20. April 1977

Zur Ermordung des Generalbundesanwalts Buback

Rede im Deutschen Bundestag

 

Dr. Kohl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der feige Mordanschlag auf Generalbundesanwalt Buback und seine Mitarbeiter hat uns alle in diesem Hohen Hause und mit uns alle unsere Mitbürger mit Abscheu und Empörung erfüllt. Terroristische Gewalttäter haben zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik auf offener Straße einen heimtückischen Mord begangen. In dieser Stunde, in der sich der frei gewählte Deutsche Bundestag, die Vertreter des deutschen Volkes, mit den Konsequenzen aus dieser Mordtat befaßt, gilt unser ganz besonderes Mitgefühl den Angehörigen der Opfer dieses Attentats. Die Bevölkerung der Bundesrepublik ist über diesen Mord zutiefst erschrocken und beunruhigt. In dieser Situation sind wir alle herausgefordert, und wir alle müssen die für diesen unseren demokratischen Staat tätigen Richter, Staatsanwälte und Polizeibeamte in ihrer besonders verantwortungsvollen Aufgabe unterstützen. Sie müssen die Solidarität aller Bürger dieses Landes verspüren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Frage, die uns jetzt und heute gestellt wird, ist: Sind die gewählten Repräsentanten des Volkes in der Lage, gemeinsam zu handeln? Auf diese Frage müssen wir auch in der heutigen Debatte eine Antwort geben. Doch es genügt überhaupt nicht, jetzt bloß nach der Solidarität der Demokraten zu rufen und dann nur festzustellen, es werde zur Bekämpfung des Terrorismus und zunehmender Gewaltkriminalität ja schon alles Notwendige getan.

Die Solidarität der Demokraten muß sich jetzt und in dieser Zeit in kraftvollem Handeln bewähren. Das ist das Gebot der Stunde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir, die CDU/CSU-Fraktion, sind bereit, alles Notwendige für den Schutz der Freiheit der Bürger und zur Bewährung und Bewahrung des inneren Friedens in unserem Lande zu tun. Der Mordanschlag auf Siegfried Buback und seine Begleiter hat uns eindringlich darauf hingewiesen, wie verletzbar trotz allem diese unsere staatliche Ordnung ist. Er hat gezeigt, daß der Terrorismus, der seit über zehn Jahren die Bundesrepublik heimsucht - nicht nur die Bundesrepublik; aber wir sprechen über die Verhältnisse in der Bundesrepublik -, offenbar in eine neue Phase getreten ist. Die Terroristen beschränken sich nicht mehr auf Brandstiftungen in Kaufhäusern, Gefangenenbefreiung, Geiselnahme oder Bankeinbrüche, so schlimm diese Dinge an sich schon sind. Sie greifen zum äußersten Mittel, zum brutalen Mord, und sie bezeichnen diesen brutalen Mord als Hinrichtung, d. h. als eine Maßnahme, die in Staaten auf dem Weg des Vollzugs der Gesetze verhängt wird und auf die unser Staat im Grundgesetz aus guten Gründen verzichtet hat. Dies ist eine ganz und gar unerhörte Herausforderung an diesen unseren Staat, der wie kein anderer in der Geschichte der Deutschen nach dem Gesetz antrat, seinen Bürgern Freiheit zu schaffen, Freiheit zu gewährleisten. Es waren die Erfahrungen der jüngsten deutschen Geschichte, die zu der wohl freiheitlichsten Verfassung in unserer Geschichte, zu unserem Grundgesetz, führten. Meine Damen und Herren, aber wer hat in diesen Tagen, nach diesen schrecklichen Stunden am Gründonnerstag nicht gespürt, daß sich Geschichte niemals ganz wiederholt, daß Geschichte aber Lektion erteilt!?

Im Jahre 1922, nach der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau hat der damalige Reichskanzler Joseph Wirth im Deutschen Reichstag einen Aufruf und Mahnruf an das deutsche Volk gerichtet, in dem er unter anderem sagte:

„Eine rastlose und nichtswürdige Verhetzung, welche sich gegen die Staatsform richtet und ihre Diener für vogelfrei erklärt, treibt immer wieder unklare, politisch verblendete oder verwilderte Köpfe zu Mordversuchen und Mord. Der Mord" - so sagte Wirth - „an Walther Rathenau ist nur ein Glied in einer Kette wohlvorbereiteter Anschläge auf die Republik. Zuerst sollen die Führer der Republik und dann die Republik selbst fallen."

Geschichte - ich sage es noch einmal - wiederholt sich niemals in der gleichen Form. Aber wir alle sind doch als deutsche Demokraten nach dem Krieg und nach dem Ende der Nazizeit angetreten, aus der Geschichte zu lernen. Wir alle sagen doch: Bonn darf niemals wieder Weimar werden. Das ist doch eines der Gesetze dieser Zeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wir sollten uns nichts vormachen: Das Verbrechen von Karlsruhe und das mehr oder minder stillschweigende Eingeständnis, daß weitere Verbrechen dieser Art nicht auszuschließen sind, haben zu einer tiefen Verunsicherung in der Bevölkerung geführt. Es geht jetzt darum, die Dinge nicht zu dramatisieren und nichts zu beschönigen. Es geht darum, die Konsequenzen nüchtern und rechtsstaatlich entschlossen zu ziehen.

