Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Der Vertrag vom 21. Dezember 1972 über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik markiert den vorläufigen Abschluß einer Entwicklung, die innerhalb von drei Jahren zu einer prinzipiellen Veränderung der bis dahin von allen im Parlament vertretenen Parteien gemeinsam getragenen Deutschland- und Ostpolitik geführt hat.
Dieser entscheidende Wandel wurde bereits mit der Regierungserklärung vom Herbst 1969 eingeleitet, ohne der CDU/CSU eine ernsthafte Chance der Mitwirkung zu geben. Wie ist es sonst zu verstehen, daß das Angebot der Zusammenarbeit an die Opposition erst zu einem Zeitpunkt erfolgte, an dem die Bundesregierung bis dahin gemeinsam vertretene Prinzipien unserer Deutschlandpolitik einseitig und unwiderruflich aufgegeben hatte. Die Verantwortung für diese Politik trägt deshalb allein die Bundesregierung und damit die SPD und FDP.
Aber dennoch machen wir uns eine Entscheidung in dieser für unser Volk so bedeutsamen Frage wie den Grundvertrag nicht einfach. Wir halten uns vor Augen - und dazu sollte auch die Bundesregierung den Mut besitzen -, daß es bei keiner politischen Entscheidung nur zwei entgegengesetzte Betrachtungsweisen und Auffassungen gibt, sondern daß es immer gilt, Chancen und Risiken einer Politik abzuwägen.
Gestatten Sie mir, daß ich zu Beginn meiner Ausführungen und bevor ich auf Einzelheiten des Grundvertrages eingehe, noch einmal kurz auf die Gesamtpolitik der Regierung Bezug nehme.
Der veränderten Deutschland- und Ostpolitik liegt die Bereitschaft der Bundesregierung zugrunde, den Status quo in Europa hinzunehmen. Nicht ihn zu überwinden ist länger das erklärte Ziel. Der Status quo ist vielmehr zum Ausgangspunkt, zur Basis geworden, auf der eine Politik des modus vivendi zwischen der Bundesrepublik Deutschland und unseren östlichen Nachbarn, einschließlich der DDR, gründen soll.
Die konkreten Auswirkungen dieses neuen Konzepts sind mit den Verträgen von Moskau und Warschau und mit dem vorliegenden Grundvertrag deutlich zu Tage getreten und zum wesentlichen Teil bereits unwiderruflich geworden.
Was blieb, ist der taugliche oder nichttaugliche Versuch der Bundesregierung - dies wird die Zukunft erweisen müssen -, mit Hilfe juristischer Kunstgriffe und neuer Formeln zu verhindern, daß die neuen Regelungen auch völkerrechtlich einen definitiven Charakter erhalten und auf diese Weise unsere immer noch gemeinsamen deutschlandpolitischen Ziele gefährden.
Sicherlich konnte mit diesen Vorbehalten, wie sie insbesondere in der gemeinsamen Entschließung des Bundestages vom 17. Mai 1972 zum Ausdruck kommen, verhindert werden, daß die östlichen Vertragspartner ihre Maximalforderungen durchsetzen konnten.
Für uns ergibt sich jedoch zunehmend die Gefahr, daß unsere politischen Forderungen nach Selbstbestimmung und Einheit zu juristisch verklausulierten Vorbehalten zusammenschrumpfen. Darüber hinaus beraubt sich die Bundesregierung durch die starke Betonung der Rechte und Verantwortlichkeiten aller vier Siegermächte in weitem Maße der eigenen Handlungsfreiheit in der deutschen Frage. Mit Recht ist gesagt worden, daß die Bundesregierung dabei ist, die eigene Ohnmacht als ein Präjudiz zu fixieren, demzufolge die Bundesrepublik nichts in bezug auf Deutschland als Ganzes präjudizieren kann. Die wiederholte Bestätigung der Siegerrechte der vier Mächte als völkerrechtliche Instanz - und das ist immer auch das Siegerrecht der Sowjetunion - erweckt den Eindruck, daß wir dieser Instanz gegenüber die deutsche Einheit selbst zur Disposition stellen wollen.
