23. November 1994

Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl

Auszug betreffend Europa und die Europäische Integration

Zentrale Aufgabe dieser Legislaturperiode wird es sein, die politische Einigung Europas weiter zu festigen und entscheidend voranzubringen. Die deutsch-französische Freundschaft wird hierbei unverändert herausragende Bedeutung haben. Die politische Einigung Europas ist und bleibt im existentiellen Interesse Deutschlands. Es geht uns nicht darum, einen europäischen Überstaat zu schaffen. Europa hat nur dann eine wirklich gute Zukunft, wenn es sich an dem Prinzip der Einheit in Vielfalt ausrichtet.

Wir alle kennen die zentralen Themen der in Maastricht vereinbarten Regierungskonferenz 1996. Dabei wollen wir die demokratische Verankerung und die Bürgernähe der Union stärken. Dazu gehört insbesondere der Ausbau der Rechte des Europäischen Parlaments.

Die Bürger Europas erwarten von uns eine stärkere Zusammenarbeit bei der Innen- und der Rechtspolitik. Bisherige Initiativen, wie bei EUROPOL und bei der Verwirklichung einer gemeinsamen Asylpolitik, haben noch nicht den notwendigen Durchbruch erbracht. Wir dürfen hier mit unserem Bemühen nicht nachlassen. Wir wollen die innere und die äußere Handlungsfähigkeit der Union stärken. Dazu müssen wir die Institutionen straffen und effektiver gestalten. In der Außen- und Sicherheitspolitik wollen wir, daß Europa in wichtigen Fragen seine gemeinsamen Interessen geschlossen vertritt.

Ein wesentlicher Baustein des Europa von morgen ist für uns die Wirtschafts- und Währungsunion. Wir wollen sie unter strikter Einhaltung der im Maastricht-Vertrag festgelegten Stabilitätskriterien verwirklichen, und zwar aller Kriterien, meine Damen und Herren.
Es liegt im deutschen wie im wohlverstandenen europäischen Interesse, daß wir bei der Erweiterung der Europäischen Union immer auch unsere östlichen Nachbarn - ich meine hier besonders Polen - im Auge haben. Die Westgrenze Polens darf nicht auf Dauer die Ostgrenze der Europäischen Union sein.

Die Bundesregierung wird sich deshalb mit großer Entschiedenheit dafür einsetzen, daß in den kommenden Jahren entscheidende Schritte zur endgültigen Überwindung der Teilung Europas und damit zur dauerhaften Sicherung von Frieden und Freiheit getan werden. Auf dem in wenigen Wochen stattfindenden Europäischen Rat in Essen wollen wir eine Strategie zur weiteren Heranführung der jungen Demokratien Mittel-, Ost- und Südosteuropas verabschieden.

Neue Mitglieder - das sei hier betont - müssen jedoch in jedem einzelnen Fall die notwendigen politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllen. Darüber hinaus streben wir eine intensive Partnerschaft auf breiter Grundlage mit den Ländern Osteuropas an, insbesondere mit Rußland und der Ukraine, aber auch mit den Nachbarregionen Europas.



Quelle: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenogr. Berichte. Bd. 176. Plenarprotokoll 13/5. 23. November 1994, S. 45f.