28. September 1983

Rede vor dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger in Bonn

 

Zu Ihrer Jahreshauptversammlung darf ich Ihnen die herzlichen Grüße der Bundesregierung und unsere guten Wünsche übermitteln. Für mich ist dieser Besuch bei Ihnen, den deutschen Zeitungsverlegern, auch ein persönliches Bekenntnis zu der freien Presse in unserem Lande.

Als Verleger sind Sie Unternehmer, aber Sie sind sehr viel mehr als das. Ihre - auch wirtschaftliche - Unabhängigkeit ist Voraussetzung für die freie Berichterstattung. Gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern tragen Sie eine hohe Verantwortung für die Herstellung von Öffentlichkeit in unserer Gesellschaft.

Es ist täglich praktizierte Pressefreiheit, die eine lebendige Demokratie auszeichnet. Die freie Meinungsbildung freier Bürger braucht eine unabhängige Presse. [...]

Die persönliche Freiheit - die Freiheit eines jeden an seinem Platz - zählt zu den höchsten Grundwerten, aus denen unsere offene Gesellschaft ihre Lebenskraft bezieht. Sie garantiert die Meinungsvielfalt, die unser privates wie öffentliches Leben prägt und die für jede Demokratie unverzichtbar ist.

In wenigen Tagen jährt sich zum 50. Male jener unselige 4. Oktober 1933, an dem das nationalsozialistische Unrechtsregime mit seinem Schriftleitergesetz Informations- und Pressefreiheit in Deutschland liquidierte. Die Kritik wurde zum Schweigen gebracht. Die Machthaber konnten schalten und walten, wie sie wollten. Auch aus diesen Erfahrungen, aus der Geschichte unseres eigenen Landes wissen wir, daß die Pressefreiheit unantastbar sein muß.

Dies ist eine elementare Voraussetzung für die freie politische Willensbildung unseres Volkes.

Regelmäßige und umfassende Information sowie die Wiedergabe verschiedener Auffassungen in Bericht und Zitat ermöglichen dem Bürger, sich selbst ein Urteil zu bilden und politisch zu entscheiden. Die Presse berichtet nicht nur, sie bringt auch eigene Standpunkte in die öffentliche Diskussion ein. Meinungen gibt sie also nicht nur wieder; zu ihrer Vielfalt leistet gerade auch sie einen eigenständigen Beitrag. Und mit kritischen Fragen verstärkt sie jenen Begründungszwang für politisches Handeln, der demokratische Verantwortung auszeichnet.

Gerade bei der Wahrnehmung ihres Auftrags soll die Presse das öffentliche Bewußtsein für freiheitliche Urteils- und Willensbildung fördern. Das setzt selbstverständlich Unabhängigkeit und Sachverstand bei der eigenen Willensbildung voraus. Den Gewinn haben alle Bürger und damit unsere freiheitliche Demokratie. Hier leisten auch Rundfunk und Fernsehen seit langem einen wichtigen Beitrag.

Auftrieb erhält die Meinungsvielfalt vor allem durch die neuen Medien. Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien schaffen neue Möglichkeiten der Darstellung. Sie werden zu mehr Wettbewerb führen, auf den sich auch die Presse einstellen muß.

Druckerzeugnisse werden aber auch künftig fortbestehen. Das Buch - als Fachbuch wie als Werk der Literatur -, die Zeitschrift und die tägliche Zeitung - sie alle werden ihren Platz auch neben den neuen Medien behalten. Das wird so bleiben, auch wenn sich die Medienlandschaft, wie sie heute ist, grundlegend gewandelt haben wird.

Die Bundesregierung ist entschlossen, die Zukunftschancen zu nutzen, die die neuen Informations- und Kommunikationstechniken eröffnen. Dem stürmischen technischen Wandel, der sich hier weltweit vollzieht, müssen wir in unserem Land eine menschengerechte Entwicklung geben.

Für mich hat dieses Thema nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftspolitisch einen hohen Rang. Es kann kein Zweifel bestehen, daß die weitreichenden Entscheidungen, die wir dazu treffen müssen, eine Frage der politischen Grundanschauung sind.