Die Sorge vor einem Vorrecht der vier Mächte in bezug auf Deutschlands eigenste Angelegenheiten war der Grund gewesen, warum Konrad Adenauer darauf gedrängt hatte - und zwar mit vollem Erfolg -, daß die drei westlichen Verbündeten von ihren aus der Vier-Mächte-Verantwortung abgeleiteten Vorbehaltsrechten nicht anders Gebrauch machen durften als allein im Sinne der Richtlinie des Art. 7 des Deutschlandvertrages.
Die Bundesregierung von heute ist dabei, diesen Weg, nämlich die Vier-Mächte-Verantwortung als Mittel zur Durchsetzung unserer Ziele einzusetzen, wieder zu verlassen.
Hier liegt also die entscheidende Wendung in der Kontinuität unserer Deutschlandpolitik.
Die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Saarland, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz haben gegenüber dem deutsch-sowjetischen und deutsch-polnischen Vertrag schwere Bedenken geltend gemacht. Die politische Entwicklung seit diesem Zeitpunkt hat diese Bedenken keineswegs gegenstandslos gemacht. Im Gegenteil: der vorliegende Grundvertrag, über den wir heute diskutieren, hat unsere Sorgen nur noch bestätigt. Ich will dies anhand einiger Punkte verdeutlichen:
1. Der Grundvertrag will Grundsätzliches regeln, ohne Klarheit im Grundsätzlichen zu vermitteln. Er steht in der Kontinuität der Unklarheit der Ostverträge. Es ist wiederum nicht ausgeschlossen worden, daß der Vertragspartner aus dem Vertragstext Rechtsverzichte ableitet, die weder mit unserer Rechtsauffassung noch mit unseren Interessen zu vereinbaren wären.
Wie die Ostverträge machte auch der Grundvertrag eine komplizierte juristische Absicherungspolitik gegenüber dem Vertragspartner erforderlich. Denn auch dieser Vertrag klammert entweder die fundamentalen Prinzipien unserer Deutschlandpolitik aus oder stellt nur den gegenseitigen Dissens fest.
Sicherlich hat die DDR ihre Maximalforderung, die ausdrückliche völkerrechtliche Anerkennung durch die Bundesrepublik, formell nicht erreicht. Doch ist zu fragen, welche Relevanz dem noch zukommt, wenn die politische Wirkung des Vertrages nicht nur im Osten, sondern bereits in der gesamten Weltöffentlichkeit - und dies war vorhersehbar - diesem Ergebnis gleichkommt.
Wenn dieser Vertrag einmal ratifiziert ist, wenn die DDR auch von den Westmächten völkerrechtlich anerkannt ist, wenn erst einmal zwei deutsche Staaten gleichberechtigt nebeneinander in den Vereinten Nationen ihren Sitz einnehmen, wird es sich auf die Dauer schwer glaubhaft machen lassen, daß irgendwelche innerdeutschen Beziehungen besonderer Art bestehen.
Wäre hier nicht ein Stück Realismus mehr von Seiten der Bundesregierung wünschbar und erforderlich? Oder hängt vielleicht das Bekenntnis dazu von den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen ab?
2. Der Grundvertrag selbst wie seine Auswirkungen tragen auf diese Weise dazu bei, im Bewußtsein unserer Bevölkerung wie der Weltöffentlichkeit den provisorischen Charakter der Bundesrepublik endgültig auszulöschen. An sich könnte man die Überwindung provisorischer Staatlichkeit begrüßen, wäre sie nicht - im Zusammenhang mit der Nichtanerkennung der DDR - die unabdingbare Voraussetzung dafür gewesen, den Anspruch auf ein freies Gesamtdeutschland aufrechtzuerhalten, als deren Sachverwalter sich die Bundesrepublik nach übereinstimmender Auffassung aller im Bundestag vertretenen Parteien gesehen hatte. Dieser Treuhänderrolle entspricht das politische Bewußtsein der deutschen Bevölkerung, dessen zentraler Inhalt nicht der Nationalstaat ist, sondern die freiheitliche politische Ordnung. Das schloß den Anspruch der Bundesrepublik auf die Wiederherstellung der historisch gewachsenen Identität von staatlicher und nationaler Einheit nicht aus, denn aus dem Bewußtsein der Verantwortung für den politischen Weg der gesamten Nation, aus dem Bewußtsein von der Unteilbarkeit der Freiheit legitimieren wir ja unsere Verpflichtung, für die Freiheit aller Deutschen, auch der in der DDR, einzutreten. In diesem Sinne sind Staatsbewußtsein und Nationalbewußtsein identisch.