Herr Bundeskanzler, es nützt dann wenig, wenn Sie beteuern, daß der Rechtsstaat unverwundbar bleibt, wenn wir nicht gleichzeitig alle Anstrengungen unternehmen, mehr Schutz vor solcher verbrecherischen Gewalttat zu schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sollten uns doch nicht täuschen: Wir stehen alle in der Gefahr, in eine schwere Krise des Vertrauens in die Institutionen dieses demokratischen Rechtsstaates zu geraten, wenn wir nicht glaubhaft alles in unserer Macht Stehende tun, terroristische Angriffe auf die Rechtsordnung dieses Landes abzuwehren. Denn unsere Mitbürger besinnen sich in diesen Tagen und Wochen ganz selbstverständlich darauf, was die erste, was die ursprüngliche Aufgabe unseres Staates ist: der Schutz seiner Bürger vor dem Stärkeren und vor allem dem Kriminellen, der Schutz des inneren Friedens, der Gerechtigkeit. Meine Damen und Herren, der Rechtsstaat bedeutet nicht nur Gewährung von Freiheit, sondern auch Schutz der Freiheit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dieser Rechtsstaat ist nicht nur im Kampf gegen den allmächtigen absolutistischen Staat und gegen staatlichen Machtmißbrauch jener Zeit entstanden. Er war immer zugleich auch eine Antwort auf die Gewalttätigkeiten, auf bürgerkriegsähnliche Zustände in jenen Jahrhunderten. Herr Bundeskanzler, am Anfang der modernen Rechtsstaatsidee stand nicht nur die Freiheit des einzelnen, sondern immer auch ihre Sicherung durch einen machtvollen Rechtsstaat, den gerechten Staat. Ein Bekenntnis zum Rechtsstaat bedeutet deshalb nicht nur ein Bekenntnis zur Freiheit des einzelnen Bürgers, sondern auch die Forderung an diesen Rechtsstaat, die Freiheit des einzelnen, seinen Frieden und sein privates Glück ohne jede falsche Rücksichtnahme zu verteidigen und zu sichern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man muß schon blind sein für die Probleme unserer Tage, wenn man glaubt, daß heute Gefahr für die Freiheit des Bürgers in erster Linie vom demokratischen Staat droht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung fanden sich einige Passagen, die man immer wieder noch einmal nachlesen muß. Wo ist denn eigentlich in diesem Lande die Meinungsfreiheit bedroht? Das ist doch nicht unser Thema. Unser Thema heute ist doch, daß die Angst umgeht, daß die staatlichen Institutionen mit terroristischer Herausforderung nicht zurechtkommen. Das ist das, was die Bürger in unserem Lande beschäftigt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Wie kommen wir dazu, uns als Demokraten, die diesen Rechtsstaat leidenschaftlich verteidigen, etwa seiner Machtmittel zu schämen! Ein Staat, ein demokratischer Staat, der sich seiner rechtsstaatlichen Machtmittel schämt, wird niemals in der Lage sein, die fundamentale Aufgabe der Friedenssicherung sicherzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, ich muß Ihre Regierungserklärung so verstehen, daß sie sich zu einem Teil an die deutsche Öffentlichkeit und zu einem anderen an einen Teil Ihrer eigenen Partei richtet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn nur so können diese Sätze einen Sinn haben. Leider müssen wir feststellen, daß bestimmte Kreise innerhalb der Sozialdemokratie immer noch ein gestörtes Verhältnis zur Ausübung rechtsstaatlicher Macht haben, die notwendig ist, um diesem Staat seine Zukunft zu garantieren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Staatliche Macht erscheint diesen Kreisen als etwas Anstößiges. Sie unterliegen immer noch dem Vorurteil, daß nur der Staat Freiheit und Sicherheit gefährden könne. Hier herrscht doch noch die Utopie von der herrschaftsfreien Gesellschaftsordnung, in der sich alle Bürger friedlich der Einsicht in das Notwendige beugen. Ideologisches Vorbild ist eine marxistische Doktrin vom Absterben des Staates. Der Staat erscheint solchen Leuten immer noch als ein Herrschaftsinstrument der Privilegierten, als eine Form gewaltsamer Unterdrückung. Auch wenn der revolutionäre Kampf gegen die staatliche Ordnung abgelehnt wird, so ist doch ganz schnell - vorschnell - das Wort vom „Obrigkeitsstaat", vom „Widerstand gegen staatliche Machtentfaltung", vom „zivilen Ungehorsam" zur Stelle. Die Gefahren, die von einzelnen Gruppen ausgehen, die sich verbunden haben, diesen Staat zu zerstören, werden bewußt oder ungewollt unterschätzt.

Solche ideologischen Konzepte sind nicht geeignet, notwendiges Vertrauen in die Autorität des demokratischen Rechtsstaats zu stärken. Sie sind immer und stets der Versuchung ausgesetzt, die Legitimität der staatlichen Macht in Frage zu stellen. Sie sind ein ideologischer Nährboden auch für manchen Sympathisanten, der in der gewaltsamen Auflehnung gegen unseren Staat eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sieht.

Heute - ich sage es noch einmal - fühlen sich die Bürger in dieser unserer Bundesrepublik nicht durch den demokratischen Staat gefährdet. Dieser demokratische Staat ist für den Bürger dieses Landes entscheidender Garant für Sicherheit, Freiheit und Chance zum privaten Glück. Das ist die Voraussetzung unserer Verfassung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, ich hätte es gern gesehen, wenn Sie heute in Ihrer Regierungserklärung etwas mehr auf dieses geistig-intellektuelle Umfeld eingegangen wären, auch auf jene Mitverantwortung, die Sie mit Ihren politischen Freunden in bestimmten Bereichen trifft. Denn, meine Damen und Herren, der Boden, auf dem sich solches an geistigem Umfeld entwickeln konnte, wurde doch nicht nur jetzt in der kriminellen Szenerie bereitet. Er ist vielmehr unlösbar mit bildungs- und schulpolitischen Entwicklungen, mit Hochschulpolitik in bestimmten Ländern, mit Zuständen an bestimmten deutschen Universitäten verbunden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. - Zurufe von der SPD.)

Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang gern mit Beispielen dienen. So heißt es beispielsweise in den Hessischen Rahmenrichtlinien der Sekundarfstufe I für Gesellschaftslehre

(Zurufe von der SPD.)

hören Sie bitte zu; das führt zentral zu diesem Thema -:

„... prüfen, ob es Situationen gab und gibt, in denen erklärt werden muß, ob es zur Verbesserung oder Sicherung demokratischer Verhältnisse notwendig ist, formaldemokratische Spielregeln und Rechte vorübergehend außer Kraft zu setzen."

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

An anderer Stelle heißt es:

„... lernen, historische und gegenwärtige Formen der Gewalt" - das ist das Stichwort, nach dem Sie gerufen haben - „auf die Frage hin zu untersuchen, ob sie der Ausübung von Herrschaft dienen oder ob sie im Sinne von Gegengewalt zur Bekämpfung von politischer, ökonomischer oder militärischer Unterdrückung verstanden werden können."

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Mit dieser Bundesrepublik, in der wir leben, haben diese Rahmenrichtlinien jedenfalls überhaupt nichts zu tun.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Und da erleben Kinder und Jugendliche in Lesebüchern in deutschen Schulen die Familie unter dem Motto „Kinder leiden unter ihren Eltern", die Wirtschaft unter der Devise „Unternehmer beuten aus", die Schule als Ort der Torheit, der Ungerechtigkeit und des Schreckens und unseren Rechtsstaat unter der Überschrift „Gesetz ist nie gleich Recht". Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wer kann sich da noch wundern, wenn diese Indoktrination Folgen hat! Die Art der Erziehung bestimmt die Einstellung künftiger Staatsbürger zu ihrem Staat, zur Gesellschaft, zu ihren Mitmenschen. Denn das Identitätsbewußtsein bildet sich in Elternhaus und Schule.

Darauf hat sehr, sehr deutlich eines der prominentesten Mitglieder der Grundwerte-Kommission der SPD, Professor Richard Löwenthal, hingewiesen. Er sagte im Blick auf diese Konfliktpädagogen:

„Sie (die Schule) kann diese Aufgabe nicht erfüllen ohne die klare Zielsetzung durch die politische Führung. Darum ist die Rolle der Schule, speziell ihrer Bildungsinhalte, eine Lebensfrage der Demokratie. Die Erziehung der künftigen Bürger entscheidet darüber, ob unser Staat auf lange Sicht als frei funktionierende Gesellschaft bestehen kann."

Was so in Schulen begonnen wird, setzt sich an Universitäten fort. Wir haben in der Bundesrepublik den traurigen Rekord, daß wir als einziges Land der Welt in diesen Universitäten die Tore für radikale Linke institutionell geöffnet haben. Meine Damen und Herren, ich brauche nur an die Verhältnisse in Bremen oder an die der Freien Universität in Berlin zu erinnern.

(Zurufe von der SPD. - Abg. Conradi [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage beantworten. - Hier, Herr Bundeskanzler, ist ein Wort von Ihnen am Platze, auch und gerade in dieser Debatte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese Zitate, die ich hier wiedergab, sind doch alle - ohne Ausnahme - von Mitgliedern Ihrer eigenen Partei Ihnen ins Stammbuch geschrieben worden, wenn man immer wieder ruft und sagt, daß es eben für diese Entwicklung, die ich mit vielen Millionen im Lande beklage, mannigfaltige Helfershelfer auf dem linken Flügel Ihrer Partei gibt. Ich zitiere hier Professor Schwan, Mitglied Ihrer eigenen Partei.

Meine Damen und Herren, wir reden heute nicht um die Dinge herum. Wenn über dieses intellektuelle Umfeld gesprochen werden muß, dann müssen auch Roß und Reiter und mancher Helfershelfer genannt werden, und ich bringe solche Beispiele.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, was sagt man dazu, daß ein Bundestagskandidat Ihrer eigenen Partei, Herr Professor Rentorff, früher Rektor in Heidelberg, an der Heidelberger Universität in seiner Rektorenzeit dem Sozialistischen Patientenkollektiv, aus dem - nach all dem, was jetzt an Information vorliegt - wahrscheinlich die Attentäter auf Generalbundesanwalt Buback hervorgegangen sind, nicht nur Räume in der Universität zur Verfügung stellte, sondern aus dem Universitätsfonds auch Mittel in einer Höhe von über 30.000 DM gegeben hat?

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, was soll ich dazu sagen - und dazu sollten Sie sich äußern -, daß noch vor Jahresfrist eine Juso-Hochschulgruppe in Frankfurt im Volksbildungsheim der Stadt Frankfurt - Eigentümer: die Stadt Frankfurt - in Zusammenarbeit mit dem Kommunistischen Bund Westdeutschland eine Versammlung durchführte zu dem Thema "Liquidation politischer Verteidiger"? Als Redner traten drei bekannte Anwälte von Terroristen auf, darunter Croissant, der öffentlich die Gewalttaten der Rote Armee Fraktion als „Ausbruch internationaler proletarischer Solidarität" rechtfertigte und die Fortsetzung dieses Kampfes ankündigte. Und wir haben die Fortsetzung im Sinne von Herrn Croissant auch tatsächlich erlebt!

