4. Juni 1996

Ansprache vor dem Nordatlantischen Kooperationsrat in Berlin

 

Herr Generalsekretär,

meine Damen und Herren Minister,

Exzellenzen, meine Damen und Herren,

ich darf mich an erster Stelle sehr herzlich bei Ihnen, Herr Generalsekretär, für die freundlichen Worte bedanken, die Sie mir gewidmet haben. Vor allem aber will ich Sie alle, meine Damen und Herren Minister, sehr herzlich bei uns in Deutschland und hier in Berlin anläßlich der 11. Sitzung des Nordatlantischen Kooperationsrates begrüßen. Mir ist dabei bewußt, daß die Erinnerung an Berlin für viele Menschen in Europa und in der Welt in diesem Jahrhundert nicht nur eine positive Erinnerung ist. Es ist auch eine Erinnerung, in der viele bittere Erfahrungen der Geschichte, auch Erfahrungen mit Deutschen oder mit dem, was in deutschem Namen geschah, mitschwingen. Deshalb möchte ich Ihnen sagen, daß Sie nicht nur in der Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands, sondern in der Hauptstadt eines Deutschlands sind, das seine Existenz und sein Selbstverständnis dem Frieden in der Welt widmen will.

Keine Stadt spiegelt besser die grundlegenden Veränderungen der Welt, Europas und Deutschlands wider als Berlin. Lassen Sie mich betonen: Es ist eine dramatische Veränderung zum Besseren. Mit der Überwindung der Teilung Europas ist ein Traum Wirklichkeit geworden. Wer hätte es vor zehn Jahren gewagt vorherzusagen, daß sich heute die Außenminister des Bündnisses mit ihren Kollegen aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie den Staaten der ehemaligen Sowjetunion im Nordatlantischen Kooperationsrat hier in Berlin treffen würden?

Für lange Jahre war Berlin für uns Deutsche der Ausdruck der Teilung Deutschlands und Europas. Es war auch immer ein Gradmesser der Auseinandersetzung im Ost-West-Konflikt. Die Mauer reflektierte Weltpolitik. Heute ist Berlin die Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands im Zentrum eines zusammenwachsenden, freien und demokratischen Europas.

Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich an diesem Tag vor allem all jenen danke, die uns Deutschen geholfen haben, die Einheit unseres Vaterlandes wiederzuerlangen. Ich hoffe sehr, daß Sie die Gelegenheit haben werden, einen Eindruck davon mit nach Hause zu nehmen, was in diesen dramatischen Jahren des Wandels auch in Deutschland vonstatten geht. Natürlich hat uns die deutsche Einheit vor allem Freude gebracht ­ sie ist ein Geschenk. Sie hat uns aber auch Probleme gebracht. Aber was auch immer Sie jetzt in der Zeitung lesen mögen: Wir werden diese Probleme lösen. François Mitterrand hat einmal gesagt: Die Deutschen haben jetzt Probleme, aber sie wären nicht die richtigen Deutschen, wenn sie sie nicht lösen würden.

40 Jahre Teilung haben tiefe Spuren hinterlassen, jetzt aber gehen wir gemeinsam in eine europäische Zukunft. Dieses Treffen ist ein Ausdruck des Wandels, der unseren Kontinent erfaßt hat. Wir stehen vor der gewaltigen Aufgabe und zugleich historischen Chance, diesen Kontinent in einer Zeit dramatischer Veränderung zu einen. Ich sage das auch sehr persönlich als einer, der als Kind noch den Krieg erlebt hat und dessen Familie ­ wie viele deutsche und viele europäische Familien ­ vom Krieg und den Folgen des Krieges geprägt wurde. Von Kind an habe ich von Tag zu Tag besser begriffen, daß wir die Probleme unserer Zeit nur gemeinsam lösen können: durch Zusammenarbeit, durch Partnerschaft und ­ aus der Partnerschaft heraus ­ durch freundschaftliches Miteinander.

