29. Oktober 1987

Ansprache vor dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger in Berlin

 

Ihre Einladung, bei der diesjährigen Generalversammlung des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger zu sprechen, habe ich gern angenommen. Für mich verbindet sich damit ein zweifaches Bekenntnis: das Bekenntnis zur freien Presse in unserem Land und das Bekenntnis zu Berlin, der alten Hauptstadt der Deutschen.

Auch Ihre Tagung im Jahr von Berlins 750. Geburtstag ist eine Demonstration der Verbundenheit mit der geteilten Stadt. Es ist das Ziel unserer Politik, die Anziehungs- und Ausstrahlungskraft Berlins zu fördern und seine Lebensfähigkeit zu bewahren. Wer hier am Reichstag vor der Mauer steht und auf der anderen Seite das Brandenburger Tor sieht, wer ein Gespür für Geschichte besitzt, weiß, was Freiheit bedeutet. Wer Freiheit nie entbehren musste, kann allzu leicht das Gefühl dafür verlieren, wie unentbehrlich sie ist. In Berlin kann das jeder begreifen. Berlin ist der Brennpunkt der offenen deutschen Frage, ein Brennpunkt deutscher Geschichte und Zukunft. Um dies durch ein weithin sichtbares Symbol zu bekräftigen, haben wir gestern - am 750. Geburtstag der Stadt - den Grundstein für das Deutsche Historische Museum gelegt. Es ist ein Geschenk des Bundes an Berlin.

Mein zweites Anliegen ist es, ein Bekenntnis zur freien Presse abzulegen. Mit Blick auf die Erfahrungen der jüngsten Zeit haben wir alle uns die Frage zu stellen, ob wir immer richtig entschieden und gehandelt haben. Ich wende mich dagegen, das nur auf die Politiker zu beziehen, wie ich mich gleichzeitig dagegen wende, es nur auf die Journalisten zu beziehen. Wir sollten uns vor Pauschalurteilen hüten. Wir alle haben Grund zur Nachdenklichkeit.

Berlin ist ein wichtiger Standort von Zukunftstechnologien , ein Zentrum internationalen Wissenstransfers. Schöpferische Dynamik gehört zu dem Umfeld, auf das gerade Sie als Zeitschriftenverleger in besonderem Maße angewiesen sind. Unternehmerische und journalistische Kreativität spiegeln sich wider in der großen Vielfalt der Deutschen Zeitschriftenpresse, die eine Spitzenstellung im internationalen Vergleich einnimmt. Dies gilt für

  • Publikumszeitschriften, die den Bürger mit aktueller Information und Unterhaltung versorgen,
  • die konfessionellen Zeitschriften, die vornehmlich aus dem Bereich der Kirchen informieren, und
  • die Fachzeitschriften, deren Hauptanliegen die fachlich ausgerichtete Informationsvermittlung ist.

Sie alle tragen dazu bei, dass die Bürger in umfassender Weise die Informations- und Bildungschancen einer offenen, einer freien Gesellschaft wahrnehmen können. Die Zeitschriften sind unverzichtbarer Bestandteil eines freiheitlichen Gemeinwesens. Sie bereichern die Kultur unseres Landes. Der freie Fluss von Informationen und Meinungen ist aber auch ein wesentlicher Bestandteil der Beziehungen zwischen den Menschen - in unserem Land und auch international. Daher setzen wir uns, im Sinne der Schlussakte von Helsinki, für einen möglichst breiten Austausch von Informationen über Grenzen hinweg ein.

Ziel unserer Politik muss es vor allem sein, dass ein freier Informations- und Meinungsaustausch zwischen uns und dem anderen Teil Deutschlands möglich wird. Ich habe Generalsekretär Honecker bei seinem Besuch vor einigen Wochen darauf hingewiesen: Wir wünschen, dass unsere Landsleute überall in der DDR lesen können, was sie wollen. Wer es wirklich ernst meint mit Öffnung und neuem Denken, muss bei den Menschen beginnen. Und der Austausch von Informationen mittels Zeitungen und Zeitschriften ist dabei ein ganz entscheidender Schritt.

