[...] Diese Veranstaltung findet statt zu einem Zeitpunkt, an dem viele Menschen in unserem Land, aber auch viele Menschen in der Welt den Atem anhalten, weil sie ganz unmittelbar den Atem der Geschichte spüren.
In diesen Tagen sind wir Zeugen dramatischer Ereignisse in der Sowjetunion. Am 21. August haben die Bürger dort einen großen Sieg für Demokratie, für Freiheit und Recht errungen. Ihr entschlossener Widerstand ließ die Putschisten kläglich scheitern. Ich bin sicher, dass der Sieg der demokratischen Idee in der Sowjetunion schon bald in den Geschichtsbüchern als „August-Revolution" eingehen wird. [...]
Es war ein bewegender Augenblick, am 22. August im Fernsehen die Rückkehr von Michail Gorbatschow nach Moskau mitzuerleben. Sie werden verstehen, wenn ich anfüge: Für mich persönlich war es eine große Freude, den Mann wieder wohlbehalten zu erleben, ohne dessen Mut und entschiedenes Eintreten die deutsche Einheit nicht möglich gewesen wäre.
Der Sieg der Demokratie hat die Völker der Sowjetunion vor Schlimmem bewahrt. Jetzt ist die Chance größer, dass die notwendigen Reformen tatsächlich verwirklicht werden. [...] Mancher in den Ländern des freien Westens muss sich heute fragen, ob die Reformen genügend unterstützt wurden. Natürlich müssen die zentralen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen in der Sowjetunion selbst fallen. Und niemand kann dies dem Volk und den Verantwortlichen abnehmen.
Unbestritten ist, dass die Menschen auf ihrem Weg zu Demokratie und Freiheit Hilfe brauchen. Das kann nur Hilfe zur Selbsthilfe sein. Wir wollen dazu unseren Beitrag leisten. Doch ist dies nicht nur die Aufgabe der Deutschen. Es sind jetzt viele - diesseits und jenseits des Atlantik - gefordert, bei der Stärkung der Reformkräfte mitzuhelfen. [...]
Wir wollen gemeinsam auf demokratische und stabile Verhältnisse in allen Reformstaaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas hinwirken, denn beides sind unerlässliche Grundlagen einer neuen Friedensordnung in Europa. Eine solche Strategie hat dann größte Aussicht auf Erfolg, wenn wir
eine neue umfassende Wirtschaftspartnerschaft anstreben,
unsere Märkte für diese Staaten weiter öffnen
sowie unseren Östlichen und südöstlichen Nachbarstaaten intensiv helfen, eine marktwirtschaftliche Ordnung zu verwirklichen.
II
Die Erfolgsgeschichte der Wirtschaftsentwicklung im Westen Deutschlands nach 1948 ist immer auch die Erfolgsgeschichte der D-Mark und damit der deutschen Notenbankpolitik. Zunächst bis 1958 die Bank Deutscher Länder und dann die Deutsche Bundesbank haben entscheidenden Anteil am Aufstieg der D-Mark „vom Besatzungskind zum Weltstar", wie es einmal formuliert worden ist.
An der Spitze der Zentralbank standen Präsidenten, die zu diesem Erfolg maßgeblich beigetragen haben: Wilhelm Vocke, Karl Blessing, Karl Klasen, Otmar Emminger und seit 1980 bis zum Ende letzten Monats Sie, lieber Herr Pohl. Jeder von ihnen hat die jeweiligen geld- und stabilitätspolitischen Herausforderungen in hervorragender Weise gemeistert.
Zu herausragenden Stationen deutscher Währungspolitik zählt das stufenweise Erreichen der Konvertibilität der D-Mark in den fünfziger Jahren unter den Präsidenten Wilhelm Vocke und Karl Blessing. In die Präsidentschaft von Karl Klasen fiel der Übergang zu flexiblen Wechselkursen nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1973. Mit der Amtszeit von Otmar Emminger verbinden sich besondere Verdienste um den Rückgewinn der Geldwertstabilität und die Anfänge des Europäischen Währungssystems.
