22. Juli 1997

Rede bei dem Festakt anlässlich des Führungswechsels bei der Deutschen Bahn AG im Hotel Adlon in Berlin

 

Meine Herren Ministerpräsidenten,
meine Damen und Herren Abgeordnete,
lieber Herr Dr. Dürr,
lieber Herr Dr. Saßmannshausen,
lieber Herr Ludewig,
verehrte Ehrengäste,
meine Damen und Herren,

 

ein ganz besonders herzliches Wort des Grußes möchte ich vor allem an unsere ausländischen Gäste richten. Es ist ein gutes Omen, daß Sie in so großer Zahl aus den Nachbarländern hierhergekommen sind. In meiner Vision des europäischen Hauses, an dem wir jetzt bauen, hat die Bahn einen festen Platz. Nicht nur, weil sie ein Zukunftsträger des Verkehrs - ohne Wenn und Aber - ist, sondern weil die Bahn ein großartiges Beispiel für die notwendige Zusammenarbeit in Europa gibt. Ich wünsche mir, Herr Ludewig, daß sich das, was dieser Besuch ausländischer Gäste symbolisiert, in praktische Politik umsetzt.

 

Vielleicht erlebe ich noch eine Schnellbahnverbindung von London durch den Tunnel nach Frankreich, quer durch Deutschland bis nach St. Petersburg und Moskau. Hierüber habe ich einmal nach dem Fall der Mauer mit François Mitterrand gesprochen. Die Franzosen haben Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine Anleihe aufgelegt, um die Bahn im zaristischen Rußland von Ost nach West zu bauen. Ziel war damals, Truppentransporte schnell aus dem Zentrum Rußlands an die Westgrenze zu bringen. Heute sollten wir in der Europäischen Union die Menschen nicht nur am Kernstück der Europäischen Union, sondern auch in den assoziierten Ländern möglichst rasch zusammenbringen. Meine Damen und Herren, wir sind hier zusammengekommen, um Dank zu sagen. Wir danken zwei großartigen Männern, die in einem wichtigen Abschnitt ihres Lebens diesem bedeutenden Unternehmen, der Deutschen Bahn - und damit auch unserem Land - geholfen haben.

 

Sie, lieber Herr Dürr, und Sie, lieber Herr Saßmannshausen, haben in diesen entscheidenden Jahren die Deutsche Bahn geprägt. Was in diesem Unternehmen - vor allem seit der Wiedervereinigung - an persönlichem Einsatz, an Steigerung der Produktivität, an Motivation der Menschen geleistet wurde, ist vorbildlich.

 

Es ist mir wichtig, dies schlicht so zu formulieren: Sie haben Ihre Pflicht getan. Damit sind Sie ein Beispiel für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn und weit über den Bereich der Bahn hinaus. Sie haben Ihre Pflicht getan in einer Zeit, die für unser Vaterland von ganz entscheidender Bedeutung war. Sie haben Weichen - insbesondere mit der Bahnreform - gestellt. Damit haben Sie auch bewiesen, daß die Deutschen zu kräftigen, gemeinsamen Schritten in die Zukunft fähig sind. Dafür möchte ich Ihnen beiden im Namen der Bundesregierung und stellvertretend für viele Menschen in unserem Land sehr herzlich danken.

 

Lieber Herr Dürr, Sie haben im Oktober 1990 das Amt des Vorstandsvorsitzenden übernommen. Es war die Zeit der Deutschen Einheit, eines der großen Geschenke in unserer Geschichte. Es war gerade in dieser Zeit wichtig, einen Mann zu gewinnen, der Verständnis für die politischen Umbrüche und Schwierigkeiten hat. Sie waren ein Praktiker, der die Wirtschaft kannte, und ich habe darauf gesetzt, daß Sie ein Patriot sind, der sagt: "Ich mache es, ich tue es. Ich kann mich in dieser Stunde nicht verweigern."

 

Sie haben nicht nur danach gefragt, was bringt das für mich - das ist legal und ganz vernünftig -, sondern Sie haben auch gefragt, was kann ich für das Land tun? Und so ist ein erfolgreicher Unternehmer, ein realistischer Optimist, zur Bahn gegangen. Nach Art eines Wanderpredigers haben Sie alles auf den Weg gebracht. Sie haben eingebracht, was die Bahn dringend braucht: Heimatbezogenheit und Weltoffenheit. Auch eine Institution wie die Bahn, die sehr viel mit High-Tech und modernsten technischen Entwicklungen zu tun hat, braucht ein Stück Bodenständigkeit. Die Menschen müssen ihre Bahn verstehen. Dies haben Sie vermittelt; auch Ihre internationale Ausrichtung beim Denken und Handeln spielte dabei eine ganz entscheidende Rolle.