Bei ihrem gestrigen Treffen haben die Außenminister des Atlantischen Bündnisses als Signal von Berlin die Entschlossenheit der NATO unterstrichen, ihren Teil bei der Bewältigung dieser Aufgabe wahrzunehmen. Die Botschaft ist klar: Gegründet auf eine enge transatlantische Partnerschaft soll die Allianz im 21. Jahrhundert Stabilitätsanker für Europa sein. Das Erfolgsrezept des Bündnisses liegt darin, daß es sich von Anfang an eben nicht nur als militärische Allianz, sondern auch und gerade als Zusammenschluß freier Nationen auf der Grundlage einer gemeinsamen Werteordnung, als eine Ideengemeinschaft, verstanden hat. Ich hoffe, wir werden in den nächsten Jahren noch mehr erreichen und sagen dürfen, daß unser Kontinent mit der Überwindung der Teilung Europas sicherer geworden ist. Aber wir müssen auch ehrlich sagen, daß wir noch eine Reihe von fortbestehenden Ungewißheiten und Risiken zu bewältigen haben.

Die Gefahren des Nationalismus und längst überwunden geglaubte ethnische und religiöse Gegensätze sind nicht gebannt. Das zeigen uns die Erfahrungen im früheren Jugoslawien. Dies liegt nicht auf einem fernen Kontinent, sondern eineinhalb Flugstunden von diesem Haus entfernt, mitten in Europa. Der gemeinsame Friedenseinsatz der Allianz und ihrer Partner ist Ausdruck des Willens der Europäer, zusammen mit den nordamerikanischen Demokratien den Frieden in dieser Region zu sichern. Die Allianz legt damit Zeugnis von ihrer Entschlossenheit zum Handeln ab. Die Bilanz zur Halbzeit der IFOR-Operation ist bei aller hier und dort anzutreffenden Skepsis durchaus ermutigend. Die im ehemaligen Jugoslawien praktizierte Zusammenarbeit weist den Weg für die Sicherung des Friedens und für das künftige Miteinander in Europa.

Die internationale Friedenstruppe in Bosnien kann allerdings nur ein sicheres Umfeld dafür schaffen, daß die leidgeprüfte Bevölkerung endlich wieder in Frieden leben kann. Der eigentliche Friede muß im Zusammenleben der Menschen in dieser Region entstehen. Wir erwarten, daß sich die früheren Konfliktparteien ihrer eigenen Verantwortung für eine dauerhafte Befriedung sowie für den wirtschaftlichen Wiederaufbau bewußt sind. Die internationale Gemeinschaft kann lediglich Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Ohne den Willen der Betroffenen, künftig in Frieden miteinander zu leben, kann die Hilfe der internationalen Gemeinschaft nicht zu einem Erfolg führen.

Wir erwarten als Deutsche von allen Beteiligten, den Fahrplan für die Umsetzung der Vereinbarungen von Dayton strikt einzuhalten. Dazu gehört auch die planmäßige Durchführung der Wahlen im Spätsommer dieses Jahres. Ohne demokratische und rechtsstaatliche Strukturen wird es keinen dauerhaften Frieden in Bosnien geben. Dies ist zugleich die Voraussetzung für den erfolgreichen Wiederaufbau des Landes und für die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat.

Wenn ich die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat erwähne, dann will ich auch darauf hinweisen, daß bei uns in Deutschland gegenwärtig 350000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien leben. Es geht uns nicht darum, daß wir diese Menschen so schnell wie möglich nach Hause schicken wollen. Ich sehe aber mit großer Sorge, daß die Wurzeln dieser Menschen in ihrer Heimat ­ und dies gilt in besonderem Maße für die jungen Menschen und die Kinder ­ um so schwächer werden, je länger sie von zu Hause entfernt leben müssen.

Ich füge hinzu: Es geht mir in diesem Zusammenhang nicht primär ums Geld. Der deutsche Steuerzahler hat in diesen Jahren für die Bürgerkriegsflüchtlinge rund zehn Milliarden D-Mark aufgewandt. Ich finde es schlecht, daß wir dieses Geld für den Unterhalt hier zahlen, anstatt diese Summe für den Wiederaufbau vor Ort zu verwenden, um den Familien Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten, damit sie ihre zerstörten Häuser wiederaufbauen können.

Es ist für die Zukunft entscheidend, daß diese Menschen nicht alleingelassen werden. Wir Deutsche werden unseren Beitrag leisten. Das setzt jedoch voraus, daß sie auch wieder in ihre Heimat zurückkehren können und ­ noch wichtiger ­ zurückkehren wollen. Sie wollen aber nicht zurückkehren, wenn sie nicht die Sicherheit haben, daß sie in ihren Dörfern in Frieden und Freiheit leben können. Deswegen ist es so wichtig, deswegen drängen wir darauf, daß die dafür notwendigen Strukturen geschaffen werden.

