25. November 1982

Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl

 

1. Meine Damen und Herren, ich darf meinen Bericht mit den deutsch- französischen Konsultationen beginnen. Mein Besuch in Paris und der 40. deutsch-französische Gipfel haben die Normalität der deutsch-französischen Beziehungen bestätigt, Normalität, unabhängig von den jeweiligen Regierungen und den sie tragenden politischen Kräften in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland.

Zu dieser Normalität gehört auch, daß es für mich selbstverständlich war, meinen ersten Besuch unmittelbar nach meiner Wahl in Paris abzustatten. Ich habe dies getan, weil wir wissen, - und hier möchte ich Präsident Mitterrand zitieren - wie sehr die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ein wesentliches Element des Friedens sind, des Gleichgewichts, des Wohlergehens in unseren beiden Ländern, des Wohlergehens Europas, ja zweifelsohne der ganzen Welt.

Die deutsch-französische Zusammenarbeit, die vor nun bald 20 Jahren im Elysee-Vertrag von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle verfaßt wurde, hat sich nicht nur bewährt, - das ist viel zuwenig - es sind ihr ständig neue Gebiete zugewachsen. Und, es ist eine Freundschaft, die gewachsen ist, nicht nur zwischen Regierungen, sondern vor allem zwischen den beiden Völkern mitten in Europa.

Wir verstehen - und, meine Damen und Herren, ich bin sicher, ich spreche hier im Namen des ganzen Hauses - diese Zusammenarbeit nicht als eine Zusammenarbeit, die andere ausschließt. Wir wollen sie vielmehr fruchtbar machen für den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft. So dient sie auch der Festigkeit des Atlantischen Bündnisses, dem wir beide angehören.

Eben deshalb haben wir bei den vergangenen deutschfranzösischen Konsultationen gemeinsam wesentliche Positionen der Politik des Bündnisses bekräftigt, so den Doppelbeschluß in seinen beiden Teilen. Aus gemeinsamer Besorgnis über Fragen der Sicherheit haben wir auch einen regelmäßigen, vertieften Meinungsaustausch über die Fragen der Sicherheit vereinbart.

Künftig werden Vierer-Gespräche der Außen- und Verteidigungsminister beider Länder fester Bestandteil der deutsch-französischen Zusammenarbeit sein.

Wir haben damit nach 19 Jahren zum erstenmal eine wichtige, bereits im Elysee-Vertrag getroffene Übereinkunft aktiviert. Hier geht es uns um einen Meinungsaustausch mit einem wichtigen, mit einem großen Nachbarn. Und eben damit nützen wir auch der gemeinsamen Sicherheit des Westens.

Meine Damen und Herren, wir werden anläßlich des 20. Jahrestages des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages am 20. Januar hier in Bonn und am 21. Januar in Paris - hier in Bonn auch im Deutschen Bundestag - die Bedeutung unserer Beziehungen in einem würdigen Rahmen herausstellen können. 

Wir verstehen sehr gut die Sorge, die unseren französischen Freunden manche Entwicklung in ihrer Handelsbilanz bereitet. Wir haben ihnen dazu gesagt, daß man unter Freunden, gerade wenn es schwierig ist, miteinander sprechen und um tragfähige Lösungen bemüht sein muß. Wir wissen, daß Abschottung unserer Märkte uns schadet, daß dadurch langfristig mehr Arbeitsplätze gefährdet als in Wahrheit kurzfristig gesichert werden.

Ich hoffe, daß wir in der Serie der Gespräche auch in dieser Meinungsbildung vorankommen. Ich werde schon in Kürze, am 7. Dezember in Paris, und zuvor beim Europäischen Rat in Kopenhagen am 3. und 4. Dezember, erneut zu einem Meinungsaustausch mit Präsident Mitterrand zusammentreffen.

