kränkelnden Frühgeburt", wie Herr Schröder dies zu nennen beliebt, gehören unter anderem: Ministerpräsident Wim Kok, Spitzenkandidat der niederländischen Partei der Arbeit für die bevorstehenden Parlamentswahlen und zugleich Vizepräsident der Sozialistischen Internationale, Premierminister Antonio Guterres, Generalsekretär der Sozialistischen Partei Portugals und zugleich Vizepräsident der Sozialistischen Internationale, Ministerpräsident Paavo Lipponen, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Finnlands und zugleich Vizepräsident der Sozialistischen Internationale, Premierminister Lionel Jospin, Spitzenkandidat der Sozialistischen Partei Frankreichs und zugleich Vizepräsident der Sozialistischen Internationale.
(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Sie scheinen die Sozialisten zu lieben! - Weitere Zurufe von der SPD)
- Sie brauchen das, meine Damen und Herren. Sie brauchen das dringend als Ermutigung, weil sich eigentlich die meisten von Ihnen für diese Entwicklung schämen.
Ich nenne den Bundeskanzler Viktor Klima, den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Und ich nenne mit ganz besonderer Freude meinen alten Freund Felipe Gonzalez, ebenfalls Vizepräsident der Sozialistischen Internationale. - Meine Damen und Herren, ich fühle mich sehr wohl in der Reihe dieser Kollegen. Sie in der SPD müssen mit sich ausmachen, daß Sie immer mehr zu den Outsidern, den Außenseitern in Europa werden. Wie will man eigentlich mit solchen Vorstellungen von Politik - -
(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie sehen, wie die Sozialdemokratie im Vormarsch ist!)
- Warten Sie ab, gnädige Frau, wie der Vormarsch mit solchem Populismus ausfällt. Sie werden sehen, daß Sie mit dieser Art und Weise europäische und deutsche Interessen nicht miteinander verbinden können. Mit billigem Populismus und Angstmacherei läßt sich kein Vertrauen erwerben. Und um Ihnen das mit auf den Weg zu geben: Mit Poujadismus gewinnt man in Deutschland keine Wahl.
Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten entfernen sich mit solchen Äußerungen - das ist immerhin bemerkenswert - auch vom klaren Votum der deutschen Gewerkschaften. Der DGB hat am vergangenen Wochenende klar und deutlich festgestellt, die Einführung des Euro am 1. Januar 1999 sei geradezu ideal. Er hat hinzugefügt, die Einführung des Euro eigne sich nicht für einen populistischen Wahlkampf. Man sollte dem Vorstand des DGB vorschlagen, die geplanten zwölf Millionen D-Mark zur Aufklärung bei der Bundestagswahl dazu zu verwenden, das Zitat des Herrn Schröder und den Kommentar des DGB dem deutschen Volk zugänglich zu machen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund zeigt in dieser Frage ein Maß an politischer Einsicht, das ich nur begrüßen kann.
Im übrigen - das will ich nur nachtragen - haben sich nahezu alle Repräsentanten der deutschen Wirtschaft und nicht zuletzt auch die Vertreter der deutschen Landwirtschaft für die gemeinsame europäische Währung ausgesprochen.
Meine Damen und Herren, der Euro ist eine der wichtigsten Antworten auf die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Damit verbindet sich zugleich die zentrale Frage, ob Europa und damit auch wir in Deutschland den Aufbruch in die Zukunft schaffen. Von dieser Entscheidung hängt ganz wesentlich ab, ob künftige Generationen in Deutschland und Europa dauerhaft in Frieden und Freiheit, in Wohlstand und sozialer Stabilität leben können.
