2. März 1996

Erklärung auf der internationalen Pressekonferenz zum Abschluss des Europäisch-Asiatischen Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs (ASEM) in Bangkok

 

Meine Damen und Herren,

ich möchte mich zunächst bei der thailändischen Präsidentschaft, vor allem bei Premierminister Banharn und seinen Mitarbeitern, herzlich für ihre große Gastfreundschaft bedanken. Unsere thailändischen Gastgeber haben mit Engagement und Geschick dazu beigetragen, daß dieses Treffen so erfolgreich verlaufen ist.

Ausdrücklich möchte ich auch das große Engagement des singapurischen Premierministers Goh würdigen. Nicht zuletzt seinem unermüdlichen Wirken und seinen Anregungen haben wir es zu verdanken, daß diese Tagung zustande gekommen ist.

Dies ist zugleich eine wichtige Botschaft dieses Treffens in Bangkok: Die Tatsache, daß sich hier die Staats- und Regierungschefs der EU- und der ASEAN-Staaten zu einem Gipfeltreffen versammelt haben, ist ein absolutes Novum. Die Bedeutung eines solchen Treffens wird vollends klar, wenn man sich überlegt, daß die hier vertretenen Staaten die Hälfte des Bruttosozialprodukts der Welt erwirtschaften und zwei Fünftel der Weltbevölkerung repräsentieren.

Ziel dieses Treffens hier in Bangkok war es vor allem, ein deutliches Signal zu setzen: Mit Europa und Asien haben sich zwei der großen Wirtschaftsregionen der Welt dafür entschieden, eine vertrauensvolle, auf Dauer angelegte politische und wirtschaftliche Partnerschaft aufzubauen. Beide Seiten sind bereit, gemeinsam größere weltpolitische und vor allem auch welthandelspolitische Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen zu diesem Zweck unsere Zusammenarbeit stärker institutionalisieren. Wir haben die feste Absicht, uns in vielen Bereichen der internationalen Politik enger abzustimmen. Damit wird jetzt auch die europäisch-asiatische Seite des weltpolitischen Dreiecks Europa-Asien-Nordamerika eine aktivere Rolle übernehmen. Die transatlantische Gemeinschaft zwischen der Europäischen Union und Nordamerika und die Gemeinschaft der APEC-Staaten erhalten in den kommenden Jahren hierdurch eine ganz wesentliche Ergänzung.

Dabei geht es - das betone ich ausdrücklich - nicht um eine irgendwie geartete Form der Blockbildung, sondern um eine Bestätigung der Prinzipien des offenen Regionalismus und des weltweiten multilateralen Handels. Wir Europäer waren uns gemeinsam mit unseren asiatischen Gesprächspartnern darin einig, daß die vereinbarte engere Zusammenarbeit keine Bedrohung, sondern bei aller handelspolitischen Konkurrenz eine konstruktive Herausforderung und zugleich eine große Chance für unsere beiden Regionen ist. Asiens große Infrastrukturvorhaben sowie seine wachsenden Investitionen und Konsumentenmärkte bieten ein gewaltiges Wachstumspotential auch für europäische Unternehmen.

Die Vertreter Asiens ihrerseits - auch das ist sehr wichtig - begreifen die europäische Einigung ebenfalls zunehmend als eine Wachstumschance. Sie registrieren sehr genau, wenn wir Europäer von einem offenen Europa sprechen. Ich unterstreiche daher mit Nachdruck: Es wird keine "Festung Europa" geben.

Wir sind davon überzeugt, daß uns - Asiaten und Europäer - bedeutende und wichtige gemeinsame Interessen verbinden. Daß es in mancher Hinsicht Unterschiede gibt, ist angesichts der unterschiedlichen Entwicklung in der Geschichte unserer Völker, ihrer kulturellen Traditionen und ihrer unterschiedlichen Gesellschaftssysteme offensichtlich. Dies bezieht sich nicht zuletzt auch auf unsere Wertvorstellungen. Hier in Bangkok haben wir versucht, dazu eine gemeinsame Sprache zu finden und uns auf ein gemeinsames Handeln zu einigen. Es war in dieser Debatte daher ganz wichtig, daß sich alle Teilnehmer ehrlich bemüht haben, die unterschiedlichen Auffassungen möglichst offen zur Kenntnis zu nehmen und zu respektieren.