3. Unsere eigene, im Bekenntnis zu Recht und Freiheit begründete Legitimität wird in dem Maße unglaubwürdig, in dem der Grundvertrag dazu führen sollte, uns - unter Bezugnahme auf die Artikel 1, 2 und 6 des Vertrages - Schranken aufzuerlegen, weiterhin mit aller Entschiedenheit gegen alle Verletzungen der Menschenrechtskonvention der UN-Charta wie gegen die Vorenthaltung der darin verbürgten Menschenrechte, insbesondere in der DDR, öffentlich einzutreten.
Auch ein Nebeneinander darf nicht so geregelt sein, daß es die Erfüllung dieser Pflicht einschränkt.
4. Es besteht bei der Bundesregierung und in anderen Kreisen zunehmend die Neigung, über diese Probleme mit dem Hinweis auf die erreichten und in Aussicht gestellten „menschlichen Erleichterungen" hinwegzugehen. Und nicht nur das: jeder, der versucht, die Verhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung zu diskutieren, und dazu gehört auch der Bereich der menschlichen Erleichterungen, sieht sich immer mehr dem Vorwurf ausgesetzt, Maßstäbe an die Politik anzulegen, die gegen den Menschen gerichtet sind.
Ich wehre mich ganz entschieden gegen jeden Versuch, Gegnern dieser Verträge mangelnde Mitmenschlichkeit zu unterstellen, ihnen zu unterstellen, letztlich eine Politik gegen den Menschen betreiben zu wollen.
Das Interesse des einzelnen, seine Bedürfnisse, reduzieren sich nicht nur auf den rein privaten Bereich, sondern schließen das politische und gesellschaftliche Ganze mit ein. Somit ist es durchaus legitim, auch das Ausmaß der menschlichen Erleichterungen kritisch in die politische Abwägung von Leistung und Gegenleistung mit einzubeziehen. Dies gilt vor allem dann, wenn sie sich, wie im vorliegenden Fall, im nur denkbar engsten Rahmen bewegen, ja, zum Teil sich nur als die Kodifikation einer schon seit längerer Zeit geübten Praxis erweisen. Selbst wenn nicht mehr zu erreichen war, ist das Wenige nach unserer Auffassung nicht in ausreichendem Maße abgesichert worden. Dies wiegt um so schwerer, als die Bundesregierung nach einer Ratifizierung des Vertrages über kein wirksames Mittel mehr verfügt, die DDR-Führung zu innerdeutschen Zugeständnissen zu bewegen, welche die Situation der Menschen im geteilten Deutschland verbessern.
Die Bundesregierung pflegt den Grundvertrag wie ihr gesamtes Vertragssystem mit dem Hinweis auf die sich verändernde weltpolitische Lage seit Ende der sechziger Jahre zu rechtfertigen. Diese Lage ist gekennzeichnet durch das Eintreten neuer Mächte in die Weltpolitik, durch die in den letzten Jahren erfolgte Änderung der sowjetischen Politik, wobei aber noch nicht letzte Klarheit darüber besteht, ob sie taktischer oder strategischer Natur ist, d.h. ob sich nur die Mittel oder auch die Ziele geändert haben.
Kein Zweifel besteht darüber, daß die Sowjetunion wie ihre Verbündeten, einschließlich der DDR, in den vorliegenden Verträgen die rechtswirksame Bestätigung des Status quo in Mitteleuropa und damit der Teilung Deutschlands und Europas durch die Bundesrepublik Deutschland angestrebt und nach ihrer Auffassung auch durchgesetzt haben.