2. Mein Besuch in London und der Verlauf des 12. deutsch-britischen Gipfeltreffens am 28. und 29. Oktober haben über die Kontinuität und die Dichte der deutsch-britischen Beziehungen hinaus die Übereinstimmung zwischen unseren beiden Regierungen in wesentlichen europäischen und internationalen Fragen bestätigt. Insbesondere war es unsere gemeinsame Überzeugung, daß es für Europa lebenswichtig ist, die Partnerschaft mit unseren Freunden in den Vereinigten Staaten zu intensivieren.

Mit Befriedigung hat die Bundesregierung die britische Zusage zur Kenntnis genommen, die Rheinarmee und die britischen Luftstreitkräfte auf deutschem Boden ungeschmälert zu erhalten. Die Präsenz britischer Soldaten am Rhein und in Berlin stärkt das Bündnis und festigt unsere politischen Beziehungen.
Der Besuch, den Premierministerin Thatcher im Anschluß an das Gipfeltreffen in Bonn Berlin abstattete, war ein überzeugender Ausdruck des Engagements, mit dem Großbritannien zusammen mit Frankreich und den Vereinigten Staaten Freiheit und Sicherheit unserer alten Hauptstadt verbürgt.
Die Bundesregierung ist Frau Thatcher für diese Geste der Freundschaft und der Verbundenheit mit allen Deutschen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhanges von Herzen dankbar.

3. Mein Besuch in Rom diente ebenso wie die Besuche in anderen europäischen Hauptstädten einer ersten Kontaktaufnahme mit einem wichtigen Partner in der Europäischen Gemeinschaft und in der Atlantischen Allianz. Meine Gespräche mit Präsident Pertini, mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Spadolini, mit zahlreichen alten Freunden der Democrazia Cristiana, aber auch mit Politikern aus anderen Parteien - so mit dem Sekretär der Sozialistischen Partei, Craxi, - haben mir erneut gezeigt, wie sehr wir in Fragen der europäischen Einigung wie auch in vitalen und existentiellen Fragen des Bündnisses gleichgerichtet denken und handeln. Das gilt insbesondere für die deutsch-italienische Initiative einer Europäischen Akte, von der wir uns neue Anstöße für die europäische Einigung versprechen. Wir werden daher im Rahmen unserer Möglichkeiten mit Nachdruck versuchen, diese deutsch-italienische Initiative unter der deutschen EG-Präsidentschaft nach dem 1. Januar 1983 voranzubringen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch sagen, wie sehr ich in einem Gespräch mit Papst Johannes Paul II. beeindruckt war von seinem leidenschaftlichen Bemühen um religiöse Freiheit und Menschenrechte, aber auch um das Gespräch mit Andersdenkenden.

Papst Johannes Paul II. hat in sehr herzlichen Worten die große Hilfsbereitschaft gewürdigt, die viele unserer Landsleute in Deutschland seinen Landsleuten in Polen gegenüber zum Ausdruck bringen. 4. Mit Genugtuung möchte ich schließlich auch den freundschaftlichen Verlauf meiner Gespräche mit dem luxemburgischen Ministerpräsidenten erwähnen. Mir war aus mehreren Gründen an dieser Begegnung besonders gelegen, zumal ich mich mit Ministerpräsident Werner und seinem sehr realistischen Engagement für die europäische Einigung seit vielen Jahren besonders verbunden weiß; weil ich auch persönlich aus meiner Zeit und Erfahrung als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz die Entwicklung Luxemburgs zu einer der Hochburgen europäischer Gesinnung erlebt habe.

Und nicht zuletzt - und das will ich besonders betonen - weil ich glaube, daß europäische Zusammenarbeit nur wirklich gelingen kann, die politische Einigung Europas nur möglich ist, wenn in der Zusammenarbeit Europas die größeren europäischen Länder den kleineren Teilnehmerstaaten der Gemeinschaft mit besonderem Respekt begegnen.

Quelle: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenogr. Berichte. Bd. 123. Plenarprotokoll 9/130. 25. November 1982, S. 8007f.