 

Wenn die Geschichte der Deutschen Einheit geschrieben wird, wird die Zusammenführung der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn ein Ruhmesblatt sein. Sie wurde unter großen Schwierigkeiten im Finanziellen und im Mentalen umgesetzt. In einer ganz ungewöhnlichen Weise sind Menschen praktisch über Nacht zusammengebracht worden, die einen ganz anderen Lebensweg hatten, die alle ihre eigenen Leistungen gebracht hatten, aber die ganz einfach ein anderes Verständnis haben mußten. Es galt - sozusagen im Kleinformat -, das Problem der Deutschen Einheit zu lösen. Dies liegt nicht primär im Materiellen, sondern im Immateriellen. Wir gehen immer noch zu wenig aufeinander zu. Diejenigen, die wie ich das Glück hatten, im Westen aufzuwachsen, sollten immer daran denken, unseren Landsleuten aus den neuen Ländern einen größeren Vorsprung zu geben, da sie einen weiteren Weg gehen müssen. Das hat nichts mit einem "Reichen-Onkel-Syndrom" zu tun, sondern mit dem ganz einfachen Beispiel gelebter Solidarität.

 

Sie, Herr Dürr, haben ein neues Verständnis von Unternehmensführung - auch im Verhältnis zu den Beschäftigten - umgesetzt. Es gab und gibt nicht mehr die alte Liste, nach der ein Reichsbahnrat und später ein Bundesbahnrat sich ausrechnen konnten, wann der Oberrat fällig war. Das alles war Umdenken. Sie haben Ihre Mitarbeiter motiviert, und unsere Bahner haben gespürt, daß sie bei Ihnen gut aufgehoben waren. Sie haben Ihnen vermittelt, daß die Bahn Zukunft hat. Zukunft lebt von Herkunft - das ist eine wichtige Sache für die Bahn.

 

Eisenbahner zu sein hieß nicht, einfach irgendeinen Beruf zu ergreifen. Viele der Eisenbahner stammten aus Eisenbahnerfamilien. Ihr Lebensalltag, ihre Ausbildung, ihre Wohnung, ihr Sport und ihre Freizeit waren und sind in vielen Fällen auch heute noch mit dem Berufsalltag verbunden. Die Bahn prägt ihr Leben und nicht nur ihre Arbeit. Bahn ist mehr als nur Schiene. Die Eisenbahner haben die neue kommerzielle Ausrichtung des Unternehmens angenommen und sich dieser Herausforderung gestellt. Dies wird eine der großen Erfolgsstories unseres Landes sein. Deswegen nehme ich gerne die Gelegenheit wahr, allen Mitarbeitern im Bereich der Bahn zu danken. Ich sage ein herzliches Wort des Dankes und des Respektes auch den Gewerkschaften, den Betriebsräten, den Verwaltungsräten und allen, die hier zu nennen sind.

 

Lieber Herr Dürr, Sie haben Ihr Amt an Ihren Nachfolger übergeben. Sie bleiben Aufsichtsratsvorsitzender bei der Deutschen Bahn AG, und das ist gut so. Wir werden Ihren Rat nicht nur brauchen, sondern auch gerne annehmen.

 

Lieber Herr Saßmannshausen, Sie sind vor wenigen Tagen aus Ihrem Amt als Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bahn AG ausgeschieden. Es hat Sie immer gereizt, etwas zu bewegen und mitzugestalten. Als Vorsitzender der Regierungskommission Bundesbahn haben Sie in einer ganz entscheidenden Weise - das kann man gar nicht genug betonen - die Grundlagen für die neue Bahn gelegt. Nach dem Fall der Mauer haben Sie sich in diesem Gremium von Anfang an für eine schnelle Verbindung zwischen Bundesbahn und Reichsbahn stark gemacht. Sie haben vieles dazu getan, daß wir zu dem gesellschaftlichen Konsens bei der Bahnreform und den Reformgesetzen gekommen sind. Es war das Wort eines erfahrenen Mannes, der Vertrauen genoß und genießt und bei vielen Zweifelnden manche Hindernisse überwunden hat.

 

Vom April 1993 bis zur Gründung der Deutschen Bahn AG waren Sie Vorsitzender des Aufsichtsrates der Deutschen Bahn Gründungsgesellschaft. Dabei waren Sie ganz unmittelbar an der inneren Reform der Bahn beteiligt und haben es verstanden, Ihren ganzen unternehmerischen Sachverstand mit einzubringen. Seit dem 9. Juli sind Sie nun Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates. Ich hoffe sehr, daß Sie dem Unternehmen auch weiterhin eng und freundschaftlich verbunden bleiben. Ihr Wort wird auch künftig gebraucht.

