28. August 1996

Rede anlässlich des Empfangs zum 65. Geburtstag des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Tietmeyer, im Gästehaus der Deutschen Bundesbank in Frankfurt am Main

 

Sehr verehrte Frau Tietmeyer, lieber Herr Tietmeyer,
lieber Herr Gaddum, Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren und vor allem:
sehr geehrte Freunde und Gäste aus dem Ausland,

das ist Ihre Stunde, Herr Tietmeyer. Es ist mir eine besondere Freude, Ihnen in diesem Gästekreis anläßlich des heutigen Geburtstagsempfangs auch im Namen der Bundesregierung die herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem 65. Geburtstag zu überbringen. Ich möchte Ihnen darüber hinaus einige persönliche Worte der herzlichen Gratulation sagen. Sie waren in all den Jahren, die wir uns kennen, für mich stets ein kompetenter Ratgeber und zuverlässiger Wegbegleiter. Meine Glückwünsche sind daher zugleich Worte des Dankes.

Wer Sie kennt, verbindet mit dem Namen Hans Tietmeyer eine Persönlichkeit, die durch ihre Lebenserfahrungen und von persönlichen Einstellungen, aber auch durch ständige Begegnung mit den unterschiedlichsten Menschen in der ganzen Welt geprägt ist. Wie auch ich gehören Sie der Generation unseres Landes an, die die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und die Aufbauphase nach Ende des Krieges in Deutschland in jungen Jahren miterlebt hat. Das westfälische Elternhaus, die dörfliche Gemeinschaft, in der Sie aufgewachsen sind, wie auch der Besuch des Gymnasiums Paulinum in Münster haben Sie maßgeblich geprägt. Ich habe Sie als heimat- und familienverbundenen Menschen schätzengelernt. Dabei sind Heimat und Familie durchaus keine altmodischen Begriffe. Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit stehen für mich auch nicht im Gegensatz zu Verständnis und Offenheit für andere Länder und Menschen. Dafür sind gerade Sie, lieber Herr Tietmeyer, mit Ihrem weltweiten Engagement und dem Respekt, der Ihnen international entgegengebracht wird, bestes Beispiel.

Studiert haben Sie an den Universitäten in Münster, Bonn und Köln. Die Diplomarbeit als Abschluß Ihres volkswirtschaftlichen Studiums haben Sie bei Ludwig Erhards Weggefährten Alfred Müller-Armack geschrieben. Sie befaßte sich mit einem Vergleich der Ordnungsvorstellungen der Neo-Liberalen und der katholischen Soziallehre. Ihre berufliche Karriere haben Sie unter Ludwig Erhard selbst, dem Vater der Sozialen Marktwirtschaft, im Bundesministerium für Wirtschaft begonnen. Seinen 100. Geburtstag werden wir im nächsten Jahr feiern. Im Bundesministerium für Wirtschaft haben Sie schließlich die Leitung der wirtschaftspolitischen Abteilung übernommen. In dieser Position gewannen Sie überall Ansehen und Anerkennung.

Später - während Ihrer Amtszeit als Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen - haben Sie mich bei vielen Wirtschaftsgipfeln engagiert als Wegbereiter und Berater, als sogenannte "Sherpa", unterstützt. Dabei drückt der Begriff "Sherpa", also Lastenträger, nur unzureichend aus, welch wichtige Rolle Sie gespielt haben. In dieser Zeit haben wir gemeinsam viele tausend Kilometer zurückgelegt, unzählige internationale Veranstaltungen besucht und viele Tage und Nächte zusammengesessen. Die Teilnehmer der Gipfel wurden von Ihnen oft kritisch beobachtet, und ich kann mich gut daran erinnern, wie Sie stets die Nase gerümpft haben, wenn ein Regierungschef einmal seine Papiere nicht gelesen hatte. Sie haben immer zuverlässige Ratschläge gegeben, aber auch den einen oder anderen wichtigen Hinweis "zwischen den Zeilen", wie zum Beispiel: "Das Finanzministerium ist hier anderer Meinung als das Wirtschaftsministerium." So war Ihre Arbeit während aller Gespräche und Verhandlungen hilfreiche Unterstützung. In dieser Zeit haben wir über viele Jahre hinweg eng und gut zusammengearbeitet, lieber Herr Tietmeyer. Dafür danke ich Ihnen ganz besonders.

