6. Januar 1998

Ansprache bei dem Empfang der Sternsinger im Bundeskanzleramt in Bonn

 

Lieber Prälat Poll,
lieber Herr Präses Cremer,
lieber Herr Präsident Braun,
meine Damen und Herren,
und vor allem: liebe Kinder,

 

es ist - wie immer - ein großer Tag für das Kanzleramt, wenn gleich zu Beginn des Jahres die Sternsinger hierherkommen. Ich begrüße Euch ganz herzlich, ebenso Eure Begleiter, die mitgeholfen haben, diese gemeinsamen Stunden zu ermöglichen. Mein ganz besonders herzlicher Gruß gilt den Kindern aus Eritrea. Es ist schon gesagt worden: Dies ist das fünfzehnte Mal, daß ich die Sternsinger im Bundeskanzleramt empfange.

 

Es ist immer wieder ein wunderschönes Bild: die vielen Kronen, die vielen Schwarzen. All das erfreut mich aus vielerlei Gründen. Ihr bringt Glanz und Freude, Ihr bringt Licht in dieses Haus. Für mich ist die Begegnung mit den Sternsingern ein gutes Zeichen für das ganze Jahr. Wenn Ihr durch den Park in das Kanzleramt gezogen kommt mit Euren Liedern, dann klingt etwas auf von Freude, von Zukunftsoptimismus und von der Gewißheit, daß wir Gutes tun können, ohne lange darüber zu reden.

 

Ich habe viel Grund, mich heute zu bedanken. Ich möchte ganz herzlich den Kinderchor der Regensburger Domspatzen begrüßen. Daß er heute hier ist, empfinde ich als eine ganz besondere Freude. Ich habe gelegentlich die Chance gehabt, die Regensburger Domspatzen im Ausland zu erleben. Ich sehe heute noch den Präsidenten der Philippinen vor mir, wie er von ihrem Singen ganz ergriffen war. Die Regensburger Domspatzen sind hervorragende Botschafter für unser Land. Das sage ich bei dieser Gelegenheit gerne einmal.

 

Ich bedanke mich auch bei Ihnen, Frau Dr. von Hassel und Frau Kollegin Eichhorn, daß Sie heute unsere Gäste sind und daß Sie bei den Vorbereitungen so tatkräftig mitgeholfen haben.

 

Ganz besonders herzlich begrüße ich Egidius Braun, den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes. Er ist ein Mann in wichtigen Ämtern, der etwas für Kinder übrig hat, der Sensibilität besitzt und der ein Gefühl dafür hat, was Kinder bedeuten - nämlich Segen und Zukunft. Was er zusammen mit Bundestrainer Berti Vogts und der Nationalmannschaft an Unterstützung auf den Weg gebracht hat, ist ganz phantastisch. Dafür danke ich Ihnen, lieber Herr Braun, ganz herzlich. Sagen Sie das bitte auch den Spielern der Nationalmannschaft und all Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dabei geholfen haben!

 

Dies ist eine gute Gelegenheit, Ihnen am Beginn dieses Jahres, in dem die Fußballweltmeisterschaft stattfindet, Glück zu wünschen. Ich hoffe, daß die Stimmung in unserer Mannschaft ebenso gut sein wird wie hier. Auch im Namen der Kinder - es gibt darunter viele Fußballbegeisterte - möchte ich sagen: Wir wünschen der deutschen Fußballnationalmannschaft in diesem Jahr in Frankreich, wenn es um die Weltmeisterschaft geht, viel Erfolg!

 

Ihr Sternsinger seid heute aus 27 Diözesen Deutschlands gekommen sowie aus den Diözesen Lüttich in Belgien, Roermond in den Niederlanden, aus Bratislawa in der Slowakei, aus Tarnów in Polen, aus Ljubljana in Slowenien und aus Straßburg in Frankreich. In diesen Tagen sind bei stürmischem und regnerischem Wetter mehr als 500000 Kinder als Sternsinger singend quer durch Deutschland und die Nachbarländer gezogen. Ihr habt Euch sehr persönlich engagiert, Ihr habt Eure Freizeit geopfert und seid zu den Menschen gegangen, um ihnen für die Not und das Elend von Kindern in anderen Ländern das Herz und die Augen zu öffnen.

