Juni 1980

Perspektiven deutscher Außenpolitik für die achtziger Jahre

Beitrag in der Zeitschrift „Sonde"


Die internationale Politik befindet sich in einer strukturellen Umbruchphase. Die aktuellen Krisen im Iran und in Afghanistan sind Ausdruck dieser internationalen Veränderungen und verdeutlichen die rasche Veränderung der Strukturen. Die westliche Welt ist unsicher geworden, ob die bisherigen Konzepte wie Abschreckung und Entspannung noch effizient sind. Die Ratlosigkeit macht weltpolitische Zufälle möglich, die den Frieden gefährden.

Die Bundesrepublik Deutschland ist in vielfacher Weise von der Außenwelt abhängig. Es ist deshalb notwendig, ja überfällig, dass gerade auch wir Deutschen die Perspektiven unserer Außen- und Deutschlandpolitik für die achtziger Jahre diskutieren und bestimmen.

In den ersten dreißig Jahren deutscher Außenpolitik nach 1949 ist die internationale Politik in erster Linie von der Auseinandersetzung und den Kräfteverhältnissen der beiden Machtblöcke im Osten und Westen unter Führung der beiden Supermächte Sowjetunion und USA beherrscht worden. Dieser Konflikt wurde im wesentlichen von zwei Faktoren bestimmt:

1. von der machtpolitischen Rivalität beider Supermächte,

2. vom Antagonismus beider politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ordnungen.

Der Wandel innerhalb dieser bipolaren Struktur ist deutlich. Die Sowjetunion hat durch ihre forcierte Aufrüstung auf allen Ebenen das militärische Kräfteverhältnis im globalen wie im regionalen Rahmen grundlegend verändert. Die SALT-Abkommen sind Ausdruck des nuklear-strategischen Gleichgewichts zwischen den USA und der UdSSR. Im Bereich der kontinentalstrategischen und konventionellen Waffensysteme hat Moskau tendenzielle beziehungsweise regionale Überlegenheit vor allem in Mitteleuropa erreicht. Auf dem maritimen Sektor ist heute die sowjetische Flotte auf allen Weltmeeren präsent. Die sowjetischen Stellvertreterkriege in Afrika, am Golf von Aden und in Asien waren die Auswirkungen dieser Entwicklung. Die Intervention in Afghanistan ist das erste direkte militärische Hinausgreifen der Sowjetunion in ein Land außerhalb des Warschauer-Pakt-Gebietes.

Geblieben ist der ideologische Anspruch der sowjetischen Führung auf ihr Machtmonopol im eigenen Land und innerhalb des Warschauer Paktes, den sie nach wie vor durch die Berufung auf den Antagonismus der Ost-West-Systeme legitimiert. Mit diesem Anspruch bleibt der Ost-West-Konflikt von nicht voraussehbarer Dauer, auch wenn neue Machtzentren wie China als potentielle dritte Weltmacht, Japan und Europa hinzugekommen sind und neue multipolare Strukturen eröffnet haben.

Der Prozess der Entkolonialisierung und der damit verbundenen Politisierung der Staaten der Dritten Welt hat den Ost-West-Konflikt auf immer weitere Regionen dieser Erdteile ausgedehnt. In der Folge entwickelten sich regionale Instabilitäten, wie wir sie heute vor allem im Mittleren und Nahen Osten, in Afrika und in der Karibik erleben. Das wachsende Selbstbewusstsein der neuen Staaten hat zu der krisenhaften Entwicklung des Weltwährungssystems beigetragen und zu einer Ungewissen Entwicklung im Bereich der weltweiten Rohstoff- und Energieverteilung geführt.

Neben den sicherheitspolitischen und ökonomischen Faktoren treten zunehmend die kulturellen Aspekte der internationalen Politik in den Vordergrund. Der Prozess der Modernisierung der Staaten der Dritten Welt griff tief und häufig genug rücksichtslos in die traditionellen Werte und in die sozialen und kulturellen Strukturen ein. Der Aufbau der technologischen Zivilisation hat jetzt, wie das Beispiel des Irans zeigt, einen explosiven Grad erreicht, von dem niemand zur Stunde weiß, in welches Ergebnis er endgültig einmünden wird. Die Rückbesinnung auf die eigenen traditionellen Werte, die Wiedererweckung der Religion, insbesondere im Islam, kann sowohl Ausdruck des Protestes gegen die Tendenzen sozialer und moralischer Auflösung sein als auch Ausdruck des Modernitätsschocks, der Protest gegen das Unvermögen, die „Revolution steigender Erwartungen" zufriedenzustellen. Der elementare Ausbruch dieser Entwicklungen hat bereits Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt, die bisher außenpolitisches Verhalten kalkulierbar machten. Die Geiselnahme in Teheran stellt den krassen Bruch eines Rechtes dar, das seit Urzeiten eine elementare Voraussetzung jeglichen Verkehrs zwischen Staaten ist. Ist das der Beginn des Zerfalls des Völkerrechts? Die Geiselnahme von Teheran macht bereits Schule, wie die Ereignisse in Kolumbien zeigen.