Die Bedeutung der Europäischen Währungsunion geht weit über das bloß Ökonomische hinaus, so wichtig es ist. Eine Währung - das ist gerade unsere deutsche Erfahrung - ist weit mehr als nur ein Zahlungsmittel. Sie verkörpert immer auch ein Stück nationale Tradition, auch ein Stück kulturelle Identität. Gerade für uns Deutsche ist sie - nach unseren Erfahrungen mit 50 Jahren D-Mark - von einer enormen emotionalen Bedeutung und politischen Symbolik. Für die meisten Deutschen ist die D-Mark, die im Juni 50 Jahre alt wird, Symbol für 50 Jahre Frieden, 50 Jahre Freiheit und 50 Jahre Stabilität und Wohlstand. Die Einführung der D-Mark verbinden wir mit den Erfahrungen des Wiederaufbaus unseres Landes aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs. Für die Menschen in den neuen Bundesländern steht die D-Mark auch für den demokratischen Neubeginn nach dem Ende von über 40 Jahren SED-Diktatur und den Weg zur Deutschen Einheit.
Vor diesem Hintergrund habe ich großes Verständnis dafür, daß sich viele Bürgerinnen und Bürger mit dem Abschied von der bewährten D-Mark schwertun. Ich bin mir sehr wohl der großen Verantwortung bewußt, die mit der Entscheidung für den Euro nicht nur für die heutige Generation, sondern vor allem auch für künftige Generationen verbunden ist. In diesem Jahr begehen wir den 50. Geburtstag der D-Mark. Ich hoffe, ja ich bin sicher, die Menschen werden in weiteren 50 Jahren zu dem Urteil kommen können, daß unsere Generation heute die Zeichen der Zeit richtig erkannt und dementsprechend gehandelt hat.
Meine Damen und Herren, wir haben alle Vorkehrungen dafür getroffen, daß der Euro eine dauerhaft stabile Währung wird. Die Bundesregierung und auch ich persönlich haben sich bei unseren Partnern in der Europäischen Union immer wieder nachdrücklich dafür eingesetzt, daß die Stabilitätskriterien des Vertrags von Maastricht nicht zur Disposition gestellt werden. Die Bundesregierung hat im Vertrag von Maastricht durchgesetzt, daß die zukünftige Europäische Zentralbank so unabhängig wie die Deutsche Bundesbank und zuallererst der Stabilität der Währung verpflichtet ist.
Wir haben erreicht - das ist schon fast vergessen -, daß der Sitz der Europäischen Zentralbank nach Frankfurt gekommen ist. Der Name Frankfurt steht dank der Arbeit der Bundesbank weit über die Grenzen unseres Landes hinaus für Stabilität und Solidität. Ich bin ganz sicher, daß dies auch für die Zukunft gilt.
Meine Damen und Herren, mein ganz besonderer Dank gilt in dieser Stunde Bundesfinanzminister Theo Waigel.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Edmund, klatschen!)
- Herr Abgeordneter Fischer, Ihnen kann ich nicht danken.
Ich wüßte nicht, für was. Auf seinen Vorschlag hin haben wir gemeinsam durchgesetzt, daß die strengen Kriterien des Maastricht-Vertrages durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt dauerhaft eingehalten werden.
Meine Damen und Herren, die Erfolgsgeschichte der D-Mark geht mit dem Wechsel zum Euro auf europäischer Ebene weiter. Mit dem Euro sichern wir die Werte, die die D-Mark zum Inbegriff von Stabilität und Vertrauen gemacht haben. Europa ist bereits im Vorfeld der Währungsunion zu einer Stabilitätsgemeinschaft zusammengewachsen. Dies ist die übereinstimmende Botschaft der Konvergenzberichte, die die Europäische Kommission und das Europäische Währungsinstitut in der vergangenen Woche vorgelegt haben. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Deutsche Bundesbank in ihrer Stellungnahme zur Konvergenzlage in der Europäischen Union, um die ich gebeten hatte.
Die Preissteigerungsraten und die Zinsen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union haben mittlerweile historische Tiefstände erreicht. Der durchschnittliche Preisanstieg in der Europäischen Union liegt heute bei 1,6 Prozent, und die langfristigen Zinsen liegen mittlerweile bei unter fünf Prozent. Dies - man kann es gar nicht genug rühmen - ist das Ergebnis einer auf Preisstabilität ausgerichteten Politik in allen Ländern, die sich auf den Euro vorbereitet haben. Wir haben auf diese Weise eine bisher nie gekannte Stabilitätskultur erreicht.