Ich glaube, dass die große Vielfalt des Zeitschriftenmarktes hier in der Bundesrepublik Deutschland nicht zuletzt ein Kompliment an die Bürger ist; denn sie zeigt, dass die reichen Möglichkeiten zur Information, zur Bildung, zur Weiterbildung genutzt werden. Sie ist auf ihre Weise schließlich auch eine Bestätigung für unsere Politik. Zwar lassen sich generelle Aussagen über die wirtschaftliche Situation und damit über die Lebensfähigkeit dieses Pressesektors gerade wegen der großen Vielfalt kaum treffen. Aber allgemein lässt sich feststellen - so sieht es auch die Monopolkommission in ihrem letzten Hauptgutachten von 1984/85 -, dass der Zeitschriftenmarkt gekennzeichnet ist durch eine von Anfang an stetige Zunahme der Unternehmen sowie der Objekte und auch ihrer Auflage. Sowohl im Zeitungs- wie auch im Zeitschriftenbereich haben die Umsatzerlöse relativ gleichmäßig zugenommen. Das bedeutet: Trotz mancher Schwierigkeiten, Umwälzungen und Risiken, die derzeit besonders im Bereich der Printmedien zu beobachten sind, ist die Lage der Zeitschriftenpresse insgesamt stabil. Und es gibt ausreichend Freiraum für Innovationen.

Der Zeitschriftenmarkt ist, wie das Bundeskartellamt in seinem Bericht 1985/86 feststellt, „insbesondere bei Publikumszeitschriften durch eine anhaltend große Zahl von Neuerscheinungen geprägt, die zum Teil in kurzer Zeit beachtliche Auflagen erreichen'1. Zu diesem günstigen Klima hat die Politik der Bundesregierung mit beigetragen.

Ich denke, die Bilanz kann sich sehen lassen:

  • Das Bruttosozialprodukt wächst nunmehr bereits im fünften Jahr. Die Zeiten des sogenannten Nullwachstums sind vorbei.
  • Die Preise sind stabil. Das nützt vor allem den sozial Schwachen, weil sie keine Einkommensverluste durch Inflation fürchten müssen.
  • Die Reallöhne steigen weiterhin deutlich an. Anders ausgedrückt: Die festgestellte Aufwärtsentwicklung findet nicht nur in den Statistiken statt, sondern auch und gerade beim Einkommen breiter Schichten unserer Bevölkerung- und das, ich sage es noch einmal, bei einer Preisstabilität, die Vertrauen schafft und die damit die unternehmerische wie auch die private Zukunftsplanung auf eine realistische und stabile Grundlage stellt.

Bedrückend ist, dass die subjektive Zufriedenheit der großen Mehrheit der Bürger überschattet wird von dem Gefühl, aufs Ganze gesehen gebe es aber keinen Grund zum Optimismus. Diese widersprüchlichen Empfindungen können auch das Ergebnis von ideologisierender Stimmungsmache sein. Wir gehen jetzt daran, die Steuerzahler in einem bis her nicht dagewesenen Ausmaß zu entlasten.

Auch beim Subventionsabbau sind Fortschritte erzielt worden, wie es sie in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben hat. Dabei muss der handelnde Politiker feine Unterscheidungen machen. Einen Großteil der Unterstützungsleistungen des Bundes für Berlin kann man als „Subventionen" abtun - aber sie sind existentiell für diese Stadt, für ihre Existenz in Freiheit. Wir wären ein gewaltiges Stück weiter, wenn wir in dem einen oder anderen Fall Subventionszahlungen begrenzten. Damit müssten solche Zahlungen, bevor sie erneut bewilligt werden, erneut diskutiert werden. Das würde Missbrauch vermeiden helfen. Aber es ist ungeheuer schwer, solche Veränderungen zu erreichen.