Zusammenfassend muss man feststellen: Die internationale Lage ist instabiler geworden. Sie hat an Eindeutigkeit verloren. Die Zahl der außenpolitischen Akteure wächst. Die Struktur der internationalen Probleme und die Entscheidungsstrukturen klaffen immer stärker auseinander. Die Internationalisierung wachsender Bereiche unserer Politik tritt immer stärker ins Alltagsbewusstsein unserer Bürger. In diesem Geflecht der internationalen Politik muss sich die Bundesrepublik Deutschland behaupten. Selbstbestimmung verwirklicht sich heute mehr denn je als internationale Mitbestimmung und Mitverantwortung.

Die Grundlagen und Ziele deutscher Außenpolitik sind seit 1949 unverändert: Es gilt, den Frieden in Freiheit zu sichern. Zu einem Frieden, der mehr ist als bloßer Verzicht auf Gewalt, gehört die freie Selbstbestimmung. Die Verpflichtung, Freiheit und Einheit für das gesamte deutsche Volk zu erringen, ist für uns unverzichtbar. Wir kämpfen für die Verwirklichung der Menschenrechte in der ganzen Welt. Menschenrechte und Grundfreiheiten haben für uns Vorrang gegenüber dem Prinzip der staatlichen Souveränität.

Diese Grundsätze unserer Politik bleiben unauflöslich verbunden mit der Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die freie Welt. Der Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Allianz, die enge Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die Mitgliedschaft in den Europäischen Gemeinschaften und die Aussöhnung mit dem historischen „Erbfeind" Frankreich beendeten ein Zentralproblem deutscher Außenpolitik seit der Reichsgründung von 1871: die Existenz Deutschlands in ungesicherter Mittellage von Europa.

Bismarcks historisches Verdienst war es, das neugegründete Deutsche Reich bruchlos in das europäische Mächtekonzert einzufügen. Bei allem Bewusstsein der eigenen Starke nahm Bismarck immer Bezug auf die internationale Konstellation mit dem Ziel, das Gleichgewicht des Gesamtsystems nicht zu berühren. Nach Bismarck besaß das Reich eine europäische Ausgleichs- und Brückenfunktion. Seine Nachfolger setzten jedoch diese Politik nicht fort. An ihre Stelle trat eine deutsche Weltmachtpolitik, die gefährliche Konfrontationen einschloss und immer entschiedener nach einer deutschen Hegemonie in Europa verlangte. Am Ende dieser Politik standen der verlorene Erste Weltkrieg und die Existenzkrise des Reiches 1918.

Die Weimarer Republik bot die Chance eines neuen Anfangs, nach innen wie nach außen. Sie endete damit, dass Adolf Hitler endgültig die von Bismarck begründete Tradition des mitteleuropäischen Ausgleichs im Rahmen des europäischen Staatensystems zerstörte und das Deutsche Reich mit seinem völkischen Imperialismus nach außen und seinem faschistischen Totalitarismus nach innen in den Untergang führte.

Konrad Adenauer hat aus diesen zweimaligen katastrophalen Erfahrungen radikale Konsequenzen gezogen. Seine Entscheidung, die Bundesrepublik Deutschland in eine Gemeinschaft starker, befreundeter Demokratien einzubinden, bedeutete den Verzicht sowohl auf eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West wie auf eine Politik der europäischen Brückenfunktion. Diese Entscheidung Konrad Adenauers ist für die CDU Deutschlands irreversibel. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur ein gleichberechtigter Partner der freien Welt geworden. Das westliche Bündnis ist für uns seit dreißig Jahren Garant unserer Sicherheit und unserer Freiheit, Garant des Friedens in Europa.