Eine harte Währung - das ist eine wichtige Erfahrung gerade der Deutschen - ist zugleich die beste Sozialpolitik: Rentner, Sparer sowie Bürgerinnen und Bürger mit kleinen Einkommen sind ganz besonders darauf angewiesen, daß ihr Geld seinen Wert behält.
Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte hat in den vergangenen Jahren substantielle Fortschritte gemacht. Das Haushaltsdefizit 1997 lag in 14 Mitgliedstaaten unter oder bei drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Noch vor vier Jahren waren die Defizitzahlen in der Europäischen Union im Durchschnitt weit mehr als doppelt so hoch: 1993 waren es 6,1 Prozent, heute sind es 2,4 Prozent. Deutschland hat das schwierige Defizitziel von drei Prozent mit 2,7 Prozent deutlich unterschritten - auch und gerade dank der konsequenten Reformpolitik und der Haushaltsdisziplin der von der Koalition getragenen Bundesregierung.
Beim Schuldenstandkriterium lagen wir 1997 mit 61,3 Prozent leicht über dem im Maastricht-Vertrag vorgesehenen Referenzwert von 60 Prozent. Aber die Europäische Kommission und auch das Europäische Währungsinstitut heben zu Recht hervor, daß sich in den Schulden Deutschlands vor allem die Erblast von über 40 Jahren sozialistischer Zwangswirtschaft unter der SED-Diktatur niederschlägt.
Unser Land hat aus guter Überzeugung und mit voller Berechtigung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung unseres Landes außergewöhnliche Lasten übernommen. Ich begrüße es, daß diese Tatsache erneut auch in den Berichten der Europäischen Kommission und des Europäischen Währungsinstituts anerkannt wird. Es ist wichtig, in dieser Stunde darauf hinzuweisen, daß die Staatsschulden ohne diese zusätzlichen Belastungen heute weit unter dem geforderten Referenzwert lägen, und zwar bei nur 45 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts.
Für mich aber ist es weitaus wichtiger als alles andere, daß der Schuldenstand nicht Ergebnis einer unsoliden Haushaltspolitik ist, sondern die unvermeidliche Konsequenz der großen Leistungen, die wir für die innere Einheit unseres Volkes erbringen.
Ich denke, Sie stimmen mir zu, wenn ich frage: Könnten wir denn stolz sein auf einen Schuldenstand von 45 Prozent, wenn Deutschland dafür weiterhin geteilt wäre und 17 Millionen Deutschen weiterhin Freiheit, Recht und Menschenwürde verweigert würden? Es ist Ihnen völlig unbenommen, meine Damen und Herren von der SPD, diese Frage so zu beantworten oder nicht. Vor acht Jahren haben Sie sie auch nicht so beantwortet wie wir. Deswegen können wir gut miteinander darüber diskutieren.
Wir wollen nicht vergessen, daß auf der Habenseite das Geschenk der Deutschen Einheit in Frieden und Freiheit steht. Dies ist und bleibt ein Grund zu Freude und Dankbarkeit. Die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes war und ist jede Anstrengung wert.
Trotz des unbestreitbar zu hohen Schuldenstandes in einigen EU-Mitgliedstaaten urteilt die Europäische Kommission insgesamt: Die Voraussetzungen für einen nachhaltigen Rückgang der Schuldenquoten in den nächsten Jahren sind gegeben. Diese Entwicklungen zeigen klar und deutlich: Die Voraussetzung für eine stabile europäische Währung ist gut.
Dies ist das Ergebnis gewaltiger Konvergenzanstrengungen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union. Für die meisten war es vor wenigen Jahren noch ganz undenkbar, daß heute fast alle EU-Staaten die strikten Kriterien des Maastricht-Vertrages erfüllen würden. Die Daten und Tatsachen in den Berichten der Europäischen Kommission und des Europäischen Währungsinstituts ebenso wie die Stellungnahme der Deutschen Bundesbank sprechen hier eine eindeutige Sprache. Sie widerlegen auch all jene Pessimisten, die den im Maastricht-Vertrag festgelegten Zeitplan für den Euro bis zum Schluß immer wieder in Zweifel gezogen haben.
