David Schumann
Die Familienpolitik der Ära Kohl war in den achtziger Jahren geprägt von einem weitreichenden familienpolitischen Programm, das in klarer Abgrenzung zur vorherigen sozial-liberalen Koalition umgesetzt wurde. Es etablierte mit dem Erziehungsgeld ein neuartiges Förderinstrument, betrat mit den Erziehungszeiten in der Rentenversicherung strukturell neue Pfade und erreichte mit der zusätzlichen Ausweitung des Familienlastenausgleichs insgesamt ein erhebliches finanzielles Volumen. In der zweiten Hälfte der Regierung Kohl nach der Wiedervereinigung gab es keine finanziellen Spielräume mehr für die Realisierung neuer Konzepte. Lediglich der erhebliche Ausbau des Familienlastenausgleiches wurde nach grundlegenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt.
Der Familie kam in der christdemokratischen Gesellschaftspolitik immer eine zentrale Bedeutung zu. Familienpolitik war folglich nie nur irgendein Anhängsel der Sozialpolitik, sondern in der Programmatik der Union immer eigenständiger Teil der Gesellschafts- und Sozialpolitik. Während der siebziger Jahre erfuhr dieses Themenfeld eine politische Aufwertung. Verbunden mit der Übernahme des Parteivorsitzes durch den jungen und reformorientierten, rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Helmut Kohl 1973 intensivierte die CDU unter seinen Generalsekretären Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler ihr gesellschafts- und sozialpolitisches Profil. Während die Familie in der Gründungsphase der Bundesrepublik innerhalb der Union wie selbstverständlich als „staatstragende“ Gemeinschaft angesehen wurde, deren Wohlergehen vor allem durch Nichteinmischung von außen gesichert werden sollte, wuchs in den siebziger Jahren das Bewusstsein für eine – so wahrgenommene – notwendige Unterstützung der Familien durch den Staat. Einerseits grenzte die CDU sich damit von der Politik der sozial-liberalen Regierung ab, der man vorwarf, mit ihrer Gesellschaftspolitik die Familie als Institution zu schwächen, andererseits reagierten die Unionsparteien damit auf soziostrukturelle Veränderungen, aus denen man Tendenzen einer Schwächung der Institution Familie insgesamt ablas. Dazu gehörten der deutliche Geburtenrückgang, die sinkende Heiratsneigung und die steigenden Scheidungsraten und damit auch eine wachsende Zahl von Alleinerziehenden.
Ein wichtiger Schritt in diesem Prozess war beispielsweise ein familienpolitischer Kongress 1974, der hier als Signal für eine Neuorientierung gelten sollte. Die aus diesem Prozess entstandenen familienpolitischen Leitsätze von 1976 enthielten dann auch nahezu alle in den achtziger Jahren relevanten familienpolitischen Ziele und Instrumente: Kinderbetreuung durch die Eltern, Aufwertung von Erziehungsarbeit, sowie bessere finanzielle Unterstützung von Familien. Die programmatischen Weichen, vor allem beim Erziehungsgeld und der Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, die hier gestellt wurden, bildeten das Grundgerüst der weiteren Entwicklung. Prägend bei der Ausarbeitung des Programms in der Partei waren unter anderem der rheinland-pfälzische Sozialminister Heiner Geißler für die Sozialausschüsse der CDU und die Vorsitzende der Frauenvereinigung der Union Helga Wex.
Nach dem Regierungsantritt der Union 1982 kam es angesichts der Haushaltslage zuerst zu harten Sparmaßnahmen in der Familienpolitik. Das Mutterschaftsgeld wurde gekürzt, beim Kindergeld bis auf einen Sockelbetrag Einkommensgrenzen eingefügt. Aber schon in den nächsten Jahren folgte dann im Kontext der „Wende“, mit der ein kompletter Politikwechsel in ganz verschiedenen Bereichen in Abgrenzung zur vorherigen SPD-FDP-Regierung angestrebt wurde, eine weitgehende Umsetzung des bis dahin erarbeiteten CDU-Programms. Garant für die Umsetzung war Generalsekretär und Familienminister Heiner Geißler. Für die Ausweitung der Maßnahmen in den darauffolgenden Jahren kämpfte Rita Süssmuth, seine Nachfolgerin im Amt der Familienministerin. Die Union beschloss bis 1985, in einer Phase großer Einigkeit über die Flügel der Partei und Fraktion hinweg, im Verbund mit dem Koalitionspartner FDP, mit der „Familienoffensive“ ein Maßnahmenpaket von zehn Milliarden DM. Dieses enthielt mit dem Erziehungsgeld, dem Erziehungsurlaub und der Anerkennung von Erziehungszeiten grundlegende Neuerungen.
