26. Oktober 1998

Ansprache von Bundespräsident Roman Herzog zur Verabschiedung von Bundeskanzler Helmut Kohl und der Mitglieder seines Kabinetts in der Villa Hammerschmidt in Bonn

 

Herr Bundeskanzler,

 

heute geht nach sechzehn Jahren ein entscheidender Abschnitt in der Geschichte Deutschlands zu Ende. Sie haben mit Ihrem ganz persönlichen Stil eine politische Ära geprägt.

 

Sie hinterlassen ein bestelltes Haus, und deswegen kann das auch für Sie ein Tag ohne jede Bitterkeit sein. Die neue politische Ordnung am Ende dieses Jahrhunderts trägt Ihre Handschrift. Die Menschen nennen Sie schon jetzt den Kanzler der Deutschen Einheit und der Europäischen Einigung.

 

Daß Deutschland heute erstmals in seiner Geschichte mit allen seinen Nachbarn in Frieden, Freiheit und Freundschaft lebt, ist auch Ihr großes und bleibendes Verdienst. Sie sagten vor ein paar Tagen in Polen: "Die Visionäre sind die wahren Realisten." Damit haben Sie eigentlich sich selbst beschrieben. Was Konrad Adenauer mit der Westintegration

 

der Bundesrepublik begann, vollendeten Sie mit der Öffnung Deutschlands und Europas nach Osten. Ihre ganz persönlichen Brückenschläge nach Rußland, nach Frankreich oder über den Atlantik erwiesen sich immer wieder als tragfähige Fundamente handfester Politik. Sie sind ein Staatsmann, der Entscheidendes dafür getan hat, daß wir heute auf einem Kontinent fast ohne innere Grenzen leben, auf dem eine gemeinsame Währung schon bald selbstverständlich sein wird.

 

Das historische Projekt der deutschen Wiedervereinigung war für Sie niemals nur eine Sache politischer Rationalität, sondern eine wahre Herzensangelegenheit. Ich möchte an dieser Stelle nicht alle politischen Wegmarken aufzählen, die Sie und Ihre Regierung im Prozeß der Deutschen Einheit erfolgreich gesetzt haben. Ich möchte auch keinesfalls die Probleme verschweigen, die sich auf diesem Weg fast zwangsläufig ergeben haben. Nur soviel sage ich: Was wir heute erreicht haben, konnte sich vor zehn Jahren niemand auch nur annähernd erträumen.

 

Auch wenn unsere Verfassung dem Bundeskanzler eine besondere Stellung einräumt: Die Leistung einer Bundesregierung ist immer das Ergebnis einer Teamarbeit. Deshalb möchte ich meinen Dank dem Kabinett insgesamt aussprechen. Es ist eine Koalition aus drei Parteien, die eigenständige, oft auch eigenwillige Partner waren. Koalitionen sind bekanntlich entweder von einem fruchtbaren Miteinander bestimmt oder von einem furchtbaren Gegeneinander. Mir scheint, daß die an dieser Koalition Beteiligten gerade aus ihrer Eigenständigkeit heraus immer wieder die Kraft für das gemeinsame Ganze geschöpft haben. Das Ergebnis dieser Anstrengung war eine historisch lange und auch sehr erfolgreiche Regierungszeit.

 

Ich kann und will in dieser Stunde nicht die Leistungen der einzelnen Kabinettsmitglieder würdigen. Das überlasse ich den Zeithistorikern. Aber lassen Sie mich Ihnen, Herr Kinkel, als Vizekanzler, Außenminister und Vertreter einer der Koalitionsparteien für Ihren rastlosen Einsatz überall auf dem Erdball besonders danken. Ihnen, Herr Waigel, danke ich ebenfalls ganz besonders. Viele Erfolge - auch die Dauer und Stabilität dieser Regierung - sind auch Ihrem persönlichen Einsatz zu verdanken. Sie haben diesem Land mit großer und oft aufopfernder Leidenschaft gedient. Ihnen, Herr Blüm, gebührt schließlich Dank für den längsten Weg, den ein Minister in dieser Regierung mitgegangen ist - vor allem aber dafür, daß Sie sich mit Ihrem Namen unauslöschlich in das Buch der Geschichte des Sozialstaates eingeschrieben haben.

 

Viele Mitglieder Ihres Kabinetts, Herr Bundeskanzler, waren jeweils im Kreis ihrer europäischen Kollegen die dienstältesten. Das spricht für eine Qualität, die in der Demokratie ein Hauptgrund für Kontinuität ist.

 

Ich danke nochmals Ihnen allen für die geleistete Arbeit. Ich danke Ihnen, Herr Bundeskanzler, auch für unsere ganz persönliche Zusammenarbeit und Freundschaft.

 

 

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 70. 28. Oktober 1998.