 

An der Aktion im letzten Jahr beteiligten sich von der Ostsee bis zu den Alpen, von der Oder bis zum Rhein 12309 Gemeinden. Auch 1997 sind über eine halbe Million Buben und Mädchen unterwegs gewesen. Sie haben 48,7 Millionen D-Mark gesammelt; das waren noch einmal gut 2,6 Millionen D-Mark mehr als im Jahr zuvor. Wenn man diese Summe auf sich wirken läßt und sich zudem vorstellt, wie sie in der Praxis zustande kommt - ich weiß, wie die Sternsinger auch in meiner eigenen Pfarrei von Haus zu Haus ziehen -, dann sieht man, was für ein enormer persönlicher Einsatz dahinter steht. Das ist auch ein Signal für viele in Deutschland und in der Welt, daß der Wille der Deutschen, anderen zu helfen und für eine gute Sache zu spenden, ungebrochen ist. Daß dies so deutlich wird, verdanken wir vor allem Euch, den Sternsingern.

 

Ihr habt gezeigt - und zeigt es immer wieder -, daß Kinder anderen Kindern helfen wollen. Ihr Sternsinger setzt Zeichen, daß Ihr nicht nur an Euch selbst, an die Nachbarn und die Menschen im eigenen Land denkt, sondern auch an die Kinder in der Welt, und zwar in fernen Ländern - in Ländern, in denen die Kinder viel weniger Chancen für ein glückliches Leben haben als hier. Und noch etwas - es ist mir wichtig, daß diese Botschaft von dem heutigen Morgen in unser Land hinausgeht: Ihr zeigt auch den Erwachsenen, daß der persönliche Einsatz für andere, der Dienst am Nächsten eine großartige Sache ist. So können auch Kinder Erwachsenen ein Beispiel geben.

 

Eure Hilfe führt zum Erfolg: Die gesammelten Gelder werden ganz unbürokratisch in die richtigen Bahnen gelenkt. Das verdanken wir vor allem dem Päpstlichen Kindermissionswerk, aber ganz besonders Ihnen, Herr Prälat Poll, und Ihnen, Herr Präses Cremer vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend. Sie kümmern sich seit Jahren um die Organisation und die Projekte. Deshalb ist der Erfolg der Sternsingeraktion auch Ihr ganz persönlicher Erfolg!

 

Mein Dank gilt auch den rund 80000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Eltern, nicht zuletzt den Müttern, die sich darum sorgen, daß Ihr in einer so prächtigen Weise durch die Straßen zieht. Ich danke den vielen Helfern in den Gemeinden, den Pfarrern, den Kaplänen und allen, die mitgewirkt haben und ohne die diese Aktion nicht denkbar wäre.

 

Der große Erfolg, liebe Kinder, zeigt sich nicht allein in der Summe des Geldes, das Ihr sammelt und gesammelt habt. Das Wesentliche ist, daß mit diesem Geld zahlreiche Projekte ganz praktisch finanziert werden können. Die Sternsinger bringen Segen in viele Teile unserer Erde. Gegenwärtig gibt es 2500 Projekte in Asien, in Ozeanien, in Afrika, in Lateinamerika und in Osteuropa. Durch Eure Arbeit, durch Euer Bereitsein und durch Euer Mitmachen erhalten hungernde Kinder Nahrung. Kranke Kinder bekommen ärztliche Versorgung. Straßenkinder können ein Zuhause finden. Kinder ohne Eltern, die alleine in der Welt stehen, haben die Chance auf Zuwendung und Hilfe. Man kann es ganz einfach sagen: Durch das, was Ihr tut, überbringt Ihr den Menschen eine Botschaft, es ist die Botschaft Gottes an uns alle.

 

Ein Projekt möchte ich ganz besonders hervorheben, weil ich es persönlich noch vor ein paar Tagen aus der Nähe sehen konnte, nämlich die Friedensschule in Sarajevo. Dort können Kinder unterschiedlicher Konfessionen gemeinsam lernen und leben. Diese großartige Einrichtung ist das fünfundzwanzigtausendste Projekt - das muß man sich noch einmal vergegenwärtigen -, das durch den Einsatz der Sternsinger, vor allem durch den Ertrag vom letzten Jahr, verwirklicht werden konnte. Diese Schule ist auch deshalb Wirklichkeit geworden, weil sich der Deutsche Fußball-Bund und die UEFA, der europäische Fußballverband, in einer großartigen Weise engagiert haben. Auch hierfür, lieber Herr Braun, nochmals herzlichen Dank!

 

Ich war am Tag vor Weihnachten in Sarajevo. Für mich persönlich war dies eine der tiefsten Erfahrungen des vergangenen Jahres. Am Morgen steigt man in Deutschland, in einer friedlichen Umgebung, ins Flugzeug, und wenn man nach gut eineinhalb Stunden in Sarajevo landet, dann ist man plötzlich in einer vom Krieg zerstörten Stadt. Für jemanden wie mich, der den Krieg noch erlebt hat, ist das wie ein Blick zurück in die Zeit nach dem Krieg bei uns. Ich fühlte mich zurückversetzt in meine Heimatstadt Ludwigshafen an Weihnachten 1945. All das hatte es auch damals bei uns gegeben: die Trümmer, die vielen zerstörten Wohnungen, die Gräber.

