26. August 1987

Erklärung zu einem möglichen Abbau der Pershing-la-Raketen

 

Die Haltung der Bundesregierung zu den laufenden amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen in Genf ist seit langem bekannt.

Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie den Erfolg der INF-Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion wünscht. So habe ich in meiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag zu diesem Thema erklärt, die Bundesregierung werde alles in ihrer Kraft Stehende tun, um zu einem solchen Erfolg beizutragen:

Zu einem Erfolg, der erstmals in der Geschichte der Rüstungskontrolle dazu führen würde, Rüstungen abzubauen. Wie ich in meiner Regierungserklärung vom 18. März dieses Jahres ebenfalls ausgeführt habe, hat die Bundesregierung mit dem Abschluß eines INF-Abkommens stets die Erwartung verbunden, daß von einem solchen Erfolg „auch ein wichtiger Impuls für andere Verhandlungsbereiche ausgehen würde“.

Die Bundesregierung schreibt sich das Verdienst zu, vom Beginn der Diskussion an über nukleare Mittelstreckensysteme mit ihrer festen, berechenbaren und entschiedenen Haltung einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet zu haben, daß ein Verhandlungserfolg in Genf jetzt greifbar nahe erscheint.

Was die deutschen Raketensysteme P l a mit ihren Nuklearsprengköpfen, die ausschließlich unter amerikanischer Verfügungsgewalt stehen, betrifft, so waren diese nie Verhandlungsgegenstand in Genf und können dies auch nicht sein. Die Sowjetunion wußte von Anbeginn, daß in Genf ausschließlich über sowjetische und amerikanische bodengestützte Nuklearsysteme verhandelt wird.

Die sowjetische Forderung nach Einbeziehung der Pershing l a in die Genfer Verhandlungen ist somit unbegründet und stellt den Versuch dar, ein künstliches Hindernis für den Abschluß eines INF-Abkommens zu errichten. 

Die Haltung der Regierungskoalition ist in dem Regierungsbeschluß vom 1. Juni 1987 sowie in der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 3. Juni dieses Jahres bestätigt worden. Sie entspricht der unzweideutigen Verhandlungsposition der USA in Genf, die von allen Partnern des Atlantischen Bündnisses mitgetragen wird und zuletzt auf der Frühjahrstagung der NATO-Außenminister im Juni in Reykjavik bekräftigt worden ist. 

Die Bundesregierung ist weiterhin entschlossen, konstruktiv zur weltweiten Beseitigung aller nuklearen Mittelstreckensysteme zwischen 500 und 5 500 km Reichweite beizutragen. 

Die Genfer INF-Verhandlungen sind jetzt in ein entscheidendes Stadium eingetreten. Es ist für mich deshalb selbstverständlich, daß die Bundesrepublik alles tun muß, um zu einem Durchbruch in den Verhandlungen beizutragen. Ich will dem amerikanischen Präsidenten helfen, die Genfer Verhandlungen erfolgreich abzuschließen. 
- Wenn in Genf zwischen den USA und der Sowjetunion eine Einigung über die weltweite Beseitigung aller Mittelstreckenflugkörper erreicht wird, 

- wenn insbesondere die noch offenen Verifikationsfragen in einer für alle Betroffenen befriedigenden Weise gelöst werden, 
- wenn dieses INF-Abkommen zwischen den Vertragsparteien ratifiziert und in Kraft getreten ist, und 
- wenn schließlich die Vertragsparteien den vereinbarten Zeitplan für die Beseitigung ihrer Waffensysteme einhalten: 

Für diesen Fall bin ich bereit, schon heute zu erklären, daß mit der endgültigen Beseitigung aller sowjetischen und amerikanischen Mittelstreckenflugkörper die Pershing-la-Raketen nicht modernisiert, sondern abgebaut werden. 

In diesem Zusammenhang fordere ich die Sowjetunion und ihre Partner auf, ihrerseits auf die laufende Modernisierung von Raketen mit einer Reichweite unterhalb von 500 km zu verzichten. Wir erwarten in besonderer Weise die Unterstützung Polens, der DDR und der Tschechoslowakei, die sich gerade in den letzten Wochen über die P l a besorgt geäußert haben, daß sie nun auch unsere Besorgnisse im Hinblick auf die bei ihnen stationierten SCUD-B-Raketen, die vor allem das Territorium der Bundesrepublik Deutschland bedrohen, ernst nehmen und diese Bedrohung abbauen. 

Ich erwarte deshalb von der Sowjetunion und ihren Partnern, daß sie auf unsere heutige Initiative eine konstruktive Antwort geben.

In diesem Zusammenhang dränge ich erneut nachdrücklich auf Verhandlungen über die nuklearen Kurzstreckensysteme in Europa. Das bestehende Ungleichgewicht bei den Systemen im Reichweitenband 0 bis 500 km ist für uns schwer erträglich. Wie ich bereits am 4. Juni ausgeführt habe, wollen und können wir einen solchen Zustand nicht auf Dauer hinnehmen. 

Die Bundesregierung erwartet weiterhin ernsthafte Bemühungen der Großmächte, ihre grundsätzliche Einigung über eine 50prozentige Reduzierung ihrer strategischen Arsenale in die Praxis umzusetzen. Unser Land wird auch von diesen strategischen Systemen der Sowjetunion in erheblichem Maße weiterhin bedroht. 

Außerdem appelliert die Bundesregierung an alle Verhandlungspartner der Abrüstungskonferenz in Genf, die Anstrengungen für eine Konvention zum weltweiten Verbot chemischer Waffen fortzusetzen. 

Nur wenn die Abrüstungsschritte im Bereich der Mittelstreckenflugkörper in einen solchen Gesamtzusammenhang von Abrüstung und Rüstungskontrolle gestellt werden, wird unsere Sicherheit wirklich erhöht und der Frieden gefestigt. 

Ebenso unverzichtbar ist die Herstellung eines nachprüfbaren, umfassenden und stabilen Kräfteverhältnisses konventioneller Streitkräfte auf niedrigerem Niveau in ganz Europa.

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. Nr. 80. 27. August 1987, S. 682.