5. Mai 1997

Rede bei dem Abendessen, gegeben vom Premierminister von Australien, John Howard, im Parlamentsgebäude in Canberra

 

Herr Premierminister,

Herr Oppositionsführer,

Exzellenzen,

meine Damen und Herren,

 

ich freue mich, diesen Abend gemeinsam mit Ihnen verbringen zu können. Unseren australischen Gastgebern - vor allem Ihnen, Herr Premierminister - danke ich, auch im Namen meiner Delegation, sehr für die freundliche und warmherzige Aufnahme in Ihrem wunderbaren Land. Wir haben ja bereits zu Beginn unseres Besuchs etwas von der Schönheit Australiens bewundern können: Das Barrier Reef zu erleben war für mich eine faszinierende Erfahrung.

 

Mein letzter Besuch liegt einige Jahre zurück, aber damals wie heute ist mir eines ganz besonders aufgefallen: die Herzlichkeit der Menschen hier. Neben den phantastischen Landschaften und der einmaligen Flora und Fauna, die ja auch Jahr für Jahr so viele meiner Landsleute begeistern, sind es die Menschen selbst, die Australien auf so unverwechselbare, liebenswerte Weise prägen. Australien ist ein weltoffenes Land.

 

Bei Ihrer Begrüßung haben Sie, Herr Premierminister, darauf hingewiesen, daß dies mein erster Besuch als Kanzler des wiedervereinten Deutschlands ist. Als ich 1988 hier war, hat wohl niemand voraussehen können, daß kurze Zeit später die Mauer fallen und daß mein Vaterland in Frieden und Freiheit mit der Zustimmung all seiner Nachbarn wiedervereint werden würde. Daß dies möglich wurde, verdanken wir nicht zuletzt unseren Freunden und Partnern in der Welt.

 

Ich nenne mit besonderer Herzlichkeit auch die Sympathie und Unterstützung Ihres Volkes, des australischen Volkes. Viele Menschen wollten sich auch in Ihrem Land nicht damit abfinden, daß Berlin, daß Deutschland und daß Europa durch eine Mauer und durch eine Todesgrenze getrennt blieben. Sie haben aus Ihrem Verständnis für Freiheit und Menschenrechte heraus nie akzeptieren können, daß die Mutter vom Sohn, die Schwester vom Bruder durch diese Grenze getrennt waren und bleiben sollten. Auch dafür danke ich Ihnen sehr herzlich.

 

Meine Damen und Herren, Premierminister Howard und ich haben es bei unserem heutigen Gespräch erneut festgestellt: Australien und Deutschland, unsere Völker sind einander in Sympathie und Freundschaft eng verbunden. Aber auch das, was gut ist, kann man noch verbessern. Wir waren uns einig, daß wir alle Chancen haben, den Beziehungen zwischen Australien und Deutschland einen neuen Schub, eine neue Dynamik zu geben. Das gilt im politischen und ganz besonders auch im wirtschaftlichen Bereich.

 

Ich wünsche mir sehr - hier haben der Premierminister und ich konkrete Verabredungen getroffen -, daß möglichst viele Unternehmen und Investoren aus Australien zu uns nach Deutschland kommen, um insbesondere auch in den neuen Ländern zu investieren. Gleiches gilt auch für deutsche Auslandsinvestitionen in Ihrem Land. Wir haben heute auch über neue Verkehrstechniken und -konzeptionen gesprochen. Ich begrüße es, daß deutsche Technologie in Australien zum Wohle der Bürger Ihres Landes Anwendung findet.

 

Auch in der Forschung und Wissenschaft sollten wir einen noch intensiveren Austausch verwirklichen. Ich denke dabei ebenso an die geisteswissenschaftlichen wie an den naturwissenschaftlich-technischen Bereich. Wir wollen die Zusammenarbeit unserer Universitäten noch enger gestalten sowie den Austausch von Wissenschaftlern und Studenten fördern.