 

Über 10000 Gräber sind in Sarajevo während der letzten Jahre neu angelegt worden - für die Opfer eines barbarischen Geschehens. Darunter sind fast 2000 Gräber von Kindern. Wenn man das sieht und nicht völlig abgestumpft ist, dann hat man ein Gefühl dafür, was Frieden - der Friede in Freiheit - bedeutet. Deswegen ist es eine gute Sache, daß gerade in Sarajevo diese Schule unterstützt wird. Was immer wir tun können - der Deutsche Fußball-Bund, die Sternsinger und auch wir seitens der Bundesregierung -, wir wollen es gerne tun, um dort weiterzuhelfen!

 

In diesem Jahr lautet das Thema der Sternsinger: "BURAKIÉ - einander Segen sein, damit Kinder heute leben können." Das Wort "BURAKIÉ" ist ein Begriff aus Eritrea, dem Beispielland der Sternsingeraktion 1998. Man kann es einfach in unsere Muttersprache übersetzen: Es bedeutet Segen. Wenn die Sternsinger von Haus zu Haus ziehen, dann bringen sie Segen. Und in diesen Tagen haben die Sternsinger fast fünf Millionen Wohnungen besucht!

 

Vielleicht ist es nützlich, wieder einmal in Erinnerung zu rufen, daß es sich dabei um eine uralte Tradition handelt. Ich bin all denen dankbar, die sie nach dem Krieg wieder haben aufleben lassen. Früher, bei unseren Vorfahren, galten die Türen und die Fenster in den Häusern als besonders gefährdet. Darum schrieb man Schutzsymbole daran - so wie Ihr das eben hier auch getan habt. Die Sternsinger schreiben heute über die Türen: "Christus Mansionem Benedicat - Christus möge diese Wohnung segnen". Das ist, wenn man so will, eine von Kindern gegebene Antwort auf die tiefste Sehnsucht vieler Menschen, nämlich nach Segen, nach Liebe und Geborgenheit.

 

In jedem Jahr widmen sich die Sternsinger einem ganz bestimmten Land in besonderer Weise. In diesem Jahr ist es Eritrea - ein Land ziemlich weit von uns entfernt, in Nordostafrika, zwischen Wüste und Rotem Meer, mit rund drei Millionen Einwohnern; ein Land, das in einem über dreißigjährigen Bürgerkrieg schrecklich zerstört wurde, in dem alles wieder aufgebaut werden muß und in dem es vor allem wichtig ist, daß Kinder eine Zukunft haben. Zukunft heißt für Kinder immer auch eine gute Ausbildung, damit sie ihr Leben später selbst gestalten können. Das große Vorhaben in Eritrea ist der Bau einer Mädchen- und Frauenschule. So soll beispielsweise eine Nähschule eingerichtet werden. Weil ich zutiefst von diesem Projekt überzeugt bin, hat sich auch die Bundesregierung an der Finanzierung der Ausrüstungsgegenstände beteiligt. Wir werden dieses Projekt, Herr Prälat Poll, weiter mit einer besonderen Freude begleiten. - Ich danke all denen, die dabei helfen.

 

Heute zu Beginn des Jahres 1998, sollten wir auch einmal darüber nachdenken, was es bedeutet, daß wir uns hier im achten Jahr der Deutschen Einheit zusammenfinden können. Es ist eine großartige Sache, daß im Kanzleramt Sternsinger aus allen Teilen unseres wiedervereinigten Vaterlandes versammelt sind und daß sich die Sternsinger aus den neuen Ländern so rasch und so ungewöhnlich erfolgreich in den Reigen der anderen Diözesen eingereiht haben. Es ist ein wichtiger Wunsch des Kindermissionswerks, daß sich die Sternsinger auch in anderen Ländern ansiedeln. Wenn dieser Wunsch einmal in Rom erkannt wird, bedeutet das ja etwas. Denn dort haben sie gelegentlich Probleme mit den Deutschen. Aber hier sind die Deutschen gewiß beispielhaft. Deswegen sage ich das auch in Richtung Rom, damit es dort möglichst viele hören können.