Im kommenden Dezember kann der Nordatlantische Kooperationsrat auf fünf Jahre erfolgreicher Arbeit zurückblicken. Dabei hat er sich als nützliches Forum des Dialogs und als politisches Dach für sicherheitspolitische und militärische Zusammenarbeit erwiesen. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, daß alle wichtigen NATO-Gremien heute auch regelmäßig gemeinsam mit den Kooperationspartnern tagen.

Beim NATO-Gipfel im Januar 1994 in Brüssel hat das Bündnis seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion erklärt. Die "Partnerschaft für den Frieden" leistet in der Tat schon heute wertvolle Dienste für die praktische Zusammenarbeit des Bündnisses mit diesen Ländern und für ein neues Denken in Europa. Zahlreiche gemeinsame Übungen, intensiver Informationsaustausch haben das Bewußtsein dafür gestärkt, daß die Sicherheit in Europa künftig nur noch gemeinsam gewährleistet werden kann. Wir wollen unsere Anstrengungen weiter verstärken, um diese praktische Zusammenarbeit auszubauen und zu vertiefen.

Meine Damen und Herren, beim erwähnten NATO-Gipfel von Brüssel hat die Allianz bekräftigt, daß sie darüber hinaus auch für neue Mitglieder offen ist. Gleichzeitig ist sie zur Entwicklung und Vertiefung der Zusammenarbeit mit Rußland und der Ukraine bereit. Die Öffnung des Bündnisses ist von grundlegender Tragweite für die Sicherheit und Stabilität in ganz Europa. Dies bedeutet für uns alle, daß wir mit großer Umsicht, Sorgfalt und Klugheit an diese Fragen herangehen müssen. Sorgfalt und Klugheit will ich hier nicht bloß diplomatisch umschreiben. Ich will für jeden verständlich ansprechen, was ich meine.

Wenn in den entscheidenden Ländern, die ich hier nicht zu nennen brauche, bedeutende Wahlen stattfinden, ist es ein Akt der Klugheit und der Umsicht, ein so schwieriges Thema wie die Öffnung des Bündnisses nicht in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Ich bin nachdrücklich dafür, daß wir dieses Thema nicht auf die lange Bank schieben. Aber ich bin noch deutlicher dafür, daß wir begreifen, daß das Kalenderjahr 1996 kein gutes Jahr für die Beratung ist. Aber auf das Jahr 1996 wird das Jahr 1997 folgen. Ich bin nicht für eine Verschiebung, aber ich bin sehr dafür, daß wir niemandem in diesem oder in jenem Land Wahlkampfmaterial liefern und uns am Ende die Arbeit erschweren.

Ich habe es immer wieder gesagt und wiederhole es hier: Der Wunsch unserer östlichen Nachbarstaaten, dem Bündnis beizutreten, ist legitim. Er ist der Ausdruck des Willens, ihre traditionelle europäische Identität deutlich werden zu lassen. Wer will ihnen dieses Recht bestreiten? Deutschland steht zur Öffnungspolitik der Allianz, die auch in den Parlamenten und der Öffentlichkeit der NATO-Mitgliedstaaten eine breite Unterstützung findet. Sie richtet sich gegen niemanden. Aber sie bedingt auch, daß niemand ein Vetorecht hat.

Meine Damen und Herren, wie alles im Leben hat auch diese wichtige Angelegenheit eine andere Seite. Europäische Sicherheit braucht den konstruktiven Beitrag Rußlands und der Ukraine in Form von Kooperation und von Partnerschaft. Rußland und die Ukraine gehören nach unserem Verständnis zu Europa. Wir müssen ihre Sicherheitsinteressen berücksichtigen. Das setzt voraus, daß wir ein gutes Verhältnis zu diesen Ländern haben.

