31. Dezember 1996

Neujahrsansprache über die Deutsche Welle

 

Liebe Landsleute im Ausland,

liebe Freunde Deutschlands in der Welt,

zum Jahreswechsel sende ich Ihnen aus der Heimat meine herzlichen Grüße und meine guten Wünsche. Ich grüße besonders all jene Deutschen und ihre Familien, die auch 1997 fern von Deutschland leben und arbeiten werden. Oft bedeutet dies Trennung von Verwandten und Freunden.

Ich danke allen, die mit ihrer Arbeit, ihrem Einsatz, ihrer Tatkraft einen wichtigen Beitrag zum Ansehen unseres Vaterlandes in der Welt leisten. Deutsche und Deutschstämmige haben in vielen Ländern Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft mitgeprägt. Dies habe ich besonders bei meinem Besuch in den USA in der Stadt Milwaukee empfunden. Der Beitrag der vielen deutschen Auswanderer zur Entwicklung ihrer neuen Heimat wird dort besonders deutlich. Mich hat die enge Verbundenheit und große Zuneigung der Menschen zur alten Heimat Deutschland sehr bewegt.

Liebe Landsleute, die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr bieten vielen Menschen Anlaß und Gelegenheit, innezuhalten und sich auf sich selbst zu besinnen. Es ist die Zeit, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen und Kraft für die Bewältigung wichtiger Aufgaben zu schöpfen.

Wir Deutschen leben seit mehr als sechs Jahren in einem vereinten Vaterland. Bei uns gibt es weder Krieg noch Elend, wie sie in vielen anderen Ländern der Welt herrschen. Nicht wenige von Ihnen, liebe Zuschauer und Zuhörer, leben in Ländern, wo es schlimme Konflikte gibt. Oft werden Sie mit bitterer Armut, Hunger und Gewalt in ihrer Umgebung konfrontiert. Wir nehmen Anteil an Ihren Sorgen.

Meine Damen und Herren, nur die Älteren wissen noch aus eigenem Erleben, wie es in Deutschland vor 50 Jahren aussah. Frieden und Freiheit sind nichts Selbstverständliches, sie müssen täglich neu gesichert werden. Heute genießt Deutschland als geachtetes Mitglied der Völkerfamilie Freundschaft und hohes internationales Ansehen. Wir leben in Frieden und im Einklang mit all unseren Nachbarn, mit unseren Partnern und Verbündeten in der Welt. Wir haben allen Grund, dankbar dafür zu sein.

Die wichtigste Lehre aus unserer Geschichte ist die Erkenntnis, daß die Völker Europas nie wieder getrennte Wege gehen dürfen. Nur in einem gemeinsamen Europa liegt die Zukunft. Nur so können wir - zusammen mit unseren nordamerikanischen Partnern im Atlantischen Bündnis - auch im 21. Jahrhundert Frieden und Freiheit für unser Land und unseren Kontinent bewahren.

Wir bauen jetzt das Haus Europa. Der Weg dorthin soll unumkehrbar sein. Wir wollen ein starkes Europa, dessen Stimme Gewicht hat und das sich auf den Weltmärkten behauptet. Das ist nicht leicht in einer Zeit zunehmender Konkurrenz in der Weltwirtschaft. Wir wollen aber keine "Festung Europa". Wir müssen und wollen den Prinzipien des freien Handels überall Geltung verschaffen. Dies kommt gerade auch uns zugute, denn wir sind eine der großen Exportnationen.

Bei meinen Besuchen in Lateinamerika und in Asien - zwei der großen Wachstumsregionen der Welt - habe ich wieder festgestellt, wie wichtig Zusammenarbeit und gegenseitiger Austausch für das Wohl und das Glück eines jeden Landes sind.

Für uns Deutsche bedeutet dies Chance und Herausforderung zugleich. Wettbewerb zwingt immer auch dazu, die eigene Leistungsfähigkeit zu verbessern. Er bedeutet, daß man mit dem Wandel in der Welt Schritt halten muß, um auf Dauer erfolgreich zu bleiben. Nur durch Erneuerung und Veränderung, durch Reformen und Strukturanpassungen kann Deutschland seine gute Position bewahren.

Liebe Landsleute, als Deutsche im Ausland sind Sie Repräsentanten unseres Landes in der Welt. Mit Ihrem Wirken und Ihrer Arbeit tragen Sie dazu bei, daß Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur einander besser kennen- und verstehenlernen, ja daß sie Freundschaft schließen können. Dafür danke ich Ihnen.

Ich grüße hier vor allem:

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die deutschen Kirchengemeinden und Schulen in aller Welt;

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die Soldaten der Bundeswehr, die im Ausland ihren Dienst tun; viele von ihnen leisten - gemeinsam mit ihren Kameraden aus anderen Ländern - den notwendigen Dienst für den Frieden im ehemaligen Jugoslawien. Meine guten Wünsche gelten ihnen und ihren Familien.

Ich grüße

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die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes und unsere Entwicklungshelfer;

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die Mitarbeiter deutscher Firmen;

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jene, die im Bereich der Wissenschaft und der Kultur oder in der Seelsorge tätig sind;

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die Seeleute, die heute auf hoher See sind

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und die Mitarbeiter und Korrespondenten von Presse, Funk und Fernsehen in aller Welt.

Mein ganz besonderer Gruß gilt allen Angehörigen deutscher Volksgruppen, denen wir uns stets eng verbunden fühlen. Ich denke heute auch an unsere Freunde in vielen Ländern, die in Deutschland gelernt und gelebt haben, die für unser Land und seine Menschen besondere Sympathie empfinden. Ihnen danke ich für Ihre Freundschaft.

Ihnen allen und Ihren Familienangehörigen wünsche ich ein friedvolles und gesegnetes Jahr 1997.

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 1. 2. Januar 1997.