 

Die Sternsingeraktion hat sich schon weit über die Bundesrepublik Deutschland hinaus ausgebreitet. Es gibt erfreuliche Erfolge in Belgien, in den Niederlanden, in Frankreich, in Slowenien, in der Slowakei, in Polen, in Ungarn, in Kroatien, in Österreich und in Norditalien. - Was bedeutet das eigentlich heute, im Jahr 1998? Es bedeutet, daß Kinder in Europa gemeinsam für andere unterwegs sind - in einem Jahr, in dem wir in wenigen Monaten über die endgültige Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung entscheiden werden. In ein paar Jahren wird dann nicht mehr die D-Mark, sondern der Euro gesammelt werden. Es ist eine wunderbare Sache, daß Europa in den Herzen von Kindern lebt und es sich hier um ein Stück gelebtes Europa handelt, und zwar in der besten und reinsten Form, die denkbar ist, nämlich in der Bereitschaft, anderen zu helfen.

 

Meine Damen und Herren, liebe Sternsinger, wir haben in diesem Jahr noch ein Jubiläum: Dies ist die vierzigste Sternsingeraktion. Im Jahr 1959 hatte es - wie bei vielem, was sich später großartig entwickelt - ganz klein angefangen.

 

Die Kinder sammelten damals in 100 Gemeinden - wenn ich richtig informiert bin - 90000 D-Mark. Wenn man einmal zusammenzählt, was Kinder in Deutschland in diesen vierzig Jahren unter dem Motto "Kinder helfen Kindern" gesammelt haben, dann ist das rund eine halbe Milliarde D-Mark. Man muß lange suchen, bis man eine andere Gruppe oder Einrichtung findet, die in so vielen Jahren mit so vielen Kindern eine solch großartige Leistung erbringt. Es ist ein Glücksfall für Deutschland. Dafür bin ich ganz besonders dankbar.

 

Der Glücksfall hat wie immer viele Namen, aber einen ganz besonders - der steht hier neben mir: Prälat Arnold Poll. Er hat sich in diesen Jahren enorme Verdienste erworben. Wißt Ihr, liebe Kinder, er hat sich nicht hingestellt und gesagt: "Es geht nicht!" Das sagen ja viele Erwachsene häufig im Alltag. Nein, er ist hingegangen und hat sich gefragt: "Wieso sollte es nicht gehen?" Und so hat er das Werk begonnen. Ich habe das ein bißchen verfolgen können. Der Erfolg hat ja immer viele Väter. Und im nachhinein sagen viele: "Das mußte gutgehen." Das ist in der Bischofskonferenz, bei Kommunitäten und sonstwo nicht anders. Am Anfang aber ist der Erfolg nicht selbstverständlich. Das war auch bei der Sternsingeraktion so. Nicht jeder in unserer Kirche war damals der Meinung, daß es ein Riesenerfolg würde. Aber jetzt ist es ein Riesenerfolg. Und dieser Erfolg ist unverbrüchlich mit dem Namen Arnold Poll verbunden. Er ist Herz und Motor der Aktion.

 

Wer ihn eben gehört hat, stellt fest: Das war eine Ansprache an Euch Kinder und eine Lektion an uns Erwachsene in Sachen Mitmenschlichkeit und persönliche, herzliche Offenheit. Sie haben enorm viel getan. Ich will Ihnen von Herzen dafür danken. Ich meine, es ist angemessen, daß ich Ihnen zu dieser Stunde eine kleine Erinnerung überreiche, die Sie immer wieder daran erinnern soll, wie viele Freunde Sie haben. Sie haben diese Freunde erworben, weil Sie Freundschaft leben, und zwar in einer Weise, von der wir uns nur wünschen können, daß sie möglichst viele in unserem Land nachahmen.

 

Nochmals allen ein herzliches Willkommen und nochmals ganz herzlichen Dank für all die Mühe. Ich hoffe sehr, daß viele von Euch auch im nächsten Jahr wieder unterwegs sein werden, um Kindern in der Welt zu helfen. Und noch etwas: Der Wandbehang mit den abgebildeten Sternsingern und den Kindern gefällt mir besonders gut. Ich habe den Spender schon gebeten, den Wandbehang noch für einige Wochen hier im Kanzleramt hängen zu lassen. Der Spender ist zwar ein Schwabe, und die Schwaben geben ja angeblich nicht so gerne. Aber er war doch gleich bereit dazu. Ich kann mir so richtig vorstellen, wie manche Besucher, die in den nächsten Wochen ins Kanzleramt kommen, verblüfft davor stehen bleiben werden. Das ist die Sache wert, Herr Pfarrer! Auch ausländische Gäste werden es dann sehen und lesen: "Sternsingen in Deutschland". Das ist doch eine super Botschaft, um es in der Sprache junger Leute zu sagen. Vielen herzlichen Dank!

 

 

 

Quelle: Bulletin der Bundesregierung. Nr. 6. 26. Januar 1998.