Ich bleibe dabei, dass es besser ist. niedrigere Steuersätze und weniger Sondervergünstigungen zu haben als hohe Steuern mit zahlreichen Ausnahmeregelungen. Wir müssen versuchen, nicht nur aus Gründen der Vereinfachung, sondern auch der Steuergerechtigkeit, dem ein Stück näherzukommen.

Es ist uns in den letzten Jahren Schritt um Schritt gelungen, die wirtschaftliche und soziale Lage spürbar zu verbessern. Sie selbst haben durch Ihre unternehmerische Leistung ganz wesentlich dazu beigetragen. Der frei verfügbare Einkommensanteil hat deutlich zugenommen. Er wird weiter wachsen. Dies hat unmittelbare Bedeutung auch für die Zeitschriftenpresse; denn mit wachsendem Nettoeinkommen eröffnen sich zusätzliche Freiräume für die Erfüllung von Bildungs-, Informations- und Unterhaltungsbedürfnissen.

Die Absatzchancen für Bildungsgüter steigen, je günstiger die allgemeine Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung verläuft, je größer der Spielraum für private Nachfrage und private Investitionen wird. Die Bundesregierung hat mit ihrer Politik der Sozialen Marktwirtschaft ein festes Fundament für gedeihliches Wachstum gelegt und die Chancen für unternehmerische Leistung erweitert. Dabei ist es uns vor allem darum gegangen, neues Vertrauen zu schaffen, Vertrauen in die eigene Kraft. Vertrauen in unternehmerische Möglichkeiten. Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit wirtschafte- und finanzpolitischer Entscheidungen. Sie alle wissen, welche Bedeutung der Produktionsfaktor Vertrauen hat. Ein besonders aufschlussreiches Beispiel können wir dieser Tage angesichts der Turbulenzen auf den internationalen Aktienmärkten verfolgen.

Vertrauen in die Stabilität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen brauchen besonders auch die mittelständischen Unternehmen unserer Gesellschaft. Gerade im Bereich der Zeitschriftenpresse, der ja überwiegend mittelständisch strukturiert ist, ist dies von allergrößter Bedeutung.

Seit Herbst 1982 wurden die Unternehmen zunächst schrittweise um gut sechs Mrd. DM steuerlich entlastet. Hinzu kommt die Entlastung um rund 25 Mrd. DM durch die in diesem Jahr noch einmal erweiterte Steuersenkung 1986/88, die auch und gerade der Lage der mittelständischen Wirtschaft Rechnung trägt - vor allem durch die nachhaltige Senkung der Grenzsteuerbelastung. Dies wird ergänzt durch die nochmalige Verbesserung der Sonderabschreibungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, die ebenfalls Anfang 1988 in Kraft tritt.

Durch die für 1990 vorgesehene Einführung des linearprogressiven Einkommensteuertarifs und den umfangreichen Abbau steuerlicher Sonderregelungen wird der Kurs in Richtung auf ein leistungsfreundliches Steuersystem konsequent fortgesetzt. Davon wird vor allem der Mittelstand profitieren, denn es geht im Zeitraum 1986 bis 1990 insgesamt um eine Nettoentlastung von immerhin knapp 50 Mrd. DM. Damit entstehen für unsere Wirtschaft beträchtliche Wachstumsimpulse.

Die Herabsetzung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer macht im übrigen den Weg frei für eine Absenkung der Körperschaftssteuer auf einbehaltene Gewinne. Schon aus Gründen unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit war das dringend geboten.

Auch zur Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten mittelständischer Unternehmen hat die Bundesregierung mehrere Initiativen ergriffen. Ich nenne als Beispiel das Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften; es zielt darauf ab, die Bereitstellung von haftendem Eigenkapital für mittelständische Unternehmen zu erweitern.