Heute steht fest: Zeitplan und Konvergenz werden erfüllt. Die Europäische Währungsunion wird pünktlich am 1. Januar 1999 beginnen. Dies liegt im europäischen und vor allem auch in unserem deutschen Interesse.
Die Europäische Kommission schlägt dem Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs folgende elf Mitgliedstaaten für die Teilnahme am Euro zu diesem Datum vor: Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Finnland. Das Europäische Währungsinstitut und die Deutsche Bundesbank haben in ihren Stellungnahmen bestätigt, daß dies ein stabilitätspolitisch vertretbarer Vorschlag sei. Wir in der Bundesregierung teilen diese Bewertung. Wir beabsichtigen daher, beim Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs am 2. Mai 1998 in Brüssel für den Vorschlag der Europäischen Kommission zu stimmen.
Wir haben in unserem Kabinettsbeschluß am 27. März 1998 - vor ein paar Tagen - ausdrücklich beschlossen, ,,auch weiterhin die vom Maastricht-Vertrag geforderte Nachhaltigkeit der erreichten Konvergenz nachdrücklich zu vertreten und ihr besondere Aufmerksamkeit zu widmen". Dies ist nicht irgendein Text, sondern ein Text, der eine große Bedeutung hat und der auch von unseren Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der Europäischen Union so verstanden worden ist. Insbesondere gehen wir in diesem Zusammenhang davon aus, daß diejenigen Staaten, die noch eine besonders hohe Gesamtverschuldung aufweisen, ihre Strategie einer weiteren Konsolidierung der Staatsfinanzen energisch und vor allem auch nachweisbar fortführen. Wir wünschen uns, meine Damen und Herren, daß jene Länder in der Europäischen Union, die jetzt noch nicht in der Eurozone dabeisein können oder wollen, bald zu dem Kreis der Länder mit einer gemeinsamen Währung hinzutreten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die großen wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit sind nicht mehr im nationalen Alleingang zu lösen. Die zunehmende Globalisierung der Märkte und ein immer schärferer weltweiter Standortwettbewerb zwischen Ländern und Regionen um Investoren und Arbeitsplätze erfordern dringend ein gemeinsames Handeln der Europäer. Die Einführung des Euro ist eine zwingende Notwendigkeit. Sie liegt im ureigensten deutschen Interesse.
Die neue gemeinsame Währung wird Europa als einen Raum wirtschaftlichen Wohlstands und monetärer wie sozialer Stabilität weiter festigen können. Sie wird unseren Kontinent - das ist ein entscheidendes Argument - im Wettbewerb mit anderen dynamischen Wirtschaftsräumen wie der Nordamerikanischen Freihandelszone, NAFTA, der Südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, MERCUSOR, oder der Südostasiatischen Vereinigung, ASEAN, stärken. Die These ist einfach: Wir haben keine Alternative, nur gemeinsam werden wir auf diesem Weg im 21. Jahrhundert erfolgreich sein.
Der Euro trägt nicht zuletzt zur Stabilisierung des internationalen Währungs- und Finanzsystems bei. Dies ist gerade im Blick auf die Erfahrungen mit der Finanzkrise in Südostasien in den letzten Monaten von großer Bedeutung. Der europäische Binnenmarkt ohne Grenzen für Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital wird durch die gemeinsame europäische Währung vollendet. In dieser Eurozone wird ein einheitlicher Markt mit rund 300 Millionen Menschen und einem Anteil von 20 Prozent am Welteinkommen entstehen. Diese Zahl ist vergleichbar mit dem Anteil der Vereinigten Staaten von Amerika. Auch die Verbraucher werden durch eine bessere Vergleichbarkeit der Preise ganz unmittelbar profitieren können.
Meine Damen und Herren, aus der wissenschaftlichen Diskussion wissen wir, daß der Wegfall des Wechselkursrisikos für die Unternehmen in den Euroländern Einsparungen in einer zweistelligen Milliardenhöhe ermöglicht. Denn mit der Einführung des Euro entfällt die teure Absicherung gegen Wechselkursschwankungen. Die gemeinsame europäische Währung wird das Klima für Investitionen und Beschäftigung auch bei uns in Deutschland und in Europa nachhaltig verbessern.