(Beifall bei der CDU/CSU. Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Der verteidigt heute noch!)

Herr Bundeskanzler, was soll ich dazu sagen, wenn auf einer Vollversammlung des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin anläßlich der Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten von der Sozialistischen Assistentenzelle eine einhellige Beifallsadresse ausgebracht wurde?

Meine Damen und Herren, uns geht es in dieser Stunde doch nicht darum, daß wir hier Dinge dramatisieren, sondern uns geht es darum, daß wir jetzt gemeinsam darauf ansprechen: Wie sieht das Umfeld aus, in dem dieser Terror in der Bundesrepublik überhaupt möglich war?

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn ich dies hier sage, dann behaupte ich doch nicht, daß das, was ich eben hier vortrug, die Meinung der deutschen Sozialdemokraten ist.

(Wehner [SPD]: Sie unterstellen es aber!)

Ich weiß ganz genau, daß in Ihren Reihen, in den Reihen der Bundesregierung viele sitzen, die genauso denken wie wir.

(Wehner [SPD]: Sie wollen es insinuieren!)

Dann stehen Sie doch bitte auf, und schreiten Sie ein in Ihren eigenen Reihen!

(Stürmischer Beifall bei der CDU/CSU.)

Es geht doch hier in diesem Augenblick nicht um die Frage einer Partei, und die Frage ist doch viel zu ernst, als daß wir zulassen könnten, daß Sie in dieser Frage wegen einer inneren Gespaltenheit nicht zu einer klaren Aussage kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich darf zitieren:

„Wer Gewalt verharmlost, stellt sich ebenso gegen den Rechtsstaat wie jene, die die Schuld lieber beim Staat und beim Opfer zu suchen bereit sind als bei den Tätern; denn sie, die Verharmloser, tragen dazu bei, daß sich die Grenze zwischen Recht und Unrecht verwischt."

Der, der dies sagte, ist der Kollege Genscher. Ich kann ihm nur wünschen, daß diese Erkenntnis von ihm in alle Teile seines Koalitionspartners in dieser Bundesregierung übergeht.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. - Zuruf von der SPD: Was soll denn das?)

Meine Damen und Herren, was nützt die bange Frage, die die Gräfin Dönhoff vor drei Jahren in einer der großen und angesehenen liberalen Zeitungen unseres Landes stellte, indem sie schrieb:

„Hat sich nicht eine allgemeine Laxheit eingeschlichen, eine übergroße Sorge, als Reaktionär abgestempelt zu werden oder den Vorwurf einstecken zu müssen, man sei nicht tolerant genug? Manche im Grunde wohlmeinende Intellektuelle haben zugelassen, daß Gewalt und Terror ästhetisiert und jegliche Macht dagegen kriminalisiert wurde."

Meine Damen und Herren, dem ist nichts hinzuzufügen. Die Terroristen, die jetzt wiederum zugeschlagen haben und in unserem Lande auch ihr Unwesen treiben, können ohne Sympathisanten nicht existieren, weil das das Wasser ist, in dem sie schwimmen. Und die Ereignisse zeigen, daß diese Kriminellen immer noch schwimmen können, weil es immer noch genug Wasser gibt, und das darf nicht verharmlost werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Brandt, es ist mir gänzlich unverständlich, wie Sie dann in diesem Zusammenhang davon sprechen können, daß Hysterie und Angstpropaganda betrieben werden.

(Zuruf von der SPD: Genau das machen Sie!)

Wir, die CDU/CSU-Fraktion, werden uns durch solches Gerede nicht von unserer Verantwortung, die aber doch unsere gemeinsame Verantwortung ist, abbringen lassen.

(Zuruf vom der SPD: Heuchelei!)

Wir werden, solange diese Gefahr besteht, unablässig vor der Gefahr des Terrorismus und des politischen Extremismus warnen, ob er von links oder von rechts kommt, und wir werden darauf bestehen, daß die Regierung handelt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hand in Hand mit der Verharmlosung dieser Vorgänge ging der Abbau staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten zur Gewährleistung des Friedens innerhalb der Gesellschaft. Es wurde gar nicht erkannt, daß der Staat seinen Bürgern eine Ordnung zu garantieren hat, die das friedliche Miteinander der Menschen in der Gesellschaft gewährleistet und die den Schwächeren vor dem Übergriff des Stärkeren zu schützen hat. Sie, meine Damen und Herren, haben eben nicht erkannt, daß „Gesetz und Ordnung" ein zutiefst rechtsstaatliches Begriffspaar ist,

(Wolfram (Recklinghausen) [SPD]: Eine unverschämte Unterstellung.)

und Sie haben alles getan, daß dieses rechtsstaatliche Begriffspaar eine Beschimpfung für uns, für die Opposition geworden ist. Das war doch das Ziel Ihrer Politik!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das Recht - das ist doch nicht zu leugnen, Herr Bundeskanzler - wurde in wesentlichen Punkten so sehr beschnitten - und darüber müssen wir jetzt reden -, daß es seine Rolle als Ordnungsfaktor nicht mehr voll erfüllen konnte. Als Folge davon konnten Minderheiten, kleine Gruppen exzessiven Gebrauch von ihrer Freiheit machen; daß die Freiheit anderer dabei auf der Strecke blieb, wurde kaum beachtet.