Hinzu kommen wichtige Maßnahmen, die speziell die Entwicklung bei der Zeitschriftenpresse auch in Zukunft fördern werden:

Mit der Neufassung des Urheberrechts wurden Konsequenzen aus den neuen Vervielfältigungstechniken gezogen. Damit unterliegen Fotokopien aus urheberrechtlich geschützten Vorlagen grundsätzlich der Vergütungspflicht. In einigen Jahren werden wir auf einer soliden Datenbasis über die Vergütungshöhen diskutieren können. Mein Ziel ist sicherzustellen, dass geistiges Eigentum so gut wie irgend möglich geschützt wird.

In den letzten Monaten haben Meldungen, der halbierte Mehrwertsteuersatz für Druckerzeugnisse solle im Zuge des Subventionsabbaus wegfallen, gerade bei Ihnen für beachtliche Unruhe gesorgt. Diese Spekulationen haben keine reale Grundlage.

Die Bundesregierung sieht und berücksichtigt die besonderen Bedingungen, die nicht nur für den Bereich der Zeitschriften, sondern bei den gesamten Printmedien zu beachten sind, wenn faire Wettbewerbsbedingungen für das gedruckte Wort gegenüber der Konkurrenz der neuen, vor allem elektronischen Medien gewahrt bleiben sollen. Dies zeigen nicht zuletzt auch die Beratungen über eine zeit- und pressegemäße Postzeitungsordnung sowie die Verhandlungen über die künftige Gebührenordnung im Postzeitungsdienst. Die Intensität dieser Beratungen unterstreicht die Entschlossenheit beider Seiten, in diesen wichtigen Fragen zu vernünftigen Kompromisslösungen zu kommen.

Bei gut 7000 Zeitschriften ist Fluktuation auf dem Markt ganz normal. Es wäre doch verwunderlich, wenn ständig neue Publikationen den Markt eroberten, ohne dass andere an Attraktivität verlören. Diese Vielfalt ist ein Gütesiegel unserer Medienlandschaft. Schon ein einziges Grunddatum der Zeitschriftenpresse - die Gesamtauflage von rund 260 Millionen Exemplaren - unterstreicht dies eindrucksvoll.

Die weitere Entwicklung unserer Medienlandschaft verdient besondere Aufmerksamkeit, denn unüberhörbar warnen vor allem Kommunikationswissenschaftler und Pädagogen vor einem Rückgang der Lesekultur gerade bei jungen Leuten. Natürlich ist es bequemer, bewegte Bilder passiv auf sich wirken zu lassen, als sich auf gedruckte Texte konzentrieren zu müssen. Besonders problematisch ist bei alledem, dass Fernsehen und neue Medien wohl kaum in der Lage sind, die historischen Hintergründe aktueller Ereignisse ausreichend darzustellen. Eine reine Fernsehkultur ist immer in Gefahr, in Geschichtslosigkeit abzugleiten.

Ich nehme diese Befürchtungen ernst; aber ich übertreibe sie nicht. Die meisten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger wissen, dass es für Zeitungen, Zeitschriften und Bücher keinen Ersatz gibt. Wir erleben eine Renaissance des Geschichtsbewusstseins und gleichzeitig - wie es die Buchmesse zeigt - ein neues Interesse am gedruckten Wort. Beides hängt miteinander zusammen.

Es wäre verfehlt und schädlich, wegen der vermuteten oder tatsächlichen Gefahren des Fernsehens den Weg strikter Reglementierung zu beschreiten. Das Fernsehen erbringt durch die große Aktualität der Berichterstattung, durch die umfassende Möglichkeit der Visualisierung zusätzliche Informations- und Bildungsleistungen, zu denen andere Medien nicht imstande sind. Aufgrund des sprunghaften weltweiten Ausbaus der Informations- und Kommunikationstechniken wäre eine solche Reglementierung auch gar nicht möglich - oder nur um einen Preis, der letztlich die Pressefreiheit selbst und damit die Medienfreiheit einschränken würde.

