8. September 1994

Ansprache bei dem Festakt im Schauspielhaus Berlin anlässlich der offiziellen Verabschiedung der Alliierten Truppen

 

Herr Präsident der Republik,

Herr Premierminister,

Herr Außenminister Christopher,

Herr Bundespräsident,

Exzellenzen,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

dies ist heute eine bewegende Stunde - für die Berlinerinnen und Berliner, für alle Deutschen und auch für die vielen, die, wie ich, diese Jahre nicht als Bürger Berlins erlebt haben. Als ich 1947 zum ersten Mal Berlin besuchte, war ich 17 Jahre alt. Die Stadt lag in Trümmern, die Zukunft im Ungewissen. Die wenigsten konnten hoffen, dass wir zum Ende dieses Jahrhunderts das Geschenk der Freiheit und der Einheit für ganz Deutschland erhalten würden. Fast ein halbes Jahrhundert lang haben die drei westlichen Alliierten, die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich und Frankreich, die Freiheit hier in Berlin und damit mitten in Deutschland und in Europa geschützt und verteidigt.

Wir Deutschen haben vor allem Grund zum Danken. Und wir danken unseren alliierten Freunden von Herzen für diese Freundschaft, für diese Partnerschaft in schwierigen Zeiten. Wir danken vor allem den Soldaten und ihren Familien für ihren jahrzehntelangen Einsatz, ihre Leistungen und ihre Hilfe für diese Stadt Berlin. Danken wollen wir ebenso den Verantwortlichen in der Politik in diesen Jahrzehnten, den Präsidenten der Vereinigten Staaten, den Präsidenten Frankreichs, den Premierministern Großbritanniens, all denen, die politische Verantwortung getragen haben.

Wir haben den Mitarbeitern der Regierungen in diesen Jahrzehnten zu danken, den Diplomaten und den vielen Bürgern aus den Ländern unserer Freunde, die in diesen Jahrzehnten immer wieder nach Berlin kamen und durch ihr Kommen Signale der Freundschaft, Signale der Zukunft setzten.

Vor einer Woche haben wir in Anwesenheit von Präsident Jelzin die letzten russischen Truppen aus Deutsehland verabschiedet. Die Russen haben Wort gehalten. Das ist ein Signal für eine gute gemeinsame Zukunft auf unserem europäischen Kontinent.

Weltweit steht die Außenpolitik vor großen Herausforderungen. Angesichts fortdauernder oder neuer Krisen und Konflikte, auch in Europa, ist unser entschiedener Einsatz für Frieden und Freiheit immer wieder gefordert. Der heutige Tag gehört aber der Erinnerung und dem Dank an einen der großen politischen und diplomatischen Erfolge in der modernen Geschichte internationaler Beziehungen. Die jahrzehntelange Präsenz der drei Mächte in Berlin dokumentierte vor aller Welt, dass wir uns mit der Teilung Deutschlands und Europas niemals abfinden würden.

Niemand wird vergessen, weshalb die Alliierten nach Deutschland und hierher nach Berlin kamen. Sie kamen am Ende eines Kriegs, der von einer verbrecherischen deutschen Diktatur entfesselt worden war. Sie kamen als Sieger über Gewalt und Unrecht. Was wäre aus Deutschland und Europa geworden, hätten sie dem Tyrannen nicht militärische Gewalt entgegengesetzt?

Wir Deutschen werden diese Lektion der Geschichte nie vergessen. Bis heute hat sich die Hoffnung auf eine friedfertige Welt nicht erfüllt. Deshalb wollen wir Deutschen unsere volle Verantwortung bei der Aufrechterhaltung des Friedens an der Seite unserer Freunde und Partner entsprechend der Charta der Vereinten Nationen wahrnehmen.

Amerikaner, Briten und Franzosen reichten schon bald nach 1945 den Besiegten die Hand, sie brachten Freiheit und Demokratie. Bei der Luftbrücke, derer wir soeben besonders gedacht haben, wurden aus Siegern Schutzmächte und Partner, aus Gegnern wurden Verbündete und Freunde.