Als 1970 gegen unsere Stimmen das Dritte Strafrechtsreformgesetz verabschiedet wurde, das einen weitgehenden Abbau der Strafvorschriften zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens im Bereich des Demonstrationsstrafrechts brachte, haben Sie unsere Position ironisch belächelt. Denn, meine Damen und Herren, Sie liberalisieren ja, Sie hatten ja gesagt, die Fahne der Freiheit wird aufgerichtet -, während wir ja bloße Vorkämpfer für „Recht und Ordnung" waren. Und Sie haben dabei die vornehmste Aufgabe gerade eines demokratischen Rechtsstaats - bewußt oder unbewußt - vernachlässigt, nämlich die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, daß jeder Bürger so viel Freiheitsraum wie möglich erhält, aber nicht mehr, als er ohne Verletzung des Freiheitsraumes anderer wahrnehmen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Für die CDU/CSU - und ich hoffe, für die deutschen Demokraten insgesamt - stand und steht die Freiheitssicherung aller in unserer politischen Zielsetzung an oberster Stelle. Um dieses Ziel zu erreichen, zu sichern, zu gewährleisten, brauchen wir Gesetz und Ordnung. Wir haben uns nie gescheut, das ganz offen zu sagen und dafür auch zu kämpfen.

Was soll man denn davon halten, wenn beispielsweise der Herr Abgeordnete Gansel, ein führender Jungsozialist, auf dem Kongreß der Jusos in Büsum eine Entschließung billigte, in der die Oppositionspolitiker Dregger, Carstens und Strauß für die Demokratie als weitaus gefährlicher eingestuft wurden als anarchistische Gewalttäter, und wenn der Herr Abgeordnete Gansel dann noch in einem Zusatzantrag dafür sorgte, daß auch noch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg in dieser Liste aufgenommen wurde?

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Was müssen eigentlich, Herr Bundeskanzler, die Bürger der Bundesrepublik angesichts der Erfahrungen dieser Jahre und dieser Wochen denken und was müssen sie von diesem Staat und den sie tragenden Parteien halten, wenn sie so etwas lesen? Was müssen sie eigentlich über den Willen denken, sich mit dem Terrorismus, der die Freiheit bedroht, ernsthaft auseinanderzusetzen?!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, wie sieht Ihre Rechtspolitik in diesem Zusammenhang aus? Ich gehe auch auf das ein, was Sie heute gesagt haben. Das ist doch eine Sammlung von Appellen, von Inkonsequenz und von Konzeptionslosigkeit. Unter dem Druck terroristischer Aktivitäten - ich komme jetzt darauf zu sprechen - bieten Sie jeweils kurzfristige Augenblickslösungen an.

(Zuruf von der SPD: Sie!)

Ist dann für eine Zeit wieder Ruhe, geraten diese Maßnahmen mehr oder minder in Vergessenheit. Das von Ihnen 1970 verabschiedete Dritte Gesetz zur Strafrechtsreform, das einen entscheidenden Abbau des Schutzes der Allgemeinheit vor gewalttätigen Demonstrationen brachte, habe ich schon erwähnt. Gerade weil wir das Recht auf friedliche Demonstration als Grundrecht aller Bürger achten wollen, haben wir bei den Beratungen zu diesem Gesetz unsere Bedenken ausgesprochen. Aber unser Gegenentwurf wurde von Ihnen nicht ernst genommen. Herr Bundeskanzler, so wollen wir nicht miteinander umgehen. In der Frage des Freiheitsraums für wirklich friedliche Demonstrationen läßt sich in diesem Hause keine Fraktion von einer anderen übertreffen. Das ist Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall der CDU/CSU.)

Aber darum geht es doch gar nicht; es geht doch gar nicht um die friedliche Demonstration. Wir wissen doch, daß die Bundesregierung im März 1970 in Beantwortung eines Entschließungsantrages einräumte, daß damals im Bundesgebiet im Lauf von vier Monaten insgesamt 109 Demonstrationen stattfanden, bei denen unter Verstoß gegen die gesetzliche Ordnung Rechte der Allgemeinheit und Rechte einzelner verletzt wurden. Damals, als das Gesetz verabschiedet wurde, erwähnte der Bericht für den Zeitraum von drei Monaten drei Sprengstoffanschläge, neun weitere Bombenankündigungen und -drohungen gegen Angehörige der Justiz. Kurz vorher war mit Ihrer Mehrheit ein Gesetz über Straffreiheit verabschiedet worden. Es hatte u. a. eine Amnestie für Straftaten, die im Zusammenhang mit Demonstrationen begangen wurden - gefährliche Körperverletzung und anderes - zum Gegenstand. Der Bundesminister der Justiz - damals noch Herr Jahn - bezeichnete die gewalttätigen Demonstrationen dieser Jahre als gesellschaftlichen Vorgang, unter den es einen Schlußstrich zu ziehen gelte.

Wohin das dann führte, hat noch im letzten Jahr, 1976, der ermordete Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Rechtsausschuß des Bundestages deutlich gesagt; ich zitiere:

„Der in den 60er Jahren begonnene Abbau des im Bereich der inneren Sicherheit zum Schutze des Bürgers notwendigen Instrumentariums ist nicht ohne Wirkung geblieben. Die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden wurde abgewertet. Viele, die sich im Bereich der inneren Sicherheit engagiert hatten, wurden enttäuscht und haben resigniert."