Ein anderer Weg ist der richtige: Die Bürger - vor allem unsere jungen Mitbürger - müssen an eine bewusste Nutzung der Medien herangeführt werden. Sie müssen einen Erfahrungs- und Lernprozess durchlaufen, in dem die unterschiedlichen Stärken der einzelnen Medien erkannt, aber auch ihre Grenzen begreiflich gemacht werden.

Das bedeutet in der praktischen Konsequenz: Lesekultur aktiv und engagiert zu fördern, Interesse an geschichtlichen Zusammenhängen jenseits der Tagesaktualität zu wecken. Mein Eindruck ist, dass viele Eltern und Erzieher die Bedeutung des Lesens inzwischen neu erkannt haben, weil sie die Abnahme der Lesefähigkeit von jungen Menschen am unmittelbarsten erfahren: in den Schreibschwächen der Kinder. In die richtige Richtung weist die „Aktion Lesen", mit der Ihr Verband gemeinsam mit den Buch- und Zeitungsverlegern, mit Philologen und Bibliothekaren gezielte Leseförderung betreibt. Ich begrüße diese Initiative nachdrücklich. Was die Bundesregierung tun kann, um Sie zu unterstützen, werden wir tun.

Die Aufgabe, den vielfältigen Interessen mit angemessenem Informationsangebot zu entsprechen, gewinnt an Bedeutung. Nur wenn es gelingt, die wachsende Fülle der Informationen durch Vermittlung von Orientierungswissen zu bewältigen, wird der Leser Zusammenhänge und damit Sinn erkennen.

Orientierung kann nur geben, wer selbst sein Handeln an Maßstäben ausrichtet, namentlich Regeln der Moral und Fairness. Diese Anforderung gilt für die Politik ebenso wie für die Medien, weil beide eine ganz besondere Verantwortung für die politische Kultur in unserem Land wahrzunehmen haben.

Ich möchte an dieser Stelle einen Gedanken wiederaufnehmen: Die Vorgänge um den Tod von Uwe Barschel geben uns allen genügend Anlass zur Nachdenklichkeit. Moral predigen ist leicht - es ist nicht immer genauso einfach, sie in der Wirklichkeit des Alltagslebens zu praktizieren. Das heißt: Wir müssen die Maßstäbe, nach denen wir andere beurteilen oder gar verurteilen. immer wieder neu prüfen und auf uns selber anwenden, wenn wir glaubwürdig sein und ein Beispiel geben wollen.

Wer als Politiker darauf hinweist, dass es zwischen Demokraten kein Freund-Feind-Verhältnis geben darf, der darf den politischen Gegner nicht verleumden und sollte ihm grundsätzlich Redlichkeit der Motive unterstellen -und das gilt für die Regierung wie für die Opposition. Wer sich als Journalist für mehr Datenschutz einsetzt, darf nicht in die Zimmer anderer Leute eindringen.

Ich weiß, dass man sich als Politiker für solche Äußerungen schnell den Vorwurf der Medienschelte einhandelt. Dem halte ich entgegen, dass es in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft keine Bereiche gibt, die der Kritik entzogen sind. Es gibt niemanden, der „von Amts wegen" das Privileg genießt zu kritisieren, ohne selbst kritisiert werden zu dürfen.

Niemand wird gezwungen, ein politisches Amt zu übernehmen. Wer sich dazu entschließt, weiß, dass er - bis in sein Privatleben hinein - einen erheblichen Preis zu zahlen hat. Das gehört dazu. Aber es muss das Prinzip der Fairness, des Anstands und der Wahrhaftigkeit im Umgang miteinander gewahrt werden.