Natürlich weiß ich - wie jeder hier -, daß der Euro kein Patentrezept ist, mit dem sich unsere Arbeitsmarktprobleme mit einem Schlag lösen lassen. Aber ich will doch daran erinnern, daß die Bundesrepublik Deutschland Exportland Nummer zwei in der Welt ist. Jeder fünfte Arbeitsplatz bei uns hängt vom Export ab. Mehr als 40 Prozent unserer Ausfuhren gehen in jene Länder, die jetzt gute Chancen haben, beim Start der Währungsunion dabeizusein. Weil gegenüber diesen Ländern künftig keine Wechselkursrisiken mehr bestehen, gibt es auch weniger Risiken für die exportabhängigen Arbeitsplätze in Deutschland. Das ist eine der ganz wichtigen Auswirkungen, die wir sehen müssen.
Die Europawährung eröffnet die ganz große Chance für eine neue nachhaltige wirtschaftliche Dynamik, für dauerhaftes Wachstum und für zukunftssichere Arbeitsplätze im neuen Jahrhundert. Die Deutsche Bundesbank stellt in ihrer Stellungnahme fest: "Letztlich wird die Währungsunion um so besser gelingen, je flexibler die Güter-, Finanz- und Arbeitsmärkte sind." Die klare Botschaft lautet: Wir werden die Chancen des Euro zu mehr Beschäftigung nutzen, wenn wir - das ist die Voraussetzung - bei uns in Deutschland unseren Reformkurs beharrlich fortsetzen und wenn alle Beteiligten weiter ihren Beitrag leisten. Das gilt für Wirtschaft, Tarifpartner und Politik.
Wer sich jetzt aus populistischen Gründen bei den notwendigen Reformen verweigert oder gar die bereits beschlossenen Reformen, die die Zukunft sichern, zurücknehmen will, treibt Kosten in die Höhe und verweigert den arbeitsuchenden Menschen die Chance auf eine Beschäftigung. Darüber hinaus gilt, daß derjenige, der jetzt nicht die notwendigen Reformen vorantreibt, sondern zuerst in eine europaweite Harmonisierung der Standards in der Steuer-, Sozial- und Umweltpolitik flüchtet, in Europa keinen Fortschritt erzielen und das Ziel verfehlen wird.
Eine solche Politik wäre ganz und gar unrealistisch, um nicht zu sagen unehrlich, weil wir genau wissen, daß in Europa niemand bereit wäre, sich jetzt beispielsweise auf unsere hohen Sozial- und Umweltstandards einzulassen. Schließlich würde das für unsere Partner bedeuten, zugunsten Deutschlands auf eigene Wettbewerbsvorteile zu verzichten.
Eine solche Politik ist auch deswegen gefährlich, weil nur eine Harmonisierung auf einem niedrigeren Niveau zustande käme.
(Zurufe von der PDS: Aha!)
- Sie brauchen gar nicht dazwischenzurufen. - Die Äußerungen des Deutschen Gewerkschaftsbunds sprechen hierzu ja eine klare Sprache.
Eine Harmonisierung auf einem niedrigeren Niveau würde doch heißen, daß in Deutschland genau das verspielt wird, was wir in Deutschland zum Beispiel in der Sozialpolitik erreicht haben. Wer will das eigentlich? Wenn man es nicht will, dann soll man es auch laut und deutlich sagen. Wir bleiben dabei: Die notwendigen Reformen für die Zukunft müssen jetzt und nicht irgendwann durchgesetzt werden.
Wahr ist auch, daß uns die Erledigung unserer Hausaufgaben niemand abnimmt. Unabhängig davon ist es natürlich hilfreich, innerhalb der Europäischen Union die nationalen Wirtschafts- und die nationalen Beschäftigungspolitiken besser zu koordinieren. Der EU-Beschäftigungsgipfel in Luxemburg im vergangenen Jahr war ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Nach Abschluß der Gespräche mit den Sozialpartnern wird die Bundesregierung den deutschen Aktionsplan in nächster Zeit vorstellen und dann der öffentlichen Diskussion unterbreiten.