Dabei sind heute weder alle Auswirkungen der sich verändernden internationalen Situation bereits in vollem Umfang erkennbar, noch herrscht letzte Klarheit über die Motive, die dem sowjetischen Interesse an der Bestätigung des Status quo in Europa zugrunde liegen.
Deutlich aber zeichnet sich schon jetzt das eine von der Sowjetunion erstrebte Ergebnis ab, nämlich die Stabilisierung der Teilung Deutschlands und Europas, ein gesamteuropäischer Zustand also, mit dem sich die Sowjetunion nicht nur die Machtbalance gegenüber den Vereinigten Staaten, sondern auch die Chancen weiterer Veränderung zu ihren Gunsten zu sichern versucht.
Ungeachtet dessen ist die Bundesregierung in den Verträgen den sowjetischen Vorstellungen nicht nur weitgehend entgegengekommen. Sie hat auch den in der Außenpolitik so wichtigen Zeitfaktor nicht genutzt. Sie war bereit, den Status quo in dem Augenblick hinzunehmen, in dem zum erstenmal offensichtlich geworden ist, daß unsere Nachkriegsordnung in Europa die politische Stabilität nicht länger garantiert.
Nicht zuletzt diese Erkenntnis hat die Bereitschaft der meisten europäischen Staaten gefördert, sich an den vorbereitenden Gesprächen zu einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu beteiligen.
Während also die internationalen Veränderungen noch im Gange sind, ihre Auswirkungen insbesondere auf Europa und die sowjetische Politik noch nicht überblickt werden können, akzeptiert die Bundesregierung den Status quo in Europa. Sie tut dies, obwohl gerade sie vorrangig daran interessiert sein muß, die Lage in Europa beweglich zu halten, will sie die Probleme, die sich aus der Teilung ergeben, wie die Teilung selbst, einer Lösung zuführen. Die Bundesregierung versperrt sich mit einer solchen Politik unwiderruflich eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten. Dagegen war es der Sinn der von allen Bundesregierungen bis 1969 getragenen Deutschland- und Ostpolitik, sich alle Wege offenzuhalten.
Die Bundesregierung hat mit den von ihr abgeschlossenen Verträgen neue Fakten und damit eine neue Lage geschaffen. Wir betrachten diese als Ausgangslage für die weitere Verfolgung unserer deutschen Interessen, als eine weitere Einschränkung unserer Handlungsspielräume, und darin begründet sich auch unser Nein zu dem vorliegenden Grundvertrag. Damit wollen wir uns nicht der zukünftigen gemeinsamen Verantwortung entziehen. Ich habe bereits anläßlich der Beratung der Verträge von Moskau und Warschau wiederholt darauf hingewiesen, daß ein Minimum an gemeinsamer Politik in den Lebensfragen unseres Staates und unserer Nation im Interesse aller unverzichtbar bleibt.
Wir sind deshalb bereit, zukünftig auf der Grundlage der Verträge mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten, um die wenigen Chancen, die sich aus den Verträgen ergeben und unabhängig davon noch existieren, gemeinsam und damit optimal zu nutzen. Dies liegt im deutschen Interesse, wenn wir weiterhin an dem Ziel der Selbstbestimmung festhalten wollen.
Wir wollen damit gleichzeitig verhindern, daß sich eine Politik durchsetzt, die sich darauf beschränkt, resignierend den Status quo hinzunehmen, allen Durchsetzungswillen aufgibt und sich auf die Hoffnung beschränkt, daß die Zeitläufe vielleicht einmal bessere Lösungen bringen. Anzeichen für eine solche Haltung gibt es leider genügend.
Soll die Einheit der Nation als Kriterium unserer Politik glaubwürdig bleiben, so muß der Wille dazu aktiviert werden. Denn die Verträge bergen die Gefahr, daß sich das öffentliche Bewußtsein mit dem in ihnen verankerten Status quo abfindet und der Wille zu seiner Überwindung endgültig erlahmt.