Hier stehen sich letztlich zwei Denkweisen gegenüber. Die einen wollen das Verhalten der Bürger steuern, die anderen ihnen einen neuen Raum für Selbstentfaltung schaffen. Es geht um die Entscheidung für oder gegen die offene Gesellschaft.

Die geistige Orientierung von heute bestimmt die Medienordnung von morgen. Meine Position ist klar: Die neuen Medien sollen die Freiheit mehren.

Verteilmedien wie Kabel und Satellit erweitern den Informationsfluß. Die Speichermedien wie Bildplatte und Kassette erhöhen die Möglichkeit zur individuellen Programmgestaltung und damit die Freiheit des Einzelnen. Dialogmedien wie der Bildschirmtext führen weg vom passiven Konsum und geben Raum der aktiven Einwirkung.

In Gewerbe und Beruf, in Bildung und Ausbildung und auch im privaten Alltagsleben werden wir uns auf tiefgreifende Veränderungen einzustellen haben. Die Möglichkeiten individueller Gestaltung und persönlicher Entfaltung werden erheblich zunehmen.

Auch bei den Massenmedien eröffnen die neuen Techniken die Chance für mehr Freiheit und Selbstbestimmung. Das neue Medienspektrum, die größere Bandbreite des Programmangebots wird die Meinungsvielfalt in unserer Gesellschaft erweitern und die Meinungsfreiheit stärken. Der passive Empfang von Sendungen tritt in den Hintergrund. Die Nachfrage wird nicht mehr durch ein verordnetes Angebot gelenkt. Mit aktiver Auswahl wirken Hörer und Zuschauer auf die Programmgestaltung selbst ein. Die Anbieter müssen sich einem offenen Wettbewerb stellen und in ihm bestehen.

Ein breiteres Programmangebot wird allen zugutekommen. Es wird jedem einzelnen leichter fallen, sich dort wiederzufinden - seine besonderen Interessen, seine persönlichen Standpunkte. Das gilt für den Theaterfreund wie für den Sportbegeisterten, für den politisch Interessierten wie für den Musikliebhaber.

Je mehr sich die Vielfalt unserer Gesellschaft in den Medien widerspiegelt, desto größer ist die Chance für uns alle, Neues zu lernen und unseren Lebenshorizont zu erweitern.

Allgemein gilt ganz gewiß: Mit der Medienvielfalt wächst das Informationsangebot. Der Nachrichtenfilter der „verfaßten öffentlichen Meinung", den viele Meldungen heute nicht durchdringen, wird durchlässiger. Der Gestaltungsraum der Bürger nimmt zu. Diese Chancen darf unsere freiheitliche Gesellschaft nicht ungenutzt lassen.

Ich bin mir aber auch bewußt, daß die neuen Techniken Risiken in sich bergen. Zwar sprechen vor allem Beobachtungen im Ausland für die Annahme, daß Vielfalt des Angebots nicht zum Totalkonsum führt, sondern zur überlegten Suche und bewußten Auswahl. Doch zuverlässige Voraussagen sind heute noch nicht möglich.

Wir wissen natürlich nicht genau, wie sich Programmvielfalt auf das Bildungsniveau, auf Freizeitverhalten und Kreativität, auf die Familie, die Kinder und die Jugendlichen und auf die älteren Mitbürger auswirken wird. Dazu ist in letzter Zeit viel Bedenkenswertes - vor allem von den Kirchen - geäußert worden.

Ich nehme diese Sorgen ernst und unterstütze daher die Initiative der Bundesländer, die Pilotprojekte eingerichtet haben. Ich begrüße sehr, daß sich auch Zeitungsverleger daran beteiligen. Ihr Interesse beweist, daß die Presse die Herausforderung durch die neuen Medien aufnimmt. Diese Projekte bieten nicht nur eine Gelegenheit, die neuen Techniken in großem Umfang zu erproben, sondern erlauben auch den Programmveranstaltern, vielfältige Programme unter verschiedenen Bedingungen zu senden.

Wir wissen, daß nicht alles Machbare dem Menschen gemäß ist. Die Chancen der neuen Techniken müssen ausgeschöpft, die Risiken möglichst gering gehalten werden. Die Medien müssen den Bedürfnissen des Menschen dienen und nicht umgekehrt. Deshalb brauchen wir einen politischen Ordnungsrahmen.