Die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion leitet einen neuen Abschnitt der europäischen Einigung ein. Zugleich haben wir mit dem Vertrag von Amsterdam die Grundlage für die Erweiterung und auch für die innere Fortentwicklung der Europäischen Union geschaffen. Ich bin dafür dankbar, daß Deutschland auf Grund der überwältigenden Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zu diesem Vertragswerk der erste Mitgliedstaat in der Europäischen Union ist, der das Ratifikationsverfahren abgeschlossen hat.
Zum einen kommt es jetzt darauf an, die Neuerungen von Amsterdam entschlossen in die Tat umzusetzen und so die Handlungsfähigkeit und Effizienz der Europäischen Union ganz konkret zu verbessern. Ich denke dabei an den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik und vor allem auch an die gemeinsame Bekämpfung des international organisierten Verbrechens. Zum anderen haben wir in Amsterdam Fortschritte bei der Reform der europäischen Institutionen erreicht. Auf diesen Fortschritten können wir aufbauen. Als Beispiele hierfür nenne ich die neuen Rechte und Möglichkeiten des Europäischen Parlaments.
Allerdings - das gehört zu diesem Bericht - reichen alle diese institutionellen Fortschritte gerade auch im Hinblick auf die Erweiterung und Akzeptanz der Europäischen Union bei den Bürgern noch lange nicht aus. Wir stehen heute vor der Frage, wie eine erweiterte Europäische Union ihre Handlungsfähigkeit nach innen und außen verbessern und zugleich ihre demokratische Verankerung, ihre Bürgernähe stärken und ausbauen kann.
Nach den Entscheidungen über den Euro halte ich jetzt den Zeitpunkt für gekommen, um innerhalb der Europäischen Union zu einer Bestandsaufnahme über diese sensiblen, aber ungewöhnlich wichtigen Fragen zu gelangen und diese Entscheidungen zu treffen. Viele Kollegen im Kreis der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union stimmen mit mir darin überein, daß wir beim Europäischen Rat in Cardiff Mitte Juni diese Diskussion beginnen und ein gutes Stück weiterführen.
Eine der zentralen Fragen nicht nur für die Deutschen wird dabei die weitere Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips sein. Wir sind uns in einer großen Mehrheit im Grundsatz darin einig - das ist unser Verständnis von Subsidiarität -, daß auf der europäischen Ebene nur das geregelt werden soll, was nicht in einem ausreichenden Maße auf der lokalen Ebene, auf der - um es in ,,Europasprache" zu sagen - regionalen Ebene - bei uns sind das die Bundesländer - oder auf der nationalen Ebene entschieden werden kann und zugleich besser auf der europäischen Ebene zu regeln ist. Eine zentralistische Europäische Gemeinschaft mit einer für alles und jeden zuständigen Hauptstadt Brüssel war niemals unser Ziel und kann niemals unser Ziel sein; das war sie auch bei der Gründung der Europäischen Union nicht.
Das Europa, das wir uns wünschen - ich sage noch einmal, daß dies die klare Meinung der meisten Kollegen im Rat ist -, muß auch in Zukunft seine Vielfalt bewahren: seine kulturelle Vielfalt, seine landsmannschaftlich-regionalen Besonderheiten und seine von unterschiedlichen Traditionen geprägten Erfahrungen. Nationalstaaten und Europäische Union werden auch künftig unterschiedliche, sich zum Teil gegenseitig ergänzende Aufgaben erfüllen. Im einzelnen gibt es darüber - das ist wahr; aber das ist ganz normal bei einem solch dramatischen Prozeß der Veränderung - in Brüssel und auch in den einzelnen Mitgliedstaaten noch sehr unterschiedliche Vorstellungen. Deswegen müssen wir miteinander diskutieren und prüfen, welchen Weg wir gehen wollen. Wir müssen vor allem die Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen präzisieren.