Dieses hat sich in der Folgezeit gerade auch durch die Politik der Deutschen Bundesbank unter der Leitung von Karl-Otto Pohl bewährt. Dass die D-Mark nach über 43 Jahren national wie international einen ausgezeichneten Ruf genießt, ist nicht zuletzt Verdienst ihrer bisherigen Präsidenten, der Mitglieder des Zentralbankrats und aller Mitarbeiter der Deutschen Bundesbank. Heute gilt es aber vor allen Ihnen, lieber Herr Pohl, zu danken für den Dienst an unserem Land. Sie haben dieses Amt in ganz unverwechselbarer Art geführt - sachkundig, seriös und mit einem Sinn für die moderne Welt. Ich habe Ihnen auch ganz persönlich für die jetzt über acht Jahre einer guten und engen Zusammenarbeit zu danken.
Die erheblichen Wohlstandssteigerungen der letzten Jahrzehnte im Westen Deutschlands sind auch und gerade ein Ergebnis der beachtlichen Preisstabilität sowie des hohen Vertrauens in die D-Mark und in die Politik der Deutschen Bundesbank.
Häufig ist die erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland in den fünfziger Jahren als „Wirtschaftswunder" bezeichnet worden. Wir wissen aber alle, dass dies keinesfalls ein „Wunder" war. Es war vielmehr das Ergebnis eines großen konzeptionellen Wurfs, mit dem Ludwig Erhard die Soziale Marktwirtschaft durchgesetzt hat. Auf dieser Grundlage ist durch die harte Arbeit von Millionen Menschen unser heutiger Wohlstand entstanden.
Als Notenbankpräsident haben Sie, Herr Pohl, früher und vielleicht auch stärker als andere gespürt, dass der Spielraum für nationale Währungs-, Wirtschafts- und Finanzpolitik auch in einer Welt offener Märkte und flexibler Wechselkurse begrenzt ist. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund haben Sie zusammen mit Professor Schlesinger immer wieder für eine engere währungspolitische Zusammenarbeit der großen Industrieländer geworben - zunächst im Kreis der fünf und später der sieben größten Industrieländer.
Inzwischen ist auch international weithin unbestritten: Die Notenbankverfassung gehört zu den zentralen gestalterischen Prinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Nirgendwo wird uns dies klarer vor Augen geführt als beim Übergang der Reformländer Mittel-, Ost- und Südosteuropas von der Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft. Diese Länder erkennen zunehmend die Bedeutung einer stabilen und international verwendbaren Währung für ihre wirtschaftliche Gesundung. Auf ihrem schwierigen Reformweg verfolgen sie einen entschiedenen Kurs hin zur Sozialen Marktwirtschaft.
Dabei kommt leistungsfähigen Wirtschaftsstrukturen herausragende Bedeutung zu. Im Bereich der Geldpolitik dient die Deutsche Bundesbank häufig als Vorbild. Das belegt einmal mehr ihr hohes internationales Ansehen. Umgekehrt unterstützt die Bundesbank mit ihrer Erfahrung den Aufbau von Zentralbanken in diesen Ländern.
Richtig ist und bleibt, dass marktwirtschaftliche Reformen nur bei gesunden Währungsverhältnissen gelingen können. Schon in der Begründung zum Bundesbankgesetz von 1957 steht deshalb, dass „die Sicherheit der Währung die oberste Voraussetzung für die Aufrechterhaltung einer Marktwirtschaft und damit letzten Endes einer freiheitlichen Verfassung der Gesellschaft und des Staates ist".
Diese Philosophie prägt den gesetzlichen Auftrag und bestimmt den konkreten Handlungsrahmen für die Geldpolitik der Bundesbank. Die gesetzlich verankerte Unabhängigkeit der Bundesbank hat sich in hervorragender Weise bewährt. Sie ist aber - wie der Blick in andere Länder zeigt - bis heute keineswegs überall selbstverständlich. In der gesetzlich garantierten Unabhängigkeit beweist sich der Weitblick der Verfasser des Bundesbankgesetzes ebenso wie in der Regelung des Vorrangs der Geldwertsicherung. Gerade im gesetzlichen Stabilitätsauftrag drückt sich der feste Wille aus, Konsequenzen aus den verheerenden Wirkungen von zwei Inflationen in Deutschland mit ihren katastrophalen politischen Folgen zu ziehen. Bis heute sind diese schmerzlichen Inflationserfahrungen - die von Politikern und Wahrungshütern zu Recht als traumatisch charakterisiert werden - tief im Bewusstsein der Deutschen verwurzelt.