Schon 1974 brachte die Unionsfraktion einen Vorschlag für ein Erziehungsgeld in den Bundestag ein, wo er allerdings aufgrund der Mehrheitsverhältnisse und später auch der finanziellen Situation des Bundes vorerst keine Chance auf Umsetzung hatte. Nichtsdestotrotz wurde es zur zentralen familienpolitischen Forderung der CDU schon in den siebziger Jahren. Das Erziehungsgeld sollte Eltern ermöglichen, bei insgesamt steigender Erwerbstätigkeit der Frauen, ihre Kinder in den ersten Jahren zu Hause zu betreuen und so dem Kindeswohl dienen. Gleichzeitig sollte es helfen, die wahrgenommene ungleiche gesellschaftliche Anerkennung von erwerbstätigen und nicht-erwerbstätigen Frauen und Müttern zu überwinden. Nicht zuletzt sollte es außerdem eine gesamtgesellschaftliche Anerkennung der Erziehungsleistung gewährleisten. 1978/79, als die Regierung Schmidt ein Mutterschaftsgeld einführte, das allerdings nur für erwerbstätige Frauen gezahlt wurde, zeigte sich die Attraktivität des Konzeptes.
Der CDU gelang es trotz Uneinigkeit mit der CSU, ihr Modell eines Familiengeldes für alle Mütter in der Öffentlichkeit als Gegenentwurf zu positionieren. Mit dem Regierungswechsel wurde das Erziehungsgeld schnell zu einem zentralen Gesetzgebungsvorhaben in der Gesellschaftspolitik, das der eigenen Klientel die „Wende“ in der Familienpolitik dokumentieren sollte. Im Ergebnis wurde das Erziehungsgeld in Höhe von 600 DM monatlich ab 1986 für zehn Monate und ab 1988 für zwölf Monate gezahlt. Ab dem sechsten Monat sollten Einkommensgrenzen gelten, ab denen das Erziehungsgeld schrittweise gemindert werden sollte. Eine Teilzeitbeschäftigung sollte bis zu einer Halbtagsstelle ohne Abzüge möglich sein. Der Erziehungsurlaub, das heißt die Freistellung vom Arbeitsplatz zur Kinderbetreuung, sollte ebenfalls zehn beziehungsweise zwölf Monate dauern können. Von über 95 Prozent aller berufstätigen Frauen angenommen, wurde es zeitlich immer weiter ausgedehnt. Zuletzt wurde es 1991 auf zwei Jahre erweitert. Zusammen mit dem in einigen unionsgeführten Ländern eingeführten Landeserziehungsgeld für ein weiteres Jahr und dem dreijährigen Erziehungsurlaub, der einen Kündigungsschutz für Eltern garantierte, die die Leistungen in Anspruch nahmen, erreichte die Union ihr Ziel, für die ersten drei Jahre eines Kindes mit einer sozialen Leistung die Erziehung durch einen Elternteil zu ermöglichen. Auch wenn es nicht gelang, die finanzielle Ausstattung von 600 DM pro Monat seit 1986 nochmals zu erweitern und auch die Einkommensgrenzen so niedrig blieben, dass im Laufe der Jahre immer weniger Eltern Erziehungsgeld beziehen konnten, lässt sich bezüglich dieses familienpolitischen Instrumentes ein roter Faden von den Siebzigern bis in die neunziger Jahre ziehen, der einen echten Paradigmenwechsel in der Familienpolitik bedeutete.