Die Grundlage der westlichen Allianz war seit Anbeginn auch eine politische: die Gemeinsamkeit ihrer freiheitlich-demokratischen Staatsund Gesellschaftsordnung. Konrad Adenauer hat damit entsprechend der historischen Entwicklung der angelsächsischen Länder das Nationalbewusstsein der Deutschen erstmals auf das engste mit den demokratischen Grundwerten verbunden. Seit dieser Zeit ist der Wille zur nationalen Einheit mit dem Willen zu einer ganz bestimmten staatlichen Form, nämlich zur freiheitlichen Staatsform, identisch. Damit erhielt die Freiheit Priorität vor der staatlichen Einheit, was die Voraussetzung für die Aussöhnung mit unseren westlichen Nachbarn war.

Gerade weil die Menschenrechte unverzichtbare Elemente unserer eigenen politischen und gesellschaftlichen Ordnung sind, kann unsere Außenpolitik, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Deutschlandpolitik, auch im Sinne von Realpolitik nicht auf moralische Kategorien verzichten. Je enger die freie Welt ihre Politik der Menschenrechte abstimmt, je geschlossener und entschiedener wir sie vertreten, desto erfolgreicher werden wir sein. Die KSZE-Schlussakte von Helsinki ist eines der wenigen Beispiele dafür.

Die Integration in die freie Welt war zugleich die Voraussetzung für den raschen wirtschaftlichen Aufstieg, der zu Wohlstand und sozialer Sicherheit führte. Damit waren die innen- und außenpolitischen Voraussetzungen geschaffen, um auf einer gesicherten und stabilen Grundlage den ideologischen, politischen und militärischen Herausforderungen der Sowjetunion begegnen und eine Politik der Verständigung und Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn einleiten zu können.

Politische und gesellschaftliche Umstrukturierungen sind häufig das Ergebnis von Krisensituationen, wie wir sie jetzt wieder einmal erleben. Die Stabilität unseres Landes ist nur dann zu sichern, wenn unsere Politik nach innen wie nach außen langfristig kalkulierbar bleibt -sowohl für Washington wie für die westeuropäischen Nachbarstaaten, aber auch für die Sowjetunion. Unsere westlichen Verbündeten müssen wissen, dass wir an unserer Freundschaft zu ihnen festhalten und die Gemeinschaft weder durch Alleingänge gefährden wollen, noch riskieren wollen, dass unsere Nachbarn eine Nationalpolitik betreiben, die die Bundesrepublik Deutschland in die Gefahr der Isolierung bringt. Wir müssen vielmehr bemüht sein, Gegensätze und Spaltungen innerhalb der westlichen Gemeinschaft überbrücken zu helfen. Auch die Verbündeten erwarten von uns Verlässlichkeit, Vertrauen und Stetigkeit. Unzuverlässigkeit in der Krise, Zweideutigkeit, Sprunghaftigkeit und tagespolitisch bestimmte Hektik höhlen das Bündnis aus.

Auf der anderen Seite muss die Sowjetunion wissen, dass sie keine Chance besitzt, die westliche Allianz zu spalten und die Bundesrepublik Deutschland in ihren Einflussbereich einzubeziehen.

So ist die Bundesrepublik Deutschland nach dreißig Jahren ein stabiler Staat in einer höchst unstabilen Welt, von der sie in hohem Maße abhängig bleibt: Unsere Sicherheit ist in besonderem Maße vom Kräftegleichgewicht zwischen beiden Paktsystemen bestimmt. Unser wirtschaftlicher Wohlstand setzt einen funktionierenden Welthandel und ein funktionierendes internationales Währungssystem voraus. Weltweite Verknappungen und Verteuerungen von Rohstoff- und Energiequellen treffen uns unmittelbar. Es liegt im Überlebensinteresse der Bundesrepublik Deutschland, im Rahmen der weltweiten Strukturveränderungen ihre eigene Handlungsfähigkeit zu sichern. Sie kann das nur, wenn sie auf die Richtung und auf das Tempo dieses Wandels Einfluss nimmt. Die Fortdauer des Ost-West-Konflikts macht die Sicherung des globalen Gleichgewichts unverzichtbar, auf der militärischen wie auf der politischen Ebene.