Das ist gerade auch im Hinblick auf das Thema Menschenrechte wichtig. Die Diskussion, die wir zu diesem Thema in Europa haben, und die Diskussion, die hier stattgefunden hat, machen deutlich, wie schwierig es mitunter ist, Übereinstimmung zu finden oder sich in bestimmten Punkten einander anzunähern. Wir haben hier noch einen weiten Weg vor uns. Aber das ehrliche Bemühen, einen offenen Dialog miteinander zu führen, war für uns alle ermutigend. In unseren Gesprächen hier in Bangkok ist der Dialog der Kulturen und der Zivilisationen beider Regionen vertieft worden. Beide Seiten wissen, daß sie viel voneinander lernen können. Ich selbst und andere haben dabei immer wieder darauf hingewiesen, daß wir in Europa auf die kreative Dynamik einer kulturellen Vielfalt setzen.

Wir haben eine Reihe konkreter Maßnahmen beschlossen, um der europäisch-asiatischen Zusammenarbeit Kontinuität zu verleihen. Im Bereich der politischen Zusammenarbeit wollen wir insbesondere bei der Reform der Vereinten Nationen und im Bereich der Kontrolle von Massenvernichtungswaffen zusammenarbeiten. Bei der Bekämpfung der internationalen Kriminalität und vor allem des Drogenhandels wird ebenfalls eine engere Kooperation angestrebt.

Im wirtschaftlichen Bereich haben wir die Erarbeitung gemeinsamer Positionen für das WTO-Ministertreffen in Singapur Ende dieses Jahres ins Auge gefaßt. Hierfür ist bereits ein Treffen der Wirtschaftsminister der Staaten beider Regionen geplant. Ein weiteres wichtiges Gesprächsthema war die Frage einer stärkeren Einbindung der privaten Wirtschaft - vor allem auch mittelständischer Unternehmen - in unsere Zusammenarbeit. Dabei wurde die Einrichtung eines europäisch-asiatisch Business-Forums beschlossen.

Im kulturellen und wissenschaftlich-akademischen Bereich wollen wir die bestehenden Kontakte ausbauen und vertiefen, um die Verständigung zwischen den Menschen in Europa und Asien noch stärker als bisher zu fördern. Die von Premierminister Goh angeregte Europa-Asien-Stiftung soll vor allem dem kulturellen Austausch zwischen beiden Regionen dienen. In diesem Zusammenhang haben wir uns insbesondere über die Frage des Austausches von Studenten unterhalten. Es ist unübersehbar, daß wir hier unsere Möglichkeiten bei weitem nicht ausgeschöpft haben. Dies gilt besonders für uns Europäer. Die Zahlen der Studierenden, die aus Europa kommen und etwa nach Japan oder in ein anderes Land der Region gehen, sind wesentlich niedriger als umgekehrt.

Das Treffen hier in Bangkok hat mir einmal mehr bestätigt, wie gut und wichtig es ist, daß wir uns in Deutschland seit einigen Jahren intensiver mit Asien beschäftigen. Ich bleibe bei meiner These, daß wir dieser Region eine hohe Priorität beimessen müssen. So hat die Bundesregierung schon 1993 die Erarbeitung eines Asien-Konzepts in Auftrag gegeben und es noch im selben Jahr verabschiedet. Nicht zuletzt auch unser Denkanstoß war für die folgende Diskussion innerhalb der Europäischen Union bedeutsam. Die Entscheidung der Europäischen Union für ein europäisch-asiatisches Gipfeltreffen ist dann im Beschluß des EU-Gipfels in Essen im Dezember 1994 festgelegt worden.

Es ist unübersehbar, daß die asiatische Wirtschaftsregion im Aufbruch ist. Durch vielfältige Gespräche mit den Hauptakteuren findet man diesen Eindruck immer wieder bestätigt. Ich sehe dabei große Chancen auch für eine verstärkte Zusammenarbeit der deutschen Wirtschaft mit ihren asiatischen Partnern. Diese Chancen gilt es zu erkennen und zu nutzen.

Dieses Treffen hier in Bangkok darf kein einmaliges Ereignis bleiben, sondern soll der Beginn einer dauerhaften, intensiven und fruchtbaren Partnerschaft sein. Wir haben uns daher in einer ganzen Reihe von Feldern Ziele gesetzt, deren Umsetzung wir dann bei einem Folgetreffen 1998 in Großbritannien überprüfen wollen. Ich bin sicher, daß alle Beteiligten das in ihren Kräften Stehende tun werden, um die gemeinsamen Herausforderungen zu meistern. Wir sind auf gutem Wege.

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 22. 18. März 1996.