Gleiches gilt für die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Eine im Kern rentenpolitische Maßnahme, die von familienpolitischen Grundsätzen getrieben wurde. Familienarbeit sollte auch in der Rentenversicherung anerkannt werden, parallel zum eingeführten Erziehungsgeld. Typisch für rentenpolitische Fragen wurden die Erziehungszeiten einerseits von der Diskussion über die Kostenübernahme (Beitragszahler vs. Bundeshaushalt) geprägt und andererseits von einer breiten Gerechtigkeitsdebatte begleitet. Denn ursprünglich sollten nur Frauen, die mit dem Stichtag 1. Januar 1986 in Rente gingen, davon profitieren. Diese Benachteiligung der „Trümmerfrauen“ trat unionsintern und in der Öffentlichkeit eine intensive Debatte los. Dies ließ sich politisch nicht durchhalten, schon 1987 besserte man auch für die Jahrgänge vor 1921 nach. Die Erziehungszeiten waren fest gebunden an die Leitvorstellung der häuslichen Kindererziehung, denn die Rentenanwartschaften erwerbstätiger Mütter wurden auf die Erziehungsleistungen angerechnet. Bereits in den siebziger Jahren im Programm, konnte die Union die Forderungen 1986 mit einem ersten Anerkennungsjahr umsetzen. Mit der Rentenreform 1992, die noch 1989 beschlossen wurde, kamen zwei weitere Jahre hinzu. Auch hier erfüllte man die eigenen Ziele, mehr Anerkennung von Erziehungsleistungen zu garantieren.
Zur Neuordnung der familienpolitischen Leistungen gehörte auch die Wiedereinführung des dualen Familienlastenausgleiches (FLA) – zusammengesetzt aus Kindergeld, Kindergeldzuschlag sowie Kinderfreibetrag bei der Einkommenssteuer. Nachdem das Familiensplitting, als teures und aufgrund der sehr unterschiedlichen Entlastungswirkung von Familien in der Öffentlichkeit schwer zu vermittelndes Konzept gescheitert war, einigte man sich auf eine Kombination aus steuerlichen Entlastungen und Sozialleistungen. Die lange und laute Debatte drehte sich einerseits um horizontale Gerechtigkeitsfragen: Haushalte mit Kindern sollten steuerlich bessergestellt sein als Haushalte ohne Kinder. Andererseits ging es um vertikale Gerechtigkeitsfragen: einkommensschwache Familien sollten nicht weniger Entlastung bekommen als Einkommensstärkere, was bei einer rein steuerlichen Entlastung der Fall gewesen wäre. Dass die Regierung sich der fortgesetzten Angriffe auf die vermeintliche Gerechtigkeitslücke der steuerlichen Entlastung nicht entziehen konnte, zeigte sich in der Neukonstruktion des FLA, die neben den Freibeträgen den Kindergeldzuschlag enthielt, der einkommensschwachen Familien gezahlt werden sollte. Immerhin machte am Ende der Debatte allein dieser Teil des Programms eine Familienentlastung von fünf Milliarden DM aus.
Die Veränderungen im Ehe- und Familienrecht nehmen sich gegenüber den materiellen Maßnahmen bescheiden aus und wurden von diesen überlagert. Die großen Debatten und Reformen waren in diesem Feld in den siebziger Jahren geführt und umgesetzt wurden. Die Union reformierte in den siebziger Jahren gemeinsam mit der sozial-liberalen Koalition das Ehe- und Familienrecht. Die „Hausfrauenehe“ und die rechtlichen Rollenzuschreibungen von Mann und Frau in der Familie wurden abgeschafft, das Scheidungsrecht weitreichend liberalisiert. Auch wenn ein Großteil der Unionspolitiker vielen Grundfragen, etwa der Schwächung der Institution Ehe, kritisch gegenüberstand, war es nie Ziel der Parteiführung, eine Revision dieser Entwicklung anzustreben. Vielmehr versuchte man nach dem Regierungsantritt, über die Aufwertung der Erziehungsarbeit und eine bessere soziale Absicherung von Hausfrauen traditionelle Familien- und Ehemodelle zu unterstützen.