Die Bundesrepublik Deutschland kann zum militärischen Gleichgewicht nur im Rahmen des NATO-Bündnisses beitragen. Dort ist ihr Beitrag aber eine wesentliche Voraussetzung für die Stabilisierung des Gleichgewichts in Europa und damit im weltweiten Rahmen. Wir werden deshalb auch in Zukunft einen angemessenen Beitrag zur Sicherung des militärischen Gleichgewichts leisten müssen, weil dies in unserem eigenen Lebensinteresse liegt. Unser Beitrag darf aber nicht von Tagesereignissen abhängig gemacht werden. Wenn wir heute vor dieser Gefahr stehen, dann deshalb, weil es von den politisch Verantwortlichen in den zurückliegenden zehn Jahren häufig versäumt worden ist, die militärischen Erfordernisse an einer langfristigen Lagebeurteilung und differenzierten Analyse der technischen Erfordernisse und Möglichkeiten zu orientieren.

Militärische Planung kann nur dann verlässlich sein, wenn sie auf lange Zeiträume angelegt ist. Die jahrelange einseitige Aufrüstung der Sowjetunion und ihr Einmarsch in Afghanistan mit der potentiellen Bedrohung der Golfregion konnte doch nur deshalb zu der jetzigen internationalen Krisensituation führen, weil der Westen immer mehr der Versuchung unterlag, aufgrund einer bestimmten Entspannungseuphorie den militärischen Sektor zu vernachlässigen, die Langfristigkeit militärischer Planungen immer häufiger außer acht ließ und die wachsenden internationalen Abhängigkeiten auf dem politischen und wirtschaftlichen Sektor in seinem sicherheitspolitischen Konzept nicht angemessen berücksichtigte.

Zwar waren sich im Westen alle darin einig, dass das militärische Gleichgewicht die „notwendige Voraussetzung für Friedens Sicherung und Entspannung" sei, aber in der konkreten Politik verschoben sich die Prioritäten. Nichts drückt diese Entwicklung deutlicher aus als die Tatsache, dass mit dem Ausklang der siebziger Jahre die Innen- und Gesellschaftspolitik den Primat über die Außenpolitik errungen hatte.

Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland muss zukünftig gleichermaßen auf den Säulen Sicherheit und Entspannung ruhen. Entspannungspolitik ist kein Ziel an sich, sondern der Versuch eines rationalen Interessenausgleichs zwischen Ost und West, ein Mittel, Konflikte zu kontrollieren und zu begrenzen. Entspannungspolitik ist die notwendige Ergänzung einer Sicherheitspolitik, die auf dem militärischen Gleichgewicht zwischen West und Ost beruht. Entspannungspolitik ist deshalb auch das Instrument, um ein militärisches Gleichgewicht auf einer niederen Ebene im Rahmen von Abrüstung und Rüstungskontrolle zu erreichen.

Die Sowjetunion ist jedoch dabei, die Grundlagen einer solchen Politik der internationalen Verständigung, des Ausgleichs und der Zusammenarbeit zu zerstören: durch ihre Aufrüstung und Ausweitung ihrer Einflusssphären, durch ihr wiederholtes Nein zu den von der NATO angebotenen Verhandlungen über atomare Mittelstreckenwaffen in Europa, durch ihre Aussetzung bereits angesetzter oder in Aussicht gestellter Ost-West-Gespräche. Die Gefahr einer weiteren Eskalation der internationalen Konflikte in den achtziger Jahren zeichnet sich damit bereits an der Schwelle zu diesem neuen Jahrzehnt ab, wenn die Sowjetunion ihre Politik des kalten und des begrenzten Krieges fortsetzt.

Die Bundesrepublik Deutschland ist von dieser internationalen Entwicklung unmittelbar betroffen. Sie muss deshalb im Rahmen der westlichen Allianz und als Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft ihren Beitrag zur Stabilisierung des Gleichgewichts und zu einer Politik der Verständigung in einer Welt des bedrohlichen Wandels leisten. Es muss deshalb ein politisches und militärisches, durch Einsatz wirtschaftlicher Mittel abgestütztes Gesamtkonzept unserer Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt werden, das geeignet ist, dem sowjetischen Vorgehen außerhalb ihres Machtbereichs, besonders in der für uns lebenswichtigen Region des Mittleren und Nahen Ostens, verlässlich und auch für den Fall krisenhafter Zuspitzungen entgegenzuwirken und der Sowjetunion deutlich zu machen, dass ihre nationalen Interessen nicht durch Aufrüstung, außenpolitische Konfrontation und Absperrung nach innen am besten gesichert sind, sondern durch ein militärisches Gleichgewicht auf einer niederen Ebene, durch Entspannung und Zusammenarbeit auf allen Gebieten.