 

Herr Ministerpräsident, Sie haben vom Bau des Hauses Europa gesprochen. Für mich ist das ein politischer Traum, der sich jetzt erfüllt. Der Herr Oppositionsführer hatte ja eben die Freundlichkeit, Konrad Adenauer, den ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, zu erwähnen. Konrad Adenauer hat einmal den Satz gesagt: "Deutsche Einheit und europäische Einigung sind zwei Seiten derselben Medaille." Dieses Zitat beschreibt gleichsam sein politisches Vermächtnis. Wenn wir Deutschen uns jetzt damit zufriedengeben würden, die Deutsche Einheit erreicht zu haben, wenn wir gar in reines Nationalstaatsdenken verfielen, würden wir vor der Geschichte versagen. Beides gehört zusammen: der Bau des Hauses Europa und die Deutsche Einheit.

 

Heute früh hat mich der Besuch des War Memorials sehr beeindruckt. Nach der Kranzniederlegung gingen wir die Ehrengalerie entlang - die Erinnerung an die Toten des Ersten und des Zweiten Weltkriegs ist hier auf sehr bewegende Weise lebendig. Die Generationen unserer Väter oder Großväter sind zweimal in den Krieg gezogen - auch viele Männer aus Australien. Ich habe die Namen der gefallenen Australier gelesen. Es waren so viele, die in jungen Jahren von zu Hause weggingen und nicht wiederkehrten. Einmal mehr habe ich gefühlt, wie wichtig es ist, daß wir in Europa nie wieder Krieg miteinander führen. Dafür wollen wir gemeinsam arbeiten.

 

Das nächste Jahrhundert, das in wenigen Jahren beginnt, soll ein Jahrhundert der Freiheit und des Friedens für die Europäer und möglichst alle Menschen werden. Nie wieder sollen junge Männer aus Europa und aus Australien in einen Krieg gegeneinander ziehen müssen. Ich finde, Besseres kann man für die jungen Menschen in Ihrem Land und bei uns in Deutschland nicht tun als dauerhaft den Frieden zu sichern. Vor allem deshalb wollen wir das Haus Europa bauen.

 

Und Sie können versichert sein: Wir werden es jetzt bauen. Die Europäische Union hat Fahrt aufgenommen. In sechs Wochen werden wir in Amsterdam die Reform des Vertrags von Maastricht beschließen. Wir werden wichtige Teile der nationalen Politik, nicht zuletzt im Bereich des Umweltschutzes und im Bereich innenpolitischer Aufgaben in die Gemeinschaft integrieren.

 

Diese engere Zusammenarbeit in der Europäischen Union - die Vertiefung - bedeutet aber nicht, daß die einzelnen Staaten Europas damit ihre Identität aufgeben. Wir bleiben Deutsche, Italiener bleiben Italiener, Franzosen bleiben Franzosen und Briten bleiben Briten. Aber wir bauen uns allen ein gemeinsames Haus mit einem stabilen Dach, wetterfest für die Stürme der Geschichte.

 

Im April nächsten Jahres werden wir bei einem europäischen Gipfeltreffen festlegen, welche Länder von Beginn an bei der Europäischen Währungsunion dabeisein werden. Dies ist meine zweite Botschaft. Sie lautet: Der Euro wird kommen. Auch die Australier haben allen Grund, sich darüber zu freuen, denn ich denke, die Einführung des Euros ist unter ökonomischen und währungspolitischen Gesichtspunkten auch in Ihrem Interesse.

 

Australien, der pazifische Raum und die Europäische Union sollten eng zusammenarbeiten. Wir wollen dabei gemeinsam vorangehen. Mein Angebot an Sie ist, einen direkten und engen Kontakt zwischen Australien und Deutschland zu halten.

 

Meine Damen und Herren, in unseren beiden Ländern wächst heute eine neue Generation heran, die - wenn wir uns die Entwicklung der Lebenserwartung betrachten - bis weit in die 70er Jahre des nächsten Jahrhunderts hinein leben wird. Was wir jetzt tun, Herr Premierminister, tun wir vor allem auch für diese Generation. Wir, die wir politische Verantwortung tragen - im Parlament, in politischen Ämtern und anderen gesellschaftlichen Bereichen - wollen das Tor für eine friedliche Entwicklung unserer Welt noch weiter öffnen. Wenn uns dies gelingt, dann haben wir am Ende doch noch eine wichtige Lektion aus diesem Jahrhundert gelernt.

 

Dabei wünsche ich Ihnen und uns, meine Damen und Herren, allen nur denkbaren Erfolg. Ich wünsche dem australischen Volk, unseren australischen Freunden, Glück und Gottes Segen für die Zukunft.

 

 

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 54. 25. Juni 1997.