Die FDP begab sich durch ihre Koalition mit der Union in ein familienpolitisches Spannungsfeld. Den Liberalen lag viel daran, gerade in der Gesellschaftspolitik nicht als Erfüllungsgehilfe einer „Wende“ dazustehen. Strikt wachte man deshalb etwa über den rechtspolitischen Themen wie der in den siebziger Jahren etablierten Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch und im Eherecht. Die FDP war in der materiellen Ausgestaltung der Familienpolitik durchaus bereit zu Korrekturen und auch zu Zugeständnissen an den großen Koalitionspartner. Das zeigte sich insbesondere bei der Umsetzung der Familienoffensive. Dabei half auch die Tatsache, dass die familienpolitische Programmatik nicht stark ausgeprägt war. Die FDP propagierte hier ein freiheitliches Familienbild ohne Engführung auf bestimmte Rollenbilder oder Familienformen und setzte auf eine Vereinfachung der Familienunterstützung, besonders durch steuerliche Anreize. Stärker waren in der Partei nach dem Austritt zahlreicher sozial-liberaler Protagonisten aber die wirtschafts- und haushaltspolitischen Stimmen, die Ausgabenkürzungen und allgemeinen Steuerentlastungen den Vorzug gaben. Im Verbund mit dem Wirtschaftsflügel der Union wurden diese Stimmen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in der Koalition immer dominanter.
Die Bundesrepublik musste mit der Wiedervereinigung eine Herausforderung meistern, die sich auf alle Politikbereiche auswirkte. Obwohl bei der Implementierung der gesamtdeutschen Familienpolitik Kontinuität vorherrschte und besonders die Leistungsgesetze fast ausnahmslos dem westdeutschen Vorbild folgten, blieb die Einheit nicht ohne Folgen für die Familienpolitik. Vor allem die Sozialstruktur der Familien wurde wesentlich diverser: Die neuen Länder waren durch höhere Scheidungsraten, mehr Alleinerziehende und mehr unverheiratete Paare mit Kindern geprägt. Zudem brachte die Einheit auch eine erneute intensive Debatte über das Abtreibungsrecht. Aber vor allem veränderten sich die finanziellen Rahmenbedingungen für die Familienpolitik drastisch. Die Kosten der Wiedervereinigung nach dem Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft, auch in Form massiver Transferzahlungen von West nach Ost, und die grassierende Arbeitslosigkeit belasteten den Bundeshaushalt dramatisch. Hinzu kam die schlechte wirtschaftliche Entwicklung im Westen nach dem „Vereinigungsboom“, die alle Spielräume für einen weiteren Ausbau der familienpolitischen Leistungen konterkarierte.
Die zuständigen Familienministerinnen Hannelore Rönsch und Claudia Nolte kämpften gemeinsam mit den Sozialpolitiken der Fraktion und der Partei meist vergebens gegen diese Umstände an. Die Politik nach Kassenlage wurde zu einem grundsätzlichen Hindernis für die Familienpolitik, das nur aufgrund von anderen externen Vorgaben, vor allem des Bundesverfassungsgerichtes, überwunden werden konnte. Dieses erzwang mit familienpolitisch brisanten Urteilen unteranderem zur Steuerfreiheit des Existenzminimums und Grundfreibetrags die Regierung Kohl zu einem massiven Ausbau des FLA und bestimmte die Agenda der Familienpolitik der neunziger Jahre. Das Kindergeld wurde in der Folge in mehreren Schritten vor allem für das erste und zweite Kind stark angehoben, der Steuerfreibetrag ausgeweitet. Diese Milliardeninvestitionen in den FLA hätten sonst aufgrund finanzieller Probleme der Staatskasse keinerlei Chance auf eine Realisierung gehabt. Zudem verlor die Regierung Kohl die Mehrheit im Bundesrat an die Opposition aus SPD und Bündnis-Grünen, ein Umstand, der sie auch in der Familienpolitik immer wieder zu Kompromissen zwang und zudem einige Sparvorhaben, beispielsweise beim Kindergeld, verhinderte.
Neben den erfolgreichen Initiativen auf dem Politikfeld standen auch eine ganze Reihe von gescheiterten Ideen. Allen voran das Familiensplitting, das die steuerliche Entlastung des Ehegattensplittings bei der Berechnung der Einkommenssteuer durch die Berücksichtigung der Kinder einer Familie verstärken sollte und einen völlig neuen Ansatz für den FLA darstellte. Bereits in den sechziger Jahren diskutiert, erlebte es in der Union zum Ende der siebziger Jahre eine Renaissance und wurde vor allem zum Beginn der Regierungszeit der CDU/CSU-FDP Koalition angestrebt. Die steuerrechtliche Komplexität des Vorhabens, die hohen Kosten, die schwer zu vermittelnde progressive Entlastungswirkung für Besserverdiener und vor allem die schwierige Neuordnung der Finanzordnung zwischen Bund und Ländern verhinderten eine Einführung. Auch der Vorschlag von Familienministerin Hannelore Rönsch, Kinderlose stärker zu besteuern und damit Familien zu entlasten, scheiterte schon im Ansatz an der Empörung der Öffentlichkeit, wie auch weiter Teile der Regierungskoalition.