 

Ich selbst darf Ihnen - wie auch Herrn Dr. Dürr - für manchen klugen und erfahrenen Rat danken. Gespräche mit Ihnen genieße ich schon deswegen, weil Sie in dem hektischen Alltag von Bonn das genaue Gegenteil verkörpern. Wenn Sie zur Tür hereinkommen, Ihre Pfeife stopfen, die Pfeife zwischendrin ausgeht und Sie dann in einer langsamen Weise, aber aus einer klugen und lebenslangen Erfahrung sagen, das kann man so oder so machen, dann ist das eine gute Sache. Für mich sind Sie ein Unternehmer, der seine Sache vertritt, der aber den Blick für das Ganze nie vergessen hat. Mit einem Wort: noch einmal ganz herzlichen Dank!

 

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch Ihnen, Frau Saßmannshausen, und Ihnen, Frau Dürr, dafür danken, daß Sie das alles mitgetragen haben. Bei solchen Gelegenheiten werden immer die Männer in den Mittelpunkt gestellt, aber sie könnten - wie die meisten von uns - das alles nicht tun, wenn unsere Frauen, die Kinder und die ganze Familie das nicht mit erträgt und trägt.

 

Lieber Johannes Ludewig, bei Ihrer Verabschiedung als Staatssekretär habe ich Sie bereits mit einer Rede gewürdigt. Ich bin mir sicher: Johannes Ludewig wird mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und mit dem Vorstand einen guten Job machen. Ich bin davon überzeugt, daß die Deutsche Bahn bereits eine große Erfolgsgeschichte ist, aber daß wir noch mehr vor uns haben.

 

Wir haben den Gewinn von Freizügigkeit für Millionen Deutsche. Freiheit und Freizügigkeit sind ein wichtiges Gut. Gerade an den Bildern, die wir hier eben sahen, als die Mauer fiel, konnten wir das noch einmal nachvollziehen. Heute verlaufen die Verkehrswege in unserem Land nicht mehr von Nord nach Süd, sondern die Verkehrsadern gehen wieder vernünftigerweise auch von Ost nach West.

 

Sie wissen, wir haben beim Aufbau Ost schon viel erreicht. Aber es bleibt noch vieles zu tun. Bei der Bahn heißt das, daß die unternehmerischen Aufgaben, die jetzt anstehen, umgesetzt werden müssen. Ich bin ganz sicher, Johannes Ludewig wird das, was er in seinem bisherigen Leben in den verschiedenen Funktionen geleistet hat, dabei sehr gut einsetzen können. Er kennt vor allem die Probleme des Aufbaus nach 40 Jahren DDR. Er kennt die neuen Länder und die Probleme der Teilung.

 

Meine Damen und Herren, ein solcher Tag ist auch der richtige Anlaß, um noch einmal daran zu erinnern, daß wir die Deutsche Einheit als ein Geschenk, als eine Aufgabe annehmen. Gleichzeitig müssen wir alles tun, um in der Weltwirtschaft unseren Platz als Exportnation zu sichern. Stichworte wie die Globalisierung verlangen Entscheidungen. Wir müssen auch endlich die wirkliche Lage unseres eigenen Volkes zur Kenntnis nehmen. Wir sind das Land mit der niedrigsten Geburtenrate in Europa geworden. Gleichzeitig sind wir das Land, das erfreulicherweise bei der Entwicklung des Lebensalters mit an der Spitze liegt - mit all den Konsequenzen. Deswegen müssen wir umdenken, um die Zukunft zu sichern. Dies gilt für alle Bereiche, nicht zuletzt auch für den Staat als Ganzes - egal, ob Wahlen sind oder nicht.

 

Wir müssen alles tun, um den Staat auf seine originären Aufgaben zurückzuführen. Das heißt nicht, den Staat auszuschalten und zu vergesellschaften, wie manche Ideologen meinen. Es bedeutet vielmehr, ihn fähig zu machen, seine eigentlichen Aufgaben wahrzunehmen. Dazu gehört, daß wir prüfen, ob die Leistungen, die bisher der Staat erbracht hat, nicht ganz oder wenigstens teilweise in den Gestaltungsbereich der Bürger zurückgegeben werden können. Die Bahn ist hierfür ein hervorragendes Beispiel, ebenfalls die Lufthansa und auch die ehemaligen Postunternehmen.