Institutionelle Vorkehrungen sind gewiss von großer Bedeutung. Aber sie allein reichen nicht aus, um den Stabilitätsauftrag mit Leben zu erfüllen. Es kommt immer auch auf die handelnden Personen an. Anlässlich Ihrer Amtseinführung haben Sie, Herr Präsident Pohl, am 20. Dezember 1979 gesagt: „Die Bundesbank ist - neben ihrem Hauptauftrag, die Geldwertstabilität zu wahren - auch zur Unterstützung der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung verpflichtet. Dieser Teil unseres gesetzlichen Auftrages wird uns wesentlich erleichtert, wenn Regierung und Notenbank am gleichen Strang ziehen."
Damals vertraten manche die Meinung, etwas mehr Inflation sei ein geeignetes Mittel zur Stärkung der Beschäftigung. Dies ist in der Folgezeit mehr als schmerzhaft widerlegt worden. Seit dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung im Herbst 1982 haben wir mit der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft, mit einem klaren Kurs solider Staatsfinanzen und mit der Entschlossenheit, die Bundesbank in ihren Bemühungen um Geldwertstabilität zu unterstützen, unser Land in eine lange Phase stabilen Wachstums geführt.
Gerade die Übereinstimmung in den wirtschaftspolitischen Grundfragen hat das natürliche Spannungsverhältnis zwischen Bundesbank und Bundesregierung jedenfalls seit meinem Amtsantritt nie zu einem Problem werden lassen. Mein herzlicher Wunsch ist, Herr Präsident Schlesinger, dass dies auch für die Zukunft so bleibt - auch und gerade im vereinten Deutschland und in einem zusammenwachsenden Europa.
Seit bald 14 Monaten ist die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in Deutschland vollzogen. Als Anfang 1990 der Entschluss fiel, der damaligen DDR Verhandlungen über eine Währungsunion mit der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, kamen täglich bis zu 2000 Übersiedler von Ost nach West. Vielen hunderttausend Menschen schien die Lage in der DDR aussichtslos.
Heute wird allgemein anerkannt, dass das Angebot einer Währungsunion in dieser Situation absolut notwendig war. Es galt, den Menschen in der DDR nach dem Wegfall von Mauer und Stacheldraht eine klare Perspektive zum Bleiben in ihrer eigenen Heimat zu eröffnen. [...] Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 war der erste entscheidende Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit. Die enge Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesbank hat damals eine reibungslose Währungsumstellung möglich gemacht.
Dafür möchte ich der Bundesbank - vor allem ihrem damaligen Präsidenten Pohl, ihrem heutigen Präsidenten Professor Schlesinger und ihrem heutigen Vizepräsidenten Dr. Tietmeyer, Herrn Gaddum und all ihren Mitarbeitern - ausdrücklich danken. Sie haben sich hierbei große Verdienste erworben. Der von manchen befürchtete Inflationsschub im Zusammenhang mit der Einführung der D-Mark in den neuen Bundesländern ist ausgeblieben.
Von Anfang an war klar: Angesichts der historisch einmaligen Aufgabe war mit schwierigen Übergangsproblemen bei der Umstellung der maroden Staatswirtschaft auf die Soziale Marktwirtschaft zu rechnen. Und es war ebenso klar, dass dieser Übergang nur mit massiven privaten und staatlichen Finanzmitteln zu bewältigen sein würde. Sie alle kennen die Verhältnisse, die wir vorgefunden haben: Ich nenne nur den desolaten Zustand der Infrastruktur, die bedrückende Situation von Natur und Umwelt und die über Jahrzehnte vernachlässigte Bausubstanz.
Wir werden auch weiterhin unseren solidarischen Beitrag zum gemeinsamen Wiederaufbau in den neuen Bundesländern leisten, damit es möglichst bald annähernd gleiche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland geben kann. Dies heißt zugleich: Wir müssen und werden sowohl den Anforderungen in den neuen Bundesländern gerecht werden als auch unsere Politik solider Haushaltsführung konsequent fortsetzen.