Es kam auch zu zaghaften, aber erfolglosen Versuchen, nach der Wiedervereinigung dezidiert ostdeutsch geprägte Instrumente auf die familienpolitische Agenda zu setzen und damit auch die christdemokratische Familienpolitik mit neuen Impulsen zu versehen. Frauenministerin Angela Merkel schlug im Rahmen eines Begleitgesetzes zum Schwangerschaftsabbruch die Zahlung eines Familiengeldes von einmalig 1.000 DM vor, das Familien zu je 500 DM vor und nach der Geburt eines Kindes erhalten sollten. Diese Maßnahme entsprach dem Vorbild des sogenannten „Begrüßungsgeldes“. Letztlich scheiterte der Gesetzentwurf und damit auch das Familiengeld an den im Zuge der Abtreibungsdebatte vom Fraktionszwang gelösten Mehrheitsverhältnissen im Bundestag. Einen weiteren Vorstoß der ostdeutschen Landesverbände stellte der Vorschlag dar, so genannte Kinderkredite einzuführen. Zurückgehend auf eine DDR-Familienförderung für junge Eheleute sollten Familien einen zinslosen Kredit von 15.000 DM erhalten, schlug der sächsische Staatsminister für Umwelt und Landesentwicklung, Arnold Vaatz, vor.
Helmut Kohl selbst trat selten stärker in den familienpolitischen Debatten in Erscheinung. Nur in den zugespitzten Verhandlungssituationen, die beständig zwischen Finanzministerium oder Arbeitsministerium entstanden, kam es immer wieder auf die Vermittlung des Kanzleramtes an. Kohl setzte Impulse in der Familienpolitik vor allem durch Personalentscheidungen, zuerst in der Parteiführung mit Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler, später für die progressiven Familienminister Heiner Geißler, Rita Süssmuth und Ursula Lehr. Motor der familienpolitischen Entwicklung war er indes nicht. Gleichwohl erkannte er früh die Bedeutung der Familienpolitik für die Sozial- und Gesellschaftspolitik und verantwortete als Parteichef und später Kanzler die Entwicklung und die Umsetzung der Reformerkonzepte in den siebziger und achtziger Jahren.
Die konkrete Politik der Regierung Kohl war eingebettet in verschiedene Wirkungszusammenhänge und übergeordneten Wert-Debatten, die im Weiteren kurz skizziert werden sollen.
Diese sozioökonomischen Rahmenbedingungen waren das Hintergrundrauschen für die familienpolitischen Debatten jener Zeit. Die in Zahlen messbare abnehmende Bedeutung der „bürgerlichen Kleinfamilie“, wurde begleitet von der steigenden Erwerbstätigkeit der Frauen und Mütter. Obwohl die Ehe mit Kindern die mit Abstand wichtigste Familienform blieb und noch bis in die neunziger Jahre hinein über drei Viertel aller in Deutschland geborenen Kinder bei verheirateten Eltern aufwuchsen, veränderten sich die familialen Strukturen deutlich. Als Konsequenz stieg auch die Anzahl der Alleinerziehenden, genauso wie die Gruppe der nicht-ehelichen Partnerschaften mit Kindern. Auch die Union diskutierte diese Entwicklung: Während man einerseits am Leitbild der ehebasierten Familie festhielt, rückten schon in den siebziger Jahren die Alleinerziehenden stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit. Mit der Wiedervereinigung vergrößerten sich die Herausforderungen noch, denn mit einem höheren Anteil von Alleinerziehenden und unverheirateten Eltern in den neuen Ländern verstärkte sich deren Bedeutung für die Politik.