 

Die Bahnreform ist ein strategisches Jahrhundertwerk. Die Bahn wurde von staatlichen Fesseln befreit, vom öffentlichen Dienst- und Haushaltsrecht. Hinzu kam auch die Übernahme von Altlasten in gewaltiger Höhe durch den Bund. Manch einer, der sich jetzt an der täglichen Debatte beteiligt und diskutiert, ob wir den Euro schaffen oder ob wir ihn nicht schaffen, sollte gelegentlich einmal daran denken, was der Bund hier an zusätzlichen Kosten übernommen hat. Er sollte dabei nicht gänzlich vergessen, daß unsere Partner in Europa Vergleichbares so nicht getan haben.

 

Dies alles gab der Bahn die Flexibilität und die Eigenverantwortung, die ein erfolgreiches Unternehmen auf dem Weg ins 21. Jahrhundert braucht. Die Bahnreform war nicht nur ein Erfolg für den Bund und das Unternehmen. Sie ist auch ein Erfolg für die Kunden, für die Bürger in unserem Land, und vor allem auch für alle Mitarbeiter.

 

Auch den Gewerkschaften möchte ich nochmals danken. Sie haben vertrauensvoll an der Lösung der nicht immer einfachen Fragen mitgearbeitet. Man muß die Bahn in ihrer Tradition und ihrem Denken gekannt haben, um sich vorzustellen, was es bedeutet, als Vorsitzender einer Gewerkschaft im Bahnbereich ein solches Umdenken zu bewerkstelligen und durchzusetzen. Die Bahnreform ist damit auch ein Beispiel dafür, was mit Gemeinsamkeit und gutem Willen aller Beteiligten erreicht werden kann.

 

Ich will mich auch bedanken, aber zugleich auch eine Ermutigung zur Ausbildung junger Leute bei dem Unternehmen aussprechen. Mit einer Lehrlingsquote von 7,3 Prozent liegt die Deutsche Bahn AG in Deutschland auf einem der vordersten Plätze. Ich weiß, dies ist Ausbildung und keine Einstellung; niemand kann erwarten, daß das anders sein wird. Aber ich denke auch, daß alle in der Bahn Verantwortlichen in den nächsten Jahren im Hinblick auf die starken Jahrgänge bis 2006 die große moralische Verpflichtung sehen, jungen Leuten eine solide Ausbildung für das Berufsleben zu geben. So können wir beispielsweise nicht von einem Sechzehnjährigen, der keinen Ausbildungsplatz findet, erwarten, daß er als Neunzehnjähriger seinen Dienst bei der Bundeswehr oder als Zivildienstleistender leistet. Er muß in beiden Fällen seinen Staat in Solidarität erleben.

 

Meine Damen und Herren, wir wollen dieses Unternehmen auf dem Markt wettbewerbsfähig gestalten. Die Bahn muß mehr und mehr auf die eigenen Räder kommen. Sie leistet einen entscheidenden Beitrag für die Qualität des Standortes Deutschland. Wirtschaftswachstum braucht ein gut funktionierendes Verkehrssystem und eine entsprechende Verkehrsinfrastruktur. Auch unter ökologischen Gesichtspunkten kann die Bahn eine ungewöhnlich vernünftige Zukunftsentwicklung einläuten. Sie ist ein enormer Wirtschaftsfaktor, ihr Investitionsprogramm bis 2002 beläuft sich auf 83 Milliarden D-Mark. Darüber hinaus ist sie einer der größten Investoren in den neuen Ländern und hervorragendes Beispiel für die Nutzung moderner Technologien.

 

Dies alles verheißt eine gute Zukunft. Wenn wir dies gemeinsam mit unseren Nachbarn in Europa in Angriff nehmen, dann ist das ein entscheidender Beitrag zu einer friedlichen Entwicklung unseres Landes in einem immer enger zusammenwachsenden Europa.

 

Ich bedanke mich nochmals sehr herzlich bei Ihnen, lieber Herr Dr. Dürr und Herr Dr. Saßmannshausen, für Ihre Arbeit. Ich wünsche Ihnen, lieber Herr Ludewig, eine glückliche Hand und gute Mitarbeiter. Sie haben Mitarbeiter, die wieder das Gefühl haben, daß sie einen tollen Job machen. Sie wissen heute, daß sie eine gute und große Zukunft haben. So wünsche ich Ihnen allen - und damit auch uns - auf diesem Weg Erfolg, Glück und Gottes Segen.

 

 

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 69. 21. August 1997.