Wenn ich das so sage, heißt das für mich auch, daß wir nach der Erfahrung der letzten Jahrzehnte durchaus darüber zu reden haben, ob alle Zuständigkeiten, die nach Brüssel gegangen sind, dort bleiben müssen. Eine solche Diskussion darf auf gar keinen Fall tabuisiert werden. Das hat überhaupt nichts mit einer Renationalisierung zu tun, wie manches Mal behauptet wird. Wir wollen eine bürgernahe, wir wollen eine effektiv arbeitende Europäische Union. Deswegen ist, was ich eben sagte, dringend notwendig.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode, getragen von den Koalitionsparteien, nahezu alle notwendigen Zukunftsreformen bei uns durchgesetzt, die meisten gegen erbitterten Widerstand. Ich nenne als Beispiele die Bahn- und Postreform, die Privatisierung der Telekom und der Lufthansa, die Abschaffung der arbeitsplatzvernichtenden Substanzsteuern Vermögensteuer und Gewerbekapitalsteuer, die Senkung des Solidaritätszuschlags, die Gesundheitsreform und die Rentenreform.
Die volle Wirkung dieser Reformen für Wachstum und Arbeitsplätze entfaltet sich nach und nach; die ersten Erfolge sind durchaus sichtbar.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Wo denn? - Lachen bei der SPD - Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
- Ich weiß, daß es Ihnen schwerfällt, das zuzugeben. Sie brauchen ja Ihre alte Verelendungsstrategie, um beim Wähler Eindruck zu machen. Aber der Wähler weiß, wie das Land wirklich aussieht. Deswegen warten wir ruhig ab.
Deutschland hat seine Position als starker Innovationsstandort in der Welt erfolgreich ausgebaut. Zum Beispiel nimmt unser Land inzwischen wieder Rang eins in der Welt bei den gerade im Zusammenhang mit der Globalisierung besonders wichtigen Weltmarktpatenten ein. Die deutsche Exportwirtschaft boomt. Gegenüber dem Vorjahr sind unsere Ausfuhren um zehn Prozent gestiegen; wir haben Gott sei Dank wieder Weltmarktanteile zurückgewonnen. Wer vor ein paar Tagen auf der Computermesse CeBIT war, der konnte dort die Signale der Zuversicht spüren. Der Messeverlauf hat nach Einschätzung der Aussteller alle Erwartungen übertroffen. Das zeigt sich bereits jetzt im Nachmessegeschäft.
Meine Damen und Herren, dies alles zeigt deutlich, daß sich der Modernisierungskurs in Wirtschaft und Gesellschaft auszahlt. Der Standort Deutschland ist international wieder spürbar wettbewerbsfähiger geworden. Dies wirkt sich positiv aus. In diesem Jahr wird ein Wachstum in der Größenordnung von zweieinhalb bis drei Prozent erwartet. Für 1999 zeichnet sich ein vergleichbares Ergebnis ab.
Die wichtigste innenpolitische Aufgabe ist nach wie vor die Bekämpfung der viel zu hohen Arbeitslosigkeit. Gegenwärtig beobachten wir am Arbeitsmarkt in den alten und neuen Ländern eine unterschiedliche Entwicklung. In Westdeutschland setzt sich die Trendwende am Arbeitsmarkt langsam, aber sicher durch. Besonders in den exportstarken Branchen wie Maschinenbau, Elektrotechnik und Automobilbau wird wieder eingestellt. In Ostdeutschland belastet derzeit vor allem noch der Arbeitsplatzabbau in der Bauwirtschaft den Arbeitsmarkt. Dagegen ist auch zu vermerken, daß die ostdeutsche Industrie ebenfalls wächst, doch geht das in einem Tempo, das sich nicht so schnell ausreichend in zusätzlichen Arbeitsplätzen niederschlägt.
Meine Damen und Herren, um es klar zu sagen: Der Aufbau Ost hat für die Bundesregierung unverändert Priorität.
Wir werden unsere Unterstützung für den Aufbau Ost auch in Zukunft auf hohem Niveau weiterführen, ungeachtet alle notwendigen Konsolidierungsanstrengungen, die wir in den nächsten Jahren fortsetzen werden.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, vor allem aber muß Deutschland für inländische und ausländische Investoren wieder attraktiver werden. Für mich ist es besonders bestürzend, daß ausländische Investoren - wegen der Steuerentwicklung in unserem Land -, in Großbritannien, mit einer kleineren Volkswirtschaft als die Bundesrepublik Deutschland, in den letzten Jahren achtmal soviel investiert haben wie bei uns in Deutschland.