Wir sind heute gut darauf vorbereitet. Denn seit ihrem Amtsantritt 1982 hat die Bundesregierung - als sie nicht ahnen konnte, dass wir 1989/90 diese Chance bekommen würden - in der Haushaltspolitik einen strikten Sparkurs gesteuert. Die jährliche Neuverschuldung des Bundes wurde zwischen 1982 und 1989 von 37 Mrd. DM auf 19 Mrd. DM gesenkt, das heißt etwa halbiert. Zugleich konnten wir die Steuern für Bürger und Wirtschaft zwischen 1986 und 1990 um rund 50 Mrd. DM senken. Ohne diese politischen Voraussetzungen könnten wir die heutige Herausforderung nicht leisten. Heute bringen wir erhebliche Beträge für den Wiederaufbau in den neuen Bundesländern auf. 1992 sind es allein über 100 Mrd. DM. Dies hat zu einem sprunghaften Anstieg der Neuverschuldung des Bundes geführt.
Um so deutlicher unterstreiche ich auch hier: Diese höhere staatliche Neuverschuldung ist jetzt unvermeidlich und mit keiner früheren Phase der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung unseres Landes vergleichbar. Zeitlich eng befristet ist sie in dieser Ausnahmesituation verkraftbar.
Die OECD stellt in ihrem neuesten Deutschlandbericht fest, „dass die Bundesrepublik in einer bemerkenswert kurzen Zeitspanne ein beachtliches Volumen an finanziellen und menschlichen Ressourcen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Integration der beiden Teile Deutschlands mobilisiert hat". Und sie fügt hinzu: „Dieser Prozess vollzog sich ohne Gefährdung für die gesamtwirtschaftliche Stabilität in Westdeutschland." Aber klar ist ebenso - auch das schreibt die OECD zu Recht -, dass eine Neuverschuldung in der Höhe dieses Jahres selbst bei der derzeitigen außergewöhnlichen Aufgabe des Aufbaus in der ehemaligen DDR auf Dauer nicht akzeptabel ist. Dies findet meine volle Unterstützung.
Das Vertrauen in die Solidität der Finanzpolitik ist eine Voraussetzung für jede kluge Politik. Dieses Vertrauen kommt Bürgern und Unternehmen zugute. Es ist selbstverständlich, dass dies auch in Zukunft die Linie dieser Bundesregierung bleiben wird. Mit einer Politik sparsamer Haushaltsführung sowie dem Abbau von Steuervergünstigungen und Finanzhilfen werden wir die Neuverschuldung des Bundes bis 1995 wieder halbieren.
Um den Kapitalmarkt nicht zu überfordern, müssen auch die Länder und Gemeinden ihrerseits eine sparsame Ausgabenpolitik verfolgen. Hier habe ich den Eindruck, dass durchaus noch Handlungsbedarf besteht. Nur mit wirklich gemeinsamen finanz- und haushaltspolitischen Anstrengungen können wir die Solidität der gesamten Staatsfinanzen auf Dauer gewährleisten.
Wenn wir damit Zukunft sichern, gehört zu dieser Zukunft auch die Verbesserung des Standorts Deutschland - für Investoren, für Kapitalanleger aus dem In- und aus dem Ausland. Ich gehöre nicht zu denen, die bei jeder Gelegenheit über den Standort Deutschland jammern, zumal viele von diesen Behauptungen unzutreffend sind. Es bleibt für uns die Frage, inwieweit wir im Blick auf den Standort Deutschland uns zuviel mit der Gegenwart, ja sogar mit der Vergangenheit beschäftigen und im Moment zu wenig mit den zukünftigen Entwicklungen. Ich will keinesfalls die japanische Herausforderung beschwören. Doch wir müssen uns auch damit beschäftigen, wie das ökonomische Bild Deutschlands, seine Attraktivität am Ende der neunziger Jahre, am Ende des ersten Jahrzehnts des kommenden Jahrhunderts aussehen wird.
Deswegen müssen wir jetzt und immer wieder rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen treffen. Ich nenne etwa die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils zur Besteuerung von Zinseinkommen. Wir werden hierüber sehr bald entscheiden. Maßstab dabei muss in diesem Zusammenhang sein, das Vertrauen in den deutschen Kapitalmarkt zu festigen und Deutschland als lohnenden Platz für in- und ausländische Kapitalgeber auszubauen. [...]