Die Alternative ist Wildwuchs. Er wäre geradezu unvermeidbar, wenn wir entweder versuchen würden, den umfassenden Einsatz der Technik aufzuhalten, oder wenn wir untätig blieben. Das zeigt gerade die Entwicklung auf dem Videomarkt. Dort ist es in der ersten Zeit teilweise zu schlimmen Auswüchsen gekommen. Wir sind entschlossen, gemeinsam mit den Ländern diese Entwicklung unter Kontrolle zu bringen.

Es ist jetzt unsere Aufgabe, den politischen Rahmen für die Medienordnung von morgen abzustecken.

Aus meiner Sicht geht es dabei um folgende Elemente:

- Der Wettbewerb muß gestärkt werden. Machtkonzentration ist zu vermeiden. Der Zugang zu den neuen Medien sollte deshalb allen - auch privaten Anbietern - unter gleichen Bedingungen offenstehen. Das gilt gerade auch für den Medienzugang auf regionaler und kommunaler Ebene. Ich weiß um die Sorge mancher Verleger kleinerer Regionalzeitungen. Zeitungen sollten sich an neuen Medien in ihrem Verbreitungsgebiet beteiligen können. Die Beteiligungsformen sollten die Lage der Presse vor Ort berücksichtigen.

- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll erhalten bleiben; er ist auch an der Nutzung der neuen Techniken zu beteiligen. Sein Monopol war begründet, solange Produktions- und Sendemöglichkeiten eng begrenzt waren. Heute hat es seine Berechtigung verloren. Und es sollte nicht zu einseitiger Kritik an neuen Medien und privaten Nutzungsformen mißbraucht werden. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind der Allgemeinheit verpflichtet. Sie sind nicht legitimiert, ihr Monopol zur Wahrung ihrer Eigeninteressen einzusetzen.

- Wir müssen für Stadt und Land, für die einzelnen Regionen einen gleichmäßigen Zugang zu den neuen Techniken gewährleisten. Hier ergeben sich neue Chancen für die Entwicklung der Infrastruktur und Raumordnung.

- Dem Schutz der Jugend, der Familie und Gesundheit müssen wir besondere Aufmerksamkeit widmen. Der Wildwuchs im Bereich der Videofilme darf sich im Interesse unserer Jugend nicht wiederholen.

- Wir müssen alles tun, daß die Menschen in der DDR die Möglichkeit behalten, sich über Hörfunk und Fernsehen aus der Bundesrepublik Deutschland zu informieren. Als freier Teil unseres Vaterlandes tragen wir auch hier eine besondere Verantwortung. Der Reichtum von Informationen und die Vielfalt von Meinungen sollen Gemeingut der gemeinsamen deutschen Öffentlichkeit bleiben.

Gerade die Medien helfen, die Einheit der Nation zu wahren und das Gefühl der Verbundenheit wachzuhalten.

Mit den Bundesländern führen wir intensiv den Dialog über die Medienordnung von morgen, damit die Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland einheitlich sind - auch im Interesse von Planungs- und Investitionssicherheit für die Wirtschaft.

Die Bundesregierung begrüßt die Initiative einiger Länder, neue Organisations- und Beteiligungsformen für Hörfunk und Fernsehen zu schaffen. Bei der Entwicklung der Infrastruktur neuer Medien darf föderale Vielfalt nicht Zersplitterung zur Folge habe. Unser kooperativer Föderalismus steht vor einer Bewährungsprobe. Die Bundesregierung wird nicht abwartend beiseite stehen, sondern richtungsweisend auf ein gemeinsames Konzept drängen. Wir brauchen einen fairen Wettbewerb zwischen privaten und öffentlichen Programmanbietern. Dabei soll die gesellschaftliche Vielfalt Ausdruck finden. Unsere Medienordnung muß Zeichen für eine freiheitliche Gesellschaft sein.

Quelle: Bundeskanzler Helmut Kohl: Reden 1982-1984. Hg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bonn 1984, S. 265-270.