(Georg Pfannenstein [SPD]: Warum wohl?)
- Warum wohl? Die Antwort kennen Sie. - Deshalb brauchen wir ein international wettbewerbsfähiges Steuersystem. Wir brauchen - das ist überfällig - eine durchgreifende Steuerreform, die den Weg frei macht für Innovationen und Investitionen nicht abschreckt.
Gerade jetzt - das ist wichtig für unser Handeln - erlebt der Standort Europa eine Renaissance. Das Interesse der Anleger aus dem Dollarbereich richtet sich dabei ganz besonders auf Deutschland. Gerade jetzt wäre eine durchgreifende Steuerreform die große Chance gewesen, mehr Investoren für Deutschland zu gewinnen, vor allem auch für die neuen Länder.
Mit der Blockade der Steuerreform ist für den Augenblick diese Chance vertan worden, aber wir müssen diese Politik konsequent weiter vertreten. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien treten weiter mit aller Entschiedenheit für eine große Steuerreform ein, eine Steuerreform, die diesen Namen wirklich verdient, eine Steuerreform, die dafür sorgt, daß mehr Investitionen und damit mehr Arbeitsplätze nach Deutschland kommen.
Unser vom Bundestag verabschiedetes, aber von der Bundesratsmehrheit verhindertes Petersberger Konzept bleibt richtig. Meine Damen und Herren, wir werden Ende September die Probe machen. Wir werden bei dieser Bundestagswahl ein Plebiszit zur Steuerreform herbeiführen, und Sie werden dieses Plebiszit verlieren.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, knapp zwei Jahre vor dem Ende dieses Jahrhunderts eröffnen sich für unseren alten europäischen Kontinent neue Horizonte. Wir spüren und sehen es: Ein neues Europa entsteht. Es ist ein Europa, in dem wir Deutschen von Partnern und Freunden umgeben sind, die mit uns gemeinsam das Haus Europa bauen wollen. Zu dieser Entwicklung hat die deutsche Außenpolitik wichtige Beiträge geleistet - Beiträge, die weltweit Anerkennung finden. Erstmals in unserer Geschichte haben wir gleichzeitig exzellente Beziehungen zu den Amerikanern, zu Washington, zu den Franzosen, zu Paris, zu den Briten, zu London und zu den Russen, zu Moskau. Dies ist für uns Deutsche ein großes Geschenk der Geschichte am Ende dieses Jahrhunderts.
Zu Beginn dieses Jahrhunderts war vor allem auch die europäische Staatenwelt von nationaler Machtpolitik und dem Streben nach Einflußsphären geprägt. Für Generationen - ich will daran erinnern - bewahrheitete sich auf grausame Weise der Satz, den der britische Außenminister Edward Grey beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 sagte:
In diesem Augenblick gehen in ganz Europa die Lichter aus.
Wir alle werden sie in unserem Leben nie wieder leuchten sehen.
Unter uns leben noch viele mit persönlichen Erinnerungen an die dunklen Jahrzehnte, die damals für Millionen Europäer, auch für die Deutschen, begannen. Es war die Zeit der Weltkriege, des Totalitarismus, des Faschismus, des Nationalsozialismus und des Kommunismus. Diese Zeit endete erst vor wenigen Jahren mit dem Zusammenbruch des kommunistischen, des sowjetischen Imperiums.
Am Ende dieses so schlimmen, blutigen 20. Jahrhunderts haben wir Deutsche jetzt die Chance, gemeinsam mit den Freunden und Partnern in Europa an einer besseren, an einer gerechteren Welt zu bauen, an einer Welt, in der das Licht der Freiheit und des Friedens hell leuchtet. Dieses Europa ist unser Auftrag. Es ist unsere Verpflichtung gegenüber kommenden Generationen.
In diesem Sinne bitte ich um Ihre Zustimmung zur Vorlage der Bundesregierung zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.
Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 24. 3. April 1998.