Prägenden Einfluss auf die Konzeption und Implementierung der christdemokratischen Familienpolitik hatte die Abtreibungsdebatte. Zu Beginn der siebziger Jahre gab die von der sozial-liberalen Regierung angestrebte Liberalisierung des Paragraphen 218 StGB zum Schwangerschaftsabbruch den entscheidenden Impuls für die Erarbeitung eines familienpolitischen Programms der Union, vor allem der CDU. Angesichts der parlamentarischen Minderheitsposition, die eine Verhinderung des Vorhabens unmöglich machte, entwickelten die Sozialpolitiker der Union ein umfassendes Sozialprogramm für Familien, um diesen die Entscheidung für Kinder in materiellen Notlagen zu erleichtern: Abtreibung aus sozioökonomischen Erwägungen sollten so verhindert werden. Rechtliche Fragestellungen wurden hier auf sozialpolitische Ansätze überführt, um die Positionen von CDU und CSU markieren zu können. Zum Kernstück dieser Konzeption wurde das Erziehungsgeld. Aber auch die Ausweitung des Familienlastenausgleichs und die Einführung eines Babyjahres in der Rentenversicherung wurden hier bereits angedacht.
Neu belebt wurde die Debatte mit der Wiedervereinigung. Hier traf der in der alten Bundesrepublik mühsam ausgehandelte Kompromiss auf die längst bestehende Fristenlösung der DDR. Die Befürworter einer weiteren Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchrechts nutzten diese Gelegenheit, für den Versuch erneut eine Fristenlösung – diesmal für Gesamtdeutschland – durchzusetzen. Erst das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1993 führte mit der in der Folge politisch umgesetzten sogenannten Beratungslösung zu einer vorläufigen Befriedung der Debatte. Die Union, die nun weniger einheitlich als noch in den siebziger Jahren in dieser Frage positioniert war, antwortete wiederum mit dem Bemühen, die materielle Unterstützung für Familien auszubauen. Darunter fielen unter anderem der erneute Ausbau des Erziehungsgeldes und der gescheiterte Versuch, ein Familiengeld für Neugeburten einzuführen.
Die christdemokratische Familienpolitik war nicht von den frauenpolitischen Debatten zu trennen, weder im konzeptionellen Bereich, noch in der Ausgestaltung der praktischen Politik. Themen wie die Kinderbetreuung und Aufwertung der Familienarbeit zeigen dies eindrücklich. Stärker als in der Familienpolitik war die CDU bestrebt, hier ein „moderneres“ Leitbild zu erarbeiten; die „Partnerschaft“ von Mann und Frau, wie vor allem das Ziel der „Wahlfreiheit“ für Frauen, Familie und Beruf zu verbinden, waren hier zentrale Leitmotive, die die CDU auf ihren Parteitagen in Mannheim 1975 und Essen 1985 der Öffentlichkeit präsentierte. Sie verband alte Überzeugungen mit reformerischen Elementen. Die Gleichberechtigung der Frau wurde nicht nur zwischen Mann und Frau in Familie und Erwerbstätigkeit angestrebt, sondern auch und gerade zwischen erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Frauen, die sich Kindern und Haushalt widmeten. Die offenen Konzepte der CDU sprachen die eigene Klientel an und fanden durch die Betonung der freien Wahl auch in der Öffentlichkeit Zustimmung. Damit gelang es der CDU in der Frauen- und Familienpolitik, schwierig zu vereinbarende Positionen, wie die individuellen Freiheitsbestrebungen der Frauen einerseits und die Unterstützung der Institution Ein-Verdiener-Familie andererseits, miteinander zu verbinden.
Die Ära Kohl wurde von relativ beständigen Leitbildern in der Familienpolitik innerhalb der Union über drei Jahrzehnte hinweg geprägt. Wenn überhaupt öffnete die CDU ihre Vorstellung nur langsam für neue Einflüsse und integrierte diese, ohne allerdings von den bestehenden ruckartig abzurücken. Das Ideal der ehebasierten „bürgerlichen Kleinfamilie“ wurde von der Mehrheit grundsätzlich nicht infrage gestellt. Dies bedeutete nicht, dass andere Lebensformen nicht beachtet wurden oder wie im Falle der Alleinerziehenden nicht ein besonderer Unterstützungsbedarf ausgemacht wurde. Aber die Konzeption der Familienpolitik bis in die neunziger Jahre ging von der aus dieser Sicht „vollständigen“ Familie aus und versuchte diese auch zu unterstützen. Vorstöße aus der Parteimitte in den neunziger Jahren, im Zuge der Beratungen zu einem neuen Grundsatzprogramm das Ehegattensplitting zu begrenzen, um finanzielle Mittel für die Familienförderung zu erhalten, scheiterten beispielsweise. Der Ansatz, der auch eine Entkoppelung von Ehe und Familie signalisiert hätte, wurde nicht einmal zur Abstimmung gestellt.