1990 habe ich Sie als persönlichen Beauftragten für die Verhandlungen mit der DDR über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion berufen. Sie haben durch diese Tätigkeit auf einem zentralen Gebiet die deutsche Einheit mitgestaltet - und das nicht nur als Währungsexperte, sondern auch mit Begeisterung für die Wiedervereinigung unseres Landes. Die D-Mark war für die Menschen in der früheren DDR ein greifbares Symbol für Freiheit, Wohlstand und soziale Sicherheit. Nicht zuletzt haben die Attraktivität der stabilen D-Mark und ihre rasche Einführung in der ehemaligen DDR den Prozeß der Wiedervereinigung beschleunigt.

Damals riefen die Menschen in Leipzig und vielen anderen Städten Ostdeutschlands: "Kommt die D-Mark, bleiben wir - kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr." Ihrer Arbeit, Herr Tietmeyer, ist wesentlich mit zu verdanken, daß die rasche Umstellung von der Ost-Mark zur D-Mark gelang. Damit war letztlich auch die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft und eines freiheitlichen Rechts- und Verwaltungssystems in Ostdeutschland verbunden.

Während Ihrer beruflichen Tätigkeit waren Sie vor allem stets überzeugter und überzeugender Vertreter unserer freiheitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Sie sind für die Soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards eingetreten, das heißt für Wettbewerb und für sozialen Ausgleich. Wer Sie kennt, weiß, daß Ihre ordnungspolitische Grundsatztreue auf festen Wertvorstellungen gründet. Des öfteren haben Sie sich zu ökonomischen Fragen auch aus Sicht der katholischen Soziallehre geäußert. Deshalb war es auch kein Zufall, daß Sie Papst Johannes Paul II. vor zwei Jahren als Mitglied der "Akademie der Sozialwissenschaften" berufen hat.

Heute, lieber Herr Tietmeyer, stehen Sie - bereits seit nahezu drei Jahren - der Deutschen Bundesbank als Präsident vor. Wie Ihre Vorgänger garantieren Sie zusammen mit Ihren Kollegen den Stabilitätskurs der Bundesbank. Durch den Stabilitätskurs, den die Deutsche Bundesbank dank ihrer Unabhängigkeit konsequent verfolgen kann, wird unsere Währung nach innen gesichert und das internationale Vertrauen in unsere Währung und unser Land gestärkt. Gemeinsam mit dem Gremium der Deutschen Bundesbank, sind Sie, Herr Tietmeyer, deshalb auch glaubwürdiger Garant dafür, daß die künftige gemeinsame europäische Währung genauso stabil sein wird wie die D-Mark.

Stabilitätsbewußtsein - das möchte ich auch einmal in Anwesenheit zahlreicher ausländischer Gäste sagen - ist in Deutschland keine bloße Hysterie. Die Erfahrungen, die unser Land mit zwei großen Inflationen gemacht hat, sind tief im Bewußtsein unseres Volkes verankert. Damals, als die D-Mark 1948 eingeführt wurde, hatte noch niemand damit gerechnet, daß sie einmal zu einer der wichtigsten und stabilsten Währungen der Welt würde.

Meine Damen und Herren, auch die europäische Wirtschafts- und Währungsunion wird nur als Stabilitätsgemeinschaft das Licht der Welt erblicken und dies auch dauerhaft bleiben. Diese Aufgabe stellt sich uns nicht nur aus politischen Gründen. Wir müssen sie schon allein deshalb erfolgreich bewältigen, weil die Menschen unseres Landes und in Europa uns dabei großes Vertrauen entgegenbringen. Bei Ihnen, lieber Herr Tietmeyer, ist die Aufgabe der Gestaltung und Verwirklichung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion in guten Händen. Das weiß ich. Ich setze auch weiterhin auf Ihren Rat und Ihre Mithilfe.

Lieber Herr Tietmeyer, Sie haben die deutsche, europäische und internationale Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik maßgeblich mitgestaltet. Dies haben Sie stets als Ihre Pflicht angesehen und zu Ihrer Lebensaufgabe gemacht. Wesentlichen Anteil an Ihrem erfolgreichen beruflichen Wirken hat insbesondere auch Ihre Gattin. Liebe Frau Tietmeyer, auch Ihnen spreche ich heute deshalb meinen ganz besonderen Dank aus.

Meine Damen und Herren, es ist mir nun eine besonders große Freude, Herrn Prof. Dr. Tietmeyer im Namen des Herrn Bundespräsidenten das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu überreichen. Die Urkunde hat den Text:

"In Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste verleihe ich dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Tietmeyer, das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland." Meinen herzlichsten Glückwunsch und Gottes Segen für die Zukunft.

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 69. 10. September 1996.