Buback fuhr fort, es sei nicht verwunderlich, daß die politischen Aktivitäten, die 1968 unser Land in Unruhe versetzten, zu einer Zeit ihren Anfang nahmen - jetzt zitiere ich wieder wörtlich - , „als die politische Führung glaubte, die Einwirkungsmöglichkeiten des Staates auf das Zusammenleben der Bürger erheblich einschränken zu sollen".

Bezeichnend war ja das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Haftrechts. Herr Bundeskanzler, die Neuordnung des Haftrechts, die wir - und das sage ich auch in dieser Stunde - seinerzeit mitgetragen haben, wirkte sich im Laufe der folgenden Jahre negativ aus.

(Dr. Penner [SPD]: Das stimmt nicht!)

Die Hoffnungen, die in diese Entscheidung gesetzt wurden, haben sich nicht erfüllt. Wir sind heute im Gegensatz zu Ihnen - vielleicht belehrt die Entwicklung mich eines Besseren - jederzeit bereit, den Fehlschlag dieses Unternehmens einzuräumen und notwendige Konsequenzen daraus zu ziehen.

Als sich die negativen Auswirkungen der Novellierung des Haftrechts abzeichneten, fragte die CDU/CSU-Fraktion die Bundesregierung in einer Großen Anfrage zur Verbrechensbekämpfung, wie sie die Auswirkungen der Änderungen des Haftrechts auf die Arbeit der Kriminalpolizei beurteile. In der Antwort war klar davon die Rede, daß das neue Haftrecht zu einer Minderung der Aufklärungsquote beigetragen und für die Ermittlungstätigkeit der Polizei eine Reihe von Erschwernissen mit sich gebracht habe. Daraufhin brachte die CDU/CSU-Fraktion im Jahre 1971 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Haftrechts ein. Der damalige Bundesjustizminister Jahn nannte ihn in der Debatte eine klare und endgültige Absage an die Gemeinsamkeit; er sprach auch damals von einem Geschäft mit der Angst.

Ein halbes Jahr später, unter dem Druck einer schlimmen Terrorwelle, die Tote gefordert hatte, gab die Koalition endlich ihre monatelange Ablehnung auf und verabschiedete unseren Gesetzentwurf. Im folgenden Wahlkampf stellte sie diese Entscheidung als eine große gesetzgeberische Leistung ihrer Rechtspolitik heraus.

So zeigt sich in all diesen Jahren immer die gleiche Taktik: Große Reden - vor allem nach Terroranschlägen -, denen kaum Taten folgen. Bedauern über die Attentate, Lob für die Justiz, Ermunterung, Vorwürfe der Panikmache an die Opposition und Warnung vor Hysterie und Überreaktion.

Wo gesetzliche Regelungen unumgänglich waren, wurden zwar auch von Ihnen zunächst Gesetzentwürfe vorgelegt. Aber sie verschwanden nach kurzer Zeit in der Versenkung. Ein trauriges Beispiel, das heute eine besondere Beleuchtung durch den Herrn Bundeskanzler erfahren hat, sind die gesetzlichen Bestimmungen zur Überwachung der Korrespondenz und der Gespräche zwischen Verteidigern und inhaftierten Beschuldigten, wenn der Verdacht konspirativen Zusammenwirkens zwischen beiden Seiten bestand. Drei ganze Jahre, von 1973 bis 1976, hat das Hin und Her über eine entsprechende gesetzliche Bestimmung gedauert.

(Dr. Lenz (Bergstraße) [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Man muß die Daten vorlesen: November 1974: Die Koalitionsfraktionen und die Justizminister und -senatoren der Länder fordern den Bundesjustizminister auf, gesetzliche Regelungen zur Überwachung der Kontakte zwischen Verteidigern und inhaftierten Beschuldigten vorzulegen. Im gleichen Monat: Der Bundesjustizminister entschließt sich, der Forderung der Justizministerkonferenz nachzukommen. Er legt dem Kabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Das Bundeskabinett beschließt die Überwachungsregelung. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, der Kollege Schäfer, bezeichnet die Beschlüsse des Bundeskabinetts als ausgewogen und dem Rechtsstaat angemessen.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Ich darf dem Kollegen Schäfer für diese Haltung danken; ich bin sicher, das wird für uns hilfreich sein.

Aber nach Ihrer heutigen Einlassung, Herr Bundeskanzler, stellt sich doch die Frage: Warum haben Sie als Regierungschef und als stellvertretender Vorsitzender der SPD, obwohl Sie mit uns und vielen anderen ganz selbstverständlich dies für einen richtigen Schritt gehalten haben, in dieser wichtigen Frage nicht mit uns gestimmt und an unserer Seite gestritten?

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Das setzte sich so durch die Monate fort. Im März 1975 erklärte Generalbundesanwalt Buback:

„Wir haben Anzeichen dafür, daß das neue Gesetz über den möglichen Ausschluß von Verteidigern bisher nicht abschreckend gewirkt hat."

Im April 1975, Herr Bundeskanzler, sprachen Sie und der Vizekanzler sich dafür aus, eine Überwachung der Kontakte zwischen Verteidigern und inhaftierten Beschuldigten vorzunehmen. Der Vorsitzende der FDP sagte damals - ich zitiere:

„Aber ich sage Ihnen offen: Ich habe immer die Meinung vertreten, die Überwachung ist genauso notwendig, ohne daß damit das Privileg des Anwalts und des Verteidigers eingeschränkt wird. Ich bin selbst im Privatberuf Anwalt und kann das beurteilen."