Zu groß ist der Widerspruch geworden zwischen den erklärten Zielen unserer Deutschlandpolitik, die sich nur noch in Vorbehalten rechtlicher Natur niederschlagen, und der realen Lage, wie sie sich jetzt im Gesamtbild der Verträge dokumentiert und durch diese geschaffen wird. Dieser Widerspruch ist langfristig nur durch eine konzeptionell vorwärtsschreitende Politik in Richtung auf Selbstbestimmung aufzulösen, die als ihre elementaren Interessen Freiheit und Frieden, Sicherheit und Vertrauen, aber auch Einfluß auf eine möglichst freie und humane Entwicklung einer solidarischen Welt erkennt.
Außerdem ist mit Sicherheit zu erwarten, daß die jetzige Regelung des Status quo für die DDR die Ausgangsbasis bildet, nicht nur die Legitimität der Bundesrepublik in Frage zu stellen, sondern selbst in der nationalen Frage offensiv zu werden, ihren Anspruch zu erheben, die geschichtliche Kontinuität Deutschlands zu repräsentieren und sich als der wahre Vollstrecker des Willens der deutschen Geschichte zu etablieren.
Im Grunde existiert diese Herausforderung durch die DDR bereits. Sie trifft die Bundesrepublik in einer labilen Situation und zu einem Zeitpunkt, an dem unser Selbstverständnis unsicher geworden ist. Unsere freiheitlich-demokratischen Grundwerte und Strukturen werden zunehmend von verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft in Frage gestellt, ohne daß von diesen konstruktive Alternativen aufgezeigt werden können. Die Ost- und Deutschlandpolitik der Bundesregierung hat dazu geführt, daß in unserer Bevölkerung die Neigung wächst, unsere Einbindung in das westliche, freiheitliche Bündnissystem durchaus nicht mehr als selbstverständlich zu betrachten.
Keine politische Ordnung kann jedoch Bestand haben, die ihr Selbstverständnis nicht klar darstellt und ohne Einschränkung vertritt. Dies gilt für den Bereich der Innen- und Gesellschaftspolitik in demselben Maße wie für die Außenpolitik.
Nur wenn wir immer wieder beweisen können, daß unser gesellschaftliches Konzept und unsere politische Ordnung menschlicher und somit fortschrittlicher ist als ein sozialistisches Zwangssystem, bleiben wir legitimiert, für das Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen und damit für die Freiheit Deutschlands einzutreten. Nur so kann es uns auch gelingen, unsere Ziele international glaubwürdig zu vertreten.
Allein mit dieser unmißverständlichen Bindung an die Begriffe der politischen Freiheit, der Selbstbestimmung und der internationalen Solidarität kann es uns auch gelingen, die unter diesem Blickwinkel sich als vordergründig erweisende Spannung zwischen europäisch-atlantischer und gesamtdeutscher Option aufzulösen.
Die Verwirklichung dieses Willens vollzieht sich in Entwicklungen, die sowohl eine politische Gesamtordnung Europas als auch die weltpolitischen Gestaltungsprobleme einbeziehen. Die Ansätze dazu mit Intensität fortzuentwickeln, dies ist die Anforderung an unsere Vernunft und unsere Phantasie.
Diese Pflichten und Aufgaben befinden sich für uns bereits auf der internationalen Tagesordnung. Ich verweise hier nur auf die Fortentwicklung der westeuropäischen Integration, auf die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und auf die wachsenden Probleme im Bereich des Nord-Süd-Konfliktes. Dies sind alles Aufgaben, durch die eine politische Gemeinschaft ihr Selbstvertrauen weiterentwickeln kann, wenn es ihr gelingt, durch ihren Beitrag, durch solidarische Leistungen für die übrige Welt, das Vertrauen der anderen Völker zu gewinnen.
Wir sind bereit, unseren Beitrag dazu zu leisten. Dabei wird und muß der Stil unserer Politik unzweideutig der Stil der Nüchternheit, der Geduld und der Rationalität sein.
Was bisher als Ergebnis der Vertragspolitik erreicht worden ist, ist eine Formalisierung der Beziehungen. Es gilt nun, das Stichwort Normalisierung mit Leben zu erfüllen.
Quelle: Helmut Kohl: Bundestagsreden und Zeitdokumente. Hg. von Horst Teltschik. Bonn 1978, S. 12-19.