Zu den christdemokratischen Leitlinien gehörte auch der Kampf für die Anerkennung der Familienarbeit, die von Hausfrauen bei der Kindererziehung geleistet wurde. Das Erziehungsgeld, der Erziehungsurlaub und die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung zeugen von der praktischen Umsetzung dieses Leitbildes. Damit eng verbunden war die Idealvorstellung der häuslichen Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren. Einem modifizierten Drei-Phasen-Modell folgend, setzte sich die Union gleichbleibend für die Möglichkeit der Kleinkinderziehung durch die Eltern und eine anschließende Rückkehr in den Beruf ein. Tragendes Motiv für diese Haltung war das Kindeswohl, das man in Einklang mit den Vertretern der Bindungstheorie und der Deprivationsforschung gefährdet sah, wenn Kindern zu früh eine feste Bezugsperson, im Idealfall die eigenen Eltern, fehlte. Familie und Beruf sollten demnach nicht gleichzeitig, sondern in aufeinanderfolgenden Phasen vereinbar sein. Vorstöße, dieses Leitbild aufzubrechen und sich, wie etwa Familienministerin Ursula Lehr Ende der achtziger Jahre forderte, offensiv für eine außerhäusliche Betreuung von Zweijährigen einzusetzen und eine frühere Berufstätigkeit von Müttern anzustreben, scheiterten am Widerstand der Parteimehrheit. Auch in den neunziger Jahren, als das umfassende Krippennetz und der sozialkulturelle Wert der weiblichen Erwerbstätigkeit in Ostdeutschland die Haltung der Union, auch mittels ostdeutscher CDU-Politiker, wie Frauenministerin Angela Merkel, herausforderten, blieb die Mehrheit der CDU auf diesem Kurs. Lediglich ein „bedarfsgerechter“ Ausbau der Betreuung war vereinbar mit den vorherrschenden Überzeugungen. Trotzdem öffneten sich die Debatten immer stärker für Belange der Familienformen außerhalb der „bürgerlichen“ Kleinfamilie. Sichtbar wurde dies zunächst allerdings eher in Detailfragen, wie der Öffnung des Erziehungsgeldes und Erziehungsurlaubes auch für nicht-eheliche Väter. Die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern und vor allem ihre wachsende gesellschaftliche Anerkennung hinterließ ebenfalls Spuren, nicht nur in der frauen-, sondern auch in der familienpolitischen Programmatik der CDU. Verbunden mit dem Wunsch der besseren sozialen Absicherung der Frauen, vor dem Hintergrund steigender Scheidungszahlen, strebten die Christdemokraten auch die bessere Anerkennung von Familienarbeit und dementsprechend eine Besserstellung von Hausfrauen an.
In den siebziger Jahren erfuhr die Familienpolitik, wie die Sozialpolitik allgemein, eine grundsätzliche Aufwertung, nochmals verstärkt durch die Lebensrechtsfrage. Im Kontext der angestrebten „Wende“ nach dem Regierungswechsel 1982 kam ihr dann eine bedeutende Rolle zu. Hier können in der Familienpolitik die zentralen Zeichen einer veränderten Gesellschaftspolitik ausgemacht werden. Nach einer Phase der Einsparungen, die vom wachsenden Unmut der eigenen Klientel begleitet waren, brachte die Regierung Kohl ein milliardenschweres familienpolitisches Paket auf den Weg. Im Gegensatz zu anderen Politikfeldern existierte hier ein umfassendes Programm, das in weiten Teilen umgesetzt wurde und die Familienpolitik der Regierung Kohl insgesamt stark prägte. In den neunziger Jahren dominierten die Debatten um Wiedervereinigung, Wirtschaftsentwicklung und Haushaltsengpässe. Die Kraft und die Finanzmittel neue eigene Impulse umzusetzen, fand die Union nicht mehr.
Das Thema Familie und damit auch die Familienpolitik war stets verankert in den Programmen und der Weltanschauung der Partei. Die intensiven Aushandlungsprozesse lassen erkennen, wie wichtig dieses Politikfeld für das Selbstverständnis der CDU und der Union insgesamt während der Ära Kohl war.