Auf dem Londoner Wirtschaftsgipfel habe ich volles Verständnis dafür gefunden, dass Deutschland jetzt vor allem die Investitionen für die deutsche Einheit finanzieren will und muss. Und alle waren mit mir der Auffassung, dass Investitionen in den neuen Bundesländern Investitionen in die Zukunft sind.
Schon heute sind die positiven Wirkungen dieser Investitionen spürbar:
Rund 3000 Betriebe konnten bisher privatisiert werden.
Die Baukonjunktur ist angesprungen.
Dienstleistungsbetriebe, Handwerk und Mittelstand berichten über eine zunehmend positive Geschäftsentwicklung.
Bei der Infrastruktur sind erste Verbesserungen deutlich spürbar, vor allem bei Telefon und Telekommunikation.
Natürlich haben wir noch viele Sorgen, auch das will ich klar aussprechen. Es ist eine ungeheure Aufgabe, eine marode Kommandowirtschaft auf die Soziale Marktwirtschaft umzustellen. Aber ich bleibe dabei, dass wir die Ökonomischen Fragen -je nach Standort - in drei, vier, fünf Jahren weitgehend in Ordnung bringen können. Meine viel größere Sorge ist, ob wir alle die Geduld aufbringen, aufeinander zuzugehen. Wir müssen gerade im Westen unseres Landes begreifen, was es heißt, vierzig Jahre in einem völlig anderen, in einem kommunistischen System gelebt zu haben. Hier haben wir noch einen gewissen Nachholbedarf.
Mit der Unternehmenssteuerreform wollen wir den Standort Deutschland noch attraktiver machen. Die Unternehmenssteuerreform steht in engem Bezug zu der Vollendung des europäischen Binnenmarktes Ende des kommenden Jahres. Gerade im Hinblick auf Arbeitsplätze und Investitionen in Deutschland muss es im Interesse aller liegen, die Attraktivität unseres Landes als Standort für Unternehmen und Betriebe weiter zu verbessern.
In den kommenden Jahren stehen auf der europäischen Ebene weitere fundamentale Weichenstellungen für die Zukunft an. Im Dezember wird auf dem Gipfel in Maastricht der Abschluss der beiden Regierungskonferenzen zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur Politischen Union geprüft. Wir haben bereits sichtbare Fortschritte gemacht.
Es ist sicherlich auch Verdienst der Bundesbank und von Ihnen persönlich, Herr Präsident Pohl, dass auf dem Gebiet der währungspolitischen Integration die deutschen Positionen heute in so weitgehendem Maße bei unseren europäischen Partnern Anerkennung finden. Es ist bemerkenswert, in welch kurzer Zeit es gelungen ist, sich auf so zentrale Prinzipien wie Unabhängigkeit einer künftigen europäischen Zentralbank und Vorrang der Geldwertstabilität zu verständigen.
Von Anfang an hat die Bundesregierung - im Einklang mit der Bundesbank - klar formuliert, welche Elemente einer Wirtschaftsund Währungsunion für sie unverzichtbar sind. Dies wird auch bei den weiteren Verhandlungen über die nächsten Schritte zur Wirtschaftsund Währungsunion so sein. Ich nenne nur die Notwendigkeit verbindlicher Regeln für die Haushaltspolitik aller Mitgliedstaaten, die Unteilbarkeit der Geldpolitik sowie klare Konvergenzkriterien für die nationalen Wirtschaftspolitiken.
Zu unseren unverzichtbaren Grundpositionen gehört auch die Forderung, dass die beiden Regierungskonferenzen über die Wirtschafts- und Währungsunion wie über die Politische Union eine untrennbare Einheit bilden. Gerade die Ereignisse des vergangenen und dieses Jahres haben mehr als deutlich gezeigt: Wir brauchen beides, die deutsche Einheit und die europäische Einigung.
Die vor uns liegenden Herausforderungen belegen: Unser Land -und ebenso die Deutsche Bundesbank - steht auch in den kommenden Jahren vor großen Aufgaben. Ich meine aber, gemeinsam sind wir dafür gut gerüstet.
Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung Nr. 91 (30. August 1991).