Was sind die konkreten Elemente einer solchen Politik?

1. Die Nordatlantische Allianz bleibt auch für die achtziger Jahre unverzichtbar. Mehr noch: Wir müssen sie in ihrer politischen Bedeutung und militärischen Abschreckung stärken und sie für die Veränderungen der internationalen Politik anpassungsfähiger gestalten. Die Verteidigungsfähigkeit der NATO muss auf dem jeweiligen Stand gehalten werden, der ein verlässliches Gleichgewicht garantiert. Der militärische Beitrag der Bundesrepublik Deutschland ist in entsprechendem Ausmaß zu leisten.

2. Es bleibt das gemeinsame Interesse aller Westeuropäer, die parallelen Bemühungen für ein militärisches Gleichgewicht und für eine Politik der Verständigung und Entspannung fortzusetzen. Die Westeuropäer sehen sich immer häufiger neuen Aufgaben gegenüber, die eine engere Zusammenarbeit erfordern: die Koordination der Verhandlungen mit den Warschauer-Pakt-Staaten auf multilateraler Ebene, die Abstimmung der Wirtschaftspolitiken zur Lösung nationaler wie internationaler Probleme, die Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft gegenüber den Staaten der Dritten Welt, den blockfreien Staaten und den internationalen Organisationen, die Arbeitsteilung innerhalb der westlichen Allianz und die gleichberechtigte und partnerschaftliche Abstimmung mit den USA.

Die Perspektive unserer Europapolitik kann also nicht darin liegen, die Willensbildung in der Europäischen Gemeinschaft der größeren und kleineren Staaten durch Bilateralismus der großen Mächte zu ersetzen oder gar in Richtung auf ein Direktorium voranzugehen. Wenn die Institutionen und die partnerschaftliche Gleichberechtigung der kleineren Mitgliedstaaten missachtet werden, hätte das bald auch zur Folge, dass sich der unkoordinierte Nationalismus der Großen verstärkt bemerkbar macht. Das Ende der Europäischen Gemeinschaft wäre in einem solchen Fall abzusehen. Die Perspektive der achtziger Jahre kann also nur im verstärkten Ausbau der europäischen politischen Zusammenarbeit liegen. Sie liegt im zentralen Interesse der Bundesrepublik Deutschland.

3. Der Entscheidungsprozeß, das System der gegenseitigen Konsultation und Koordination muss sowohl innerhalb der Atlantischen Allianz als auch zwischen den Europäern und der amerikanischen Führungsmacht entscheidend verbessert und beschleunigt werden. Die Gefahr liegt angesichts der jüngsten Erfahrungen nahe, dass die Sowjetunion die Handlungsfähigkeit des Westens geringschätzt und sie dadurch zu neuen Provokationen verleitet wird.

4. Die freie Welt muss die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und ihren Bündnispartnern koordinieren und an übergeordneten Sicherheitszielen ausrichten. Ich habe deshalb im Bundestag vorgeschlagen, ein ständiges Organ der gegenseitigen Information und Konsultation im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Osten einzurichten.

5. Die westlichen Bündnispartner müssen der Sowjetunion deutlich machen, dass eine Politik des Interessenausgleichs, der Entspannung und Zusammenarbeit auf allen Gebieten nur möglich ist, wenn bestimmte Voraussetzungen gewährleistet bleiben: die Stabilität des militärischen Gleichgewichts, der Verzicht auf Manifestation, Androhung und Anwendung von Gewalt - in Europa und weltweit, die Ausgewogenheit

von Leistung und Gegenleistung, der Verzicht auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Wir gehen dabei von der Überzeugung aus, dass ein grundlegender Wandel innerhalb der kommunistischen Systeme von außen nicht herbeizuführen ist, weder durch Druck noch durch Annäherung.

Der rasche Wandel in den internationalen Beziehungen verlangt von uns nicht nur, dass wir die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sicherstellen. Wir müssen in stärkerem Maße als je zuvor Vorsorge für unsere eigene Zukunft treffen. Unsere internationale Abhängigkeit in der Energie- und Rohstoffversorgung ist durch die sowjetische Intervention in Afghanistan und die damit verbundene potentielle Bedrohung der Erdöl produzierenden Staaten der Golfregion erneut blitzlichtartig erhellt worden.