Meine Damen und Herren, wenn dem so ist, haben wir doch eine Mehrheit für eine vernünftige Gesetzgebung.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Dann lassen Sie uns doch ohne Wenn und Aber schnell zur Tat schreiten! Glauben Sie mir, es ist nicht unsere Sache, ob es nun ein Entwurf der CDU/CSU-Fraktion ist, der beschlossen wird. Uns kommt es allein auf das Ergebnis an, das jetzt dringend erforderlich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, daß das alles nicht Geschichte ist, erleben wir ja in diesen Tagen; denn der wichtigste Informationsstrang der Terroristen nach draußen konnte eben nicht abgeschnitten werden. So konnte - das ist neuesten Datums - unmittelbar nach der Verhaftung des Terroristen Rechtsanwalt Haag der Anwalt der Terroristen, Croissant, zwei ganze Stunden ohne jede Kontrolle mit ihm sprechen. Der Rechtsausschuß dieses Hauses hat im April 1976 eine nichtöffentliche Anhörung durchgeführt, in der Sachverständige zu den sogenannten Antiterroristengesetzen gehört wurden. Alle diese Sachverständigen haben übereinstimmend erklärt, sowohl die Überwachung des schriftlichen als auch die des mündlichen Kontakts zwischen Verteidigern und Beschuldigten sei unerläßlich.

Diese Sachverständigen sind doch nicht ohne Grund zu diesem Ergebnis gekommen. Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt, weiß, daß der Strom der Nachrichten nach wie vor mehr oder minder ungehemmt auf diesem Weg aus den Gefängnissen heraus und in sie hineinfließt und ein Ende vorerst nicht abzusehen ist. Der unverminderte Austausch von Informationen gibt beispielsweise Baader die Möglichkeit, die Taktik der Angeklagten und ihrer Verteidiger im Stockholm-Verfahren in Düsseldorf mitzubestimmen. Bei einer Rechtsanwältin wurde u.a. ein Kassiber gefunden, in dem Gudrun Ensslin anläßlich des Todes des Terroristen Hauser aufforderte, den Generalbundesanwalt Buback als Mörder zu deklarieren und eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit einzuleiten. Nach einer Äußerung wiederum von Gudrun Ensslin sind die roten Anwälte zur Erreichung der Ziele der Baader-Meinhof-Bande unentbehrlich; ohne ihre gebündelte und sortierte Information gehe es nicht. Nach Aussagen des Präsidenten des Bundeskriminalamts, eines in dieser Sache ganz gewiß kompetenten Mannes, kanalisiert sich der Informationsfluß auf die Anwälte. Die Möglichkeiten, die der nicht überwachte Verteidigerverkehr für konspiratives Verhalten bietet, hat Generalbundesanwalt Buback damals anschaulich beschrieben. Man braucht kein Wort hinzuzufügen. Er sagte wörtlich:

„Die Zelle und die Verteidiger ohne Überwachungsmöglichkeit sind ja - das sei geklagt - das am besten abgeschirmte konspirative Zimmer, das wir in der Bundesrepublik Deutschland haben."

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wenn das nicht alles nur irgendwie Gerede ist, müssen wir doch, was immer vorher war, jetzt und heute und in den nächsten Wochen aus dieser Erfahrung Konsequenzen ziehen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Das ist der Sinn unserer entsprechenden Vorschläge. Wir haben doch überhaupt nicht behauptet, Herr Bundeskanzler, daß diese Vorschläge schon das allerletzte Wort sind und daß man darüber mit uns nicht reden kann. Aber in diesen Vorschlägen ist das jetzt Notwendige gesagt. Ich erwarte dann von Ihrer Seite, von der Seite der Regierung, von der Seite der FDP und der SPD, daß das Notwendige auch in den Ausschüssen beigetragen wird. Die Fraktion der CDU/CSU wird in Kürze im Hohen Haus eine Reihe von Vorlagen zur besseren Bekämpfung des Terrorismus und der Gewaltkriminalität einbringen. Im einzelnen werden wir vorlegen:

Ein wirksameres Demonstrationsstrafrecht. Das derzeit geltende Demonstrationsstrafrecht ist so unwirksam, daß Strafverfahren oft gar nicht mehr eingeleitet werden, weil sie ohnehin wegen Beweisschwierigkeiten gleich wieder eingestellt werden müßten. Meine Damen und Herren, das ist doch nicht irgendeine Frage. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die wir vor wenigen Wochen in Grohnde in Niedersachsen erlebt haben, müssen doch jeden in diesem Lande alarmieren. Wir können doch nicht zulassen, daß eine extremistische Gruppe von kleiner Zahl, aber ohne jede Hemmung, öffentliches Eigentum, Privateigentum und auch das Leben und die Gesundheit von Mitbürgern bedroht. Dies ist ganz und gar unerträglich.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Als langjähriger Regierungschef eines Bundeslandes weiß ich, was es für eine Zumutung in einer solchen Situation bedeutet, als handelnder Minister, als handelnder hoher Beamter und Polizeioffizier junge Beamte in eine solche Situation zu schicken, denen man dann nicht einmal sagen kann, daß die Täter, die ergriffen wurden, anschließend schnellstens der gerechten Bestrafung zugeführt werden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir werden für bestimmte Delikte der Gewaltkriminalität eine Anhebung der Mindeststrafe und auch eine Erhöhung der zeitlichen Freiheitsstrafe vorschlagen. Wir werden eine Vorlage zum Thema Bildung krimineller Vereinigungen bringen, wonach die Bildung terroristischer Vereinigungen als Verbrechen eingestuft werden soll. Wir wollen eine Vorlage für bestimmte Delikte der Schwerkriminalität einbringen. In diesem Fall soll die Aussetzung eines Strafrestes nur unter erschwerten Bedingungen möglich sein, wenn zwei Drittel der Strafe verbüßt sind. Wir werden weiter vorschlagen, daß auch Gespräche zwischen Verteidigern und inhaftierten Beschuldigten überwacht werden können, wenn der Verdacht der Begehung neuer Straftaten besteht. Nach dem, was sich heute hier im Gespräch entwickelt hat, bin ich glücklich, daß das jetzt offensichtlich eine Mehrheit findet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, ich möchte einem schweren Mißverständnis entgegentreten. Wir wollen kein Sonderstrafprozeßrecht, wenn wir sagen, für Fälle offenkundiger Prozeßsabotage soll die Möglichkeit des Ausschlusses von Verteidigern vorgesehen werden. Das ist doch etwas ganz anderes als ein Sonderstrafrecht oder Sonderstrafprozeßrecht, wie Sie es hier genannt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, auch wir wissen, daß es keinen absoluten Schutz gegen Kriminalität und Terror gibt. Nur kann diese richtige Behauptung nicht zu der Aufforderung an den Gesetzgeber führen, die Gesetzgebung einzustellen. Wir müssen doch wenigstens Gesetze schaffen, die das Risiko für potentielle Mörder möglichst entsprechend einschätzen lassen. Und da meine ich nach all dem, was wir hier reden, gibt es einiges zu tun. Die Behauptung - das ist eine ganz schlimme Behauptung -, die bestehenden Gesetze brauchten ja nur voll ausgeschöpft zu werden, dann sei die bestmögliche Bekämpfung des Terrorismus erreicht, ist nicht neu. Sie gehört sozusagen zur Standardbeschwörungsformel der letzten Jahre.

(Zuruf von der SPD.)

Nur sind wir damit in den letzten Jahren nicht weitergekommen, und die jahrelange ständige Wiederholung legt doch den Schluß nahe, daß die bestehenden Gesetze eben nicht voll ausgeschöpft werden konnten, aus welchen Gründen auch immer. Statt erfolgloser Aufforderung stünde es jetzt der Regierung besser an, endlich Vorschläge darüber vorzulegen, wie denn erreicht werden kann, daß die Gesetze ausgeschöpft werden. Das wäre immerhin auch schon etwas auf dem Wege zu einer Verbesserung der Verhältnisse.

(Beifall bei der CDU/CSU. Zuruf des Abg. Dr. Schäfer (Tübingen) [SPD].)

Dazu ein klares Wort. Es steht das böse Wort von der „Überreaktion" im Raume. Meine Damen und Herren, wenn sich der freiheitliche Rechtsstaat, unser Verfassungsstaat gegen Gruppierungen zur Wehr setzt, die diese Freiheit nur dazu mißbrauchen, die Freiheit des ganzen Landes zu zerstören, kann ich keine Überreaktion erkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Angesichts jener frivolen Herausforderung müssen wir uns doch fragen: Was müssen die Terroristen unserem Staat eigentlich noch bieten, bis wir endlich bereit sind, so kraftvoll zu reagieren, wie dies notwendig ist?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Jeder Staat, jeder freie Staat der Welt reagiert auf Herausforderungen, auf neue kriminelle Erscheinungsformen oder auf einen erheblichen Anstieg der Kriminalität. Das ist nicht nur legitim, das ist selbstverständliche Pflicht und Schuldigkeit des Staates. Auch die Bundesregierung hat das getan, selbstverständlich mit unserer Unterstützung. Sie reagierte doch auch auf neue kriminelle Erscheinungsformen. Strafvorschriften über Luftpiraterie, erpresserischen Menschenraub: alles durchaus richtige und notwendige Reaktionen. Nur hier, meine Damen und Herren - und dies ist gänzlich unverständlich -, auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, bei der Bekämpfung des Terrorismus, sträuben Sie sich, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Da drängt sich doch unweigerlich die Frage auf: Warum ausgerechnet in diesem Felde? Rechtsstaatliche Bedenken können es doch nicht sein. Denn die von uns immer wieder vorgetragenen gesetzlichen Maßnahmen halten sich im Rahmen der Verfassung. Das ist auch nie von Ihnen bezweifelt worden. Es kann auch nicht das Wort des Kollegen Maihofer sein: „In dubio pro libertate". Denn daß Freiheit und Sicherheit einander nicht ausschließen, sondern einander bedingen, hat uns ja Herr Maihofer in diesen Wochen von diesem Platz aus durchaus eindrucksvoll demonstriert.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Diesmal und nach den Vorgängen dieser Tage werden Sie, Herr Bundeskanzler, und die von Ihnen geführte Bundesregierung die Antwort auf die in der Bürgerschaft unseres Landes gestellte Frage nicht auslassen können. Sie dürfen diese Antwort um dieses Staates willen nicht schuldig bleiben. Der Bürger hat nicht nur ein Anrecht, Ihre Antwort zu erfahren; unsere Mitbürger verlangen eine Antwort. Jetzt, meine Damen und Herren, ist die Stunde zum Handeln. Jetzt müssen wir versuchen, nicht nur über Solidarität der Demokraten zu reden, sondern bei aller Kontroverse in der Sache für das Ganze unseres Landes gemeinsam das Richtige zu tun. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, sind dazu bereit.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Quelle: Helmut Kohl: Bundestagsreden und Zeitdokumente. Hg. von Horst Teltschik. Bonn 1978, S. 184-200.