Auch hierzu möchte ich eine deutliche Anmerkung machen. Es mißfällt mir ­ das richtet sich gegen manchen, der im Westen öffentlich auftritt ­, wenn manche heute so tun, als müsse man die Lage Rußlands nicht berücksichtigen. Wir alle wissen, daß das russische Volk ein großes Volk ist, daß es eine große Geschichte, eine große Tradition und einen eigenen Stolz hat. Ich habe noch die Zeit erlebt, als es um die Stationierung der Mittelstreckenwaffen ging, als viele eine unbändige Angst vor den Nachbarn hatten. Ich möchte nicht das umgekehrte Extrem erleben, daß man Rußland jetzt bei uns als eine quantité négligeable abtut. Wir Deutsche wollen, daß unsere Nachbarn ihre Entscheidung treffen. Wir wollen, daß wir zu Lösungen kommen, die unsere russischen Nachbarn, die Ukraine und auch die Staaten der Region mittragen können, und zwar nicht mit negativer Grundstimmung, sondern in der Überzeugung, daß wir gemeinsam auf einem guten Weg in die Zukunft gehen.

Die Europäische Union hat bereits 1994 ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Rußland geschlossen. Es ist unser deutscher Wunsch, daß auch die Zusammenarbeit zwischen der NATO und Rußland, etwa auf der Basis einer "Charta", in ein besonderes Verhältnis mündet, das zu einem wirklich tragfähigen Kern einer Sicherheitsarchitektur in Europa werden kann. Ich glaube, daß die Einbeziehung Rußlands und die russische Bereitschaft, beim Friedensprozeß in Jugoslawien Verantwortung zu übernehmen, bereits Ausdruck einer neuen Qualität der Beziehung zwischen Rußland und der NATO ist. Ich glaube, daß diese Zusammenarbeit ein Modell für das künftige Zusammenwirken in Europa sein kann.

Meine Damen und Herren, die NATO hat in den vergangenen Jahren einen tiefgreifenden Wandel durchlaufen. Das Bündnis hat gestern grundlegende Beschlüsse zur Anpassung seiner Strukturen an die veränderten Bedingungen in Europa getroffen. Es soll künftig in der Lage sein, sowohl dem Kernauftrag der kollektiven Verteidigung gerecht zu werden als auch neue Aufgaben der Friedenssicherung in Europa wahrzunehmen.

Ein zentrales Anliegen ist es dabei für die Bundesregierung, die sicherheits- und verteidigungspolitische Handlungsfähigkeit Europas zu stärken. Wir wollen eine substantielle europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität. Die neuen Strukturen der NATO müssen es Europa erlauben, militärische Aufgaben künftig in Einzelfällen innerhalb des Rahmens des Atlantischen Bündnisses selbst zu erfüllen. Darüber hinaus muß das Bündnis noch besser in der Lage sein, mit Partnern außerhalb des Bündnisses bei Operationen der Krisenbewältigung und der Friedenssicherung praktisch zusammenzuwirken.

Meine Damen und Herren, entscheidender Bestandteil des Ausbaus der Zusammenarbeit in ganz Europa ist die entschlossene Fortführung der Politik der europäischen Einigung. Eine handlungsfähige Europäische Union mit einer gestärkten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik liegt im Interesse des zusammenwachsenden Europas und damit auch im Interesse einer noch engeren Zusammenarbeit in der Allianz. Sie trägt zur Stabilität in Gesamteuropa bei.

Für uns Deutsche, die mehr Nachbarn als alle anderen in Europa haben, die die längsten Grenzen und auch eine entsprechende Geschichte haben, ist die europäische Einigung die Schicksalsfrage schlechthin. Unsere historischen Erfahrungen haben uns zu einer Politik des Ausgleichs und der Versöhnung mit allen unseren Nachbarn und zu einem ganz entschiedenen Eintreten für den Aufbau Europas geführt.

Ich habe immer wieder ­ und François Mitterrand hat in seiner letzten Rede in Straßburg ähnliches gesagt ­ darauf hingewiesen, daß die europäische Einigung letztlich die Voraussetzung für den Frieden im 21. Jahrhundert ist. In manchen Zeitungen ist geschrieben worden, dies sei eine Kriegsdrohung. Das ist eine dieser Torheiten, die Sie gelegentlich lesen können. Aber wer die Geschichte dieses Jahrhunderts kennt und wer diesen Satz hier in Berlin ausspricht, weiß, wovon er spricht. Ich bleibe dabei: Der Bau des "Hauses Europa" ist die entscheidende Voraussetzung für Frieden und Freiheit im 21. Jahrhundert in Europa. Wir müssen alles tun, um die Europäische Union in die Lage zu versetzen, die künftigen Aufgaben zu bewältigen.