Der Westteil dieser Stadt blieb jahrzehntelang in höchst prekärer und gefährdeter Lage. Es gab manche, die Berlin für politisch, wirtschaftlich und militärisch unhaltbar hielten. Bei den Berlin-Krisen Ende der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre gab es auch einige, die verzagten und nachgeben wollten. Gestützt auf die Entschlossenheit der Berliner, haben alle Bundesregierungen seit 1949 mit den Amerikanern, den Briten und den Franzosen zusammengewirkt, um die Freiheit und Lebensfähigkeit dieser Stadt zu sichern.

Beharrlichkeit und Prinzipienfestigkeit haben sich ausgezahlt. Wir haben in diesen Jahren Schritt für Schritt immer enger zusammengearbeitet - in Berlin, in Bonn, in Washington, London und Paris. Dies war und bleibt eine Erfolgsgeschichte auch der Politik und der Diplomatie. Das unbeirrbare Festhalten am Viermächte-Status von Berlin hat wesentlich dazu beigetragen, dass die deutsche Frage offen blieb, dass die Teilung unseres Vaterlands schließlich überwunden werden konnte.

Vor bald fünf Jahren fiel die Berliner Mauer. Millionen von Fernsehzuschauern in aller Welt sahen die Bilder der Freude von Menschen, die jahrzehntelang gewaltsam voneinander getrennt worden waren. Damit begann der Weg zur Deutschen Einheit. Das Tempo wurde von den Menschen bestimmt, die auf den Straßen und Plätzen der früheren DDR mit wachsendem Nachdruck für Freiheit und Einheit demonstrierten. Nicht einmal ein Jahr später war der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet und Deutschland wiedervereinigt.

Heute, mit der Verabschiedung der letzten Alliierten Truppen aus Berlin geht eine Periode der Nachkriegszeit zu Ende. Im Westen Deutschlands bleiben amerikanische, britische und französische Soldaten als Verbündete stationiert.

Partnerschaft und Integration im Rahmen der Bündnisse NATO und WEU sind für unsere Streitkräfte die Perspektive der Zukunft. Die Atlantische Allianz bleibt Eckpfeiler der Sicherheit in Europa.

Wir wollen den großen Erfolg, den die alliierte Präsenz in Berlin in der Außen- und Sicherheitspolitik darstellte, für die Zukunft nutzen. Er beruhte wesentlich auf Geschlossenheit und gemeinsamem Handeln. In diesem Geiste wollen wir Deutschen gemeinsam mit unseren Partnern und Freunden unserer Verantwortung für den Frieden in der Welt auch in Zukunft gerecht werden.

Der mittlerweile Geschichte gewordene Deutschlandvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten hatte schon 1954 die friedliche Verwirklichung eines wiedervereinigten, in die Europäische Gemeinschaft integrierten Deutschland mit freiheitlich-demokratischer Verfassung zum gemeinsamen Ziel erklärt. Der Auftrag ist erfüllt.

Die Atlantische Allianz hat die Freiheit Berlins durch die Jahrzehnte beschworen. Wir danken unseren amerikanischen, britischen und französischen Freunden. Wir werden uns immer daran erinnern, dass die Anwesenheit Ihrer Soldaten es überhaupt erst ermöglicht hat, in Berlin frei zu atmen. Wir werden auch nie vergessen, dass diese jungen Menschen ganz persönliche Opfer brachten, da sie fern ihrer Heimat, oft fern ihrer Familien hier ihren Dienst taten. Sie haben diesen Dienst für die Freiheit Berlins und damit für die Freiheit ganz Deutschlands geleistet. Dafür verdienen sie unseren bleibenden Dank. Heute, bei Ihrem Abschied aus Berlin, können wir endgültig der ganzen Welt, den Menschen überall zurufen: Die Freiheit hat gewonnen.

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung Nr. 83 (14. September 1994).