Die Freiheit der Presse ist kein notwendiges Übel, sondern eine wesentliche Voraussetzung unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Wahrhaftigkeit ist immer noch die beste Gewähr für Glaubwürdigkeit. Ich sehe durchaus den Zwang zur Auswahl, dem Journalisten bei ihrer täglichen Arbeit unterliegen und der besondere Schwierigkeiten mit sich bringt. Man kann manchmal lange darüber streiten, ob es nicht besser gewesen wäre, diesen oder jenen Halbsatz noch in die Meldung mit aufzunehmen, andere Passagen stärker zu betonen. Oft weist schon die Überschrift über einer Agenturmeldung in eine falsche Richtung. Das sind jedoch fast immer Ermessensfragen.

Nicht in unserem Ermessen stehen die ethischen Normen des Zusammenlebens. So ist etwa die Ethik des Journalismus angesprochen,

  • wo bewusst Tatsachen verzerrt werden,
  • wo nicht mehr an das Informationsbedürfnis, sondern unter Missachtung der Betroffenen nur noch an die Auflage gedacht wird oder
  • wo dem Angegriffenen keine Chance gegeben wird, seinen Standpunkt darzustellen.

in einer immer stärker von Information und Kommunikation abhängigen Gesellschaft gewinnen Sorgfalt und Wahrhaftigkeit im Medienbereich wachsende Bedeutung. Immer weniger können die Bürger Informationen nachprüfen, immer stärker sind wir alle auf Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Informanten angewiesen. Dieses Vertrauen ist ein hohes Gut und zentrale Herausforderung einer freiheitlichen Medienkultur. Es zu ermöglichen und zu schützen, ist eine Pflicht der Medien.

Hier gilt, was auch in anderen Bereichen gilt: Wir dürfen nicht alles tun, wozu wir in der Lage sind. Das ist keine Aufforderung zu staatlichen Eingriffen, sondern ein Appell an das Verantwortungsbewusstsein von Staatsbürgern. Wenn wir zunächst als Staatsbürger und erst in zweiter Linie als Politiker, Wissenschaftler oder Journalisten handeln, sind wir ein gutes Stück vorangekommen.

Ihr Verband hat sich diesen Herausforderungen immer gestellt und das Problem frühzeitig aufgegriffen. Aber die Vorgänge der jüngsten Zeit haben uns gezeigt, dass wir alle, jeder in seinem Verantwortungsbereich, den Maßstäben eines fairen und menschlichen Umgangs miteinander noch stärker Beachtung schenken müssen.

Nachdenklichkeit ist - auch für einen Politiker - keine Schwäche. Wenn wir die Geschichte dieses Jahrhunderts, gerade vom Standort Berlin aus, bedenken, dann erkennen wir, dass es sich gerade umgekehrt verhält. Nachdenklichkeit birgt die Chance für mehr Solidarität in einer immer anonymer werdenden Gesellschaft. Wir brauchen Computer, wir brauchen Dateien. Viele Ergebnisse der Wissenschaft, viele Produkte moderner Technik können wir überhaupt nicht entbehren. Aber wir wissen, dass es Sinn der Wissenschaft ist, dem Menschen zu dienen - nicht ihn zu beherrschen.

Freiheit hat nichts mit Schrankenlosigkeit zu tun. Sie hat ihre Begrenzung in der Würde des Menschen und in der Freiheit der anderen. Wir müssen respektvoll miteinander umgehen. Wie es ohne Rechte keine Freiheit gibt, so auch nicht ohne Pflichten. Beides bedingt einander.

Wenn die bedrückenden Erfahrungen der letzten Wochen bewirken, dass wir nachdenklicher und weniger selbstgerecht werden, dann haben sie etwas Positives bewirkt. Die Chance dazu besteht. Ich möchte Sie - weil Sie als Zeitschriftenverleger eine wichtige Bastion der Freiheit in unserer Republik vertreten - ganz besonders bitten, dabei mitzuhelfen. Es ist wichtig für den einzelnen, es ist wichtig für unsere Gesellschaft, es ist wichtig für unser Vaterland.