Die von mir geführte Bundesregierung setzt im Rahmen der laufenden Regierungskonferenz alles daran, die europäische Einigung weiter voranzubringen, ich sage bewußt, sie unumkehrbar zu machen. Es kommt jetzt darauf an, die Handlungsfähigkeit und die Effizienz der EU zu stärken, gerade auch im Blick auf die angestrebte Erweiterung der EU nach Osten und nach Süden.

Ein wichtiges Thema der Regierungskonferenz ist die Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Wir müssen, so schwer dies auch sein mag angesichts der unterschiedlichen Traditionen und des Verständnisses von Geschichte in unseren Ländern, Instrumente und Strukturen schaffen, die ein gemeinsames Handeln der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik möglich macht.

Ich sage dies bewußt auch in Anwesenheit unserer Freunde von jenseits des Atlantiks. Europa kann sein Gewicht in der Weltpolitik nur dann zum Tragen bringen, wenn es mit einer Stimme spricht, und das ist auch im Interesse unserer Freunde.

Meine Damen und Herren, gestern hat das Bündnis ausdrücklich bestätigt, daß es darauf ankommt, sowohl die europäische Handlungsfähigkeit zu verbessern als auch die transatlantischen Bindungen zu festigen. Für Sicherheit und Stabilität in Europa bleibt das transatlantische Verhältnis von entscheidender Bedeutung. Die Partnerschaft Europas mit den Vereinigten Staaten ist für uns Europäer und vor allem für uns Deutsche unverzichtbar, und wir wollen sie weiter vertiefen. Die transatlantische Agenda und der Aktionsplan für das nächste Jahr, die beim Gipfeltreffen der spanischen EU-Präsidentschaft mit Präsident Clinton im Dezember 1995 vereinbart wurden, bilden einen guten Rahmen. Wir wollen ihn ausfüllen und nutzen.

Meine Damen und Herren, seit seiner Gründung hat sich der Nordatlantische Kooperationsrat auch das Ziel der Stärkung und Unterstützung der OSZE gesetzt. In dem Ziel der Ausgestaltung von Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sollten und können sich die beiden Organisationen sehr gut ergänzen. Sie tun dies bereits im ehemaligen Jugoslawien. Darüber hinaus nimmt die OSZE in zahlreichen Krisenregionen eine wichtige Rolle als Vermittler ein. Ich erwähne als Beispiel den Tschetschenien-Konflikt und Transnistrien.

Beim Gründungstreffen des Nordatlantischen Kooperationsrates vor bald fünf Jahren haben die Teilnehmerstaaten ihr Eintreten für eine neue, dauerhafte Friedensordnung in Europa, gegründet auf Dialog, Partnerschaft und Kooperation, erklärt. Diesem Ziel sind und bleiben wir gemeinsam verpflichtet.

Wenn wir an die Zeit vor fünf Jahren denken, können wir, bei aller Skepsis, sagen: Wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Unsere europäische Geschichte lehrt uns: Konzepte des Gleichgewichts, das Denken in Koalitionen oder auch Modelle von Einflußsphären haben in unserer Geschichte nie auf Dauer Sicherheit und Stabilität gebracht. Wir wollen aus diesen negativen Erfahrungen lernen. Für mich ist klar: Der beharrliche Ausbau zwischenstaatlicher Kooperation und gesamteuropäischer Integration schafft dauerhaften Frieden. Auf diesem Weg ist und bleibt der Nordatlantische Kooperationsrat aufgefordert, weiter seinen Beitrag zu leisten.

Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, daß die Beratungen hier in Berlin uns dabei ein wichtiges Stück voranbringen. Ich will noch einmal sagen: Gerade wir, die Deutschen, haben in diesen Jahrzehnten erfahren, was die NATO für uns bedeutet ­ Frieden und Freiheit, die Voraussetzung für das Geschenk der deutschen Einheit. Wenn ich an diesem Tag an die Soldaten und ihre Familien aus der ganzen Welt denke, die diesen Weg ermöglicht haben, dann tue ich das mit großer Dankbarkeit. Deutschland will seiner Verantwortung gerecht werden ­ im Rahmen seiner Möglichkeiten. Wir wollen an der Schwelle zum neuen, zum 21. Jahrhundert aus dem reichen Schatz unserer geschichtlichen Erfahrungen schöpfen und mit Ihnen gemeinsam den Weg in die Zukunft gehen. Dazu möchte ich uns alle herzlich einladen!

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 47. 12. Juni 1996.