Wir stehen vor der Aufgabe, unsere Beziehungen zu den Staaten der Dritten Welt neu zu überdenken und neu zu ordnen. Die Dritte Welt ist weniger denn je eine Einheit: Sie ist durch unterschiedliche Gruppierungen, regionale Spannungszonen, durch Staaten höchst unterschiedlicher Orientierung und auch höchst unterschiedlicher moralischer Qualität gekennzeichnet. Insofern verhüllt die Formel „Dritte Welt" mehr, als sie erhellt. Ebenso ist unsere Neigung, das Verhältnis zu diesen Staaten allein in humanitären oder Ökonomischen Kategorien der Entwicklungsbedürftigkeit zu definieren, fern jeder Realität und längst überholt. In Wirklichkeit wächst hier ein neues Machtpotential heran, das in zunehmender Weise nicht mehr nur unter den Kriterien der Entwicklungspolitik als vielmehr auch unter den Kriterien der Außenwirtschaftspolitik und der Sicherheitspolitik gesehen werden muss.

Unsere Beziehungen müssen sich auf drei Schwerpunkte konzentrieren:

1. Wir müssen auch zukünftig humanitäre Hilfe für die ärmsten Volker, und zwar ohne politische Auflagen, leisten.

2. An andere Entwicklungsländer müssen wir wie bisher Projekthilfe geben. Angesichts des ungeheuren Bedarfs und unserer begrenzten Mittel muss diese Hilfe starker als bisher nach politischen Kriterien, wenn auch ohne politische Bedingungen, beschlossen werden.

3. Prowestliche Staaten müssen deutlich bevorzugt und in Einzelfällen zu Entwicklungs-Schwerpunktländern gemacht werden.

Wir kommen nicht umhin, Entwicklungshilfe generell wieder als vorrangig außenpolitisches Instrument neu zu konzipieren, ergänzt durch humanitäre Gesichtspunkte. Das bedeutet nicht, dass sie mit politischen Auflagen für die Empfängerländer verbunden wird, wohl aber, dass die Auswahl wieder verstärkt nach Kriterien auch der Sicherheitspolitik vorgenommen werden muss. Das Beispiel des Iran zeigt, dass es in unserem Interesse liegt, wenn wir endlich den eigenen Entwicklungszwang dieser Staaten der Dritten Welt respektieren und ihnen nicht die Dynamik der westlichen Zivilisation zumuten, an deren Ende dann der totale Misserfolg und neue Krisen stehen.

Unsere Ziele müssen sein: Hilfe zur Selbsthilfe, Förderung des selbst gewählten Weges zur Entwicklung und Modernisierung, Unterstützung regionaler Zusammenschlüsse wie der ASEAN-Pakt, die zur Stabilisierung einzelner Regionen führen.

Deutsche Außenpolitik für die achtziger Jahre muss den Frieden in Freiheit sichern, aber sie darf nicht auf der Illusion beruhen, als ob dies allein durch guten Willen und durch große Geschäftigkeit bei allen Arten von Dialogen zwischen Ost und West, Nord und Süd zu gewährleisten ist. Wir sind in ein Jahrzehnt eingetreten, in dem das Element der Macht eine eher zunehmende Rolle spielen wird. Dem müssen wir Rechnung tragen.

Machtgerechte Außenpolitik heißt aber auch, dass sie vom Willen zur Selbstbehauptung getragen sein muss. Dieser Wille erfordert: eine realistische und nüchterne Einschätzung der Lage, eine klare Sprache der Verantwortlichen: zu den politischen Gefährdungen, zu den möglichen Belastungen und zu den notwendigen Maßnahmen der Regierung und eine klare Aussage darüber, wer unsere Freunde sind und wo der Gegner steht.

Internationale Fragen dürfen nicht länger auf das Maß des innenpolitischen Erfolgs verkürzt werden. Wir müssen erkennen, dass Außenpolitik in den achtziger Jahren nicht nur den spannungsfreien Normalfall, sondern gleichzeitig den Ernstfall schwerer Krisen im Blick haben muss. Frieden, Sicherheit, Normalität müssen unablässig angestrebt werden, aber der Ernstfall ist sorgfältiger als bisher in Rechnung zu stellen. Früheren Generationen war dieses Nebeneinander selbstverständlich. Wir werden es wieder lernen müssen.

Quelle: Sonde, Bonn, 13, Heft 2/3 (1980), S. 18-28.